Zum Verständnis des Begriffs „Rückstau“ in der Wohngebäudeversicherung

OLG Hamm, Beschluss vom 26.04.2017 – 20 U 23/17

Zur Verständnis des Begriffs „Rückstau“ in den für einen Versicherungsvertrag vereinbarten „Besonderen Bedingungen für die Versicherung weiterer Elementarschäden in der Wohngebäudeversicherung“. Nach den Bedingungen kann der Begriff „Rückstau“ so zu verstehen sein, dass ein Rückstau nur dann vorliegt, wenn Wasser aus dem Rohrsystem des versicherten Gebäudes austritt. Ein Rückstau im Sinne dieser Versicherungsbedingungen liegt dann nicht vor, wenn Niederschlagswasser nicht mehr von der Rohrleitung des Gebäudes aufgenommen werden 

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Der Senat weist darauf hin, dass das angefochtene Urteil des Landgerichts Bochum vom 23.12.2016 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen sein dürfte.

Die Klägerin mag binnen drei Wochen mitteilen, ob sie die Klage aus Kostengründen zurücknimmt.

Andernfalls mögen die Parteien mitteilen, ob sie mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden sind.

Der Senat geht davon aus, dass die Beklagte einer Klagerücknahme zustimmt. Andernfalls mag sie sich binnen drei Wochen erklären.

Gründe
1
Die Berufung der Beklagten ist begründet, da die Klage nach derzeitiger Würdigung des Sach- und Streitstandes unbegründet ist.

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Die geltend gemachten Haupt-, Neben- und Hilfsansprüche stehen der Klägerin nicht zu, da nach dem bisherigen Sach- und Streitstand nicht von einem versicherten Ereignis ausgegangen werden kann.

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Da Sturm im Sinne des § 8 VGB 2002 und Überschwemmung im Sinne des § 3 BEW 2008 unstreitig und nach dem Vortrag der Klägerin tatsächlich nicht vorlagen, kommt als versichertes Ereignis nur ein Rückstau im Sinne des § 4 BEW 2008 in Betracht, von dem das Landgericht ausgegangen ist.

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Ein solcher liegt aber tatsächlich nicht vor.

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In § 4 BEW 2008 heißt es:

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„Rückstau liegt vor, wenn Wasser [ … ] durch Witterungsniederschläge bestimmungswidrig aus dem Rohrsystem des versicherten Gebäudes oder dessen zugehörigen Einrichtungen austritt.“

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1. Ein Rückstau, der zu einem Wasseraustritt auf der Dachterrasse sowie von dort aus zu einem Eindringen des Wassers in das Gebäude führte und die geltend gemachten Schäden auslöste, kann aufgrund des schriftlichen Sachverständigengutachtens vom 10.08.2016 entgegen den Feststellungen des angefochtenen Urteils und entgegen den Angaben des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 09.12.2016 (GA 124 f.) ausgeschlossen werden.

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Wesentliche Grundlage der Feststellungen des Landgerichts bzw. der Angaben des Sachverständigen war, dass Letzterer beim Ortstermin auch den Keller des Hauses in Augenschein genommen und dabei festgestellt habe, dass die Entwässerung unterhalb des Bürgersteigs erfolge. Daraus sei abzuleiten, dass – wenn man davon ausgehe, an jenem Tag sei der Kanal voll gewesen – das Abflussrohr auch voll war und die Regenmenge auf der Terrasse nicht mehr aufgenommen werden konnten (Urteilsumdruck Seite 4, GA 133r, und Protokoll vom 09.12.2016 Seite 2, GA 125).

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Selbst wenn, was das Landgericht nicht allein aufgrund der Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung (Protokoll vom 09.12.2016 Seite 2, GA 125) und der Mutmaßungen des Sachverständigen feststellen konnte, die Kanalisation tatsächlich überlastet gewesen und deshalb ein Abfließen des Niederschlagswasser aus dem Fallrohr ausgeschlossen gewesen sein sollte, wäre in diesem Fall das Niederschlagswasser nicht auf der Terrasse ausgetreten oder hätte von dort nicht mehr abfließen können.

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Dies ergibt sich aus den Feststellungen des Sachverständigen an der Dachterrasse im Rahmen des durchgeführten Ortstermins. Er hat im Sachverständigengutachten festgehalten, dass sich die Entwässerungsebene der Dachterrasse unterhalb der Nutzebene befindet. An der nordöstlichen Ecke der Terrasse ist ein Bodeneinlauf erkennbar, der in der Entwässerungsebene eingebaut ist. An der Außenseite der Dachterrasse ist analog zum Bodeneinlauf ein Einlaufkasten montiert. In diesen Kasten führt eine Kunststoffleitung, die augenscheinlich Wasser aus dem Bodeneinlauf in den Einlaufkasten leitet. An der Unterseite des Kastens ist ein Regenfallrohr montiert. Dieses ist an die Gebäudeentwässerung angeschlossen (Gutachten vom 10.08.2016 Seite 3). Dies entspricht den vom Sachverständigen vor Ort gefertigten Fotos (Gutachten vom 10.08.2016 Foto 2 und Foto 3).

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Sollte die Kanalisation also tatsächlich überlastet und deshalb ein Abfließen des Niederschlagswasser aus dem Fallrohr ausgeschlossen gewesen sein, hätte das Wasser aus dem Sammelkasten auslaufen müssen, da dieser nach oben offen ist. Das Wasser hätte nicht von der Kanalisation bis in die Entwässerungsebene der Dachterrasse und schon gar nicht auf die noch oberhalb liegende Dachterrasse sowie in die Wohnung gedrückt werden können. Umgekehrt wäre von der Dachterrasse ablaufendes Wasser in den Sammelkasten gedrückt worden und wäre über dessen Oberkanten über- / abgelaufen.

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2. Selbst wenn man dies aber außer Betracht ließe, also von einem durchgehenden Rohr von der Terrasse bis zur Kanalisation ausginge, und die bisher nicht bewiesene Behauptung einer Überlastung der Kanalisation unterstellte, wäre vorliegend kein Rückstau im Sinne des § 4 BEW gegeben.

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a) Grundlage dessen ist, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer § 4 BEW 2008 bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an. Versicherungsbedingungen sind daher aus sich heraus zu interpretieren. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BGH, Urt. v. 23.06.1993, IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83, 85; zuletzt beispielsweise BGH, Urt. v. 15.02.2017, IV ZR 91/16, juris, Rn. 17; BGH, Urt. v. 22.04.2015, IV ZR 419/13, Rn. 12, VersR 2015, 706). Für die Wortlautauslegung ist dabei der Sprachgebrauch des täglichen Lebens und nicht etwa eine Terminologie, wie sie in bestimmten Fachkreisen üblich ist, maßgebend (vgl. BGH, Urt. v. 29.03.2017, IV ZR 533/15, juris, Rn. 13 m. w. N.).

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b) Gemessen daran ist vorliegend kein Rückstau im Vertragssinne gegeben.

15
aa) Zwar mag bei einer Überlastung der Kanalisation ein Rückstau im eigentlichen Wortsinne vorliegen, nicht aber – und allein das ist entscheidend – ein Rückstau im Sinne des § 4 BEW 2008.

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Dieser setzt gerade nicht nur einen (Rück-)Stau im Wortsinne voraus, sondern, dass das Wasser aus dem Rohrsystem des versicherten Gebäudes, wozu hier die Ableitung von der Dachterrasse gehörte, austritt.

17
Vorliegend ist nicht ersichtlich, in welcher Weise hier Wasser durch eine Überlastung der Kanalisation aus dem Rohr auf die Terrasse herausgedrückt worden sein sollte.

18
Vielmehr konnte das Niederschlagswasser nur nicht mehr in die Ableitung von der Dachterrasse eintreten. Dies entspricht auch dem Vortrag der Klägerin, wonach das Niederschlagswasser nicht mehr von dem Regenfallrohr aufgenommen werden konnte (vgl. Klageschrift Seite 3, GA 3; Schriftsatz vom 23.07.2015, Seite 1, GA 14; Schriftsatz vom 02.10.2015, Seite 2, GA 53).

19
Diese Art des Schadenseintritts ist vom Wortlaut der Klausel nicht gedeckt, da es gerade auf eine bestimmungswidrigen Austritt und nicht auf einen bestimmungswidrigen Nichteintritt ankommt (vgl. OLG Bamberg, Urt. v. 30.04.2015, 1 U 87/14, juris, Rn. 46, VersR 2016, 1247 bei sinngemäßer Bedingung; OLG Hamburg, Beschl. v. 14.04.2014, 9 U 201/13, juris, Rn. 22, VersR 2014, 1454 und Beschl. v. 17.03.2014, 9 U 201/13, juris, Rn. 3 f., VersR 2014, 1454 bei leicht abweichender Bedingung; nur scheinbar anders LG Dortmund, Urt. v. 17.12.2015, 2 O 263/14, juris, Rn. 22 f., RuS 2017, 78, das aber zuvor gerade – abweichend vom vorliegenden Fall – festgestellt hatte, dass „Wasser aus dem Regenfallrohr gedrückt worden sei“ [Rn. 21], bezüglich dieser Feststellungen mit kritischer Anm. Günther, jurisPR-VersR 9/2016 unter C.II; siehe auch Jula, in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. 2012, § 5 VHB Rn. 18, 20).

20
bb) Auch Sinn und Zweck der Klausel gebieten keine andere Auslegung. Denn allein die Tatsache, dass eine Elementarschadensversicherung abgeschlossen worden ist, bedeutet nicht, dass sämtliche Risiken abgedeckt sein müssten. Versichert sind nur die vertraglich vereinbarten Risiken.

21
Das gilt insbesondere auch für den vorliegenden Fall, in dem Schutz gegen das vermeintlich eingetretene Risiko durch einen Überlauf an der Dachterrasse unterhalb der Abdichtungsebene zum Gebäudeinneren (bzw. durch einen Überlauf über den auf den Fotos des Sachverständigen ersichtlichen Sammelkasten) gewährleistet werden kann. Damit soll nicht gesagt sein, dass insoweit eine Verpflichtung oder Obliegenheit des Versicherungsnehmers bestünde. Aufgezeigt werden soll damit nur, dass der Versicherungsnehmer nicht erwarten kann, dass jedes erdenkliche Risiko abgesichert ist.

22
3. Vor diesem Hintergrund mag die Klägerin erwägen, die Klage aus Kostengründen, und sei es zugunsten einer etwaigen Rechtsschutzversicherung, zurückzunehmen.

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