Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 17.11.2006 – L 5 KR 293/05
Zum Sozialversicherungstatus eines Fahrers (Überführungsfahrten von Fahrzeugen)
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 21. Juli 2005 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger und der Beigeladenen zu 1) die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Streitig ist, ob die Beklagte zu Recht den Status des Klägers als Beschäftigter der Beigeladenen zu 1) festgestellt hat.
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1. Der 1940 geborene Kläger war Soldat der Bundeswehr, seit 1993 ist er außer Dienst. Seit 1996 überführte er für eine D. Niederlassung Kraftfahrzeuge auf deren eigener Achse vom Hersteller zum Autohaus oder vom Autohaus zu deren Kunden. Diese zunächst im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung ausgeführte Tätigkeit erweiterte er in der Folge und meldete zum 01.05.2001 ein Gewerbe mit dem Gegenstand “Überführung von Fahrzeugen” an. Am 16.07.2001 beantragte er bei der Beklagten, seinen Status als selbständiger Fahrer für die Beigeladene zu 1) festzustellen. Er erbringe derzeit für zwei Autohäuser Überführungsfahrten und sei dabei nicht weisungsgebunden tätig. Im weiteren Verwaltungsverfahren trug er ergänzend vor, mittlerweile aufgrund eigener Akquisition für vier Auftraggeber Fahrzeuge zu überführen. Zwei vorgelegte Abrechnungen ergaben einen Stundenlohn von 16,00 DM sowie Kostenerstattung für die Hinfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln und für getankten Dieselkraftstoff. Der Kläger machte ergänzend geltend, er sei nicht weisungsgebunden, weil er bei den Fahrten, die er nur als Einzelaufträge abnehme, weder zeitlich noch an eine vorgegebene Strecke gebunden sei.
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Mit Bescheid vom 23.01.2002 stellte die Beklagte den Status des Klägers als Beschäftigter der Beigeladenen zu 1) fest. Der Kläger setze kein eigenes Kapital oder eigene Betriebsmittel mit wirtschaftlich ungewissem Erfolg ein. Er trage lediglich ein Entgeltrisiko, nicht aber ein Unternehmerrisiko. Er erhalte von vornherein festgelegte Vergütung und sei hinsichtlich Übernahmeort/Abgabeort sowie Übernahme-/Übergabetermin weisungsgebunden. Allein die Erstattung von Spesen oder das Konkursrisiko eines Auftraggebers mache ihn nicht zum Unternehmer. In Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände sei er als abhängig Beschäftigter anzusehen.
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Dagegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, er habe mittlerweile sechs Auftraggeber akquiriert, demnächst kämen weitere drei dazu. Er werde nur tätig, falls er auf Anfrage des Autohauses ein Kostenangebot vorgelegt habe, welches das zuständige Autohaus annehme oder mit ihm bis zum Vertragsabschluss aushandele. In den Betrieb der Auftraggeber sei er nicht eingebunden und trage das unternehmerische Risiko, sein Entgelt zu erhalten.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 18.02.2002 wies die Beklagte den Widerspruch im Wesentlichen mit der Begründung des Ausgangsbescheides zurück.
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2. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Augsburg hat der Kläger vorgetragen, er sei selbständig Tätiger, was sich daraus ergebe, dass er durch sein Auftreten auf dem Markt mittlerweile acht Auftraggeber akquiriert habe. Auf Anfrage des Gerichts haben die Auftraggeber im Wesentlichen mitgeteilt, der Kläger habe bei den Überführungsfahrten einen gewissen Ermessensspielraum, obgleich er an die terminlichen Wünsche der Kunden der Auftraggeber gebunden sei. Die Auftraggeber erteilten freien Dienstleistungsunternehmen wie dem Kläger die Überführungsaufträge, wobei nur das kostengünstigste Angebot den Zuschlag erhalte. Erläuternd hat der Kläger ausgeführt, er fertige auf Anfrage eines Autohauses einen Kostenvoranschlag, welchen die Autohäuser dann annähmen oder ablehnten. Er selbst entscheide darüber, ob er auf eine Anfrage eines Autohauses ein Angebot abgebe oder dies z.B. wegen terminlicher Auslastung unterlasse. Er sei damit in der Entscheidung, ob er ein Fahrzeug überführe oder nicht, frei. Zudem sei er für die Preiskalkulation des abgegebenen Angebotes allein verantwortlich. Bei den Überführungsfahrten sei er nicht an Vorgaben der Auftraggeber gebunden und unterläge keiner laufenden Kontrolle der Auftraggeber. Er sei in die Betriebs- und Arbeitsorganisation der Autohäuser nicht eingegliedert und erhalte keine Lohnfortzahlung im Urlaubs- oder Krankheitsfalle.
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Mit Urteil vom 21.07.2005 hat das Sozialgericht die Verwaltungsentscheidung aufgehoben und die Beklagte zur Feststellung verurteilt, dass der Kläger für die Beigeladene zu 1) nicht als abhängig Beschäftigter tätig geworden sei. Der Kläger sei frei in der Entscheidung, ob er ein Fahrzeug überführe oder nicht. Er erstelle ein eigenständiges Angebot aufgrund selbständiger Preiskalkulation und erhalte den Zuschlag für die jeweilige Fahrt nur, falls er das günstigste Angebot abgegeben habe. Bei den Fahrten sei er selbständig und ohne laufende Kontrolle tätig. Allein aus den vorgegebenen Übernahme-/Abgabeorten folge Weisungsgebundenheit oder Einbindung in die Arbeitsorganisation der Beigeladenen zu 1) nicht. Er trage ein Unternehmerrisiko, weil er bei fehlender Kundenzufriedenheit nicht mehr beauftragt würde. Er erhalte Entgelt nur für tatsächlich durchgeführte Fahrten, Lohnfortzahlung im Krankheits- und Urlaubsfalle könne er nicht beanspruchen. Zudem sei er durch eigene Werbung auf dem Markt tätig geworden.
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3. Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt und geltend gemacht, der Kläger sei weisungsgebunden beschäftigt. Maßgeblich seien seine Überführungsfahrten für die Beigeladene zu 1), dabei handele es sich um eine weisungsabhängige Tätigkeit. Der Kläger trage kein Unternehmerrisiko, weil er weder eigenes Kapital noch seine eigene Arbeitskraft mit der Gefahr eines Verlustes einsetze, der Erfolg seines Arbeitseinsatzes sei also nicht ungewiss. Der Kläger hat Angebote und Abrechnungen für die Jahre 2001 bis 2006 gegenüber der Beigeladenen zu 1) sowie gegenüber anderen Auftraggebern vorgelegt, welche zum einen Abrechnungen für den zeitlichen Aufwand (Hinfahrt und Überführungsfahrt) zum anderen Kostenaufwand für die Hinfahrt, Erstattung für getankten Kraftstoff sowie für Autobahngebühren enthalten. Hierzu hat der Kläger ausgeführt, er rechne die Arbeitszeit entsprechend Angebot ab, sollte er z.B. staubedingt mehr Zeit benötigen, gehe dies zu seinen Lasten, könne er durch günstige Umstände die angegebene Zeit unterschreiten, verbleibe ihm dieser Vorteil. Zu den Rechnungen hat die Beigeladene zu 1) ausgeführt, diese seien ausnahmslos eingebucht und bezahlt worden, wie sich den Lieferantenkontenblättern entnehmen lasse. Hierzu hat die Beklagte geäußert, ein unternehmerisches Risiko liege nicht vor, weil der geleistete zeitliche Aufwand nach einem vorab festgelegten Stundenlohn abgegolten werde. Auch alle sonstigen anfallenden Kosten habe der Auftraggeber zu erstatten.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 21.07.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Verwaltungsakten der Beklagten. Darauf sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG -), aber unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht im angefochtenen Urteil den Streit befangenen Bescheid der Beklagten vom 04.03.2002/Widerspruchsbescheid vom 18.09.2002 aufgehoben und antragsgemäß eine selbständige Tätigkeit des Klägers für die Beigeladene zu 1) angenommen. Denn dieser ist für die Beigeladene zu 1) als Selbständiger tätig.
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In dem Anfrageverfahren nach § 7a SGB IV stellt die Beklagte auf Antrag des Arbeitgebers/Auftraggebers oder des Arbeitnehmers/Auftragnehmers fest, ob zwischen diesen ein Beschäftigungsverhältnis besteht. Die Beklagte entscheidet dabei aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles. Beschäftigung ist dabei gemäß § 7 Abs.1 SGB IV die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Nach ständiger Rechtsprechung setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist und einem Zeit, Dauer, Art und Ort der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko mit einer Erwerbschance, das Vorhandensein einer Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist dabei stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung, wobei den tatsächlichen Verhältnissen entscheidende Bedeutung zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2005 – B 12 KR 28/03 R m. w. N.). Insofern besteht Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses, wonach Arbeitnehmer ist, wer nach dem Gesamtbild der vertraglichen Vereinbarung und dessen praktischer Durchführung weisungsgebunden hinsichtlich Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer, Ort oder sonstiger Modalitäten die geschuldete Leistung erbringt. Insoweit lassen sich abstrakte, für alle Arbeitsverhältnisse geltende Kriterien nicht aufstellen, weil manche Tätigkeiten sowohl im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses als auch im Rahmen freier Dienst- oder Werkverträge erbracht werden können, so dass das jeweilige Bild im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu bewerten ist (vgl. BAG NZA 1998, 364, NZA 1999, 374).
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In Würdigung des gesamten Sachverhaltes ist der Senat bei Abwägung aller relevanten Umstände der Rechtsbeziehungen des Klägers mit der Beigeladenen zu 1) überzeugt, dass ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis nicht vorliegt. Es überwiegen die folgenden Anhaltspunkte, die eine selbständige Tätigkeit des Klägers belegen:
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1. Der Kläger ist nicht in den Betrieb der Beigeladenen zu 1) integriert. Er erbringt seine Leistungen in Gestalt der Überführungsfahrten außerhalb der Betriebsstätte der Beigeladenen zu 1).
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2. Er erbringt seine Leistungen jeweils aufgrund eines einzelnen Angebotes, welches die Beigeladene zu 1) annehmen, oder auch ablehnen kann, wie dies z.B. bei dem Angebot vom 20.10.2005 der Fall war.
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3. Er erhält ein Entgelt nur für getätigte Überführungsfahrten. Er unterscheidet sich dabei wesentlich von einem Arbeitnehmer, welcher seine Arbeitskraft für eine bestimmte Dauer zu vorgegebenem Beginn und Endzeitpunkt zur Verfügung zu stellen hat und dann nach Zeit bezahlt wird.
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4. Er hat gewisse Freiheiten bei der Ausführung der Überführungsfahrten. Ihm ist der Übernahme-/Abgabetermin nur tagesgenau, nicht aber minutengenau vorgegeben. Zum Teil hat der Kläger bei den durchgeführten Fahrten auch für das Kfz Überführungskennzeichen besorgt und angebracht.
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5. Er hat zum Teil die Kosten der Überführungsfahrten zwischen der Beigeladenen zu 1) als Autohaus und dem Hersteller jeweils hälftig abgerechnet (vgl. z.B. Rechnungsnummer 3010 vom 14.03.2003). Er unterscheidet sich damit deutlich von einem Arbeitnehmer, welcher nur gegenüber einem Arbeitgeber tätig wird.
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6. Er hat eine – wenn auch geringe – Erwerbschance, indem er die Überführungen (Hinfahrt einschließlich Überführungsfahrt) schneller als beabsichtigt durchführt, aber auch ein – wenn auch geringes – Unternehmensrisiko, falls sich die Gesamtüberführung zeitlich verzögern sollte. 7. Er kann frei entscheiden, ob er auf Anfrage der Beigeladenen zu 1) ein Angebot für eine Überführungsfahrt abgibt oder nicht.
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8. Der Kläger tritt eigenwerbend auf dem Markt auf und hat dadurch mehrere andere Auftraggeber akquiriert.
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9. Er führt Überführungsfahrten nicht nur für die Beigeladene zu 1) aus, sondern für mehrere Autohäuser. Diese sind auf einem identischen Marktsegment tätig, der Kläger erbringt seine Leistungen auch für konkurrierende Auftraggeber.
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Dabei übersieht der Senat nicht, dass mehrere Gesichtpunkte für eine abhängige Tätigkeit des Klägers sprechen:
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1. Die vergütete Tätigkeit als Kraftfahrzeugfahrer zählt zu den Diensten “niederer Art”, bei welchen für eine unternehmerische Gestaltungsfreiheit im Wesentlichen kein Raum vorhanden ist.
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2. Durch den Übergabe- und Übernahmeort der Fahrzeuge sowie durch das Erfordernis, die Fahraufträge effizient und pünktlich durchzuführen, verbleibt dem Kläger kein allzu großer Gestaltungsspielraum, um die Überführungsfahrten durchzuführen.
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Diese Gesichtspunkte, die für eine abhängige Beschäftigung sprechen, entsprechen jedoch nicht denen des typischen Arbeitnehmers, welcher verpflichtet ist, ihm zugeteilte Fahraufträge regelmäßig anzunehmen und auszuführen und dem es deswegen nicht möglich ist, seine Tätigkeit frei zu gestalten. Bei abwägender Gesamtwürdigung liegt somit kein Beschäftigungsverhältnis zwischen der Beigeladenen zu 1) und dem Kläger vor.
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Die Berufung der Beklagten musste deshalb in vollem Umfang ohne Erfolg bleiben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 160 SGG).