BGH, Urteil vom 13. November 1973 – VI ZR 152/72
Es fällt nicht mehr unter den Schutzzweck der Tierhalterhaftung, wenn ein Reiter durch ein Pferd verletzt wird, das er sich vom Tierhalter erbeten hatte, um diesem seine bessere Reitkunst zu beweisen.
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts H vom 5. Juni 1972 insoweit aufgehoben, als es die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und die Kostenentscheidung dem Landgericht zugewiesen hat.
Auf die Berufung des Beklagten wird unter teilweiser Abänderung des Teil- und Grundurteils des Landgerichts B vom 11. November 1971 die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits fallen dem Kläger zur Last, soweit nicht bereits darüber entschieden ist.
Tatbestand
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Der Beklagte, Leiter des sog. Pensionsbetriebes des Reitvereins B e.V., hatte auch ein eigenes Pferd „E“ im Stall des Reitvereins stehen. Am 17. März 1969 übte er erstmalig mit „E“ Angaloppieren im Außengalopp. Dabei verhielt „Elch“ sich weigerlich und machte Schwierigkeiten. Der Kläger, ein erfahrener Turnierreiter, der früher einmal „Elch“ drei Monate lang zugeritten hatte, beobachtete das Verhalten des Pferdes etwa 15 Minuten. Dann rief er dem Beklagten zu: „M, laß mich mal“. Daraufhin ritt der Beklagte zur Mitte der Bahn, saß ab und übergab das durch Trense gezäumte Pferd dem Kläger. Dieser verkürzte die Steigbügel und schwang sich in den Sattel. Dabei oder unmittelbar danach warf „Elch“ ohne ersichtlichen Anlaß den Kopf nach hinten, traf den Kopf des Klägers, stieg auf der Hinterhand hoch, verlor das Gleichgewicht und fiel beim Sturz auf den linken Oberschenkel des Klägers. Dieser, durch den Stoß des Pferdekopfes bereits benommen, wenn nicht gar bewußtlos, erlitt einen Bruch des Oberschenkels.
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Der Kläger hat unter anderem vom Beklagten als Halter des Tieres Ersatz seines Sachschadens und Verdienstausfalls sowie ein angemessenes Schmerzensgeld begehrt.
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Das Landgericht hat die gegen den Beklagten gerichteten Klageansprüche zur Hälfte für gerechtfertigt erklärt. Das Oberlandesgericht hat diese Quote auf ein Drittel herabgesetzt.
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Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Begehren, die Klage in vollem Umfang abzuweisen, weiter.
Entscheidungsgründe
I.
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Das Berufungsgericht bejaht eine Haftung des Beklagten nach § 833 Satz 1 BGB wie folgt: Diese Gefährdungshaftung sei nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Kläger sich der Tiergefahr aus eigenem Antrieb bewußt ausgesetzt habe. Mit dem Versuch, dem Beklagten beweisen zu wollen, daß er dem Tier die Lektion anders, leichter, schneller und besser beibringen könne als dieser, habe er teils im eigenen Interesse, nämlich seines reiterlichen Rufes, teils im Interesse des Beklagten gehandelt. Bei dieser Fallgestaltung liege die Gefährdungshaftung des Tierhalters nicht außerhalb des Schutzzwecks der Norm. Vielmehr handele es sich um einen typischen Anwendungsfall der Tierhalterhaftung, die eine Erfolgshaftung für Schaden aus nicht voll beherrschbarem Risiko darstelle und auch gegenüber demjenigen zur Anwendung komme, der sich aus freien Stücken in den Gefahrenbereich des Tieres begeben habe. Anknüpfungspunkt für den Gesichtspunkt der Selbstgefährdung des Geschädigten liege allein in § 254 BGB. Auch sei dem Beklagten hier nicht jede Einwirkungsmöglichkeit auf das Tier entzogen gewesen; es habe im Gegenteil ein enger sozialer Kontakt zwischen den Parteien bestanden. Da bei einer solchen sportskameradschaftlichen Gefälligkeit weder ein vertraglich vereinbarter Haftungsausschluß noch ein Handeln auf eigene Gefahr angenommen werden könne, hafte der Beklagte als Tierhalter und zwar auch auf ein Schmerzensgeld. Die Haftung des Beklagten sei jedoch wegen des dem Kläger nach § 254 BGB zuzurechnenden eigenen Verhaltens auf ein Drittel begrenzt.
II.
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Diese Ausführungen des angefochtenen Urteils halten den Angriffen der Revision nicht stand.
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1. Zu Recht geht das Berufungsgericht davon aus, daß der Beklagte als Halter des Pferdes „Elch“ nach § 833 Satz 1 BGB für die dem Kläger in Auswirkung einer typischen Tiergefahr zugefügten Verletzungen haften würde, wenn diese Gefährdungshaftung nicht aus dem Gesichtspunkt entfällt, daß der Verletzte sich selbst bewußt dieser Gefahr ausgesetzt hat.
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2. Nicht zuzustimmen war dagegen der Meinung des Berufungsgerichts, daß die Gefährdungshaftung hier nicht ausgeschlossen sei, der richtige Anknüpfungspunkt für die Berücksichtigung einer Selbstgefährdung des Klägers vielmehr in § 254 BGB liege.
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a) Die Erwägungen, die den Senat bestimmten, in seinem Urteil BGHZ 34, 355 den Einfluß der bewußten Selbstgefährdung auf die Schadenshaftung nicht unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr, sondern nach § 254 BGB zu beurteilen, treffen entgegen der Meinung des Berufungsgerichts für den hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht zu. Bei jener Entscheidung handelte es sich um eine sog. „Gefälligkeitsfahrt“ in einem Kraftfahrzeug, wobei der Fahrgast durch Verschulden des als fahruntüchtig erkannten Fahrers verletzt worden war, also um einen deliktischen Schadensersatzanspruch (§ 823 BGB). Die Gefährdungshaftung aus § 7 StVG war ohnehin nach § 8 a StVG ausgeschlossen. Dagegen handelt es sich hier um einen Anspruch aus Gefährdungshaftung. Zudem hat der Senat bei jener Entscheidung den Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr weiterhin für Fälle offengelassen, in denen das Verhalten des Geschädigten ohne künstliche Unterstellung als Einwilligung in die als möglich vorgestellte Rechtsgutverletzung aufgefaßt werden kann, wie etwa bei gefährlichen Sportarten, beispielsweise Autorennen oder waghalsiger Felskletterei (BGHZ 39, 157, 161; ebenso Larenz, Schuldrecht II 10. Aufl. § 71 I c 1 S. 452). Darunter können unter besonderen Umständen auch Reitunfälle fallen. So hat das Reichsgericht einem Verletzten, der das Pferd zureiten oder trainieren sollte, Ersatzansprüche aus § 833 BGB nicht zugebilligt (RGZ 58, 410; RG JW 1905, 143; zustimmend Erman, BGB 5. Aufl. § 833 Rdz. 22; Larenz aaO I § 31 I b S. 371; Weimar JR 1972, 455; Stoll, Handeln auf eigene Gefahr 1961 S. 357 ff). Auch der Senat hat in einem Fall, in dem es um Ersatzansprüche eines Jockeys aus § 833 BGB ging, den Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr erörtert (Urt. v. 24. November 1954 — VI ZR 255/53 = VersR 1955, 116).
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b) Der hier zu beurteilende Sachverhalt bietet allerdings keinen ausreichenden Anhaltspunkt dafür, daß der Kläger sich mit der Übernahme des Pferdes einer erkennbaren besonderen Reitgefahr ausgesetzt hatte, die ein solches Handeln auf eigene Gefahr rechtfertigen könnte. Das Berufungsgericht stellt nur fest, daß „Elch“ sich bei dem Versuch des Beklagten, im Außengalopp anzugaloppieren weigerlich verhielt, Schwierigkeiten machte, erregt war und Ermüdungserscheinungen zeigte. Es hat sich aber nicht davon zu überzeugen vermocht, daß „Elch“ ein bösartiges Pferd war und etwa den in Kreisen des Dorfes benutzten Namen „Killer“ zu Recht getragen hätte. Der 14-jährige Sohn einer Vorbesitzerin hatte das Tier ohne Zwischenfall geritten. Auch hat der Kläger seine frühere Behauptung, der Beklagte habe das Pferd geprügelt gehabt, nicht aufrechterhalten. Daß es hier zu einem schweren Unfall kam, lag nicht in einer besonderen Gefährlichkeit dieses dem Kläger an sich nicht unbekannten Tieres begründet — er hatte es 1 1/2 Jahre zuvor selbst drei Monate zugeritten. Vielmehr war entscheidend, daß der Kläger durch das Zurückwerfen des Pferdekopfes selbst am Kopf getroffen, dadurch benommen, wenn nicht gar ohnmächtig war und das Tier beim Hochsteigen auf die Hinterhand das Gleichgewicht verlor. Somit läßt die Meinung des Berufungsgerichts, daß die Tierhalterhaftung hier nicht schon aus dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr entfällt, keinen Rechtsfehler erkennen.
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3. Die Klage war jedoch abzuweisen, weil die Gefährdungshaftung bei der hier vorliegenden Fallgestaltung nicht unter den Schutzzweck des § 833 Satz 1 BGB fällt.
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a) Hätte der Kläger sich das Pferd vom Beklagten geliehen, so würde die Tierhalterhaftung nur in den Grenzen der §§ 599, 600 BGB eingreifen, d.h. die Haftung des Verleihers wäre auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt. Zwar kommen Vertrags- und Deliktsrecht grundsätzlich nebeneinander zur Anwendung (BGHZ 46, 140, 141). Wo jedoch das Gesetz, wie in den §§ 599, 600 BGB die Vertragshaftung auf die schweren Schuldarten beschränkt, wird man darin in aller Regel auch eine Beschränkung der Widerrechtlichkeit der Handlung und folglich einen Ausschluß der Deliktshaftung bei leichtem Verschulden finden müssen (BGHZ 55, 392, 396; 46, 313, 316). Daß allein dieses Ergebnis dem Verhältnis Verleiher/Entleiher gerecht wird, zeigt die Überlegung, daß die gesetzlich vorgesehene Risikoabwälzung auf den Entleiher im Bereich der Tierleihe weitgehend gegenstandslos sein würde, wenn der Entleiher eines Tieres den Verleiher stets aus § 833 BGB haftbar machen könnte (Knütel NJW 1972, 163; Wussow WI 1972, 161).
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Anzunehmen, hier wäre zwischen den Parteien ein Leihvertrag zustandegekommen, wäre jedoch gekünstelt. Vielmehr liegt in der Übergabe des Pferdes — wie das Berufungsgericht zutreffend feststellt — lediglich ein rein tatsächlicher Vorgang des täglichen Lebens, der sich aus dem sportskameradschaftlichen Verkehr ergab und dem kein rechtlicher Bindungswille zukommt (vgl. BGHZ 21, 102, 106).
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b) Ob sich die aus dem Recht der Leihe ergebende und oben erörterte Haftungsbeschränkung allgemein auch auf derartige im außervertraglichen Bereich liegende Gefälligkeitshandlungen des täglichen Lebens erstreckt — was zur Folge hätte, daß nicht nur der Anspruch aus Gefährdungshaftung, sondern auch etwaige Schadensersatzansprüche aus § 823 BGB der Haftungsbeschränkung der §§ 599, 600 BGB unterlägen — kann hier dahingestellt bleiben. Denn die Gefährdungshaftung des Tierhalters ist bei der im Streitfall gegebenen Sachlage schon aus anderen Gründen zu verneinen.
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Der Gefährdungshaftung des Tierhalters liegt der gesetzgeberische Gedanke zugrunde, daß derjenige, der im eigenen Interesse eine Gefahrenquelle schafft, für die damit notwendig zusammenhängenden, bei aller Sorgfalt nicht zu vermeidenden Sachbeschädigungen oder Verletzungen Dritter einzustehen hat (Stoll aaO S. 346 ff). Das Spezifische dieser außerdeliktischen Schadenszurechnung beruht auf der Auferlegung einer sozialen Verantwortung (Einstandspflicht) für eigenes Wagnis und dem Zwang für jeden Dritten, das Halten des Tieres und die von ihm ausgehenden Gefahren zu dulden (Esser, Gefährdungshaftung 2. Aufl. S. 91 ff und Schuldrecht II 3. Aufl. § 114 I).
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Der Revision ist darin zuzustimmen, daß diese den Tierhalter treffende Gefährdungshaftung dann nicht mehr einer gerechten Zuweisung des Zufallsschadens entspricht, wenn der Verletzte die Herrschaft über das Tier und damit die unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit vorwiegend im eigenen Interesse und in Kenntnis der damit verbundenen besonderen Tiergefahr übernommen hat. Er ist dann nicht nur selbst in der Lage, die Maßnahmen zu ergreifen, die seinen bestmöglichen Schutz gewährleisten, sondern sein eigenes Interesse wiegt im Verhältnis zum Tierhalter den Gesichtspunkt auf, daß dieser den Nutzen des Tieres hat (vgl. Stoll aaO S. 359; Wussow, Unfallhaftpflichtrecht 11. Aufl. Rdz. 397; Larenz aaO I § 31 I b S. 371; im Ergebnis, wenn auch mit nicht zu billigender Begründung, ebenso OLG Zweibrücken NJW 1971, 2077; vgl. auch LG Duisburg VersR 1972, 475).
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Diese Voraussetzungen treffen hier für den Kläger zu. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte er sich in Kenntnis der Eigenwilligkeit und des weigerlichen Verhaltens des Pferdes, das erregt war und bereits Ermüdungserscheinungen zeigte, dem Beklagten geradezu mit der Bitte aufgedrängt, ihm das Pferd zu überlassen, dies zudem ohne dem Pferd eine Verschnaufpause zu gewähren. Mag es auch im Interesse des Beklagten gelegen haben, dem Pferd durch den Kläger, der als besserer Reiter galt, eine richtige Lektion erteilen zu lassen, so überwog bei weitem das eigene Interesse des Klägers, einem erfahrenen Turnierreiter, an seinem reiterlichen Ruf: er wollte unter Beweis stellen, daß er dem Tier die Lektion anders, leichter, schneller und besser beibringen könne. Ein solcher Sachverhalt fällt aber nicht mehr unter den Schutzzweck der Norm des § 833 Satz 1 BGB (vgl. BGHZ 27, 137; Larenz aaO S. 371).
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Die Klage war daher abzuweisen.