Zum Schadensersatz aus Amtspflichtverletzung wegen vergeblicher Anreise zu Gerichtstermin

LG Bamberg, Endurteil vom 24.01.2017 – 13 O 263/16

Zum Schadensersatz aus Amtspflichtverletzung wegen vergeblicher Anreise zu Gerichtstermin

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 460,00 € nebst 5%-Punkten über dem Basiszinssatz aus diesem Betrag seit 29.06.2014 zu zahlen.
2. Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger hinsichtlich der Rechnung der Rechtsanwälte … vom 10.06.2016 (Rechnungsnummer 100413/16) in Höhe von 83,54 € freizustellen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 1/5 und der Beklagte 4/5 zu tragen.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120%% des vollstreckten Betrages abwenden, falls nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 586,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger fordert Schadensersatz aus Amtspflichtverletzung wegen einer vergeblichen Anreise zu einem Gerichtstermin vor dem Amtsgericht Bamberg am 23.07.2014, Aktenzeichen 104 C 26/14.

Der Kläger war Partei eines Zivilrechtstreits. Er ist schwerbehindert mit einer GdB von 70 und benötigt eine Begleitperson. Der Kläger ist ansässig in …

Mit Verfügung vom 15.05.2014 hatte der Amtsrichter Termin auf 23.06.2014 (Montag) bestimmt, das persönliche Erscheinen des Klägers und dessen Ladung angeordnet. Die in Belgien zu bewirkende Ladung wurde von der Geschäftsstelle nicht zeitnah ausgeführt. Die Akten wurden erst am 12.06.2014 dem Präsidenten des Landgerichts Bamberg zur Bewirkung der Auslandszustellung vorgelegt, der die Ladung am 13.07.2014 weiterleitete.

Der Kläger erhielt sie am 19.07.2014.

Am 17.06.2014 verfügte der Richter eine Umladung des Termins vom 23.06.2014 auf den 21.07.2014, als Grund ist angegeben „Das Rechtshilfeersuchen wurde durch das LG Bamberg erst am 13.06.2014 bearbeitet und weitergeleitet.“ weiter verfügte er, den Beklagten vorab per E-Mail von der Umladung zu unterrichten. Die Umladung erreichte den Kläger erst am 01.07.2014. Der Kläger war zum aufgehobenen Termin mit einer Begleitperson angereist.

Die Korrespondenz im Ausgangsverfahren hatte der Kläger geführt mit einem vorgedruckten Briefbogen, auf dem neben seiner Adresse auch eine E-Mail-Anschrift und eine (belgische) Telefonnummer angegeben waren.

Der Kläger trägt vor, er habe sich in der fraglichen Zeit in Krankenhausbehandlung befunden und die E-Mail vor der Ladung erhalten. Er habe dann am 20.06.2014 beim Amtsgericht angerufen, ihm sei gesagt worden, er müsse zum Termin vom 23.06.2014 erscheinen.

Als Schaden macht er geltend:

Nach dem JVEG sind für die Strecke Hin- und Rückfahrt nach …von … 0,25 € pro km (insgesamt 1167 km) entsprechend 294,00 € zu ersetzen.

Für die Übernachtung ist ein Pauschalbetrag für 2 Personen in Höhe von 40,00 € anzusetzen.

Für die Fahrt hin und zurück sind 14 Stunden für den Zeitverlust anzusetzen. Ferner 12 Stunden für den Aufenthalt, das ergibt einen Zeitverlust von 36 Stunden pro Person und für 2 Personen 72 Stunden à 3,50 € 252,00 €

Insgesamt 586,00 €

Sowie außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 147,56 € laut Rechnung der Klägervertreter vom 10.06.2016 (Anlage K1).

Der Kläger beantragt:

1. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 586,00 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 29.06.2014 zu zahlen;
2. Die Kosten der außergerichtlichen Inanspruchnahme der Rechtsanwälte M. & M. gemäß Rechnung vom 10.06.2014 zu erstatten.

Der Beklagte beantragt:

Die Klage abzuweisen.

Die Terminsverlegung sei dem Kläger hinreichend bekanntgegeben worden, ein Pflichtverstoß auf Seiten des Amtsrichters oder der Geschäftsstelle sei nicht ersichtlich.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Beiziehung der Akten des Ausgangsverfahren 104 C 26/14 des Amtsgerichts Bamberg sowie durch Inaugenscheinnahme der vom Kläger weitergeleiteten E-Mail.

Die E-Mail ist am 18.07.2014 um 08.39 Uhr vom Amtsgericht Bamberg abgesandt worden und wenige Sekunden später beim E-Mail-Provider des Klägers in dessen Postfach eingegangen.

Als Absender ist angegeben:

R. P. mit einer E-Mail-Adresse endend …de.

Der Betreff lautet: WG: per E-Mail senden:

Umladung …pdf|

Der Text der E-Mail lautet im Wesentlichen: „Anliegende Umladung erhalten sie vorab per E-Mail zur Information und Kenntnisnahme übersandt.“ Beigefügt war eine Pdf-Datei mit der Umladung. Zu den weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Verfügung des Gerichts vom 09.12.2016.

Mit Zustimmung der Parteien wird im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO entschieden.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist zum Teil begründet. Der Kläger kann wegen einer Amtspflichtverletzung Schadensersatz fordern, jedoch nicht für seine eigene aufgewendete Zeit.

Eine Amtspflichtverletzung liegt hier darin, dass angesichts einzuhaltender Ladungsfrist von drei Tagen am 12.06.2014 überhaupt noch eine Bewirkung der vom Richter bereits am 15.05.2014 verfügten Terminsladung veranlasst worden war. Tatsächlich hätte bereits hier der Termin verlegt werden müssen, anstatt die Akten dem Präsidenten des LG Bamberg vorzulegen (der die Weiterleitung zügig bewirkt hat und dem es nicht obliegt, inhaltlich zu überprüfen, welche Ladungsfrist einzuhalten war). Da Verzögerungen bei der Weiterleitung des Rechtshilfeersuchens durch den Präsidenten des Landgerichts nicht eingetreten sind, war bereits vor Zuleitung an den Präsidenten des LG Bamberg beim Amtsgericht absehbar, dass die Einhaltung der Ladungsfrist nicht zuverlässig gewährleistet war.

Der Richter war am 17.06.2014 der Überzeugung, dass die Ladung des auswärtigen Klägers zu kurzfristig erfolgt sei. Dies war aber bereits am 12.06.2014 abzusehen, nachdem die Ladungsverfügung nicht zeitnah erledigt worden war. (Ob der Amtsrichter am 11.06.2014, als er die Hinausgabe des Beklagtenschriftsatzes vom 10.06.2014 verfügte, erkennen konnte, dass die mit einem Erledigungsstempel vom 26.05.2014 versehene Ladungsverfügung tatsächlich nicht erledigt war, sondern noch der Bearbeitung durch den Rechtspfleger bedurfte, geht aus der Akte nicht zweifelsfrei hervor. Jedenfalls die Geschäftsstelle hätte aber vor der Vorlage an den Präsidenten des Landgerichts zur Prüfung der im Ausland zu bewirkenden Ladung am 12.06.2014 Anlass gehabt, beim Richter nachzufragen, ob der Termin stehen bleiben solle.)

Ein Mitverschulden des Klägers selbst ist nicht anzusetzen:

Zwar muss der Kläger grundsätzlich, wenn er seine E-Mail-Adresse auf dem zur Korrespondenz eingesetzten Briefkopf angibt, damit rechnen, dass kurzfristige Mitteilungen auf dieser E-Mail-Adresse einlaufen und diese auch wenigstens werktäglich zur Kenntnis nehmen. War ihm dies technisch nicht möglich, hätte es ihm oblegen, im laufenden Gerichtsverfahren dem Gericht davon Mitteilung zu machen (z. B. durch Mitteilung des Krankenhausaufenthaltes und seiner voraussichtlichen Dauer).
Ein Mitverschulden des Klägers kann gleichwohl nicht nachgewiesen werden, denn es steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger vom Inhalt der Umladung in gehöriger Form Kenntnis erlangt hat. Dem Beklagten ist zuzugeben, dass die Umladung bzw. hier allein maßgeblich eine Terminsabsage nicht förmlich erfolgen muss, sondern dass hier auch ein Telefonat und insbesondere eine E-Mail an die vom Kläger bekanntgegebene Adresse grundsätzlich ausreichten.

Das Gericht ist aber nicht überzeugt davon, dass dem Kläger nach Kenntnisnahme der E-Mail klar sein musste, dass der Termin vom 23.06.2014 aufgehoben war. Aus dem Betreff der E-Mail geht insoweit überhaupt nichts hervor, außer dass sich die Zeichenkette „Umladung“ im Dateinamen des übersandten PDF-Attachment befindet, der – aus welchem Grund auch immer – in die Betreffzeile der E-Mail übernommen worden ist.
Verkehrsüblicher Gepflogenheit entspricht es demgegenüber, eine E-Mail mit einer Betreffzeile zu versehen, die den Inhalt der Nachricht erkennen lässt (RFC 1855). Auch aus dem Text der E-Mail geht nicht hervor, dass der Termin vom 23.06.2014 aufgehoben worden war, es wird lediglich auf „anliegende Umladung“ Bezug genommen. Die Umladung selbst befand sich dann – einer gerichtsbekannt in der bayerischen Justiz leider verbreiteten Unsitte folgend – als PDF-Attachment im Inhalt der E-Mail.

Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass der Kläger vom Inhalt des PDF-Attachments Kenntnis genommen hat. Er selbst stellt dies in Abrede, er hat allerdings nicht mitgeteilt, welches Endgerät und welche Software er verwendet hat, um an den Inhalt des Attachments zu gelangen, aus dem Zustand, in dem die E-Mail vom Kläger an das hier entscheidende Gericht weitergeleitet worden ist, ist mit einiger Wahrscheinlichkeit zu folgern, dass der Kläger, beim Versuch das Attachment abzuspeichern, versehentlich die gesamte E-Mail mit einer Dateiendung .pdf abgespeichert hat, mit der Folge, dass die von üblichen Betriebssystemen automatisch zur Anzeige verwendeten Programme – namentlich der kostenfreie Adobe Reader – damit nichts anfangen können, sondern eine defekte Datei melden, obwohl die Information vollständig vorhanden ist (und vom hier entscheidenden Gericht auch entnommen werden konnte).

Die Frage kann indessen dahinstehen:

Dem Kläger war es überhaupt nicht zuzumuten, ein PDF-Attachment, das ihm ein ihm bis dahin unbekannter Absender ohne vorherige Absprache zugesendet hatte und das möglicherweise aktive Inhalte aufwies, überhaupt zu öffnen. Es ist bekannt, dass es sich dabei um einen der verbreitetsten Angriffsvektoren für Computerviren handelt, weshalb E-Mail-Teilnehmern allgemein geraten wird, dies nicht zu tun
(z. B.: www…de/…html).

Dass dem Kläger schließlich bei dem von ihm behaupteten Telefonat am 20.06.2014 die Terminsaufhebung tatsächlich bekanntgegeben worden ist, ist von Beklagtenseite weder vorgetragen, noch unter Beweis gestellt worden.

Zur Schadenshöhe ist allerdings der Beklagtenseite Recht zu geben, insoweit der Kläger – nach eigenen Angaben zur fraglichen Zeit im Krankenstand – Schadensersatz für die von ihm aufgewendete Zeit nicht beanspruchen kann (wohl aber für die mit 3,50 € pro Stunde keineswegs übersetzte von der unstreitig notwendigen Begleitperson aufgewendete Zeit). Das Gericht muss deshalb von den Schadenspositionen 126,00 € (geltend gemachter Zeitaufwand für den Kläger selbst) absetzen.

Nachdem der Kläger nicht vorträgt, die vorgelegte Anwaltsrechnung tatsächlich schon beglichen zu haben, ist der Klageantrag Nr. 2 als Antrag auf Freistellung auszulegen und in der durch die berechtigte Klageforderung ausgelösten Höhe begründet.

Weitere Nebenentscheidungen: § 91, 92, 708, 710,3 ZPO

 

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