Zum qualifizierten Verschulden des Frachtführers bei Verstoß gegen Sicherheitsanweisungen

LG Bremen, Urteil vom 05. Juni 2018 – 11 O 169/17

Zum qualifizierten Verschulden des Frachtführers bei Verstoß gegen Sicherheitsanweisungen

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 55.546,– nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz vom 02.06.2016 bis Rechtshängigkeit und Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von € 1.892,– nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Nebeninterventionen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand
1
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche wegen des teilweisen Verlustes einer Ladung Sportbekleidung geltend.

2
Die Klägerin beauftragte die Beklagte am 31.05.2016 mit dem Transport von Textilien von der Fa. … in Bremen nach Frankreich. In der vorgedruckten Anlage zu dieser „Transport Order“ befinden sich bestimmte Sicherheitsanweisungen. Dort heißt es u.a. in Ziffer 12: „Parking the vehicle only on secure official motorway service areas fitted with CCTV covering the parking areas (Autohof/Raststätten).“

3
Der von der unterbeauftragten Frachtführerin eingesetzte Lkw mit Kofferauflieger hielt auf der Fahrt über Nacht auf einem belgischen Parkplatz, der nicht videoüberwacht ist. Dort wurden die Türen des Aufliegers aufgebrochen und Ware entwendet.

4
Die Klägerin meint, die Beklagte hafte für den Schaden der Höhe nach unbegrenzt. Die Beklagte habe auftragswidrig ein Abstellen auf einem unbewachten Parkplatz zugelassen. Sie behauptet weiter, es seien zunächst 681 Kartons abhandengekommen, von denen nachträglich 36 Kartons wieder aufgefunden worden seien. Insgesamt sei so ein Schaden in Höhe der Klagforderung entstanden.

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Die Klägerin beantragt,

6
die Beklagte zu verurteilen, an sie € 55.546,– nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz vom 02.06.2016 bis Rechtshängigkeit und Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von € 1.892,– nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

9
Die Beklagte nimmt eine Haftung in Abrede. Jedenfalls eine unbeschränkte Haftung sei nicht gegeben. Die Sicherheitsweisungen seien AGB-rechtlich nicht wirksam vereinbart worden. Zudem sei der Parkplatz beleuchtet, mit einer Verkaufsstelle und sanitären Anlagen versehen. Auch sei der Kofferauflieger mit einem Vorhängeschloss gesichert gewesen. Zur Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten habe der Fahrer den Lkw auf dem Parkplatz Mons genau unter einer Laterne abgestellt. Gegen 04.45 Uhr sei der Fahrer durch ein Wackeln des Lkw wach geworden. Er habe sein Fahrzeug verlassen und noch vier bis fünf arabisch aussehende Personen gesehen, die mit einem Transporter davon gefahren seien. Der Fahrer habe dann die Polizei angerufen, die jedoch erst um 07.30 Uhr erschienen sei.

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Damit habe der Fahrer die Sicherheitsanforderungen erfüllt. Ein Parkplatz mit Videoüberwachung habe auf der Route nicht zur Verfügung gestanden.

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Die Nebenintervenienten treten der Klägerin bei und schließen sich dem Klagantrag an.

12
Mit Schriftsatz vom 26.04.2018 hat die Klägerin nach mündlicher Verhandlung weitere Anträge angekündigt. Wegen der Einzelheiten wird auf den genannten Schriftsatz (Bl. 240 ff d. Akte) verwiesen.

13
Hinsichtlich der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet. Dabei ist Gegenstand der Entscheidung nur der in der mündlichen Verhandlung vom 13.03.2018 gestellte Klagantrag. Soweit die Klägerin nach mündlicher Verhandlung weitere Anträge angekündigt hat, ist dies nach § 296a ZPO unbeachtlich.

15
Die Klägerin hat Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von € 55.546,– wegen der entwendeten Ware aus Art. 17 Abs. 1, 23 Abs. 1, 29 i.V.m. Art 3 CMR.

16
Die Beklagte, die wie aus den mit Anlage K 8 vorgelegten Rechnungen ersichtlich, zu festen Kosten mit einem grenzüberschreitenden Straßengütertransport beauftragt war, unterliegt als Frachtführerin der Haftung nach der CMR. Danach hat sie für den Verlust von Transportgut während ihrer Obhutszeit gem. Art. 17 Abs. 1 i.V. mit Art. 3 CMR grundsätzlich Schadensersatz zu leisten. Vollen Schadensersatz – über die Beschränkungen des Art. 23 CMR hinaus – schuldet die Beklagte aber nur dann, wenn die Voraussetzungen des Art. 29 Abs. 1 CMR erfüllt sind. Nach dieser Bestimmung kann sich der Frachtführer nicht auf Haftungsbeschränkungen berufen, wenn er den Schaden vorsätzlich oder durch ein ihm zur Last fallendes Verschulden verursacht hat, das nach dem Recht des angerufenen Gerichts dem Vorsatz gleichsteht. Entsprechendes gilt, wenn der Schaden durch seine Bediensteten oder Verrichtungsgehilfen verursacht worden ist und diesen ein qualifiziertes Verschulden zur Last fällt (Art. 29 II 1 CMR). Dabei ist ein leichtfertiges Verhalten erforderlich, zu dem das Bewusstsein hinzukommen muss, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde (BGH NJW 2011, 296).

17
Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer solchen bewussten Leichtfertigkeit und damit für eine unbeschränkte Haftung der Beklagten liegen vor. Die Beklagte haftet qualifiziert wegen eines Verstoßes gegen die Weisung in Ziffer 12. des Transportauftrags (Anlage K 1), den Lkw nur auf videoüberwachten Parkplätzen abzustellen.

18
Diese Weisung ist zwischen den Parteien wirksam vereinbart worden. Die Beklagte bestreitet nicht, den entsprechenden schriftlichen Auftrag erhalten zu haben. Es kommt daher grundsätzlich nicht darauf an, ob die Klägerin zusätzlich mündlich auf entsprechende Sicherheitsanweisungen hingewiesen hat. Jedenfalls mit der Durchführung des Transports hat die Beklagte den Vertrag wie angeboten angenommen. Die genannte Weisung mag als Klausel i.S. von allgemeinen Geschäftsbedingungen anzusehen sein, sie hält jedoch einer Klauselkontrolle stand. Die Rechtsprechung hat entsprechende Klauseln als wirksam behandelt (BGH NJW-RR 2005, 1277; NJW 2011, 296; OLG München BeckRS 2016, 01261). Sie ist auch im konkreten Fall weder überraschend, noch benachteiligt sie den Auftragnehmer unangemessen. Weisungen zur Einhaltung bestimmter Sicherheitsmaßnahmen sind im Transportgewerbe gerichtsbekanntermaßen häufig anzutreffen. Gerade mit der Vorgabe bestimmter Sicherheitsstandards bezüglich der aufzusuchenden Raststätten muss ein Frachtführer rechnen.

19
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein vorsätzlicher Verstoß gegen vereinbarte Sicherheitsanforderungen je nach den Umständen vorsatzgleiches Verschulden begründen kann (BGH NJW 2011, 296 m.w.N.). Jedenfalls unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich bei der transportierten Ware um diebstahlsgefährdete Markenbekleidung handelte, rechtfertigt der Verstoß gegen die Sicherheitsanweisung hier den Vorwurf der Leichtfertigkeit. Schon aufgrund des Vorprozesses vor dem Landgericht Bremen (Az.: 11 O 137/16) musste der Beklagten bekannt sein, dass die Klägerin regelmäßig Sportbekleidung der Fa. … transportieren lässt.

20
Ein Verstoß gegen die Sicherheitsweisung liegt auch vor, weil der Rasthof ……. nicht über eine Videoüberwachung verfügt. Der Verstoß gegen diese Weisung ist auch kausal für das Schadensereignis gewesen. Der Art. 29 Abs. 1 CMR setzt ein qualifiziertes Verschulden nur hinsichtlich des die Haftung begründenden Tatbestands voraussetzt (BGH, NJW-RR 2005, 1277). Ist danach von einem qualifizierten Verschulden i.S. dieser Vorschrift auszugehen, das seiner Art nach als Schadensursache ernsthaft in Betracht kommt, so obliegt es dem beklagten Frachtführer, im Prozess solche Umstände vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, die gegen die Kausalität des festgestellten Sorgfaltsverstoßes sprechen (vgl. BGH, NJW-RR 1999, 254; NJW-RR 2005, 1277 Koller, TransportR, 9. Aufl., Art. 29 CMR Rdnr. 7 b). Durch diese Verteilung der Darlegungs- und Beweislast wird der Frachtführer auf Grund seiner besonderen Sachnähe zum eingetretenen Schaden nicht in unzumutbarer Weise belastet (BGH NJW-RR 1999, 254). Entsprechende substantiierte Darlegungen der Beklagten fehlen.

21
Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, es gebe gar keine videoüberwachten Parkplätze auf der Route.

22
Die Beklagte musste angesichts der eindeutigen und unmissverständlichen Weisung, in Pausen nur videoüberwachte Parkplätze anzusteuern, von der Gefahr eines Diebstahls der im Ladeauftrag nicht näher bezeichneten Ware ausgehen, zumal ihr wie oben ausgeführt bekannt sein musste, dass es sich um Markenbekleidung handeln könnte. Unabhängig von einer Wertvorstellung durfte sie diese Weisung jedenfalls nicht deshalb einfach ignorieren, weil ihre Umsetzung aus ihrer Sicht nicht möglich war. Sie hätte dann, die Annahme oder Ausführung des Auftrags unter diesen Voraussetzungen ablehnen bzw. ein Angebot mit alternativen Sicherheitsvorkehrungen unterbreiten können, für die die Auftraggeberin unter Umständen hätten zusätzlich bezahlen müssen. Andernfalls war sie gehalten, alternative Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen, wie etwa den Einsatz eines zweiten Fahrers. Eine Verpflichtung hierzu besteht zwar nicht ohne Weiteres, sondern in erster Linie dann, wenn dies konkret vereinbart ist, oder im Übrigen dann, wenn dazu Anlass besteht (vgl. BGH TranspR 2011, 78). Dieser Anlass würde sich in dem Fall aus dem Umstand ergeben, dass es keinen bewachten Parkplatz gab, wie er gefordert war. Jedenfalls hätte die Beklagte aber entsprechend Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 CMR Weisungen der Klägerin als ihrer Vertragspartnerin einholen müssen, wie mit dem Transportauftrag weiter zu verfahren sei. Der Art. 14 Abs. 1 CMR ist entsprechend auch dann anwendbar, wenn sich die unmöglich einzuhaltenden Beförderungsbedingungen nicht aus dem Frachtbrief ergeben, aber sonst keine vertragsgemäße Beförderung möglich ist (OLG Stuttgart BeckRS 2016, 128276). Zweck der genannten Regelung ist es, dass der Frachtführer die vertraglichen Anforderungen im Fall der von ihm erkannten Unmöglichkeit nicht ignorieren und dem Auftraggeber die Möglichkeit zur Vertragsanpassung einräumen soll.

23
Die Klägerin hat auch Anspruch auf Ersatz des Schadens in der geltend gemachten Höhe. Nach Art. 9 Abs. 2 CMR begründet der Frachtbrief (Anl. K 3 zur Klage) eine Vermutung für die vollständige und unbeschädigte Übergabe der Ware. Im Zusammenhang mit den weiter von der Klägerin vorgelegten Handelsrechnungen reicht deshalb das schlichte Bestreiten der Beklagten nicht aus. Es ist auch von der geltend gemachten Fehlmenge auszugehen, da diese auf dem Frachtbrief und der Empfangsquittung (Anl. K 9 Bl. 193 d. Akte) vermerkt ist. Der Gesamtschaden von € 55.546,– ist daher nicht substantiiert bestritten.

24
Der Anspruch auf Zinsen und die vorgerichtlichen Kosten ergibt sich aus Verzugsgesichtspunkten gem. §§ 286, 288 BGB. Der Anspruch auf die Rechtshängigkeitszinsen folgt aus § 291 BGB.

25
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 101 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 2 ZPO.

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