Zum Erfüllungsort für Rückabwicklung eines Kfz-Kaufvertrages

OLG Stuttgart, Urteil vom 13. Januar 2016 – 9 U 183/15

Zum Erfüllungsort für Rückabwicklung eines Kfz-Kaufvertrages

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 17.09.2015, Az. 5 O 68/15, aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Landgericht zurückverwiesen.

2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache Erfolg.

Das Landgericht Tübingen ist örtlich zuständig und die Klage auch im Übrigen zulässig. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Tübingen zurückzuverweisen.I.

1.

Das Landgericht Tübingen ist gemäß § 29 Abs. 1 ZPO örtlich zuständig.

Gemäß § 29 Abs. 1 ZPO ist für Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis das Gericht des Ortes zuständig, an dem die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist. Die Vorschrift verweist auf die Regelung des materiellen Rechts. Danach hat die Leistung an dem Ort zu erfolgen, an welchem der Schuldner zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz hatte, sofern nicht ein anderer Ort von den Parteien bestimmt oder aus den Umständen, insbesondere der Natur des Rechtsverhältnisses zu entnehmen ist (§ 269 Abs. 1 BGB). Bei gegenseitigen Verträgen besteht danach im allgemeinen kein einheitlicher Leistungsort; dieser muss grundsätzlich für jede Verpflichtung gesondert bestimmt werden (BGH, Urt. v. 4. März 2004 – IX ZR 101/03, BGHR ZPO § 29 Abs. 1 Gerichtsstand). Auch bei gegenseitigen Verträgen richtet sich der Leistungsort für die wechselseitigen Leistungen jeweils nach den Wohnsitzen der Vertragsparteien; er ist daher nicht notwendig einheitlich (BGH, Beschluss vom 05.12.85 – I ARZ 737/85, NJW 86, 935; Urteil vom 09.03.95 – IX ZR 134/94, NJW 95, 1546). Danach hat die Leistung vorbehaltlich gesetzlicher Sondervorschriften in der Regel an dem Ort zu erfolgen, an welchem der Schuldner zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz, bei juristischen Personen den Sitz hatte. Etwas anderes gilt erst dann, wenn festgestellt wird, dass die Vertragsparteien einen anderen Leistungsort bestimmt haben oder die Umstände des Falls einen solchen ergeben (BGH, Urteil vom 11.11.2003 – X ARZ 91/03, NJW 2004, 54, 55; Urteil vom 24.01.2007 – XII ZR 168/04, juris Rz. 11). Die einmal gegebene Zuständigkeit des Prozessgerichts wird gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO durch eine Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt (perpetuatio fori; BGH, Urteil vom 26.04.2001 – IX ZR 53/00, juris Rn. 10).

a)

Zwar haben die Parteien keinen Leistungsort bestimmt, jedoch liegen hier Umstände vor, nach denen es sachgerecht und der Interessenlage der Parteien angemessen erscheint, einen einheitlichen Erfüllungsort dort anzunehmen, wo sich das streitgegenständliche Fahrzeug vertragsgemäß befindet. Dies ist hier bei der Klägerin im Landgerichtsbezirk Tübingen.

b)

Damit folgt der Senat der herrschenden Meinung. Danach ist einheitlicher Erfüllungsort für sämtliche Rückgewährsansprüche nach Rücktritt vom Kaufvertrag, jedenfalls nach beiderseitiger Vertragserfüllung, der Ort, an dem sich die Kaufsache zur Zeit des Rücktritts vertragsgemäß befindet (BGH, Urteil vom 09.03.1983 – VIII ZR 11/82, NJW 83, 1479, 1480 – Dachziegelfall; Urteil vom 20.11.1961 – VIII ZR 167/60, MDR 1962, 399, 400; OLG München, Urteil vom 13.01.2014 – 19 U 3721/13, juris Rz. 14; OLG Bamberg, Beschluss vom 24.04.2013 – 8 SA 9/13, BeckRS 2013, 17459; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.07.2013, 22 W 19/13, juris Rz. 11; Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., 2016, § 29 Rn. 25, Stichwort Kaufvertrag; Palandt/Grüneberg, BGB, 75. Aufl., 2016, 269 Rn. 16; Mü-Komm/Patzina, ZPO, 4. Aufl, 2013, § 29 Rn. 62; Musielak/Voit/Heinrich, ZPO, 12. Aufl., § 29 ZPO Rn. 28; a.A. Stöber, NJW 2006, 2661; LG Stralsund, Beschluss vom 13.10.2011 – 6 O 211/11). Der Schwerpunkt der Rückabwicklung des Vertrages liegt wegen der besonderen Ortsbezogenheit der vertragstypischen Leistung an einem bestimmten Ort. Deshalb ist er als Erfüllungsort für die beiderseitigen Verpflichtungen anzusehen (vgl. BGH, Urt. v. 24. Januar 2007 – XII ZR 168/04, BGHR ZPO § 29 Abs. 1 Beherbergungsvertrag 1 mwN). Das gilt jedenfalls dann, wenn ein mit dem Rückgabeanspruch des Verkäufers nach § 346 Abs. 1 BGB korrespondierender Rücknahmeanspruch des Käufers besteht (vgl. BGH, Beschl. v. 14.01.2009 – VIII ZR 70/08 BGH Report 2009, 485 Rz. 21). Dann hat der Verkäufer bei der Rücknahme der Kaufsache seine nach § 348 BGB Zug um Zug zu erfüllende Verpflichtung zur Rückzahlung des Kaufpreises an diesem Ort zu erfüllen.

Dem Käufer steht hier ein Anspruch auf Rücknahme, dem Verkäufer ein solcher auf Rückgewähr zu, das folgt aus § 346 Abs. 1 BGB (vgl. BGH, Beschluss vom 14.01.2009 – VIII ZR 70/08 aaO). Der Rücktrittsgrund, nämlich das Vorliegen eines Sachmangels, rührt aus dem Risikobereich des Verkäufers her (BGH, Urteil vom 09.03.1983, a. a. O.). Er hat die mangelhafte Sache geliefert und nicht nacherfüllt. Der Käufer soll im Rahmen der Rückabwicklung nach den §§ 346 ff. BGB daher möglichst so gestellt werden, als ob er den Vertrag nicht geschlossen hätte (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 04.09.2012 – 3 U 99/11, juris Rz. 32; OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.07.2013 – 22 W 19/13, juris Rz. 13). Sind nach dem Rücktritt die ausgetauschten Leistungen Zug um Zug rückabzuwickeln, dann entspricht es dem mutmaßlichen Willen der Parteien, den Ort der vertragsgemäßen Belegenheit der Kaufsache als einheitlichen Leistungsort nicht nur für die Rücknahmeverpflichtung, sondern auch für den Kaufpreisrückgewähranspruch anzusehen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 20.10.2015 – 28 U 91/15 juris Tz. 22).

aa)

Den vereinzelt in der Literatur und Rechtsprechung aufgekommenen Stimmen, wonach ein einheitlicher Erfüllungsort bei einem kaufvertraglichen Rückgewährschuldverhältnis nicht angenommen werden könne (Stöber, NJW 2006, 2661; AG Bergisch Gladbach, Urteil vom 21.05.2008 – 62 C 267/07; LG Stralsund, Beschluss vom 13.10.2011 – 6 O 211/11. BeckRS 2011, 25552, Ziffer 7 aa) ist zwar zuzugeben, dass der Bundesgerichtshof in seiner von der herrschenden Meinung herangezogenen Dachziegelfallentscheidung (Urteil vom 09.03.1983, a.a.O.) nicht über die materielle Frage des Erfüllungsortes für die Rückzahlungspflicht oder über die prozessuale Frage des Gerichtsstands für Rückgewährklagen zu entscheiden hatte. Dennoch stützt diese Entscheidung die herrschende Meinung. Denn der Bundesgerichtshof führt die herrschende Meinung an, wonach einheitlicher Erfüllungsort für den Wandelungsvollzug der sogenannte Austauschort, d.h. der Ort, an dem sich die Sache zu Zeit der Wandelung vertragsgemäß befindet, ist und verweist hierbei ausdrücklich auf eine frühere Senatsentscheidung (MDR 1962, 399 (400) = NJW 1962, 739 L), in der er selbst von einem einheitlichen Gerichtstand auch für die Kaufpreisrückzahlungsklage ausgegangen ist.

bb)

Die unter Geltung des alten Schuldrechts bestehende Rechtslage wird im Rahmen des heute geltenden Schuldrechts fortgeführt. Bei der Wandlung und dem gesetzlichem Rücktritt handelt es sich um das vergleichbare Rechtsinstitut zur Rückabwicklung eines Kaufvertrages (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 14.06.2013 – 13 U 53/13, NJOZ 2014, 530; vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.07.2013, 22 W 19/13, juris Rz. 14). Die Rückabwicklung hat heute wie unter Geltung des alten Rechts Zug um Zug zu erfolgen. Das folgt aus der Bestimmung des § 348 BGB, die durch die Schuldrechtsmodernisierung keine Änderung erfahren hat. § 348 BGB war über § 467 BGB i.V.m. 346 BGB in der bis zu dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung und ist über §§ 437 Nr. 2, 323, 346 BGB in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 anzuwenden. An der Bestimmung des Erfüllungsorts hat das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 nichts geändert (BGH, Urteil vom 08.01.2008 – X ZR 97/05, juris Rz. 13).

cc)

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13.04.2011 (VIII ZR 220/10, juris Rn. 29). Das Gegenteil ist der Fall. In der vorgenannten Entscheidung wird ausgeführt, dass sich die zum Erfüllungsort der Rückgewährsansprüche nach erfolgtem Rücktritt gem. §§ 437 Nr. 2, 440, 346 BGB, der vielfach an dem Ort angesiedelt sei, an dem sich die Sache vertragsgemäß befinde, entwickelten Grundsätze nicht auf die Nacherfüllung nach § 439 BGB übertragen lassen (so auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 14.06.2013 – 13 U 53/13, NJOZ 2014, 530). Hierin liegt keine Abkehr von den für den Rücktritt entwickelten Grundsätzen. Sie sind nach Auffassung des für das Kaufrecht zuständigen Senats des Bundesgerichtshofs lediglich nicht auf die Nacherfüllung übertragbar.

dd)

Aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 11.11.2003 (X ARZ 91/03), in der er unter Änderung seiner früheren Rechtsprechung den Erfüllungsort von Gebührenforderungen eines Rechtsanwalts nicht am Kanzleisitz sondern am Wohnsitz des Beklagten sieht, folgt nicht, dass der Bundesgerichtshof für kaufrechtliche Rückgewährschuldverhältnisse keinen einheitlichen Erfüllungsort mehr annimmt. Die Fallgestaltungen sind schon nicht vergleichbar. Darüber hinaus hat der X. Zivilsenat für den Anwaltsvertrag einen einheitlichen Erfüllungsort abgelehnt, jedoch auch ausgeführt, dass sich aus den Umständen des Einzelfalls ein einheitlicher Erfüllungsort ergeben kann. Diese liegen hier, wie bereits ausgeführt, vor.II.

Der Senat konnte gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 3 ZPO das Urteil aufheben und die Sache an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverweisen, weil das Landgericht nur über die Zulässigkeit der Klage entschieden und der Kläger die Zurückverweisung (hilfsweise) beantragt hat. Eine weitere Verhandlung ist erforderlich, da über die streitige Frage, ob ein Rücktrittsgrund gegeben ist, Beweis erhoben werden muss.III.

Eine Zulassung der Revision kommt nicht im Betracht.

Nach § 545 Abs. 2 ZPO kann die Revision nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen oder verneint hat. Damit ist die Prüfung der Zuständigkeit des Gerichts erster Instanz der Nachprüfung durch das Revisionsgericht entzogen, auch wenn das Berufungsgericht die Revision zur Klärung der von ihm vertretenen Auffassung zur sachlichen Zuständigkeit zugelassen hat (BGH, Urt. v. 7. März 2006 – VI ZR 42/05 BGHR ZPO § 545 Abs. 2 Prüfungsbefugnis 2).IV.

Die Kostenentscheidung ist dem Erstgericht vorzubehalten. Für eine Anwendung des § 21 GKG besteht keine Veranlassung.

Auch wenn das Urteil selbst keinen vollstreckungsfähigen Inhalt im eigentlichen Sinn hat, ist die Entscheidung für vorläufig vollstreckbar zu erklären, da gemäß § 775 Nr. 1 und 776 ZPO das Vollstreckungsorgan die Vollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil erst einstellen und bereits getroffene Vollstreckungsmaßregeln erst aufheben darf, wenn eine vollstreckbare Ausfertigung vorgelegt wird (OLG München, Urteil vom 13.01.2014, 19 U 3721/13, juris Rz. 20).

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