Zum Erfüllungsort beim Kauf eines Fahrzeugs von einem britischen Händler

OLG Frankfurt, Beschluss vom 25. November 2021 – 11 SV 48/21

1. Grundsätzlich ist die Frage des Gerichtsstands von der des anwendbaren Rechts zu trennen. Jedoch kommt es beim Gerichtsstand des Erfüllungsorts bereits für die Zuständigkeitsbestimmung auf das materielle Recht an.

2. Zu einer nachvollziehbaren Begründung einer Zuständigkeit nach § 29 ZPO gehört in einem Verfahren mit Auslandsbezug daher eine nachvollziehbare Begründung, welches materielle Recht auf den Vertrag Anwendung findet und warum aus diesem ein bestimmter Erfüllungsort folgen soll.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Sache wird unter Aufhebung der Verweisungsbeschlüsse des Landgerichts Frankfurt am Main, 2-30 O 110/21, an das Landgericht Frankfurt am Main zurückgegeben, das erneut über die Frage der Zuständigkeit zu entscheiden hat.

Gründe
I.

1
Die Klägerin begehrt von der Beklagten auf Grundlage eines Kaufvertrages über ein Kraftfahrzeug „A“ Verdienstausfall und Aufwendungsersatz. Sie macht dazu geltend, das ihr gelieferte Fahrzeug sei mangelhaft gewesen.

2
Die Klägerin hat ihre zum Landgericht Frankfurt am Main erhobene Klage gegen eine X, vertreten durch die Geschäftsführerin B, Straße1, Stadt1, gerichtet. Die sich für die Gegenseite meldenden Rechtsanwälte (nachfolgend Beklagtenvertreter genannt) haben ausgeführt, eine X bestehe als Rechtspersönlichkeit nicht. Die Klage sei dahin auszulegen, dass Beklagte die „X1“ bzw. „X1, D, …Straße2“ (Vereinigtes Königreich) sein solle. Sie haben die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt am Main gerügt und ausgeführt, auf den Vertrag sei gem. Art. 4 I lit. a Rom-I-VO englisches Recht anzuwenden. Zuständiges Gericht sei nach Art. 4 Brüssel-1a-VO das Gericht am Sitz der X1 im Vereinigten Königreich.

3
Die Klägerin hat an der Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt am Main festgehalten, ohne die Angabe im Passivrubrum zu korrigieren oder sich sonst ausdrücklich zur Person der Beklagten zu erklären. In der Folge hat die Beklagte ausgeführt, „allenfalls“ bestehe ein Gerichtsstand des Erfüllungsortes in Mülheim an der Ruhr.

4
Mit Verfügung vom 11.08.2021, Bl. 50 d.A., hat die Einzelrichterin der 30. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main, der der Rechtsstreit zuvor durch Beschluss vom 11.06.2021, Bl. 36 d.A., nach § 348a I ZPO übertragen worden war, darauf hingewiesen, dass nach Art. 7 Rom-I-VO deutsches Recht anwendbar und der Gerichtsstand in Deutschland zu suchen sei, aufgrund des Erfüllungsortes Mülheim an der Ruhr aber das Landgericht Duisburg örtlich zuständig sei. Die Beklagte habe keinen Sitz in Frankfurt am Main.

5
Nachdem die Klägerin mit Schriftsatz vom 18.08.2021 Verweisung an das Landgericht Duisburg beantragt hatte, hat das Landgericht Frankfurt am Main mit nicht weiter begründetem Beschluss vom 19.08.2021, Bl. 57 d.A., den Termin vom 21.09.2021 aufgehoben. Weiter heißt es in dem Beschluss: „Das Gericht erklärt sich für örtlich unzuständig und verweist das Verfahren auf Antrag der Klägervertreterin an das Landgericht Duisburg.“

6
Mit Kammerbeschluss vom 10.09.2021, Bl. 192 ff. d.A., hat das Landgericht Duisburg die Übernahme abgelehnt und die Sache an das Landgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen. Es hat die Verweisung durch das Landgericht Frankfurt am Main für willkürlich und nicht bindend gehalten und dies schon aus der fehlenden Begründung hergeleitet. Auch die Verfügung der Einzelrichterin vom 11.08.2021 enthalte keine Begründung für die Annahme von Mülheim an der Ruhr als Erfüllungsort. Dies sei auch nicht richtig, denn Erfüllungsort i.S.d. § 29 I ZPO sei der Sitz der Beklagten als Schuldnerin gem. § 269 I BGB.

7
Mit Beschluss der Einzelrichterin der 30. Zivilkammer vom 16.09.2021, Bl. 198 d.A., hat das Landgericht Frankfurt am Main sich erneut für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit erneut an das Landgericht Duisburg verwiesen. Zur Begründung ist ausgeführt worden, tatsächlich sei die Akte ohne den begründeten Verweisungsbeschluss und nur mit dem Terminsaufhebungsbeschluss an das Landgericht Duisburg übersandt worden, einen begründeten Verweisungsbeschluss habe es aber gegeben. Sodann wird dessen Begründung wiedergegeben und ausgeführt, die Verweisung sei danach nicht willkürlich gewesen.

8
Im Anschluss an diesen Beschluss ist ein (weiterer) begründeter Verweisungsbeschluss vom 19.08.2021 zur Akte genommen worden, auf den sich der Beschluss vom 16.09.2021 bezieht.

9
Mit Kammerbeschluss vom 08.10.2021, Bl. 208 ff. d.A., hat das Landgericht Duisburg an der Ablehnung der Übernahme festgehalten. Daraufhin hat die Einzelrichterin der 30. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main die Sache dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main zur Entscheidung nach § 36 I Nr. 6 ZPO vorgelegt.

II.

10
Die Voraussetzungen einer Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 I Nr. 6 ZPO liegen vor, da sich sowohl das Landgericht Frankfurt am Main mit dem nicht näher begründeten Terminsaufhebungs- und Verweisungsbeschluss, als auch das Landgericht Duisburg mit seinen Kammerbeschlüssen vom 10.09.2021 und vom 08.10.2021 für örtlich unzuständig erklärt haben. Darauf, dass der weitere Verweisungsbeschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 16.09.2021 und der begründete Verweisungsbeschluss vom 19.08.2021 den Parteien nicht bekannt gemacht worden sind – eine solche, in den Aufgabenbereich der Geschäftsstelle fallende, Bekanntmachung ist in der Akte nicht dokumentiert – kommt es daher nicht an.

11
Für die Zulässigkeit des Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens genügt die rechtskräftige Zuständigkeitsverneinung durch zwei Gerichte. Dass die beim Landgericht Duisburg entscheidende vollbesetzte Kammer offensichtlich funktional unzuständig gewesen ist, weil bereits eine Einzelrichterübertragung erfolgt war, steht einer Zuständigkeitsbestimmung durch den Senat nicht entgegen.

12
Die Zuständigkeitsbestimmung ist gem. § 36 II ZPO durch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main vorzunehmen, da das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der beiden Landgerichte der Bundesgerichtshof wäre und das zum hiesigen OLG-Bezirk gehörende Landgericht Frankfurt am Main zuerst mit der Sache befasst gewesen ist.

III.

13
Die Sache ist unter Aufhebung des Verweisungsbeschlusses an das verweisende Landgericht Frankfurt am Main zurückzugeben.

14
1. Die örtliche Zuständigkeit steht nicht aufgrund der Verweisung durch das Landgericht Frankfurt am Main gem. § 281 I ZPO fest. Zwar ist diese Verweisung gem. § 281 II 4 ZPO grundsätzlich bindend. Dies gilt jedoch nicht, wenn der Verweisung jede rechtliche Grundlage fehlt, so dass sie als objektiv willkürlich erscheint (BGH NJW 93, 1273; BGH v. 10.6.2003 – X ARZ 92/03, NJW 2003, 3201). Dabei lässt bloßer Rechtsirrtum die Bindungswirkung noch nicht entfallen. Zu verneinen ist die Bindung u.a. aber bei Verweisung durch ein erkennbar zuständiges Gericht unter Übergehung einer eindeutigen Zuständigkeitsvorschrift oder bei Fehlen einer nachvollziehbaren Begründung (Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. § 281 ZPO, Rn. 17).

15
Letzteres ist hier der Fall. Dabei kann dahinstehen, ob eine Willkür schon wegen Fehlens einer ausdrücklichen Begründung im Terminsaufhebungs- und Verweisungsbeschluss anzunehmen oder die Gründe aus der Verfügung vom 11.08.2021 als für die Verweisung maßgeblich anzusehen sind. Dahinstehen kann auch, ob die Gründe des begründeten, erst verspätet zur Akte gelangten, den Parteien nicht übermittelten Verweisungsbeschlusses vom 19.08.2021 und des weiteren Verweisungsbeschluss vom 16.09.2021 einbezogen werden können.

16
Denn die Verweisung durch das Landgericht Frankfurt am Main stellt sich auch in der Zusammenschau der genannten Beschlüsse und der Verfügung als objektiv willkürlich dar. Das Landgericht Frankfurt am Main hat eine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Duisburg gem. § 29 ZPO (Gerichtsstand des Erfüllungsorts) angenommen, ohne dessen Voraussetzungen nachvollziehbar darzulegen.

17
Es hat insoweit in der Verfügung vom 11.08.2021 ausgeführt, nach Art. 7 I Rom-I-VO sei deutsches Recht anzuwenden und der Gerichtsstand in Deutschland zu suchen und dann Mülheim an der Ruhr als Erfüllungsort angenommen. Im begründeten Verweisungsbeschluss vom 19.08.2021 hat es ausgeführt, da es um Streitigkeiten aus Kaufvertrag gehe, könne der Erfüllungsort gem. § 29 ZPO herangezogen werden, der dort sei, wo der Schuldner seine Leistung zu erbringen habe. Dies sei in Mülheim an der Ruhr gewesen, wie aus dem Kaufvertrag folge.

18
Grundsätzlich ist die Frage des Gerichtsstands von der des anwendbaren Rechts zu trennen. Entgegen der Verfügung vom 11.08.2021 folgt aus einer Anwendbarkeit deutschen Rechts nach der Rom-I-VO, die auch gegenüber den Rechten von Nicht-EU-Staaten gilt, nicht automatisch, dass der Gerichtsstand in Deutschland liegen muss.

19
Jedoch kommt es beim Gerichtsstand des Erfüllungsorts, auf den das Landgericht Frankfurt am Main abgestellt hat, dann doch bereits für die Zuständigkeitsbestimmung auf das materielle Recht an. Zu einer nachvollziehbaren Begründung einer Zuständigkeit nach § 29 ZPO gehört in einem Verfahren mit Auslandsbezug daher eine nachvollziehbare Begründung, welches materielle Recht auf den Vertrag Anwendung findet und warum aus diesem ein bestimmter Erfüllungsort folgen soll.

20
Daran fehlt es. Das Landgericht Frankfurt am Main hat die Anwendbarkeit deutschen Rechts aus Art. 7 Rom-I-VO hergeleitet und sich mit Art. 4 I lit. a Rom-I-VO, auf den die Beklagte sich ausdrücklich berufen hat, nicht auseinandergesetzt. Art. 7 Rom-I-VO betrifft Versicherungsverträge, streitgegenständlich ist aber ein Kfz-Kaufvertrag. Art. 4 I lit. a Rom-I-VO betrifft Kaufverträge und führt ohne weiteres zur Anwendbarkeit britischen Rechts.

21
2. Der Zuständigkeitsstreit ist nicht entscheidungsreif. Es bedarf zur Klärung der internationalen und der örtlichen Zuständigkeit weiterer Feststellungen, die durch das Gericht der Hauptsache und nicht im Rahmen des Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens durch den Senat vorzunehmen sind.

22
Die internationale Zuständigkeit richtet sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht nach der Brüssel-Ia-VO. Vielmehr sind die Regelungen der deutschen Zivilprozessordnung über die örtliche Zuständigkeit analog anzuwenden.

23
Die Brüssel-Ia-VO gilt, abgesehen von ihren Artt. 6, 18 I, 21 II, 24 und 25 nur hinsichtlich in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ansässiger Beklagter, Art. 6 Brüssel-Ia-VO. Die Beklagte hat ihren Sitz nach den Feststellungen des Landgerichts Frankfurt am Main im Vereinigten Königreich. Das Vereinigte Königreich hat die Europäische Union mit Ablauf des 31.01.2020 verlassen. Seit Ablauf der im Austrittsabkommen (Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft, veröffentlicht am 31.01.2020, ABl. L 29 S. 7) vorgesehenen Übergangsfrist zum 31.12.2020 ist es auch nicht mehr wie ein Mitgliedsstaat zu behandeln, vgl. Artt. 126, 127 des Austrittsabkommens.

24
Danach kommen eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nach § 23 ZPO und nach § 29 ZPO und eine auf diese Regelungen gegründete örtliche Zuständigkeit in Betracht. Dazu bedarf es hinsichtlich § 23 ZPO näherer Feststellungen zu dem in Deutschland belegenen, einer Vollstreckung zugänglichen Vermögen der Beklagten und hinsichtlich § 29 ZPO näherer Feststellungen zum nach Art. 4 I lit. a Rom-I-VO anwendbaren britischen Recht bzgl. des Erfüllungsorts oder zu die Anwendbarkeit eines anderen Rechts begründenden Umständen. Zunächst wird aber die Klägerin klarzustellen haben, ob die Klage tatsächlich gegen die X1 gerichtet sein soll.

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