OLG München, Urteil vom 25.10.2013 – 10 U 964/13
Es ist allgemein anerkannt, dass derjenige, der mit seinem Kfz auf ein vorausfahrendes oder vor ihm stehendes Kfz auffährt, den Anscheinsbeweis gegen sich hat, dass er entweder nicht den nötigen Sicherheitsabstand eingehalten hat oder mit unangepasster Geschwindigkeit gefahren ist oder falsch reagiert hat (Rn.6).
Richtigerweise muss der Vordermann, der ein Auffahrverschulden nach Anscheinsbeweisregeln geltend macht, vortragen und notfalls beweisen, dass er so lange im gleichgerichteten Verkehr spurgleich vorausgefahren ist, dass der Hintermann den nötigen Sicherheitsabstand einhalten konnte (Rn. 7)
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers vom 05.03.2013 wird das Endurteil des LG Ingolstadt vom 31.01.2013 (Az. 32 O 110/12) in Nrn. 1. und 2. abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagten werden verurteilt, samtverbindlich an den Kläger 6.157,91 € nebst Zinsen aus 12.395,82 € vom 08.11.2011 bis 16.01.2012 und aus 6.157,91 € seit 17.01.2012 jeweils in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu bezahlen.
2. Die Beklagten werden verurteilt, samtverbindlich an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 837,52 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 28.01.2012 zu bezahlen.
Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen und bleibt die Klage abgewiesen.
II. Die Beklagten tragen samtverbindlich die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
A.
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Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).
Entscheidungsgründe
B.
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Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache – abgesehen von den pauschal geltend gemachten Ummeldekosten – Erfolg.
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I. Das Landgericht hat zu Unrecht einen Anspruch des Klägers auf Schadensersatz verneint. Der Kläger hat gegen den Beklagten zu 2) gemäß §§ 7 Abs. 1, 17 StVG und gegen die Beklagte zu 1) aus § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG einen Anspruch auf weiteren Schadensersatz in Höhe von 6.157,91 € unter Zugrundelegung einer 100%igen Haftungsquote.
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Unstreitig ist es am 14.10.2011 gegen 11.15 Uhr auf der BAB A 9 in Richtung Berlin bei km 2.800 im Gemeindegebiet von S. zu einer Kollision der Fahrzeuge des Klägers und des Beklagten zu 2) gekommen. Dabei ist der Beklagte zu 2) in einer Teilüberdeckung auf das klägerische Fahrzeug aufgefahren. Die Hauptschadenszone am klägerischen Fahrzeug mit massiven Deformierungen befindet sich im Bereich des linken Rücklichts sowie des Seitenteils im unteren Bereich mit deutlichen Kontaktspuren am linken hinteren Rad im hinteren Heckbereich. Beim Beklagtenfahrzeug findet sich die Hauptbeschädigungszone an der rechten Fahrzeugfront/-seite.
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Nach der in zweiter Instanz durchgeführten erneuten Beweisaufnahme steht fest, dass der Beklagte zu 2) auf das klägerische Fahrzeug teilüberdeckend aufgefahren ist. Der Beklagte zu 2) konnte den ihm obliegenden Beweis, dass das klägerische Fahrzeug in engem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang von der linken auf die mittlere Fahrspur und wieder zurück gefahren ist, nicht führen. Dabei gilt folgende Rechts- und Beweislage:
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Es ist allgemein anerkannt, dass derjenige, der mit seinem Kfz auf ein vorausfahrendes oder vor ihm stehendes Kfz auffährt, den Anscheinsbeweis gegen sich hat, dass er entweder nicht den nötigen Sicherheitsabstand eingehalten hat oder mit unangepasster Geschwindigkeit gefahren ist oder falsch reagiert hat (OLG Düsseldorf VA 2003, 181). Bloße Teilüberdeckung von Heck und Front macht den Ablauf nicht atypisch (KG v. 02.10.2003 – 12 U 53/02 = KGR 2004, 106 = VRS 106 [2004] 23; OLG Düsseldorf vom 08.03.2004 – 1 U 152/03). Ein vorheriger Spurwechsel des Vordermanns stellt schon die Typizität in Frage (BGHZ 192, 84 = NJW 2012, 609; OLG Düsseldorf v. 08.03.2004 – 1 U 97/03 [Juris]; OLG Hamm NJW-RR 2004, 173; OLG Naumburg NJW-RR 2003, 809 = VRS 104 [2003] 417 = VerkMitt. 2003, Nr. 45; Senat, Urt. v. 04.2009 – 10 U 3291/09 unter Aufgabe von DAR 2005, 684).
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Richtigerweise muss der Vordermann, der ein Auffahrverschulden nach Anscheinsbeweisregeln geltend macht, vortragen und notfalls beweisen, dass er so lange im gleichgerichteten Verkehr spurgleich vorausgefahren ist, dass der Hintermann den nötigen Sicherheitsabstand einhalten konnte.
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Diesen Beweis konnte vorliegend der Kläger führen, während es den Beklagten nicht gelungen ist, die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsmäßigen Geschehensablaufes zu beweisen.
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Der Kläger führte im Rahmen seiner Anhörung vor dem Senat am 12.07.2013 aus, er sei mit etwa 170 km/h auf der linken Spur gefahren, dann sei es zu einem Stau gekommen, er habe das Warnblinklicht eingeschaltet. Sie seien stop and go gefahren, plötzlich habe es einen Schlag gegeben. Er habe keine Vollbremsung durchgeführt, sondern langsam runtergebremst. Er habe sich bereits die letzte Zeit auf der Spur befunden.
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Die Zeugin Valentina F. war Beifahrerin des Klägers und gab in ihrer Vernehmung durch den Senat an, der PKW des Klägers sei bereits längere Zeit auf der linken Spur gefahren und habe die Fahrspur nicht kurz vorher gewechselt. Sie hätten die Warnblinkanlage eingeschaltet, gebremst und seien stehen geblieben, fast zeitgleich habe sie von hinten einen Schlag gespürt.
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Die Zeugin Valentina N. gab an, sie habe sich ursprünglich auf der linken Fahrspur befunden, vor ihr sei ein helles Auto [klägerischer Mercedes], hinter ihr ein dunkles Auto [beklagtischer VW Passat] gefahren. Sie sei dann auf die mittlere Spur gewechselt und etwa 40 bis 50 km/h gefahren.
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Der Zeuge Tobias K. befand sich mit seinem PKW vor dem PKW des Klägers. Er gab auch bei seiner Vernehmung vor dem Senat an, dass der klägerische Mercedes kurz von links auf die mittlere Fahrspur und dann ruckartig zurückgefahren sei. Der klägerische Mercedes sei mit seiner ganzen Breite auf der mittleren Spur gefahren, vor dem Mercedes sei niemand auf der mittleren Fahrspur gefahren. Während er sich bei seiner erstmaligen Vernehmung durch den Senat am 12.07.2013 nicht mehr sicher gewesen ist, ob der Mercedes die Warnblinklichter eingeschaltet hatte, war er sich, wie er angab nach nochmaligem Nachdenken, bei seiner letztmaligen Vernehmung am 25.10.2013 sicher, dass der Mercedes die Warnblinkanlage eingeschaltet hatte. Der Zeuge K. führte auch aus, dass der Mercedes schräg auf die linke Spur zurückgewechselt sei.
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Der Zeuge Elmar E. befand sich vor dem Unfall mit seinem PKW auf der linken Fahrspur hinter dem Fahrzeug des Beklagten zu 2). Bei seiner Einvernahme durch den Senat erklärte er, keine Erinnerung an den Unfall mehr zu haben. Er sei vorher mit ca. 150 bis 160 km/h auf der linken Spur gefahren und habe eine Vollbremsung gemacht.
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Der Beklagte zu 2) gab im Rahmen seiner Anhörung an, dass er schon längere Zeit auf der linken Fahrspur gefahren sei, der Mercedes sei auf die mittlere Spur und dann wieder zurückgefahren. Der BMW X5 [der Zeugin N.] habe sich bis zum Schluss auf der mittleren Spur befunden.
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Der Sachverständige Dipl.-Ing. (FH) Josef Ki. legte dar, dass es zwischen beiden Fahrzeugen zu einer geringen Überdeckung gekommen ist und kein Hinweis auf ein Ineinander Eindringen vorliege. Es sei ein eher abgleitender Vorgang gewesen, wobei die Differenzgeschwindigkeit etwa 40 bis 50 km/h betragen habe. Mit Bezug auf die beim klägerischen Fahrzeug vorhandenen Deformationen könne die Version des Zeugen K. nicht zutreffen.
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Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat unter Zugrundelegung der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) Ki. sowohl in seinem schriftlichen Gutachten vom 18.10.2012 (Bl. 71/94 d. A.) wie auch seinen Ausführungen im Rahmen seiner Anhörung am 12.07.2013 davon überzeugt, dass die Version des Zeugen K. nicht zutreffen kann. Wäre der klägerische Mercedes so wie vom Zeugen K. geschildert, von der mittleren Spur auf die linke gewechselt, wäre der Zusammenstoß nicht – wie die Schadensbilder eindeutig zeigen – längsachsenparallel erfolgt. Beide Fahrzeuge hätten andere Beschädigungen aufweisen müssen.
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Auch den Angaben des Zeugen E. vermag der Senat nicht zu folgen. Im Rahmen seiner Einvernahme hatte er ohnehin keine Erinnerung mehr an den Unfall, darüber hinaus hat das Erstgericht – vom Senat geteilt – gravierende Widersprüche zwischen seinen verschiedenen Aussagen vor der Polizei wie auch dem Erstgericht festgestellt, die letztlich nicht zur Glaubhaftigkeit beitragen.
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Unter Berücksichtigung der glaubhaften Aussagen der Zeuginnen Valentina F., wenngleich diese am Ausgang des Rechtsstreits als Ehefrau des Klägers ein Interesse hat, sowie Valentina N. konnte der Kläger beweisen, dass er schon eine gewisse Zeit auf der linken Spur gefahren ist; dagegen konnte der Beklagte die Typizität des unstreitigen Auffahrunfalls nicht in Frage stellen. Damit steht zur Überzeugung des Senats ein typischer Geschehensablauf fest und der auffahrende Beklagte zu 2) hat den Beweis des ersten Anscheins gegen sich, dass er entweder den nötigen Sicherheitsabstand nicht eingehalten oder seine Fahrgeschwindigkeit nicht der Verkehrssituation angepasst oder falsch reagiert hat (st. Rspr., z. B. BGH VersR 1964, 263; Senat, Urt. v. 04.09.2009 – 10 U 3291/09 [Juris]).
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Der Kläger hat daher gegen die Beklagten einen Anspruch auf Erstattung des ihm entstandenen Schadens in Höhe von 100 %; da die Beklagte zu 1) außergerichtlich bereits 50 % reguliert hat, besteht noch ein restlicher Schadensersatzanspruch in der Hauptsache in Höhe von 6.157,91 €.
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Pauschale Ummeldekosten können nicht zugesprochen werden (Senat, Urt. v. 16.07.2004 – 10 U 1953/04; v. 28.07.2006 – 10 U 2237/06 = DAR 2006, 692; v. 23.01.2009 – 10 U 4104/08).
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Verzugszinsen kann der Kläger – im Rahmen der Klageerweiterung – aus 12.395,82 € vom 08.11.2011 bis 16.01.2012 und aus 6.157,91 € seit 17.01.2012 beanspruchen, §§ 286, 288 BGB.
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Darüber hinaus kann der Kläger die Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangen, §§ 7 Abs. 1, 17 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
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II. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
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III. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.