OLG München, Urteil vom 14.12.2012 – 10 U 1161/12
Ersatzfähigkeit der Kosten für den Besuch eines Fitness-Studios zur Behandlung einer posttraumatischen Arthrose
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers vom 21.03.2012 und die Anschlussberufung der Beklagten vom 13.09.2012 wird das Endurteil des LG München I vom 16.02.2012 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 21.05.2012 (Az. 19 O 19634/09) in Nr. II. und VI abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
I. Das Versäumnisurteil des Landgerichts München I vom 17.12.2009 wird aufgehoben.
II. Die Beklagten werden verurteilt, samtverbindlich an den Kläger ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 12.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 5.000 € vom 01.02.2008 bis 14.02.2008 und aus 12.000 € seit 16.11.2009 zu bezahlen.
III. Die Beklagten werden weiter verurteilt, samtverbindlich an den Kläger weitere 10.795,98 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 4.080,64 € seit dem 10.01.2008, aus weiteren 3.432,04 € seit dem 26.11.2008, aus weiteren 1.747,75 € seit dem 17.11.2009 sowie aus weiteren 1.888,55 € seit dem 16.09.2011 zu bezahlen.
IV. Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, samtverbindlich dem Kläger den gesamten zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 24.08.2007 zu ersetzen, soweit dieser nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen ist oder übergehen wird.
V. Die Beklagten werden weiter verurteilt, samtverbindlich an den Kläger vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.695,06 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.11.2009 zu bezahlen.
VI. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
VII. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger 26 % und die Beklagten samtverbindlich 74 %.
VIII. Das Urteil ist jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
IX. Den Beklagten wird als Erben die Beschränkung ihrer Haftung auf den Nachlass des D., K. T., geb. 31.05.1960 in …, verstorben am 31.07.2010 vorbehalten. Der Vorbehalt betrifft auch die Kostenentscheidung erster Instanz hinsichtlich der bis zum 31.07.2010 angefallenen Kosten.
X. Beim Streitwertbeschluss erster Instanz hat es sein Bewenden.
Im Übrigen werden die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung zurückgewiesen.
2. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 12 % und die Beklagten samtverbindlich 88 %.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
A.
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Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).
Entscheidungsgründe
B.
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Nachdem die Beklagten ihre Berufung (Beschwerdewert 20.323,30 €) mit Schriftsatz vom 20.07.2012 (Bl. 232 d.A.) zurückgenommen haben, war nur mehr über die Berufung der Klagepartei sowie die später eingelegte Anschlussberufung der Beklagten zu entscheiden.
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I. Die Klagepartei hat ihre Berufung hinsichtlich der Kosten des Schuhlöffels (2,95 €) nebst zugehörigem Zinsanspruch sowie insoweit zurückgenommen, als im Umfang des Berichtigungsbeschlusses gegenüber dem ursprünglichen Tenor eine weitergehende Verzinsung des Schmerzensgeldes sowie eine Verzinsung der vorgerichtlichen Anwaltskosten ausgesprochen wurden. Die verbliebene, statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg.
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1. Keinen Erfolg hat die Berufung, soweit beantragt wurde, das Versäumnisurteil teilweise wiederherzustellen. Der Berufung ist zwar darin Recht zu geben, dass das Landgericht den Titel nach Maßgabe der erfolgten Verurteilung hätte aufrechterhalten müssen an statt ihn vollständig zu beseitigen. Da das Landgericht im angefochtenen Urteil das Versäumnisurteil vom 17.12.2009 bereits nach § 343 ZPO aufgehoben hat, kann es, obwohl die ausgesprochene Verurteilung weitgehend aufrechterhalten blieb, im Wege der beantragten Aufrechterhaltung nicht wieder aufleben. Eine Versäumnisentscheidung, die durch Aufhebung vernichtet worden ist, kann nicht wiederhergestellt werden (vgl. OLG Oldenburg, Urteil v. 20.12.1989, Az. 3 UF 114/89). Ob dem in jedem Fall zuzustimmen ist (aA etwa OLG Köln, NJW 1976, 113), bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Aus dem Versäumnisurteil erfolgten keine Vollstreckungsmaßnahmen, so dass ein mit der Aufhebung einhergehender Rangverlust ebenso wenig in Betracht kommt wie Schadenersatzansprüche der Beklagten wegen Vollstreckungsmaßnahmen (§ 717 II ZPO). Der Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht, ist vorliegend ebenfalls kein anderer.
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2. Die mit der Berufung geltend gemachten Kosten für die Besuche des Klägers im Fitnessstudio (1.067,50 € nebst Zinsen) sind vorliegend nicht ersatzfähig. Nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB ist bei der Verletzung einer Person für Heilbehandlungskosten nur dann Ersatz zu leisten, wenn es sich um erforderliche Herstellungskosten gehandelt hat (BGHZ 97, 14). Besuche im Fitness-Studio sind nicht anders wie krankengymnastische Übungsbehandlungen zu beurteilen (OLG Stuttgart, Urteil v. 21.10.2009, Az. 3 U 86/09). Nach dem maßgeblichen Vortrag der Klagepartei erfolgen die Besuche, um einer sonst drohenden Versteifung der Gelenke vorzubeugen. Der Kläger hat zur Wiederherstellung seiner Gesundheit krankengymnastische Übungen verordnet bekommen. Bei der befürchteten Versteifung der Gelenke (unfallbedingt ist vorliegend die linke Hüfte betroffen) geht es mithin um zusätzliche Gesundheitsnachteile. Der Kläger erlitt eine posttraumatische Arthrose im linken Hüftgelenk; diese mag mit der Zeit zunehmen, sodass möglicherweise die Beweglichkeit im Bereich des linken Hüftgelenks abnehmen und die Muskelmasse am linken Oberschenkel geringer werden wird. Diese Entwicklung lässt sich aber durch eine noch so intensive krankengymnastische Übungsbehandlung auf Dauer nicht verhindern. Das Gleiche gilt insoweit für das Training in einem Fitness-Studio (vgl. OLG Stuttgart aaO), so dass zur Vermeidung der zusätzlichen Gesundheitsnachteile der Besuch im Fitnessstudio nicht notwendig ist.
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Weiter ist schon nicht vorgetragen, dass das Training medizinisch überwacht wird. Zudem war der Kläger ebenso wie seine Ehefrau ausweislich der vorgelegten Unterlagen bereits zu einem Zeitpunkt Mitglied im Fitnessstudio „b. “ (18-Monatsvertrag mit automatischer Laufzeitverlängerung), als er das linke Bein noch gar nicht belasten durfte und auf Unterarmgehstützen angewiesen war. Eine stufenweise Belastung des Beines war erst ab Weihnachten 2007 erlaubt. Die Mitgliedschaft im Fitnessstudio ist mithin nicht als unfallkausal anzusehen und die Kosten wären ohne den Unfall ebenso angefallen. Dass ein ggf. vermehrtes Training für die Gesundheit und Beinmuskulatur des Klägers anlässlich einer ohnehin bestehenden Mitgliedschaft förderlich ist, rechtfertigt unter diesen Umständen den weitergehenden Klageanspruch nicht.
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3. Hinsichtlich der Kostenentscheidung erster Instanz ist die Berufung überwiegend erfolgreich. Die Zahlungen in Höhe von 2 x 5.000 €, welche das Landgericht auf das als angemessen erachtete Schmerzensgeld von 22.000 € verrechnete, erfolgten unter dem Vorbehalt der Rückforderung als noch zu verrechnende Vorschusszahlungen, womit keine Erfüllung eintrat. Der Kläger hat mit bei der Haftpflichtversicherung des Verstorbenen am 28.12.2007 eingegangenem Schreiben vom 26.12.2007 einen Schmerzensgeldvorschuss von 10.000 € verlangt und hierzu sowie zur Zahlung des vorläufig bezifferten weiteren Schadens eine Frist bis 09.01.2008 gesetzt (Anl. BLD 3). Zahlungen in Höhe von jeweils 5.000 € erfolgten am 25.01.2008 und am 15.02.2008.
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Eine Verrechnung durch die insoweit allein bestimmungsberechtigte Haftpflichtversicherung als Dritte gem. § 267 ZPO erfolgte bis zum Urteilserlass nicht. Teilklagen sind in solchen Fällen nicht möglich. Rechnerisch ist die eingeklagte Forderung zwar bestimmt (vgl. zu diesem Erfordernis BGH NJW 1984, 2346 ff. = VersR 1984, 782 ff.), nur materiellrechtlich ist der vom Gläubiger vorgenommene Abzug der geleisteten Beträge mangels Erfüllung falsch (KG, Urt. v. 16.01.1997 – 12 U 6048/95 [Juris] unter I/Tz. 44). Auch ein quotaler Abzug von jeder Position ist nicht möglich. Es gibt auch keine gerichtliche Befugnis, eine wirksam offengehaltene Leistungsbestimmung des Schuldners zu ersetzen. Dies gilt natürlich erst Recht für den Gläubiger. Wegen dieses noch immer bestehenden Verrechnungsrechts des Schuldners kann auch nicht der gezahlte Betrag von den für evtl. begründet erachteten Positionen abgesetzt werden (BGHZ 113, 251 ff. = 1991, 1604 [1607]). Dadurch würde eine Art schadensersatzrechtliches Kontokorrent eingeführt, welches das Gesetz aber nicht vorsieht. Es wäre auch unangemessen, ein Kontokorrentverhältnis anzuwenden, weil für ein Saldoanerkenntnis keine Rechtsgrundlage besteht, so dass der Gläubiger immer alle Posten darlegen und beweisen müsste (BGH NJW 1991, 2908 ff.). Nur der Schuldner hätte daher Vorteile aus einem solchen „Kontokorrent“. Zutreffend hat der Kläger daher mangels Erfüllung die Vorschusszahlungen bei der Klage auf Schmerzensgeld unberücksichtigt gelassen. Die auf die Zahlungen in Höhe von insgesamt 10.000 €, welche durch das Landgericht im Einverständnis mit den Parteien und von diesen nicht angegriffen auf das Schmerzensgeld verrechnet wurden, entfallenden Kosten waren daher den Beklagten aufzuerlegen. Die Kostenentscheidung war daher wie aus dem Tenor ersichtlich abzuändern.
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4. Die teilweise Abweisung der Klage war, auch soweit mit der Berufung nicht angegriffen, im Tenor auszusprechen.
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II. Die innerhalb der Berufungserwiderungsfrist frist- sowie formgerecht erhobene Anschlussberufung war weitgehend begründet.
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1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Einrede der beschränkten Erbenhaftung nach § 1990 BGB und des darauf gründenden Vorbehalts nach § 780 ZPO in zweiter Instanz zuzulassen, wenn ihre Erhebung in erster Instanz noch nicht möglich war (BGHZ 54, 204 = NJW 1970, 1742 für die Revisionsinstanz) oder, wie vorliegend, ihre tatsächlichen Voraussetzungen in zweiter Instanz unstreitig sind (BGH NJW-RR 2010, 664; ebenso schon OLG Celle OLGR 1995, 204; OLG Saarbrücken FamRZ 2007, 1192; a. A. die bislang h. M., vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 2004, 1222; OLG Hamm MDR 2006, 695; OLG München, Beschl. v. 3.3.2006 – 10 U 4751/05 [n. v.]; OLG Rostock OLGR 2009, 102 [unter II 2 d, wo der Vorbehalt schon in erster Instanz geltend gemacht worden war]). Hinsichtlich der Kostenentscheidung war der Vorbehalt auf die bis zum Erbfall entstandenen Kosten zu beschränken.
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2. Die Beklagten waren mit der Zahlung des Schmerzensgeldes in Höhe von 5.000 € wie aus dem Tenor ersichtlich in Verzug. Insoweit war die Anschlussberufung zurückzuweisen, im Übrigen war sie erfolgreich. Die erste Zahlung erfolgte am 25.01.2008 und damit nach Fristsetzung der Klagepartei an die mit dem Verstorbenen eine Haftungseinheit bildende Haftpflichtversicherung zum 09.01.2008 noch innerhalb der der Versicherung zustehenden Prüffrist, die nach Auffassung des Senats vorliegend am 31.01.2008 ablief.
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a) Die Prüfungsfrist, auf die sich vorliegend auch die Beklagten berufen können, wird nicht durch das Unfallereignis, sondern erst durch den Zugang eines spezifizierten Anspruchsschreibens in Lauf gesetzt und beträgt in der Regel 4 Wochen (OLG Rostock OLG-NL 2001, 92; Senat, Urt. v. 21.06.2010 – 10 U 5028/09; NJW-RR 2011, 386 = zfs 2011, 150 = DAR 2010, 644 f. = NZV 2011, 307 ff.; Beschl. v. 15.11.2011 – 10 W 1959/11; ; v. 08.12.2011- 10 W 2149/11; LG München I VersR 1973, 871 [872]). Das spezifizierte Anspruchsschreiben ging bei der Versicherung am Freitag, dem 28.12.2007 ein. Im Hinblick auf den Jahreswechsel am folgenden Montag und den Feiertag am folgenden Dienstag geht der Senat angesichts der Komplexität des Falles vorliegend von einer Prüffrist bis Ende Januar 2008 aus.
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b) Verzug trat somit in Höhe von 5.000 € am 01.02.2008 ein. Der Verzug endete mit Eingang der weiteren Zahlung am 15.02.2012 bzw. gerieten die Beklagten hinsichtlich der noch während der laufenden Prüffrist erfolgten Zahlung in Höhe von ebenfalls 5.000 € nicht in Verzug.
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c) Daraus, dass es sich um Vorschüsse unter Vorbehalt der Rückforderung handelte und den Zahlungen Erfüllungswirkung gem. § 362 BGB nicht zukam, kann die Klagepartei vorliegend nichts zu ihren Gunsten herleiten. Der Schuldner kann nicht gehindert sein, sich durch freiwillige Zahlungen rechtlich so zu stellen, wie er stünde, wenn Zahlungen etwa durch einen vorläufig vollstreckbaren Titel im Wege der Zwangsvollstreckung erzwungen werden (BGH NJW 1981, 2244). Umgekehrt hat der Gläubiger keinen Anspruch, hinsichtlich der Verzugsfolgen besser zu stehen als im Falle erfolgreicher Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Daraus, dass vorliegend die Zahlungen unter Vorbehalt der Rückforderung noch vor Erhebung der Klage erfolgten, ergibt sich nichts anderes. Auch bei Wegnahme des Geldes durch den Gerichtsvollzieher auf Grund eines vorläufig vollstreckbaren Titels gilt diese als Zahlung (§ 815 III ZPO), der Gläubiger wird so gestellt, als hätte der Schuldner schon bezahlt, wenn auch unter Vorbehalt der Rückforderung für den Fall des Obsiegens in der Rechtsmittelinstanz. Die Interessenlage ist vorliegend keine andere und der Kläger hätte ja von der Möglichkeit Gebrauch machen können, die Vorschusszahlung zurückzuweisen, was er gerade nicht getan hat. Mit der Annahme der Leistung endete daher der Verzug trotz fehlender Erfüllungswirkung (vgl. auch Löwisch/Feldmann in Staudinger, BGB [online-Ausgabe], Neubearbeitung 2009, Rz 120 zu § 286). Die Zahlungen erfolgten vorliegend mit der dargestellten Wirkung zu Gunsten des Schuldners durch die Haftpflichtversicherung.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 I 1 Fall 2, 100 IV ZPO für die erste Instanz und auf §§ 92 I 1 Fall 2, 97 I, 100 IV, 516 III ZPO für das Berufungsverfahren. Die Rücknahme der Berufung seitens der Klagepartei betraf eine Nebenforderung und war kostenmäßig – anders als die Rücknahme der Berufung der Beklagten – ohne Auswirkung. Die Aufnahme des Vorbehalts nach § 780 ZPO war bei der Kostenentscheidung nicht relevant (OLG Düsseldorf, FamRZ 2011, 659).
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IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Ersturteils und dieses Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
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V. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.