OLG Koblenz, Urteil vom 17.06.2013 – 3 U 240/13
1. Bei einem Heimvertrag werden Obhutspflichten und inhaltsgleiche allgemeine Verkehrssicherungspflichten zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Bewohner begründet, die sie vor Schädigungen wegen Krankheit oder einer sonstigen körperlichen oder geistigen Einschränkung durch sie selbst und durch die Einrichtung und bauliche Gestaltung des Altenheims schützen sollen. Diese Pflicht ist allerdings beschränkt auf das Erforderliche und das für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare. Dabei ist insbesondere auch zu beachten, dass beim Wohnen in einem Heim die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen und die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohner zu wahren und zu fördern sind (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HeimG; in Anknüpfung an BGH, Urteil vom 28. April 2005, III ZR 399/04, BGHZ 163, 55 ff.; vergleiche auch OLG Koblenz, Urteil vom 21. März 2002, 5 U 1648/01, NJW-RR 2002, 867; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Juli 2010, 24 U 16/10).
2. Welchen konkreten Inhalt die Verpflichtung hat, einerseits die Menschenwürde und das Freiheitsrecht eines alten und kranken Menschen zu achten und andererseits sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit zu schützen, kann nur aufgrund einer sorgfältigen Abwägung sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalls entschieden werden. Dabei verbleibt hinsichtlich der zu treffenden Entscheidungen sowohl für das Pflegepersonal eines Altenheims, als auch für Betreuer, Vorsorgebevollmächtigte und Familienangehörige ein Beurteilungsspielraum. Wird eine Entscheidung im Rahmen des Vertretbaren getroffen, kann sie nicht im Nachhinein mit dem Stempel der Pflichtwidrigkeit versehen werden, wenn es zu einem Unfall kommt.
3. Ein Heimbetreiber ist nicht von sich aus verpflichtet, einen Antrag auf Genehmigung einer Fixierung zu stellen oder einen Arzt einzuschalten, um prüfen zu lassen, welche Fixierungsmaßnahmen aus medizinischer Sicht indiziert sind. Er kann nach einer Benachrichtigung des Vorsorgebevollmächtigten zunächst abwarten, ob dieser sich nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände dafür entscheidet, freiheitsentziehende Maßnahmen zu ergreifen und das Notwendige veranlasst (vergleiche KG, Urteil vom 25. Mai 2004, 14 U 37/03).
4. Befindet sich ein Heimbewohner nicht krankheitsbedingt permanent in einer Gefahrenlage, ist er zur Vermeidung eines Sturzes im normalen Tagesablauf nicht ständig zu fixieren oder ununterbrochen zu bewachen.
(Leitsätze des Gerichts)
Tenor
Der Senat erwägt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 6. Zivilkammer – Einzelrichterin – des Landgerichts Koblenz vom 23. Januar 2013 durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Gründe
1
Der Senat hat die Sache beraten. Er erwägt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht. Die Berufung hat auch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Ein Termin zur mündlichen Verhandlung ist nicht geboten. Dem Kläger wird eine Frist zur Stellungnahme gesetzt bis zum 12. Juli 2013. Es wird zur Vermeidung weiterer Kosten angeregt, die Berufung zurückzunehmen. Im Fall der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 Kostenverzeichnis zum GKG). Die Gründe werden nachfolgend dargestellt.
I.
2
Der Kläger begehrt von der Beklagten, der Trägerin des Pflegeheims Seniorenresidenz …[A] in …[X], die Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie Schadensersatz nach dem Tod seiner Mutter. Der Kläger war Vorsorgebevollmächtigter und ist Alleinerbe.
3
Die am … 1928 geborene Mutter des Klägers lebte seit dem 29. Juli 2010 in vollstationärer Pflege der Beklagten nach der Pflegstufe II.
4
In der Folge kam es zu verschiedenen Tageszeiten und an verschiedenen Orten in der Einrichtung der Beklagten zu Stürzen der Mutter des Klägers. Auf die Sturzprotokolle vom 18. August 2010 (Bl. 96 d.A.), 5. September 2010 (Bl. 98 d.A.), 30. September 2010 (Bl. 100 d.A.), 28. Oktober 2010 (B. 101 d.A.) und 9. November 2010 (Bl. 103 d.A.) wird verwiesen.
5
Anfang Oktober 2010 sprach die Pflegedienstleiterin der Beklagten mit dem Kläger anlässlich eines Herbstfestes über Maßnahmen der Sturzprophylaxe. Es wurde vereinbart, dass das Bett der Mutter tiefer gelegt und zusätzlich vor das Bett eine Matratze ausgelegt wird. Zudem wurde besprochen, dass der Kläger eventuell einen Antrag auf gerichtliche Genehmigung der Fixierung seiner Mutter mittels Bettgitter stellen solle, wobei eine Dringlichkeit dafür nicht vermittelt wurde. Die von der Beklagten getroffenen Maßnahmen sind in der Pflegeplanung vom 2. Oktober 2010 (Bl. 88 d.A.) dokumentiert.
6
Ausweislich der Pflegeplanung vom 17. Oktober 2010 (Bl. 88 d.A.) beschloss die Beklagte, die vor das Bett gelegte Matratze wieder zu entfernen.
7
Nach einem Sturz im Badezimmer am 28. Oktober 2010 gegen 14.45 Uhr erhielt die Mutter des Klägers rutschfestes Schuhwerk und rutschfeste Socken sowie Sturzprotektoren (im Tatbestand des landgerichtlichen Urteils irrtümlich als “Socken mit Sturzprotektoren” bezeichnet). Die Beklagte teilte dem Kläger am 2. November 2010 mit, dass er nunmehr einen Antrag auf Genehmigung der Fixierung stellen solle (Pflegeplanung vom 2. November 2010, Bl. 90 d.A.). Am 9. November 2010 gegen 16.20 Uhr stürzte die Mutter des Klägers im Aufenthaltsraum des Pflegeheims bei dem Versuch, aus dem Rollstuhl aufzustehen.
8
Am Abend des 12. November 2010 wurde die Mutter des Klägers gegen 21.00 Uhr vor ihrem Bett auf dem Bauch liegend mit einer Platzwunde an der Oberlippe und einer Beule am rechten Wangenknochen aufgefunden. Sie war nicht ansprechbar (Sturzprotokoll am 12. November 2010, Bl. 105 d.A.). Im E-Krankenhaus in …[X] wurde u.a. ein subdurales Hämatom diagnostiziert. Die Mutter des Klägers verstarb am 16. November 2010.
9
Der Kläger macht die Beklagte für den Sturz seiner Mutter am 12. November 2010 und ihren Tod verantwortlich, weil ihr Pflegepersonal durch geeignete Maßnahmen zur Sturzprophylaxe den Sturz hätte vermeiden können.
10
Das Landgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe allerdings nicht alles ihr Mögliche getan, um den Sturz vom 12. November 2010 zu verhindern. Die Mutter des Klägers sei spätestens nach ihrem dritten Sturz am 30. September 2010 für die Beklagte erkennbar sturzgefährdet gewesen. Eine Pflichtverletzung bestehe darin, dass die Beklagte am 17. Oktober 2010 die Matratze vor dem Bett entfernt habe, ohne den Kläger darüber zu informieren und neue Maßnahmen zum Schutz der Mutter des Klägers zu treffen. Das habe dazu geführt, dass die Mutter des Klägers am 28. Oktober 2010 gestürzt sei. Die nach diesem Sturz getroffenen Maßnahmen seien nicht ausreichend gewesen, um den wiederholten Stürzen der Mutter des Klägers wirksam zu begegnen. Diese habe einen großen Bewegungsdrang gehabt und habe andererseits körperlich abgebaut. Sie sei geistig nicht mehr in der Lage gewesen, über Sicherungsmaßnahmen zu entscheiden. Für die Beklagte habe ab dem 17. Oktober 2010, spätestens aber nach dem erneuten Sturz am 28. Oktober 2010 die dringende Notwendigkeit bestanden, die Ergreifung freiheitsentziehender Maßnahmen durch Anbringung eines Bettgitters mit dem Kläger zu besprechen und sofort einen Arzt einzuschalten, um prüfen zu lassen, welche Fixierungsmaßnahmen aus medizinischer Sicht indiziert seien. Auch hätte die Beklagte auf eine sofortige entsprechende Antragstellung durch den Kläger beim Betreuungsgericht drängen müssen. Eine ordnungsgemäße Antragstellung wäre noch im Oktober 2010 möglich gewesen. Auch nach dem erneuten Sturz am 9. November 2010 hätten weitere Maßnahmen seitens der Beklagten dringend ergriffen werden müssen. Angesichts der Sturzgefährdung der Mutter des Klägers sei bis zur Genehmigung von notwendigen Fixierungsmaßnahmen eine vermehrte Beobachtung der Betroffenen erforderlich gewesen, um weitere Stürze zu vermeiden. Das schuldhafte Unterlassen der gebotenen Maßnahmen seitens der Beklagten sei ursächlich für den Sturz vom 12. November 2010 gewesen. In Bezug auf die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den Schaden trete eine Umkehr der Beweislast ein. Das nach dem Sturz vom 12. November 2010 diagnostizierte subdurale Hämatom habe zum Tod der Mutter des Klägers geführt. Es fehle jedoch an der haftungsausfüllenden Kausalität. Der Kläger habe nicht den Beweis erbringen können, dass das Hämatom allein oder zumindest mitursächlich durch den Sturz vom 12. November 2010 hervorgerufen worden sei.
11
Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Das Landgericht habe zu Unrecht angenommen, dass die haftungsausfüllende Kausalität nicht gegeben sei. Für die zivilrechtliche Beurteilung komme es nicht darauf an, ob der Sturz vom 12. November 2010 die ausschließliche oder alleinige Ursache für die Leidenszeit und den Tod seiner Mutter gewesen sei. Es genüge eine bloße Mitverursachung. Dass der Sturz vom 12. November 2010 zumindest mitursächlich für das Leiden und den Tod seiner Mutter gewesen sei, ergebe sich aus den Ausführungen des in der ersten Instanz bestellten Sachverständigen Dr. med. W. in seinem schriftlichen Gutachten vom 10. Juni 2012 und den Erläuterungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Koblenz am 12. Dezember 2012.
12
Der Kläger beantragt,
13
unter Abänderung des am 21. Januar 2013 verkündeten Urteils des Landgerichts Koblenz die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 2.500,00 € zu zahlen,
14
unter Abänderung des am 21. Januar 2013 verkündeten Urteils des Landgerichts Koblenz die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.191,84 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit und außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 256,62 € zu zahlen.
15
Die Beklagte beantragt,
16
die Berufung zurückzuweisen.
17
Sie macht geltend, ihr sei bereits keine schuldhafte Pflichtverletzung vorzuwerfen. Sie habe alles Erforderliche und ihr Mögliche getan, um Stürze der Mutter des Klägers in ihrer Einrichtung zu vermeiden. Sie habe auf die Stürze mit allen anerkannten Sicherungsmaßnahmen reagiert wie Herabstellen des Bettes auf die niedrigste Stufe, die Installation eines Nachtlichts, rutschfeste Schuhe und Socken, Sturzprotektoren und Auslegen einer Matratze vor dem Bett der Mutter, bis sich diese als Stolperfalle erwiesen habe. Als darüber hinausgehende Maßnahmen hätten nur noch freiheitsentziehende Maßnahmen wie Fixierung oder Anbringung eines Bettgitters angewendet werden können. Diese hätten angesichts des von der Mutter des Klägers verspürten Bewegungsdrangs einen erheblichen Eingriff in ein selbstbestimmtes Leben bzw. in eine selbstbestimmte Fortbewegung bedeutet. Das Anbringen eines Bettgitters wäre nicht zweckmäßig gewesen, um die Stürze zu vermeiden im Hinblick darauf, dass die Mutter des Klägers auch auf dem Flur, im Bad oder in anderen Bereichen der Pflegeeinrichtung hätte stürzen können. Sie habe mit dem Kläger zweimal über das Sturzrisiko gesprochen und auf die Möglichkeit der Anordnung freiheitsentziehender Maßnahmen hingewiesen. Bei dem Gespräch am 28. Oktober 2010 sei der Kläger eindringlich auf die Tatsache hingewiesen, dass dies einen erheblichen Eingriff darstelle und dass eine Anordnung des Betreuungsgerichts erforderlich sei. Der Kläger habe zugesagt, sich darum kümmern zu wollen. Eine ständige Nachfrage bzw. das eigenmächtige Einschalten des Hausarztes der Mutter des Klägers habe nicht zu ihrem Pflichtenkreis gehört. Darüber hinaus sei auch nicht die Kausalität dafür bewiesen, dass die Mutter des Klägers am 12. November 2010 aufgrund einer Pflichtverletzung zu Fall gekommen sei. Die Möglichkeit, dass die Mutter aus dem Bett gestürzt sei, stelle sich nur als eine von mehreren Möglichkeiten dar. Dem Urteil des Landgerichts sei darin zuzustimmen, dass die haftungsausfüllende Kausalität seitens des Klägers nicht bewiesen sei.
II.
18
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
19
Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. dem Heimvertrag bzw. §§ 823, 831 BGB zu. Die gegen das Urteil vorgebrachten Berufungseinwände rechtfertigen keine dem Kläger günstigere Entscheidung. Es fehlt bereits an einer Verletzung der Pflichten, die der Heimleitung und dem Pflegepersonal der Beklagten oblagen.
20
Bei einem Heimvertrag, wie er durch die Aufnahme der Mutter des Klägers mit der Beklagten zustande kam, werden Obhutspflichten und inhaltsgleiche allgemeine Verkehrssicherungspflichten zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Bewohner begründet, die sie vor Schädigungen wegen Krankheit oder einer sonstigen körperlichen oder geistigen Einschränkung durch sie selbst und durch die Einrichtung und bauliche Gestaltung des Altenheims schützen sollen (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 2005 – III ZR 399/04 – BGHZ 163, 53 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 21. März 2002 – 5 U 1648/01 – NJW-RR 2002, 867). Diese Pflicht ist allerdings beschränkt auf das Erforderliche und das für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare. Dabei ist insbesondere auch zu beachten, dass beim Wohnen in einem Heim die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen und die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohner zu wahren und zu fördern sind (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HeimG; BGH, Urteil vom 28. April 2005 – III ZR 399/04 – BGHZ 163, 53 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 21. März 2002 – 5 U 1648/01 – NJW-RR 2002, 867; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Juli 2010, 24 U 16/10, in juris veröffentlicht).
21
Welchen konkreten Inhalt die Verpflichtung hat, einerseits die Menschenwürde und das Freiheitsrecht eines alten und kranken Menschen zu achten und andererseits sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit zu schützen, kann nicht generell, sondern nur aufgrund einer sorgfältigen Abwägung sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalls entschieden werden. Dabei verbleibt hinsichtlich der zu treffenden Entscheidungen sowohl für das Pflegepersonal eines Altenheims, als auch für Betreuer, Vorsorgebevollmächtigte und Familienangehörige häufig ein erheblicher Beurteilungsspielraum. Wird eine Entscheidung im Rahmen des Vertretbaren getroffen, kann sie nicht im Nachhinein mit dem Stempel der Pflichtwidrigkeit versehen werden, wenn es zu einem Unfall kommt, den jeder Heimträger und sein Pflegepersonal, erst recht jedoch Betreuer, Vorsorgebevollmächtigte und Familienangehörige vermeiden möchten (so schon OLG Koblenz, a. a. O.).
22
Von diesen Grundsätzen ausgehend ergibt sich hier folgendes:
23
Das Landgericht geht zu Recht davon aus, dass die Mutter des Klägers akut sturzgefährdet war. Das Sturzrisiko ergab sich aus den drei Stürzen in dem Zeitraum vom 18. August 2010 bis 30. September 2010. Die Stürze ereigneten sich zu verschiedenen Tageszeiten im Badezimmer oder im Zimmer der Mutter des Klägers. Die Mutter des Klägers war nach ihrer Aufnahme im Juli 2010 zunehmend in ihrer Mobilität beeinträchtigt und sie zeigte zunehmend Anzeichen von Altersdemenz verbunden mit einem Bewegungsdrang. Das war für die Beklagte und für den Kläger, der über die drei Stürze informiert worden war, ersichtlich.
24
Dem besonderen Sturzrisiko musste die Beklagte in einer der Situation angepassten Weise nach allgemein anerkanntem Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse Rechnung tragen.
25
Bei der Beurteilung der von der Beklagten getroffenen Maßnahmen ist zu berücksichtigen, dass nicht festgestellt ist und von dem Kläger auch nicht behauptet wird, dass die drei Stürze im August und September 2010 darauf zurückzuführen sind, dass die Mutter des Klägers aus ihrem Bett hinaus auf den Boden gefallen ist. Ausweislich der Pflegeprotokolle (Bl. 96, 98, 100 d.A.) ereignete sich der Sturz am 18. August 2010 um 23.45 Uhr im Badezimmer, der am 5. September 2010 um 7.30 Uhr vor der Badezimmertür und der am 30. September 2010 um 1.30 Uhr vor dem Bett der Mutter des Klägers, die bereits Hausschuhe trug.
26
Die von der Beklagten Anfang Oktober 2010 auf die Stürze im August und September 2010 getroffenen Maßnahmen, wie sie in der Pflegeplanung vom 2. Oktober 2010 (Bl. 88 d.A.) dokumentiert sind, waren vertretbar. Das Bett der Mutter des Klägers wurde tiefer gelegt und – einem sog. Bettnest vergleichbar – eine zusätzliche Matratze vor das Bett gelegt. Die Maßnahmen waren geeignet, für eine sichere Umgebung zu sorgen und einer Sturzgefahr durch seitliches Herausrollen aus dem Bett zu vermeiden. Davon geht auch der Kläger aus.
27
Das Landgericht sieht eine erste Pflichtverletzung darin, dass die Beklagte am 17. Oktober 2010 die vor das Bett der Mutter des Klägers gelegte Matratze entfernt hat, ohne den Kläger darüber zu informieren. Dieser Vorwurf ist nach Ansicht des Senats unbegründet.
28
Das Landgericht hat zwar aufgrund der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme in einer für den Senat nachvollziehbaren Weise die Überzeugung gewonnen (§ 286 ZPO), dass der Kläger über das Entfernen der Matratze am 17. Oktober 2010 nicht informiert worden war. Eine dahingehende Unterrichtung des Klägers lässt sich auch nicht der Pflegeplanung vom 17. Oktober 2010 (Bl. 88 d.A.) entnehmen. Das Landgericht hat auch nachvollziehbar und rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Mutter des Klägers krankheitsbedingt nicht in der Lage war, über das Entfernen der Matratze zu entscheiden.
29
Das Fehlen der Matratze war entgegen der Ansicht des Landgerichts jedoch nicht ursächlich für den Sturz vom 28. Oktober 2010. Dieser Sturz ereignet sich um 14.45 Uhr im Badezimmer und war auf die eingeschränkte Mobilität der Mutter des Klägers und ihre Gangunsicherheit zurückzuführen. Der Sturz wäre durch eine vor dem Bett liegende Matratze nicht verhindert worden. Es kann somit dahin stehen, ob das Entfernen der Matratze vertretbar war, weil sie für die Mutter des Klägers eine zusätzliche Stolperfalle darstellte oder weil diese die Matratze selbst immer wieder gegen die Wand stellte. Auch das Landgericht hat dazu keine Feststellungen getroffen (§ 286 ZPO).
30
Das Landgericht wirft der Beklagten zudem vor, sie habe nach Entfernen der Matratze vor dem Bett der Mutter des Klägers keine weiteren Sicherungsmaßnahmen ergriffen. Das ist unzutreffend. Vor dem Hintergrund dessen, dass sich die Stürze der Mutter des Klägers im August und September 2010 beim Gehen ereignet hatten und es auch im weiteren Verlauf zu keinen Stürzen aus dem Bett gekommen war, ist es vertretbar, dass die Beklagte nach dem 17. Oktober 2010 auf die Sicherung des Bettes verzichtete und stattdessen Maßnahmen für ein sicheres Gehen ergriff. Nach Rücksprache mit dem Kläger erhielt seine Mutter rutschfestes Schuhwerk, rutschfeste Socken und Sturzprotektoren. Diese Maßnahmen waren geeignet, Stürze zu verhindern, die auf unsicheres Gehen zurückzuführen sind.
31
Diese Vorgehensweise entsprach den Empfehlungen des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP), Hochschule Osnabrück, Stand 2005 (www.dnqp.de; 1. Aktualisierung 2013). In der Präambel zum Expertenstandard Sturzprophylaxe in der Pflege heißt es: “Der Expertenstandard hat zum Ziel, Stürze und Sturzfolgen zu vermeiden, indem ursächliche Risiken und Gefahren erkannt und nach Möglichkeit minimiert werden. Die zu Grunde gelegte Literatur hat deutlich gemacht, dass dieses Ziel nicht durch eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit zu erreichen ist, sondern vielmehr durch die Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer größtmöglichen, sicheren Mobilität von Patienten und Bewohnern verbunden mit einer höheren Lebensqualität. (…) Interventionen zur Sturzprophylaxe können maßgeblichen Einfluss auf die Lebensführung von Patienten und Bewohnern haben, z. B. durch eine Umgebungsanpassung, die Empfehlung für spezielle Schuhe oder Hilfsmittel, die Aufforderung, nur mit Hilfestellung auf die Toilette zu gehen oder das Besuchen von Kursen zur Förderung von Kraft und Balance. Aus diesem Grund ist es notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Sturzprophylaxe, das Selbstbestimmungsrecht von Patienten und Bewohnern zu achten und zu unterstützen.”
32
Das Landgericht ist ferner der Auffassung, die Beklagte habe die ihr obliegenden Pflichten dadurch verletzt, dass sie es unterlassen habe, den Kläger ab dem 17. Oktober 2010, spätestens aber nach dem erneuten Sturz am 28. Oktober 2010 zu drängen, bei dem Betreuungsgericht einen Antrag auf Genehmigung der Fixierung seiner Mutter zu stellen. Auch dieser Vorwurf ist nach Ansicht des Senats unbegründet. Unstreitig hat die Beklagte in dem Gespräch anlässlich des Herbstfestes Anfang Oktober 2010 den Kläger für das Thema Fixierung sensibilisiert. In der Zeit zwischen dem 30. September 2010 und dem 28. Oktober 2010 stürzte die Mutter des Klägers nicht. Es kann somit nicht festgestellt werden, dass sich sie sich krankheitsbedingt permanent in einer Gefahrenlage befunden hat, die eine Fixierung dringend erfordert hätte. Es bestand somit am 17. Oktober 2010 keine Veranlassung, für ein sofortiges Tätigwerden. Das Anbringen eines Bettgitters wäre entgegen der Ansicht des Landgerichts zudem nicht geeignet gewesen, Stürze der Mutter des Klägers im normalen Tagesablauf zu vermeiden. Die Mutter des Klägers war nicht bettlägerig.
33
Nachdem die Mutter des Klägers am 28. Oktober 2010 erneut gestürzt war, wurde der Kläger hierüber informiert – ausweislich des Sturzprotokolls vom 28. Oktober 2010 telefonisch (Bl. 101 d.A.) – und in einem Gespräch am 2. November 2010 wurde ihm dann ausdrücklich dazu geraten, einen Antrag auf Genehmigung der Fixierung zu stellen. Der Kläger hat sich in der Folgezeit auch um ein ärztliches Attest bemüht, das er wegen des Urlaubs des Hausarztes seiner Mutter erst am 8. November 2010 erhielt. Nach seinem eigenen Vorbringen ist es dann zu einer Antragstellung nicht mehr gekommen, weil sich die Ereignisse überschlagen hätten.
34
Entgegen der Ansicht des Landgerichts war die Beklagte nicht verpflichtet, selbst einen Arzt einzuschalten, um prüfen zu lassen, welche Fixierungsmaßnahmen aus medizinischer Sicht indiziert sind. Damit überspannt das Landgericht den Pflichtenkreis der Beklagten vor dem Hintergrund, dass der Kläger Vorsorgebevollmächtigter seiner Mutter war. Nach dem Gespräch am 2. November 2010 konnte die Beklagte zunächst abwarten, ob der über die Sturzgefahr informierte Kläger sich nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände dafür entscheidet, freiheitsentziehende Maßnahmen zu ergreifen und das Notwendige veranlasst (vgl. für den Fall einer bestehenden Betreuung: KG, Urteil vom 25. Mai 2004, 14 U 37/03, in juris veröffentlicht; OLG Koblenz, a. a. O.). Letztlich ging es um die Entscheidung, ob die Mutter mittels Bettgurtes fixiert wird, weil nur so ein allumfassender Schutz vor Stürzen zu erreichen gewesen wäre. Das hätte einen erheblichen Eingriff in das Freiheitsrecht der Mutter des Klägers bedeutet, die einen Wunsch nach Fortbewegung verspürte. Im Hinblick auf die Bedeutung der Entscheidung und des Erfordernisses, einen Arzt und das Betreuungsgericht einzuschalten, sieht der Senat ein Zuwarten der Beklagten von 14 Tagen noch als vertretbar an.
35
Für den Senat steht im Übrigen nicht mit der erforderlichen Gewissheit (§ 286 ZPO) fest, dass bei einer Antragstellung noch im Oktober 2010 eine Genehmigung der Fixierung durch das Betreuungsgericht bereits am 12. November 2010 vorgelegen hätte.
36
Letztlich fällt dem Pflegepersonal der Beklagten auch bei der Betreuung und Überwachung der Mutter des Klägers in der Zeit zwischen dem 2. November 2010 und dem 13. November 2010 keine Pflichtverletzung zur Last. Zwar ist es in dieser Zeit, am 9. November 2010, zu einem Sturz der Mutter des Klägers gekommen, als sie aus ihrem Rollstuhl aufstehen wollte. Die Beklagte war ohne betreuungsgerichtliche Genehmigung jedoch nicht zu einer Fixierung der Mutter des Klägers im Rollstuhl berechtigt. Dass Veranlassung bestand, sie vorübergehend auch ohne gerichtliche Genehmigung im Rollstuhl zu fixieren (§ 34 StGB, rechtfertigender Notstand), ist nicht dargetan und nicht ersichtlich. Frühere Stürze bei dem Versuch, aus dem Rollstuhl aufzustehen, sind nicht dokumentiert. Es ist auch nicht vorgetragen, dass die Mutter des Klägers einen Drang zeigte, sich aus dem Rollstuhl zu erheben. Eine lückenlose Beaufsichtigung der Heimbewohner geht zudem über das der Beklagten Zumutbare hinaus.
37
Liegt eine Pflichtverletzung der Beklagten nicht vor, kann die haftungsausfüllende Kausalität dahin stehen.
38
Die Berufung des Klägers hat aus den dargelegten Gründen offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.
39
Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 5.691,84 € festzusetzen.