Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 12.02.2014 – 2 U 113/13
Von dem Eigentümer eines Privatanwesens kann grundsätzlich nicht verlangt werden, in kürzeren Intervallen als von etwa zwei Stunden zu prüfen, ob das Streumaterial seine Wirkung verloren hat und ggf. für weitere Streumaßnahmen Sorge zu tragen (Rn. 25).
Die Pflicht des Eigentümers zur ausreichenden Beleuchtung des Zugangs zu seinem Grundstück beginnt anerkanntermaßen als Ausprägung der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht wie diese regelmäßig dann, wenn mit dem Einsetzen des allgemeinen Verkehrs – also grundsätzlich nicht vor 7.00 Uhr morgens – gerechnet werden kann. Dies gilt auch im Verhältnis zu Zeitungszustellern in den frühen Morgenstunden, sofern nicht der Zeitungsverlag und der Eigentümer als sein Kunde diesbezüglich bestimmte Sonderregelungen getroffen haben (Rn. 26).
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 22.2.2013 – 4 O 246/12 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
1
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadensersatz in Höhe von 23.634,11 EUR nebst Zinsen sowie Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 1.532,36 EUR, Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes nebst Zinsen sowie die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für sämtliche zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus einem Unfallereignis vom 20.12.2010 in Anspruch.
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Der 57 Jahre alte Kläger ist Bäcker und betreibt im Rahmen seines Bäckereibetriebes einen sog. „Brot-Bring-Dienst“. Kunde dieses Bringdienstes war der Beklagte, den der Kläger auch am 20.12.2010 morgens gegen 7.00 Uhr belieferte. Zu diesem Zeitpunkt lag Schnee und die Straßen waren sehr glatt. Mit der Wahrnehmung des Räum- und Streudienstes an seinem Hausanwesen hatte der Beklagte an diesem Tag seinen Schwiegersohn, den Zeugen, beauftragt, der früh morgens – und noch vor 7.00 Uhr – einen schmalen Weg über das Grundstück bis zur Haustür räumte und den Schnee, unter dem sich eine Eisschicht befand, beseitigte. Der Kläger nutzte, da der Haupteingang zum Anwesen des Beklagten – wie üblich – abgesperrt war, den Seiteneingang, zu dem man über die Einfahrt des Anwesens gelangt, wobei der Weg über das Grundstück bzw. die Unfallörtlichkeit nicht beleuchtet waren. Hierbei rutschte er in der Einfahrt aus, kam zu Fall und zog sich eine Syndesmosenruptur bei Fibulaschaftfraktur rechts zu. Er unterzog sich in der Zeit vom 20.12.2010 bis 28.12.2010 in der SHG – Klinik in M. einer stationären Behandlung. Ihm wurden eine Unterschenkel- Gehorthese, Medikamente sowie Physiotherapie verordnet. In der Folgezeit war er permanent in ärztlicher Behandlung und musste sich am 6.2.2012 einer erneuten Operation in den Unikliniken in unterziehen. Wegen des Auftretens von Komplikationen musste sich der Kläger einer Notoperation unterziehen und befand sich in der Zeit vom 25.3.2012 bis 8.4.2012 in stationärer Behandlung in den Unikliniken. Seit dem 2.1.2012 beschäftigt er einen neuen Arbeitnehmer. Die Privathaftpflichtversicherung des Beklagten lehnte ihre Einstandspflicht ab.
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Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Beklagte der ihm obliegenden Verkehrssicherungspflicht nachgekommen ist und in diesem Zusammenhang, ob der Zeuge P. nach Beseitigung des Schnees den Weg auch gestreut hatte.
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Der Kläger hat geltend gemacht, dass der Zeuge durch die Beseitigung des Schnees die Gefahrenlage erst geschaffen habe, da der gesamte freigelegte Weg vereist gewesen und nicht gestreut worden sei. Zudem sei der Zeuge gehalten gewesen, die Eisfläche zu beseitigen. Jedenfalls habe der Weg beleuchtet werden müssen. Die ihm in Folge des Unfallereignisses durch Arztbesuche, Verordnungen, Zuzahlungen, Fahrten, Bekleidung, Verdienstausfall und Personal entstandenen Kosten beziffert der Kläger auf 23.634,11 EUR. Ferner verweist er darauf, dass an eine Rückkehr in den Beruf nicht zu denken sei. Ihm sei in Folge der erlittenen Verletzungen, die zu schmerzhaften Behandlungen und mehrfachen Operationen und Krankenhausaufenthalten geführt hätten, ein langes Gehen oder Stehen über eine längere Strecke immer noch nicht möglich, er leide permanent unter Schmerzen, sei auf die Einnahme von Schmerzmitteln angewiesen und in seiner Bewegung eingeschränkt. Sportlichen Aktivitäten (Tanzen, Wandern, Fahrradfahren) könne er nicht mehr nachgehen. Dies rechtfertige ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 EUR. Auch sei nicht absehbar, welche materiellen und immateriellen Schäden ihm noch entstünden.
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Der Beklagte ist dem vollinhaltlich entgegen getreten und hat geltend gemacht, dass der Zeuge die frei geschaufelte Fläche mit Salz abgestreut habe. Zudem hat er die von dem Kläger geltend gemachten Schadenspositionen Verdienstausfall und Personalkosten vorsorglich nach Grund und Höhe bestritten.
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Das Landgericht hat nach informatorischer Anhörung des Klägers und Vernehmung des Zeugen in der mündlichen Verhandlung vom 18.1.2013 durch das angefochtene Urteil, auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen, im Wesentlichen mit der Begründung, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Verletzung der dem Beklagten obliegenden Räum- und Streupflicht nicht erwiesen sei und der Kläger sich auch nicht mit Erfolg darauf stützen könne, dass der Weg nicht beleuchtet gewesen sei.
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Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit dem er sein erstinstanzliches Klageziel weiterverfolgt.
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Der Kläger beantragt,
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unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Saarbrücken vom 22.2.2013 – 4 O 246/12 –
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1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn Schadensersatz in Höhe von 23.634,11 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % -Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 2.6.2012 zu zahlen,
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2. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 % -Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 2.6.2012 zu zahlen, wobei der genaue Betrag in das Ermessen des Gerichts gestellt wird,
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3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm allen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus dem Unfall vom 20.12.2010 auf dem Grundstück des Beklagten in noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist,
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4. den Beklagten zu verurteilen, ihn gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten wegen vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.532,36 EUR, sprich aus einer Honorarforderung in Höhe von brutto 1,3-Geschäftsgebühr gemäß §§ 2, 13, 14 RVG i.V.m. Nr. 2300 VV RVG aus einem Streitwert in Höhe von 43.216,34 EUR, freizustellen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
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Die Berufung des Klägers ist statthaft und im Übrigen zulässig (§§ 511, 517, 519, 520 ZPO). In der Sache hat sie keinen Erfolg. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO noch rechtfertigen die von dem Senat nach § 529 ZPO zu Grunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
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Dem Kläger steht ein Anspruch auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens weder gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 253 Abs. 2 BGB noch nach §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB zu. Denn es kann auf der Grundlage des sich im Berufungsrechtszug darstellenden Sach- und Streitstandes nicht davon ausgegangen werden, dass der Beklagte zum Zeitpunkt des Unfallereignisses die ihm obliegenden Verkehrssicherungspflichten verletzt hat. Der Kläger macht, wie in der Berufungsbegründungschrift nochmals dargelegt, geltend, dass der Beklagte die gebotenen Verkehrssicherungspflichten dadurch verletzt habe, dass er den vom Schnee frei geräumten Weg nicht abgestreut bzw. den Weg nicht beleuchtet hat. Hiermit kann er insgesamt nicht durchdringen.
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Eine Verletzung der Räum- und Streupflicht ist nach den vorliegenden Gegebenheiten nicht zu besorgen. Anerkanntermaßen beruht die winterliche Räum- und Streupflicht auf der Verantwortlichkeit durch Verkehrseröffnung und setzt eine konkrete Gefahrenlage, d.h. eine Gefährdung durch Glättebildung bzw. Schneebelag voraus. Grundvoraussetzung für die Räum- und Streupflicht auf Straßen oder Wegen ist das Vorliegen einer allgemeinen Glätte und nicht nur das Vorhandensein einzelner Glättestellen. Nach allgemeinen Grundsätzen der Beweislastverteilung muss der Verletzte alle Umstände beweisen, aus denen eine Streupflicht erwächst und sich eine schuldhafte Verletzung dieser Pflicht ergibt. Er muss deshalb den Sachverhalt dartun und gegebenenfalls beweisen, aus dem sich ergibt, dass zur Zeit des Unfalls aufgrund der Wetter-, Straßen- oder Wegelage bereits oder noch eine Streupflicht bestand und diese schuldhaft verletzt worden ist (vgl. BGH, Urt. v. 6.12.2012, VI ZR 138/11, NJW 2012, 2727; VersR 1970, 1130; VersR 1985, 243, 245; NZV 2005, 578). Die winterliche Räum- und Streupflicht beruht auf der Verantwortlichkeit durch Verkehrseröffnung und setzt eine konkrete Gefahrenlage, d.h. eine Gefährdung durch Glättebildung bzw. Schneebelag voraus. Grundvoraussetzung für die Räum- und Streupflicht auf Straßen oder Wegen ist das Vorliegen einer allgemeinen Glätte und nicht nur das Vorhandensein einzelner Glättestellen (BGH, aaO, m.w.N.; OLG Jena NZV 2009, 599, m.w.N.; Geigel/ Wellner, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 14 Rz. 147). Ist eine Streupflicht gegeben, richten sich Inhalt und Umfang nach den Umständen des Einzelfalls (BGH, aaO, m.w.N.; BGHZ 112, 74, 75; VersR 1995, 721, 722). Bei öffentlichen Straßen und Gehwegen sind dabei Art und Wichtigkeit des Verkehrswegs ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Die Räum- und Streupflicht besteht also nicht uneingeschränkt. Sie steht vielmehr unter dem Vorbehalt des Zumutbaren, wobei es auch auf die Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen ankommt (BGH, aaO).
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Nach diesen Grundsätzen bestehen Räum- und Streupflichten regelmäßig für die Zeit des normalen Tagesverkehrs, d.h. an Werktagen ab 7.00 Uhr und an Sonn- und Feiertagen ab 9.00 Uhr, wobei bei Auftreten von Glätte im Laufe des Tages dem Streupflichtigen ein angemessener Zeitraum zuzubilligen ist, um die erforderlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Glätte zu treffen (BGH, aaO, m.w.N.; OLG Düsseldorf, ZMR 2001, 106; siehe auch OLG Köln, VersR 1997, 506; OLG Jena, aaO; LG Berlin, Grundeigentum 2010, 272; Lange/Schmidbauer in: jurisPK-BGB, 6. Aufl., § 823, Rz. 155, m.w.N.).
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Gemessen hieran kann eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht – unterstellt, dass tatsächlich eine allgemeine Glättebildung vorgelegen hat und nicht nur einzelne glatte Stellen vorhanden waren, was indes selbst nach der informatorischen Anhörung des Klägers nicht zweifelsfrei feststeht – durch den Beklagten nicht festgestellt werden. Nach den vom Landgericht verfahrens- und im Ergebnis nach Maßgabe der protokollierten Zeugenaussage rechtsbedenkenfrei getroffenen Feststellungen, die von dem Kläger mit der Berufung nicht entscheidungserheblich in Frage gestellt werden, hat der Schwiegersohn des Beklagten, der Zeuge, der an diesem Morgen die Räum- und Streupflicht übernommen hatte, am Unfalltag in der Zeit zwischen 6.00 Uhr und 7.00 Uhr am Anwesen des Beklagten sowohl den Gehweg [Bürgersteig] als auch ein Stück der Einfahrt bis zu dem kleinen Gatter, vor dem der Kläger zu Fall gekommen war, vom Schnee geräumt und abgestreut. Damit ist die dem Beklagten obliegende Verkehrssicherungspflicht erfüllt worden. Denn entgegen der Sicht des Klägers war der Beklagte nicht verpflichtet, der Räum- und Streupflicht zu einem (noch) früheren Zeitpunkt an diesem Morgen nachzukommen. Die Räum- und Streupflicht für ein Privatgrundstück beginnt mit dem Einsetzen des allgemeinen Verkehrs, also grundsätzlich nicht vor 7.00 Uhr morgens. Zu keiner anderen Beurteilung zwingt der Umstand, dass lediglich einzelne Personen – wie hier der Kläger auf Grund der Brotbestellung – vor dem Einsetzen der allgemeinen Streupflicht unterwegs sind. Eine vorbeugende Streupflicht zur Verhinderung von Glättebildung an bestimmten Stellen auch in den Nachtstunden ist nur ausnahmsweise dann erforderlich, wenn mit einem entsprechenden Verkehr gerechnet werden muss. Dazu reicht es anerkanntermaßen nicht aus, dass vereinzelt Personen, insbesondere Zeitungsausträger, vor Einsetzen der allgemeinen Streupflicht unterwegs sind, insbesondere wenn diese sich auf die seit Tagen bestehenden Witterungsverhältnisse einstellen konnten (BGH, WuM 2009, 677; OLG Celle, OLGR 2004, 125; Lange/Schmidbauer, aaO). Nichts anderes gilt, entgegen der Sicht der Berufung, für den mit der Brotlieferung beauftragten Kläger, weil dessen Beauftragung letztlich nicht über das hinausgeht, was einem Zeitungsausträger im Rahmen seiner täglichen Zustellung obliegt. Eine – weitergehende – „Sonderregelung“ besteht folglich ohne besondere Absprache, die vom Kläger nicht behauptet wird, nicht. Da der Kläger, wie er selbst im Rahmen seiner informatorischen Anhörung angegeben hat, um die an den Vortagen herrschenden Witterungsverhältnisse (Schneefall) sowie auch um die an dem betreffenden Tag (Morgen) herrschenden Verhältnisse – nach den Bekundungen des Klägers war es an diesem Tag, wie von ihm auf Grund der vorherigen Auslieferungen festgestellt, sehr glatt gewesen – wusste, war er gehalten, sich darauf einzustellen. Er hätte die Lieferung, worauf an anderer Stelle noch einzugehen sein wird, in Ansehung der Verkehrs- und Witterungsverhältnisse entweder unterlassen oder an anderer Stelle ablegen müssen (siehe hierzu auch LG Mainz, VersR 1994, 1364).
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Der Kläger kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sein plötzlicher Sturz darauf hindeute, dass die Streuung nicht erfolgt sei.Ein Sturz für sich allein begründet keinen Anscheinsbeweis für eine Verletzung der Streupflicht, von der dann wiederum auf eine Kausalität zwischen Streupflicht und Rechtsgutsverletzung geschlossen werden könnte (Geigel/ Wellner, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., § 14, Rz. 147, m.w.N.; Lange/ Schmidbauer, aaO, Rz. 159, m.w.N.; BGH, NZV 2005, 578; OLG Celle, NZV 2001, 78; OLG München, Beschl. v. 24.8.2006, 1 U 3340/06; siehe auch BGH, NJW 2009, 3302 sowie BGH, Beschl. v. 19.12.1991, III ZR 2/91; OLG Koblenz, MDR 2010, 387).
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Auch im Übrigen streitet kein Anscheinsbeweis zu Gunsten des Klägers. Zwar sind bei Glatteisunfällen die Regeln über den Anscheinsbeweis anwendbar, wenn der Verletzte innerhalb der zeitlichen Grenzen der Streupflicht zu Fall gekommen ist. In einem solchen Fall spricht (ähnlich wie bei einem Verstoß gegen konkret gefasste Unfallverhütungsvorschriften) nach dem ersten Anschein eine Vermutung dafür, dass es bei Beachtung der Vorschriften über die Streupflicht nicht zu den Verletzungen gekommen wäre, dass sich also in dem Unfall gerade diejenige Gefahr verwirklicht hat, deren Eintritt die Schutzvorschriften verhindern wollten (BGH, aaO, m.w.N.). Diese Beweiserleichterung kann mithin erst und nur dann Platz greifen, wenn zuvor festgestellt ist, dass die Streupflicht verletzt worden ist bzw. das Unfallereignis in einem Zeitraum stattgefunden hat, währenddessen die Unfallstelle gestreut gewesen sein musste (BGH, aaO; Geigel/ Wellner, aaO, m.w.N.). Für die Bestimmung dieses Rahmens ist indes der Anspruchsteller beweispflichtig. Insoweit gilt der allgemeine Grundsatz, dass er die Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen trägt, aus denen nach den Grundsätzen über die Verkehrssicherungspflicht eine Streupflicht erwächst (BGH, aaO, m.w.N.). Im Streitfall mangelt es bereits daran, dass nach den vom Landgericht in rechtsfehlerfreier Würdigung getroffenen Feststellungen, die mit der Berufung nicht in rechtserheblicher Weise in Zweifel gezogen werden (s.o.), eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nicht vorliegt, weil der Beklagte seiner Streupflicht genügt hat; insoweit ist das Landgericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt, dass der Zeuge den Weg vor dem Gatter ebenfalls abgestreut hatte. Ungeachtet dessen kann zudem nicht festgestellt werden, dass das Unfallereignis in einem Zeitraum stattgefunden hat, in dem die Unfallstelle gestreut gewesen sein musste. Nach dem sich darbietenden Sach- und Streitstand unter Einbeziehung der Anhörung des Klägers sowie der Zeugenvernehmung kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger erst nach Einsetzen der Räum- und Streupflicht am Anwesen des Beklagten eingetroffen ist. Nach den Angaben des Klägers hat sich das Unfallereignis gegen 7.00 Uhr, eventuell kurz nach 7 Uhr, ereignet, nach den Angaben des Zeugen hat er den Kläger so gegen 7.00 Uhr bzw. kurz vor 7.00 Uhr gefunden. Hiernach ist es nicht ausgeschlossen, dass der Kläger bereits vor 7.00 Uhr an der Unfallörtlichkeit eingetroffen und zu Fall gekommen war, so dass der Kläger auch den ihm obliegenden Beweis, dass das Unfallereignis in einem Zeitraum stattgefunden hat, in dem die Unfallstelle bereits gestreut gewesen sein musste, nicht erbracht hat.
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In Ansehung dessen ist, ohne dass es hierauf noch entscheidend ankommt, eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht auch nicht dadurch begründet worden, dass der Zeuge ggf. nicht unmittelbar nach dem Räumen und Streuen die Wirksamkeit seiner Maßnahmen überprüft hat, zumal dem Pflichtigen eine Reaktionszeitspanne und Überprüfungsfrist zuzubilligen ist (vgl. Spindler, aaO, Rz. 335). Hinzu kommt, dass von dem Eigentümer eines Privatanwesens grundsätzlich nicht verlangt werden kann, in kürzeren Intervallen als von etwa zwei Stunden zu prüfen, ob das Streumaterial seine Wirkung verloren hat und ggf. für weitere Streumaßnahmen Sorge zu tragen. Wären mit Rücksicht auf die Glätteverhältnisse derart kurze Prüf- und Streuintervalle erforderlich, müsste man im Übrigen vom Vorliegen einer extremen Wetterlage ausgehen, welche die Streupflicht insbesondere auch angesichts der geringen Verkehrsbedeutung des nur von wenigen Personen frequentierten Zugangs zu dem Haus entfallen lassen würde (vgl. LG Bielefeld, RuS 2005, 261; siehe hierzu auch BGH, VersR 1993, 1106).
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Die nämlichen Erwägungen gelten, soweit der Kläger sich darauf stützt, dass der Beklagte seine Verkehrssicherungspflicht dadurch verletzt hat, dass er nicht für ausreichende Beleuchtung gesorgt hat.Die Pflicht des Eigentümers zur ausreichenden Beleuchtung des Zugangs zu seinem Grundstück beginnt anerkanntermaßen als Ausprägung der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht wie diese regelmäßig dann, wenn mit dem Einsetzen des allgemeinen Verkehrs – also grundsätzlich nicht vor 7.00 Uhr morgens – gerechnet werden kann. Dies gilt auch im Verhältnis zu Zeitungszustellern in den frühen Morgenstunden, sofern nicht der Zeitungsverlag und der Eigentümer als sein Kunde diesbezüglich bestimmte Sonderregelungen getroffen haben (OLG Celle, aaO; Lange/Schmidbauer, aaO, Rz. 155, m.w.N.). Nach Maßgabe dessen sind mangels Bestehens einer Sonderregelung auch insoweit die Voraussetzungen für eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nicht erfüllt, ohne dass es darauf ankommt, ob dem Kläger der sog. Seitenweg von früheren Auslieferungen bekannt war, wie noch in der Klageschrift vorgetragen und im Rahmen der informatorischen Anhörung angegeben, oder ob er diesen, wie erstmals mit der Berufungsbegründung behauptet, zum ersten Mal benutzt hat, was ihn erst recht zu außerordentlicher Vorsicht und ggf. dazu hätte veranlassen müssen, von einer Lieferung abzusehen oder die Ware an anderer Stelle abzulegen (s.o.).
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Dass der Kläger angesichts der erkannten extremen Straßen- und Witterungsverhältnisse („sehr glatt“) bzw. unzureichenden Beleuchtungsverhältnisse die Auslieferung durchgeführt hat, begründet im Übrigen ein derart großes Mitverschulden, dass ein eventuelles Verschuldendes Beklagten demgegenüber vollständig zurücktritt (§ 254 Abs. 1 BGB).
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§ 254 BGB, der keine Einrede begründet, sondern eine von Amts wegen zu berücksichtigende Einwendung ist (BGH, NJW 1991, 166), stellt anerkanntermaßen eine Ausprägung des in § 242 BGB festgelegten Grundsatzes von Treu und Glauben dar. Da die Rechtsordnung eine Selbstgefährdung und Selbstbeschädigung nicht verbietet, geht es im Rahmen von § 254 BGB nicht um eine rechtswidrige Verletzung einer gegenüber einem anderen oder gegenüber der Allgemeinheit bestehenden Rechtspflicht, sondern nur um einen Verstoß gegen Gebote der eigenen Interessenwahrnehmung, der Verletzung einer sich selbst gegenüber bestehenden “Obliegenheit”. Sie beruht auf der Überlegung, dass jemand, der diejenige Sorgfalt außer acht lässt, die nach Lage der Sache erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, auch den Verlust oder die Kürzung seiner Ansprüche hinnehmen muss, weil es im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem unbillig erscheint, dass jemand für den von ihm erlittenen Schaden trotz eigener Mitverantwortung vollen Ersatz fordert (BGH, JZ 1998, 92; Oetker in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl., § 254, Rz. 3, m.z.w.N.; siehe auch Schiemann in: Staudinger, BGB – Neubearbeitung 2005, § 254, Rz. 2, 3, m.z.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kommt es für die im Rahmen der nach § 254 BGB gebotenen Abwägung vorzunehmende Haftungsverteilung entscheidend darauf an, ob das Verhalten des Schädigers oder das des Geschädigten den Schadenseintritt nach den konkreten Umständen in wesentlich höherem Maße wahrscheinlich gemacht hat. In besonderen Fallgestaltungen, nämlich dann, wenn dem Verhalten eines der Beteiligten für die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts überragende Bedeutung zukommt, kann die unter diesen Gesichtspunkten vorzunehmende Abwägung dazu führen, dass dieser Beteiligte allein für den Schaden aufkommen muss.
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Ein Sturz infolge Glatteis begründet selbstredend nicht stets ein – das Verschulden des Schädigers ausschließendes – Mitverschulden des Fußgängers. Vielmehr ist es eine Frage des Einzelfalles, ob dem Geschädigten vorgeworfen werden kann, er habe durch ein Verhalten, das den durch Schnee und Eis herbeigeführten winterlichen Verhältnissen nicht genügend Rechnung getragen habe, zur Schadensentstehung beigetragen (vgl. BGH, NJW-RR 1997, 1109; OLG Stuttgart, Urt. v. 6. Mai 2009, 3 U 239/07; OLG München, Urt. v. 13. März 2008, 1 U 4314/07). Ein Mitverschulden liegt deshalb vor, wenn ein sorgfältiger Mensch Anhaltspunkte für eine Verkehrssicherungspflichtverletzung hätte erkennen und sich auf die Gefahr hätte einstellen können (Rüßmann in: jurisPK-BGB, 6. Aufl., § 254, Rz. 14, m.w.N.; Saarländisches Oberlandesgericht, Urt. v. 20. Juli 2004, 4 U 644/03, OLGR 2004,623).
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So liegt der Fall hier. Der Kläger wusste, dass es an den Vortagen geschneit hatte und dass es an dem betreffenden Morgen – wie von ihm auf Grund der vorherigen Auslieferungen festgestellt – sehr glatt war. Ferner wusste er aus eigener Wahrnehmung um die nach seiner Auffassung unzureichende Beleuchtung des Weges bzw. der Unfallörtlichkeit. Auf diese Umstände und die sich hieraus ergebenden Gefahren muss sich jedoch grundsätzlich jeder Verkehrsteilnehmer selbst einstellen und im eigenen Interesse der Schadensverhütung die Maßnahmen ergreifen, die nach der gegebenen Gefahrenlage geboten sind. Dazu gehört es auch, erkannte, besondere Gefahren nach Möglichkeit zu umgehen. Lässt sich einer solchen Gefahr nicht ausweichen, muss man sich bei verkehrsgerechtem Verhalten die Frage vorlegen, ob es notwendig ist, sich dieser Gefahr auszusetzen, wobei die Chancen, die Gefahr gleichwohl zu meistern (Grad der Beherrschbarkeit), und die Intensität der drohenden Rechtsgutverletzung (Grad der Gefährlichkeit) zu berücksichtigen sind (vgl. OLG Hamm, VersR 1999, 589; Thüringer OLG, Urteil vom 22. Dezember 2010, 4 U 610/10, namentlich bei einem nur sehr geringfügigen Verkehrsbedürfnis).Nach Maßgabe dessen muss der Kläger vor dem Hintergrund seiner eigenen Angaben für seinen Schaden in vollem Umfang selbst eintreten (§ 254 BGB). Auf Grund seiner Anhörung steht fest, dass er von vornherein alle Umstände der Gefahr und der Schadensneigung seines Verhaltens kannte. Er hat wiederholt die extreme Glätte betont, die sich ihm offenkundig darbot. Er hat auch gesehen, dass die Unfallörtlichkeit nicht bzw. nur unzureichend ausgeleuchtet war. Er hätte deshalb die Auslieferung unterlassen, von der Straße aus – ggf. mittels eines Mobiltelefons – auf sich aufmerksam machen oder jedenfalls die Ware am Fußweg ablegen müssen.Der Anteil seiner Mitverursachung lässt in Ansehung der Umstände im Rahmen der nach § 254 Abs. 1 BGB gebotenen Abwägung der Verursachungsbeiträge den (unterstellten) Anteil des Beklagten völlig zurücktreten, da dessen Pflichtverletzung, das versäumte Abstreuen am Morgen des 20.12 2010 sowie die fehlende resp. unzureichende Beleuchtung, aufgrund einer freiwilligen Risikoübernahme des Klägers in den Hintergrund tritt und keine selbständige Bedeutung hat (siehe auch BGH, NJW 1985, 482).
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Nach Maßgabe dessen hat das Rechtsmittel des Klägers keinen Erfolg und ist die Berufung zurückzuweisen. Zu keiner anderen Beurteilung führt das Vorbringen des Klägers in seinem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 7.2.2014. Soweit er dort unter Beifügung eines Schreibens des Zweckverbandes für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung Saar vom 6.2.2104 darauf verweist, dass sich der Unfall deshalb nach 7.00 Uhr ereignet habe, weil der diesbezügliche Notruf um „8:06:46 Uhr“ bei der Rettungsleitstelle eingegangen, der Rettungswagen um „8:15:57 Uhr“ an der Einsatzstelle angekommen und der Rettungswagen um „8:52 Uhr“ im Krankenhaus M. eingetroffen sei, lässt dies weder einen hinreichenden noch gar den zwingenden Schluss zu, dass das Unfallereignis nach 7.00 Uhr stattgefunden hat. Denn wie der vorgelegten Bescheinigung zu entnehmen ist, war Einsatzort die“, also am Firmensitz des Klägers (vgl. Satz 1 der Begründung der Klageschrift) und nicht am Anwesen des Beklagten, was mit den Angaben des Klägers in seiner in erster Instanz durchgeführten informatorischen Anhörung korrespondiert, dass er vom Anwesen des Beklagten in seine Firma gebracht worden sei („sie haben mich zurück in die Firma gefahren“) und er erst danach nach in die Klinik gegangen sei. Der Nachweis, dass sich der Unfall nach 7.00 Uhr ereignet hat, ist von daher insgesamt nicht geführt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.