Widerrufsrecht eines Versicherungsvertrag erlischt nach vollständiger Leistungserbringung

LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 13.11.2013 – 8 O 3800/13

Das Widerrufsrecht aus § 8 Abs. 4 Satz 1 VVG in der Fassung vom 17. Dezember 1990 erlischt in entsprechender Anwendung von § 7 Abs. 2 Satz 3 VerbrKrG bzw. § 2 Abs. 1 Satz 4 HWiG nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung aus dem Versicherungsvertrag (Anschluss BGH Urteil vom 16. Oktober 2013, IV ZR 52/12, BB 2013, 2753).(Rn.27)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 18.650,03 € festgesetzt.

Tatbestand
1

Der Kläger macht gegen den beklagten Lebensversicherungsverein Ansprüche auf Rückabwicklung einer Kapitallebensversicherung geltend.

2

Mit Formular vom 05.11.1990 beantragte der Kläger beim Beklagten den Abschluss einer kapitalbildenden Lebensversicherung. Der Vertrag wurde zum 01.01.1991 wirksam. Dem Versicherungsvertrag liegen die als Anlage B 2 vorgelegten und von der zuständigen Aufsichtsbehörde genehmigten “Allgemeinen Bedingungen für die kapitalbildende Lebensversicherung” (im folgenden: ALB) zugrunde. Der Kläger zahlte die vereinbarten Beiträge von monatlich 102,26 EUR vom 01.01.1991 bis zum 30.04.2007. Nach Kündigung des Vertrages durch den Kläger vom 16.03.2007 zahlte der Beklagte an den Kläger aus dem zum 01.05.2007 abgerechneten Versicherungsvertrag 26.958,87 EUR aus (auf das Abrechnungsschreiben vom 02.05.2007 (Anlage B 3) wird Bezug genommen). Mit Schreiben des Klägervertreters vom 18.04.2013 erklärte dieser für den Kläger den Widerspruch des Versicherungsvertrages und forderte von dem Beklagten die eingezahlten Beiträge samt Zinsen als entgangenen Gewinn in Höhe von 18.650,03 EUR. Zahlungen des Beklagten hierauf sind nicht erfolgt.

3

Der Kläger behauptet, vom Berater der Beklagten vor Abschluss des Vertrages nicht ordnungsgemäß beraten worden zu sein. So sei er insbesondere nicht über Abschlusskosten, laufende Kosten und Kosten im Fall einer vorzeitigen Beendigung des Versicherungsvertrages aufgeklärt worden. Auch sei keine Information zu einem bestehenden Widerspruchsrecht erfolgt. Der Kläger ist der Ansicht, dass ihm mangels ordnungsgemäßer Belehrung über ein gesetzlich zustehendes Widerspruchsrecht nach § 5a Abs. 2 S. 4 bzw. § 8 Abs. 5 VVG a.F. noch 2013 ein Widerrufsrecht zustehe. Das Widerspruchsrecht sei aufgrund der Europarechtswidrigkeit des § 5 a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. nicht ausgeschlossen. § 5a VVG a.F. verstoße überhaupt insgesamt gegen Europarecht. In Folge des wirksam erklärten Widerspruchs seien sämtliche eingezahlten Beiträge zzgl. Zinsen als entgangener Gewinn zurückzuzahlen. Ein Rückabwicklungsanspruch ergebe sich auch wegen Beratungsverschuldens bei Vertragsschluss. Ein dahingehender Anspruch sei nicht verjährt, da die einschlägige dreijährige Regelverjährungsfrist Kenntnis des Gläubigers von den anspruchsbegründenden Voraussetzungen verlange, welche mangels Kenntnis des Widerspruchsrechts nicht gegeben gewesen sei. Hilfsweise habe der Kläger zumindest Anspruch auf Auskunft über die Höhe der verrechneten Abschlusskosten und vorgenommenen Abzüge. Darüber hinaus habe der Kläger Anspruch auf Erstattung seiner außergerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten.

4

Der Kläger beantragt:

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1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 18.650,03 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2013 zu zahlen.

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2. Hilfsweise wird die Beklagte verurteilt, dem Kläger in prüfbarer und – soweit für die Prüfung erforderlich – nachweisbarer Form Auskunft darüber zu erteilen,

7

a) mit welchen Abschlusskosten sie den Zeitwert und welchem Abzug sie den Auszahlungsbetrag des mit dem Kläger abgeschlossenen Kapitalvertrages Nr. 11.45981200 nach dessen Beendigung zum 01.05.2007 belastet hat;

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b) einen weiteren Betrag zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit an den Kläger zu zahlen, wobei der Kläger diesen Betrag nach Erteilung der Auskunft gemäß 2. a) beziffern wird.

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3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen weiteren Betrag in Höhe von 1.393,97 EUR außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

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4. Hilfsweise für den Fall, dass sich das Gericht den unter Punkt 2. der Klageschrift gemachten Ausführungen betreffend der Auslegung des § 5 a VVG a.F. im Lichte des Gemeinschaftsrechts nicht anschließt, die Aussetzung des Verfahrens und die Vorlage folgender Fragen im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 234 EGV vor den Europäischen Gerichtshof zu beschließen:

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a) Verlangen Art. 31 und Anhang II A der Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom 10.11.1992 zur Koordination der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG (3. Lebensversicherung) (ABl. EG L 360 vom 09.12.1992, Seite 1 ff.) bzw. Art. 36 Abs. 1 und Anhang III A der Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 05.11.2002 über Lebensversicherungen (ABl. EG L 345/1 vom 19.12.2002, Seite 1 ff.), dass der Versicherungsnehmer vor Abgabe seiner Willenserklärung die vorgeschriebenen vertraglichen Informationen vom Versicherer erhält?

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Wenn ja: Verstößt eine nationale Regelung, der zufolge die unterlassene Übermittlung der vorvertraglichen Informationen lediglich durch ein Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers sanktioniert wird, gegen die genannten Vorschriften des Unionsrechts und gegen die vom EUGH in der Rechtssache Heininger (Rsc-481/99, Slg.2001, I-9945) aufgestellten Grundsätze sowie gegen den Grundsatz der “wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionierung” (Art. 4 Abs. 3 EUV) und das Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 1 S. 3 EUV, Art. 47 S. 1 EuGRCh), wenn der Versicherungsnehmer einen Monat nach Zahlung der ersten Prämie das Widerrufsrecht verliert, obwohl er niemals die vorgeschriebenen Informationen erhalten hat und insbesondere nicht über sein Widerrufsrecht gem. Art. 31 Anhang III Aa 13 der Richtlinie 92/96 EWG bzw. 36 Abs. 1 und Anhang III Aa 13 der Richtlinie 2002/83/EG belehrt worden ist?

13

Für den Fall, dass die ersten beiden Fragen zu bejahen sind: Muss nach dem Unionsrecht eine nationale Regelung, der zufolge das Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers trotz unterlassener Übermittlung der Informationen und trotz unterlassener Übermittlung der Informationen und trotz unterlassener Belehrung über seine Widerrufsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt, unangewendet bleiben?

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b) Verstößt eine nationale Regelung, der zufolge die unterlassene Übermittlung der vorvertraglichen Informationen lediglich durch ein Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers sanktioniert wird, gegen Art. 31 und Anhang II A der Richtlinie 92/96 EWG des Rates vom 10.11.1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG (3. Lebensversicherung) (ABl. EG L 360 vom 09.12.1992, S. 1 ff.) bzw. Art. 36 Abs. 1 und Anhang III A der Richtlinie 2002/83 EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 05.11.2002 über Lebensversicherungen (ABl. EG L345/1 vom 19.12.2002, S. 1 ff.) und gegen die vom EuGH in der Rechtssache Heininger (Rs. C-481-99, Slg. 2001, I-9945) aufgestellten Grundsätze sowie gegen den Grundsatz der “wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionierung” (Art. 4 Abs. 3 EUV) und das Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 1 S. 3 EUV, Art. 47 S. 1 EuGRCh), wenn der Versicherungsnehmer ein Widerrufsrecht verliert, weil er aufgrund fehlender Widerrufsbelehrung den Vertrag nicht widerrufen, sondern nur gekündigt hat?

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5. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

16

Der Beklagte beantragt:

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Die Klage wird abgewiesen.

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Der Beklagte ist der Ansicht vor, dass § 5a VVG a.F. auf den 1991 in Kraft getretenen Versicherungsvertrag nicht anzuwenden sei. Der Kläger sei außerdem im Antrag wirksam über sein Widerrufsrecht belehrt worden. Ein Widerrufsrecht nach § 8 Abs. 4 VVG a.F. bestehe nicht, da es nicht innerhalb der 10-Tagesfrist ausgeübt worden sei. Etwaige Widerspruchs- oder Widerrufsrechte seien aufgrund des langen Zeitablaufs außerdem verwirkt. Ansprüche des Klägers auf Schadensersatz wegen Falschberatung seien nach § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB unabhängig von einer Kenntnis des Anspruchsberechtigten verjährt. Der Beklagte bestreitet zusätzlich den Vortrag des Klägers zum Ablauf des Beratungsgesprächs. Einen Auskunftsanspruch könne der Kläger mangels weiteren Zahlungsanspruchs nicht geltend machen. Die dem Vertrag zugrunde liegenden “Altbedingungen” seinen wirksam genehmigt und von der Rechtsprechung des BGH zur Unwirksamkeit von bestimmten Klauseln in ALB nicht erfasst. Jedenfalls sei ein etwaiger Nachzahlungsanspruch verjährt. Da § 5a VVG a.F. nicht anwendbar sei, bestehe auch keine Notwendigkeit einer Vorlage des Rechtsstreits an den EuGH.

19

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen. Mit Beschluss vom 18.09.2013 wurde im Einverständnis der Parteien die Entscheidung im schriftlichen Verfahren angeordnet, wobei die Frist zur Einreichung von Schriftsätzen auf den 16.10.2013 bestimmt war.

Entscheidungsgründe

A.

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Die zulässige Klage ist in Haupt- und Hilfsanträgen unbegründet.

21

I. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf vollständige Rückzahlung geleisteter Beiträge (zzgl. Zinsen) zu.

22

1. Der Kläger hat die Versicherungsbeiträge mit Rechtsgrund im Sinne des § 812 BGB geleistet. Die Vertragsgrundlage ist nicht durch den mit Schreiben vom 18.03.2013 erklärten Widerspruch entfallen.

23

Auf § 5 a VVG a.F. kann sich der Kläger in diesem Zusammenhang nicht stützen. § 5a VVG in der ab dem 29.07.1994 gültigen Fassung findet nach Art. 16 § 11 des Dritten Durchführungsgesetzes/EWG zum VAG vom 21.07.1994 (BGBl. 1994 I, S. 1630) keine Anwendung auf Versicherungsverträge, die – wie hier – bis zum 31.12.1994 zu von der Aufsichtsbehörde genehmigten Versicherungsbedingungen geschlossen wurden (BGH Urt. v. 16.10.2013 – IV ZR 52/12, juris). Anwendbar ist vielmehr § 8 VVG in der vom 17.12.1990 bis 28.07.1994 geltenden Fassung. Dessen Abs. 4 lautet:

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“Wird ein Versicherungsvertrag mit einer längeren Laufzeit als ein Jahr abgeschlossen, so kann der Versicherungsnehmer innerhalb einer Frist von zehn Tagen ab Unterzeichnung des Versicherungsantrages seine auf den Vertragsabschluß gerichtete Willenserklärung schriftlich widerrufen. Maßgeblich für die Wahrung der Frist ist der Eingang der schriftlichen Widerrufserklärung bei dem Versicherer. Das Widerrufsrecht besteht nicht, wenn der Versicherungsnehmer Vollkaufmann ist oder wenn der Versicherer auf Wunsch des Versicherungsnehmers sofortigen Versicherungsschutz gewährt. Der Versicherungsnehmer ist über das Widerrufsrecht schriftlich zu belehren.”

25

Der vom Kläger zitierte § 8 Abs. 5 VVG a.F. (“Bei der Lebensversicherung kann der Versicherungsnehmer innerhalb einer Frist von vierzehn Tagen nach Abschluß des Vertrages vom Vertrag zurücktreten. ….”) galt erst ab dem 21.07.1994 (vgl. auch KG r+s 2003, 98).

26

Die zuerst am 16.03.2007 erklärte Kündigung des Versicherungsvertrages schließt einen späteren Widerruf – jedenfalls im Fall einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung über das Widerrufsrecht – nicht aus (BGH Urt. v. 16.10.2013 – IV ZR 52/12, juris TZ. 24).

27

Im Streitfall kann dahinstehen – wobei allerdings viel dafür spricht -, ob die Widerrufsfrist mangels ausreichender Belehrung überhaupt zu laufen begonnen hat und ein Widerrufsrecht deshalb noch fortbesteht. Das Widerrufsrechts des Klägers aus § 8 Abs. 4 S. 1 VVG a.F. ist nämlich in entsprechender Anwendung von § 7 Abs. 2 S. 3 VerbrKrG bzw. § 2 Abs. 1 S. 4 HWiG untergegangen. Danach erlischt ein Widerrufsrecht nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung (BGH Urt. v. 16.10.2013 – IV ZR 52/12, juris TZ. 25 ff.). Das Erlöschen des Widerrufsrechts aus § 8 Abs. 4 S. 1 VVG a.F. nach vollständiger beiderseitiger Leistungserbringung verstößt auch nicht gegen Europarecht (BGH aaO TZ. 29). Hier hatten die Parteien vor Erklärung des Widerrufs ihre beiderseitigen Leistungen vollständig erbracht. Die Kündigung des Vertrages am 16.03.2007 hat die Verpflichtung des Klägers zur Prämienzahlung beendet und den Anspruch auf den Rückkaufswert ausgelöst. Mit anschließender Auszahlung des Rückkaufswertes haben die Parteien den Vertrag einvernehmlich beendet (BGH aaO TZ. 30).

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2. Etwaige Rückerstattungs- bzw. Schadensersatzansprüche wären außerdem verwirkt.

29

a) Ein Recht ist verwirkt, wenn sich ein Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin (Zeitmoment) bei objektiver Beurteilung darauf einrichten durfte und auch eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, und deswegen die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt (Umstandsmoment; BGH ZIP 2001, 670; BGH VersR 1996, 315). Die Verwirkung setzt also voraus, dass der Berechtigte sein Recht über längere Zeit nicht geltend macht und sich der Verpflichtete darauf eingerichtet hat und nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten auch darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde, wobei der Verstoß gegen Treu und Glauben in der illoyalen Verspätung der Rechtsausübung liegt. Eine Verwirkung kommt nur dann in Betracht, wenn eben – abgesehen vom bloßen Zeitablauf – Umstände vorliegen, die für den Schuldner einen Vertrauenstatbestand schaffen und die spätere Geltendmachung des Rechts als treuwidrig erscheinen lassen (st. Rspr. BGH NJW 2008, 1302 m.w.N.). Die Beurteilung, ob ein Anspruch verwirkt ist, hängt in erster Linie von den Umständen des Einzelfalls ab (BGH VersR 1996, 315).

30

b) Gemessen daran ist ohne weiteres von der Verwirkung etwaiger Ansprüche auszugehen, die über die bereits geleistete Zahlung des Rückkaufswerts hinausgehen.

31

Der Kläger hat nach Abschluss des Vertrages zum Jahr 1991 vom 01.01.1991 bis 30.04.2007 seiner Prämienzahlungspflicht genügt. Er hat damit zum Ausdruck gebracht, über 16 Jahre einer wirksamen vertraglichen Absprache nachkommen zu wollen, die in der Gewährung von Versicherungsschutz einerseits und der Zahlung der vereinbarten Prämien andererseits besteht. Neben den vorgenannten 16 Jahren der Vertragsdurchführung ist weiter zu berücksichtigen, dass der Kläger den Widerspruch erst über sechs Jahre nach seiner Kündigung ausgesprochen hat (Zeitmoment). Der Beklagte durfte nach der erklärten Kündigung und der (zunächst widerspruchsfrei gebliebenen) Abrechnung des Versicherungsvertrages umso mehr darauf vertrauen, dass keine darüberhinausgehenden Forderungen aus anderem Rechtsgrund an sie herangetragen würden (Umstandsmoment).

32

In der vorgegebenen Konstellation durfte sich der Beklagte deshalb aufgrund der verstrichenen Zeit und der Abfolge der Vertragsdurchführung bzw. -abwicklung darauf einrichten, dass weitergehende Forderungen an ihn nicht herangetragen würden. Die Voraussetzungen einer Verwirkung weitergehender Ansprüche – gleich ob auf Bereicherungsrecht oder Schadensersatzrecht gestützt – liegen damit vor. Das Klagebegehren der Klägerin ist insoweit rechtsmissbräuchlich (ebenso OLG Köln, Urt. v. 03.02.2012, 20 U 140/11, juris; OLG Celle, Urt. v. 09.02.2012, 8 U 91/11, juris; OLG Celle, Urt. v. 02.02.2012, 8 U 125/11 – juris; LG Köln, Urt. v. 01.06.2011, 26 O 337/10, juris).

33

II. Die Klage ist auch im (1.) Hilfsantrag unbegründet.

34

1. Ein Auskunftsanspruch, der mit der Stufenklage in Ziff. 2a hilfsweise geltend gemacht wird (dazu BGH VersR 2013, 1381 ff.) besteht schon deshalb nicht, weil eventuelle vertragliche Erfüllungsansprüche auf Zahlung einer höheren Rückvergütung jedenfalls verjährt wären (vgl. LG Köln VersR 1994, 296; Benkel/Hirschberg ALB/BUZ 2. Aufl. § 176 VVG a.F. Rn. 37). Die Beklagte hat sich ausdrücklich auch insoweit auf Verjährung berufen (Schriftsatz vom 25.07.2013 S. 6; Gerichtsakte S. 21).

35

Die Verjährung richtet sich nach §§ 11, 12 Abs. 1 S. 1 VVG a.F., da mit dem Anspruch auf eine weitergehende Rückvergütung ein Erfüllungsanspruch aus dem Versicherungsvertrag (§ 4 Abs. 3, 4 ALB, § 176 Abs. 1 VVG a.F.) verfolgt wird (BGH r+s 2010, 364). Nach st. Rspr. des BGH zählt der Rückkaufswert nach Kündigung – der nur eine andere Erscheinungsform des Rechts auf die Versicherungssumme ist – zu den vertraglich versprochenen Leistungen (BGH r+s 2010, 364 m.w.N.). Auch bei den vom Kläger beanspruchten Nachzahlungen geht es damit um einen Anspruch aus dem Versicherungsvertrag. Die für Lebensversicherungsverträge einschlägige fünfjährige Verjährungsfrist nach § 12 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 VVG a.F. begann mit Ende des Jahres, in dem der Versicherungsvertrag von der Beklagten gegenüber dem Kläger abgerechnet wurde (BGH r+s 2010, 364). Dies war im Streitfall Ende des Jahres 2007. Klage wurde erst im Mai 2013 erhoben. Daher ist spätestens zum 31.12.2012 Verjährung eingetreten.

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2. Auch ein Zahlungsanspruch aus etwaigen Beratungsfehlern des Mitarbeiters des Beklagten wäre verjährt.

37

Ein Schadensersatzanspruch wegen einer Aufklärungs- oder Beratungspflichtverletzung entsteht grundsätzlich schon mit dem (unwiderruflichen und vollzogenen) Erwerb der Anlage (BGH VersR 2011, 1152). Dieser zum Erwerb einer Kapitalanlage entwickelte Grundsatz muss in gleicher Weise für den Abschluss einer kapitalbildenden Lebensversicherung gelten, der sich bei wirtschaftlicher Betrachtung als Anlagegeschäft darstellt (vgl. BGH WM 2012, 1577). Hier hat der Kläger vorgetragen, dass für ihn der Abschluss der Lebensversicherung der Altersvorsorge dienen sollte, also der Todesfallschutz in seiner Bedeutung hinter dem Anlagecharakter des Versicherungsvertrages ganz klar zurücktrat.

38

Nach Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 2 EGBGB richtet sich der Beginn der Verjährung für vor dem 01.01.2002 entstandene Forderungen nach altem Recht, also § 198 S. 1 BGB a.F.. Danach beginnt die Verjährung mit der Entstehung des Anspruchs. Dies stellt nur auf die objektive Möglichkeit ab den Anspruch geltend zu machen. Unkenntnis des Gläubigers von der Entstehung seines Anspruchs hindert nicht den Beginn der Verjährung, ohne dass es darauf ankommt, worauf diese Unkenntnis beruht (BGH NJW 1994, 999, 1001). Nach Art. 229 § 6 Abs. 4 S. 1 EGBGB ist somit die – gegenüber § 195 BGB a.F. kürzere – dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB n.F. ab dem 01.01.2002 an zu berechnen. Verjährung ist somit mit Ablauf des 31.12.2004 eingetreten.

39

Lediglich ergänzend sei deshalb ausgeführt, dass der Kläger für die durch den Beklagten bestrittene Umstände des Ablaufs des Beratungsgesprächs – und damit zu den behaupteten Beratungsfehlern – keinen Beweis angeboten hat. Der angebotenen Parteivernehmung war nicht nachzukommen, da die Voraussetzungen der §§ 447, 448 ZPO nicht vorlagen. Ein Einverständnis zur Vernehmung des Klägers hat der Beklagte nicht erklärt. Sein Schweigen hierzu kann nicht als Zustimmung verstanden werden (BAG Urt v 5.7.1990 – 2 AZR 8/90, juris Tz 38). Der für § 448 ZPO erforderliche “Anbeweis” – dass also zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die zu beweisende Tatsache spricht (BGH NJW-RR 1992, 920) – ist ebenso nicht gegeben, da sich beide Parteibehauptungen beweislos gegenüberstehen (LAG Rheinland-Pfalz Urt. v. 15.05.2002 – 10 Sa 69/02, juris Tz. 29).

40

III. Der (zweite) Hilfsantrag (Ziff. 4) ist schon deshalb unbegründet, da er mit § 5a VVG a.F. die Vorlage einer im Streitfall nicht anwendbaren und damit nicht streiterheblichen Norm betrifft (s.o.).

41

IV. Mangels berechtigten Hauptanspruchs hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Ersatz seines Verzugsschadens in Form der vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten.

B.

42

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.

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