AG Uelzen, Urteil vom 01.03.2012 – 13 C 5381/11
Das Verlassen der Unfallstelle schränkt die Möglichkeit des Versicherers ein, Feststellungen zu treffen, die zur Aufklärung des Sachverhaltes oder zur Minderung des Schadens dienlich sein könnten und stellt deshalb selbst bei eindeutiger Haftungslage ein vertragswidriges Verhalten des Versicherungsnehmers dar, welches dem Verschweigen maßgeblicher Umstände durch den Versicherungsnehmer gleichgesetzt werden kann. Dieses Verhalten ist als arglistig einzustufen, wenn dem Versicherungsnehmer bewusst ist, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Schadensregulierung möglicherweise beeinflussen kann. Dabei ist eine Bereicherungsabsicht des Versicherungsnehmers nicht erforderlich. Unfallflucht ist deswegen als arglistig einzustufen, denn sie ist potentiell geeignet, die Aufklärung des Tatbestandes und die Ermittlung des Haftungsumfangs der Versicherung nachteilig zu beeinflussen (Rn. 32).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Auf die Widerklage wird der Kläger verurteilt, an die Beklagte und Widerklägerin 2.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.09.2011 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Beklagte jedoch lediglich gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
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Der Kläger verlangt von der Beklagten Zahlung von Schadensersatz aus einem Vollkaskoversicherungsvertrag, welchen er, der Kläger, bei der Beklagten über sein Fahrzeug, mit dem es am 06.01.2011 zu einem Unfall kam, abgeschlossen hatte.
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Der Kläger fuhr etwas zu schnell in den Kreuzungsbereich der Bundesstraße / Lüneburger Straße in Uelzen ein und rutschte dabei über den Kreuzungsbereich hinaus in Folge Straßenglätte auf den Gehweg und dort gegen einen Stromverteilerkasten.
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Dieser wurde dadurch beschädigt.
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Der Kläger hielt nicht an der Unfallstelle, sondern fuhr die Zeugin pp. zu ihrem Arbeitsplatz und ging dabei davon aus, dass ihn eine Wartepflicht nur treffen würde, wenn ein Personenschaden vorliege. Dies war jedoch nicht der Fall.
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Danach fuhr der Kläger zu seiner Dienststelle.
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Erst später im Verlauf des Tages gegen Abend meldete er den Unfall bei der Polizei.
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Der Kläger macht nun aus seiner Vollkaskoversicherung heraus unter Berücksichtigung der ihn treffenden Selbstbeteiligung in Höhe von 300,00 € – insoweit nimmt er die ursprüngliche Klage zurück – den ihm entstandenen Schaden in Höhe von 1.173,30 € geltend.
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Er trägt vor, er habe nicht vorgehabt, sich der Haftung für den Unfall zu entziehen. Er habe die Zeugin pp. deswegen zu ihrer Arbeitsstelle gefahren, weil es sich um ihren ersten Arbeitstag gehandelt habe und sie nicht habe zu spät kommen sollen.
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Darüber hinaus sei der Unfall von zahlreichen Passanten beobachtet worden, weswegen er, der Kläger, nicht habe davon ausgehen können, dass er unerkannt entkommen könnte.
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Als er dann auf seiner Dienststelle seinem Hauptmann und Kompaniechef pp. von dem Vorfall berichtet habe, habe dieser den Kläger darauf hingewiesen, dass er eigentlich sofort hätte den Unfall polizeilich melden müssen. Daraufhin habe er gegen 8.00 Uhr auf dem Polizeikommissariat in Uelzen angerufen und den Verkehrsunfall gemeldet. Es sei vereinbart worden, dass der Kläger nach Dienstschluss zur Polizeiwache kommen solle. Entsprechend der getroffenen Vereinbarung sei er dann auch nach Dienstschluss zur Polizei gefahren und habe sein Fahrzeug dort zur Schadensfeststellung vorgestellt. Er habe demzufolge auch die erforderlichen Angaben bei der Polizei gemacht.
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Die Beklagte habe den Schaden an dem Stromkasten reguliert, jedoch nicht den an dem Fahrzeug des Klägers entstandenen Vollkaskoschaden.
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Diesen macht der Kläger nunmehr abzüglich der Selbstbeteiligung gegen die Beklagte geltend und beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.173,30 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.08.2011 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Im Wege der Widerklage macht sie einen Anspruch auf Erstattung in Höhe von 2.500,00 € geltend und beantragt insoweit,
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wie erkannt.
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Sie trägt vor, aufgrund der von dem Kläger begangenen Obliegenheitspflichtverletzung sei sie gemäß § 28 Abs. 2 und 3 VVG i. V. m. E.6.1 AKB 2008 leistungsfrei geworden, nachdem der Kläger die ihm obliegende Wartepflicht und die damit einhergehende Aufklärungspflicht dadurch verletzt habe, dass er den Unfallort verlassen habe und somit eine Feststellung seiner Verantwortlichkeit für die entstandenen Schäden verhindert habe.
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Die Beklagte bestreitet, dass der Unfall aufgrund von starker Eis- und Glättebildung auf der Fahrbahn geschehen sei. An dem Stromkasten sei ein Fremdschaden in Höhe von 5.565,08 € entstanden, der unstreitig von der Beklagten reguliert worden sei. Obwohl der Kläger erkannt habe, dass er einen Unfall mit einem erheblichen Schaden verursacht habe, habe er den Unfallort verlassen und damit eine Verkehrsunfallflucht im Sinne von § 142 StGB begangen.
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Aufgrund der Tatsache, dass der Kläger auch vorsätzlich gehandelt habe, komme eine Haftung der Beklagten für den von dem Kläger geltend gemachten Schaden im Rahmen der Vollkaskoversicherung nicht in Betracht. Vielmehr sei der Kläger verpflichtet, den von der Beklagten im Wege der Widerklage geltend gemachten Betrag zu zahlen, nachdem die Widerklägerin den der pp. entstandenen Schaden in Höhe von 5.565,08 € ausgeglichen habe.
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Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze mit ihren Anlagen Bezug genommen.
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Der Kläger beantragt,
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die Widerklage abzuweisen.
24
Es ist Beweis erhoben worden durch Vernehmung der Zeugen pp.und pp. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 16.02.2012 (Bl. 56 ff d. A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unbegründet.
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Die Widerklage ist begründet.
27
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Ersatz aus der von ihm bei der Beklagten abgeschlossenen Vollkaskoversicherung im Hinblick auf den durch den Unfall an seinem Pkw entstandenen Schaden nicht zu.
28
Vielmehr ist dem Kläger eine Obliegenheitspflichtverletzung im Sinne von § 28 VVG vorzuwerfen, die dieser vorsätzlich begangen hat, indem er sich von der Unfallstelle entfernte, ohne vorher alles zur Aufklärung des Schadensereignisses Dienende zu tun.
29
Die im obliegende Wartepflicht hat er nicht eingehalten und nicht dazu beigetragen, dass es der Beklagten ermöglicht wird, die tatsächlichen Umstände des Unfalles, z. B. ob der Kläger infolge Eis- und Straßenglätte gegen den Stromkasten gerutscht ist oder möglicherweise infolge alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit, zu klären. Hierzu hätte er jedoch ausreichend Anlass gehabt.
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Derjenige, der einen Unfall verursacht, weiß, dass ihn eine Wartepflicht trifft und er verpflichtet ist, alles Notwendige zu veranlassen, um zur Aufklärung des Sachverhalts und seiner Beteiligung an dem Unfall beizutragen.
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Diese Pflichtverletzung von Seiten des Klägers ist, wie der beiderseitige Parteivortrag und die durchgeführte Beweisaufnahme ergeben, nicht nur vorsätzlich, sondern auch arglistig im Sinne von § 28 Abs. 3 S. 2 VVG erfolgt, so dass in jedem Fall eine Leistungsfreiheit der Beklagten eingetreten ist.
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Das Verlassen der Unfallstelle schränkt die Möglichkeit des Versicherers ein, Feststellungen zu treffen, die zur Aufklärung des Sachverhaltes oder zur Minderung des Schadens dienlich sein könnten und stellt deshalb selbst bei eindeutiger Haftungslage ein vertragswidriges Verhalten des Versicherungsnehmers dar, welches dem Verschweigen maßgeblicher Umstände durch den Versicherungsnehmer gleichgesetzt werden kann. Dieses Verhalten ist als arglistig einzustufen, wenn dem Versicherungsnehmer bewusst ist, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Schadensregulierung möglicherweise beeinflussen kann. Dabei ist eine Bereicherungsabsicht des Versicherungsnehmers nicht erforderlich. Unfallflucht ist deswegen als arglistig einzustufen, denn sie ist potentiell geeignet, die Aufklärung des Tatbestandes und die Ermittlung des Haftungsumfangs der Versicherung nachteilig zu beeinflussen.
33
Dass dies im vorliegenden Fall gegeben war, ergibt sich aus der durchgeführten Beweisaufnahme, denn es ist angesichts der vernommenen Zeugen nicht davon auszugehen, dass das Vorbringen des Klägers richtig war, wonach er nach Erreichen seiner Dienststelle bei der Bundeswehr morgens um 8.00 Uhr sich bei der Polizei gemeldet haben will, um den Vorfall zu melden.
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Dies ist erst abends um 17.00 Uhr geschehen, zu einem Zeitpunkt, als weder die Polizei noch daraus folgend die Beklagte als die zuständige Vollkaskoversicherung konkrete Feststellungen zu dem tatsächlichen Hergang des Unfallverlaufes und der persönlichen Situation des Klägers im Zeitpunkt des Unfalls treffen konnte.
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Das bedeutet, dass der Kläger nicht nur die Unfallstelle verlassen hat, sondern sich auch erst zu einem Zeitpunkt bei der Polizei gemeldet hat, von dem er davon ausgehen konnte, dass Feststellungen zu seinen Lasten, beispielsweise im Hinblick auf eine Alkoholisierung des Klägers, nicht mehr möglich waren.
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Dieses Verhalten führt zur Leistungsfreiheit der Beklagten und im Rahmen der von ihr erhobenen Widerklage im Hinblick auf die nach oben aufgrund der AKB begrenzten Haftung zur Zahlung eines Betrages von 2.500,00 €, den der Kläger der Beklagten schuldet.
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Demzufolge war der Widerklage stattzugeben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11 und 709 ZPO.