Zum Verlassen der Unfallstelle als vertragswidrigem Verhalten des Versicherungsnehmers

AG Essen, Urteil vom 29.04.2014 – 25 C 46/13

Das Verlassen der Unfallstelle schränkt die Möglichkeit des Versicherers ein, Feststellungen zu treffen, die zur Aufklärung des Sachverhaltes oder zur Minderung des Schadens dienlich sein könnten und stellt deshalb selbst bei eindeutiger Haftungslage ein vertragswidriges Verhalten des Versicherungsnehmers dar, welches dem Verschweigen maßgeblicher Umstände durch den Versicherungsnehmer gleichgesetzt werden muss. Dieses Verhalten ist als arglistig einzustufen, wenn dem Versicherungsnehmer bewusst ist, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Schadensregulierung möglicherweise beeinflussen kann (Rn. 4).

Tenor

I.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 408,02 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 12.04.2013 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

III.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand
1
Tatbestand entbehrlich gem. § 313 a ZPO.

Entscheidungsgründe
2
Die Klägerin hat einen Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung von 408,02 Euro gem. § 426 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 116 Abs. 1 VVG. Für das Gericht steht fest, dass der Beklagte am 17.11.2011 gegen 11:10 Uhr/11:15 Uhr, mit dem bei der Klägerin versicherten Pkw BMW 740 D mit dem amtlichen Kennzeichen …, die R. Straße aus Richtung R. S. kommend in Fahrtrichtung M. straße befuhr. Insofern tragen die Beklagten selbst vor, dass der Beklagte am fraglichen Tag auf der R. Straße gefahren ist, um dort einzukaufen. Wenn die Beklagten vortragen, dass der Beklagte von 10:30 bis 11:30 Uhr einen Gerichtstermin wahrgenommen hat, steht für das Gericht zwar fest, dass er um 10:30 Uhr zusammen mit dem Zeugen … einen Gerichtstermin wahrgenommen hat. Für das Gericht steht hingegen nicht fest, dass dieser Gerichtstermin bis 11:30 Uhr dauerte. Dies konnte der Zeuge … nicht bestätigen. Insofern ist die Zeugenaussage diesbezüglich nicht ergiebig. Der Zeuge … hatte keine Erinnerung mehr an die konkrete Länge des Gerichtstermins. Er konnte lediglich die Dauer des Gerichtstermins auf 30 bis 45 Minuten schätzen. Nach eigenen Angaben der Beklagten war der Beklagte im Anschluss an den Gerichtstermin am Unfallort. Anlässlich dieser Fahrt hatte er auch den BMW benutzt. Insofern kommt für die Fahrt am Unfallort kein anderer Fahrer als der Beklagte selbst in Betracht. Dies wird von Beklagtenseite auch nicht behauptet. Insofern liegt keinerlei substantiierter Vortrag vor. Mithin ist der komplette Geschehensablauf stimmig. Auch wenn der Beklagte, woran das Gericht nach der Vernehmung der Zeugenaussage … keine Zweifel mehr hat, um 10:30 Uhr mit dem Zeugen … den Gerichtstermin wahrgenommen hat, nach dem Gerichtstermin Richtung R. Straße gefahren ist, ist es sowohl vom örtlichen als auch vom zeitlichen Ablauf völlig stimmig, dass er gegen 11:10/11:15 Uhr am Unfallort war. Die Kennzeichen des Fahrzeuges wurden bestätigt von der Zeugin … und vom Zeugen …. Beide haben sich das Autokennzeichen gemerkt und die Zeugin … hat es später schriftlich fixiert, der Zeuge … hat es in seine Hand geschrieben. Für das Gericht steht zudem fest, dass in Höhe der Hausnummer 84 der Beklagte beim Vorbeifahren den Außenspiegel an einem ordnungsgemäß geparkten Pkw Polo, amtliches Kennzeichen … abriss. Es gab einen lauten Knall, der rechte Außenspiegel am Pkw des Beklagten wurde beim Aufprall zusammengeklappt, das Spiegelgehäuse des PKW fiel ca. 1 m auf die Fahrbahn, so dass die nachfolgenden Fahrzeuge im Bogen daran vorbei fuhren. Die unmittelbar hinter dem Beklagten fahrende Zeugin … hat daraufhin gehupt und mit Lichtzeichen versucht, den Beklagten darauf aufmerksam zu machen. Der Beklagte fuhr ca. 10 bis 15 m weiter und hielt dann in einer Parkbucht an. Die Zeugin machte den Beklagten auf den Unfall aufmerksam, woraufhin der Beklage sinngemäß antwortete, dass er sich darum kümmern werde und sich bedankte. Nachdem die Zeugin … weitergefahren ist, ist der Beklagte zugleich wieder aus der Parklücke herausgefahren und hat sich vom Unfallort entfernt. Dieser Unfallhergang wurde glaubhaft von der Zeugin … bekundet. Die Zeugin … legte in der mündlichen Verhandlung vom 05.09.2013 detailliert das Unfallgeschehen dar. Sie konnte sich noch genau an den Ablauf des Unfalls und an das Geschehen nach dem Unfall erinnern. Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage sind nicht gegeben. Des Weiteren bestehen keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin … . Zudem wird das Unfallgeschehen bestätigt durch den Zeugen … . Auch die Zeugenaussage des Zeugen … wird als glaubhaft bewertet. Er konnte genau trennen, was er noch präzise in Erinnerung hatte und was nicht mehr. Zweifel an der Zeugenaussage sind nicht gegeben. Des Weiteren bestehen keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen.

3
Dem Beklagten ist somit eine Obliegenheitsverletzung im Sinne von § 28 VVG vorzuwerfen, die dieser vorsätzlich begangen hat, indem er sich von der Unfallstelle entfernte, ohne vorher alles zur Aufklärung des Schadensereignisses Dienende zu tun. Für das Gericht steht fest, dass der Beklagte vom Unfall Kenntnis hatte, nachdem die Zeugin … den Beklagten ausdrücklich auf das Unfallgeschehen aufmerksam gemacht hat und dieser auch diesbezüglich geantwortet hat. Derjenige, der einen Unfall verursacht hat, weiß, dass ihn eine Wartepflicht trifft und er verpflichtet ist, alles Notwendige zu veranlassen, um zur Aufklärung des Sachverhaltes und seiner Beteiligung an dem Unfall beizutragen. Diese Pflichtverletzung von Seiten des Beklagten ist nicht nur vorsätzlich, sondern auch arglistig im Sinne von § 28 Abs. 3, Satz 2 VVG erfolgt, so dass in jedem Fall eine Leistungsfreiheit der Klägerin eingetreten ist.

4
Das Verlassen der Unfallstelle schränkt die Möglichkeit des Versicherers ein, Feststellungen zu treffen, die zur Aufklärung des Sachverhaltes oder zur Minderung des Schadens dienlich sein könnten und stellt deshalb selbst bei eindeutiger Haftungslage ein vertragswidriges Verhalten des Versicherungsnehmers dar, welches dem Verschweigen maßgeblicher Umstände durch den Versicherungsnehmer gleichgesetzt werden muss. Dieses Verhalten ist als arglistig einzustufen, wenn dem Versicherungsnehmer bewusst ist, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Schadensregulierung möglicherweise beeinflussen kann. Dabei ist eine Bereicherungsabsicht des Versicherungsnehmers nicht erforderlich. Die Unfallflucht ist deswegen als arglistig einzustufen, denn sie ist potentiell geeignet, die Aufklärung des Tatbestandes und die Ermittlung des Haftungsumfanges der Versicherung nachteilig zu beeinflussen. Dies gilt im vorliegenden Fall um so mehr, als der Beklagte von der Zeugin ausdrücklich auf das Unfallgeschehen aufmerksam gemacht wurde, dieser bei der Zeugin erst den Eindruck erweckte, er werde sich um die Abwicklung des Unfalls kümmern und dann, ohne weitere Maßnahmen zu ergreifen, den Unfallort verließ. Insofern hat die Klägerin Anspruch gegen den Beklagten auf Erstattung der unstreitig entstandenen und ausgeglichenen Aufwendungen des Geschädigten in Höhe von 408,02 Euro (Reparaturkosten netto in Höhe von 277,62 Euro, Unkostenpauschale in Höhe von 20,00 Euro, Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 46,41 Euro, Unkosten für Akteneinsicht in Höhe von 64,00 Euro).

5
Die Zinsforderung folgt aus § 288 Abs. 1, 291 ZPO.

6
Das Schreiben der Kläger vom 22.11.2012 war noch nicht vollzugsbegründend.

7
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2, Ziffer 1 ZPO.

8
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht aufgrund der §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

9
Der Streitwert wird festgesetzt auf 408,02 Euro.

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