Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 05.04.2012 – 13 Sa 1360/11
1. Ein schriftlich (§ 14 Abs. 4 i. V. m. § 21 TzBfG) vereinbartes, auflösend bedingtes Prozessbeschäftigungsverhältnis bedarf eines Sachgrundes (§ 14 Abs. 1 TzBfG i. V. m. § 21 TzBfG).
2. Ein Sachgrund nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 TzBfG liegt nicht vor, wenn es sich um einen außergerichtlich vereinbartes Prozessbeschäftigungsverhältnis handelt.
3. Ein Sachgrund nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 TzBfG scheidet für ein außergerichtlich vereinbartes Prozessbeschäftigungsverhältnis im Hinblick auf die Kündigungsschutzklage aus.
4. Die auflösend bedingte Prozessbeschäftigung ist jedoch durch einen sonstigen nicht genannten Sachgrund gerechtfertigt. Denn der damit verfolgte Zweck, das Annahmeverzugsrisiko des Arbeitgebers abzuwenden, hat in den Anrechnungsvorschriften der §§ 615 Satz 2 BGB, 11 KSchG seine rechtliche Anerkennung gefunden und ist den Sachgründen nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 8 TzBfG von ihrem Gewicht her gleichwertig.
(Leitsatz des Gerichts)
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 14.10.2011 – 5 Ca 4550/11 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
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Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis auf Grund einer Befristung im Rahmen eines Prozessbeschäftigungsverhältnisses geendet hat.
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Der Kläger war seit dem 25.04.1995 bei der Beklagten/Rechtsvorgängerin als Sicherheitskraft im Regionalbereich West, in dem die Beklagte ca. 370 Mitarbeiter von insgesamt ca. 2.500 Mitarbeitern beschäftigt, zu einem Bruttomonatsgehalt von circa. 2.200,00 € tätig. Er ist schwerbehindert mit einem anerkannten Grad der Behinderung von 50.
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Die Beklagte kündigte dem Kläger krankheitsbedingt mit Schreiben vom 06.05.2009 zum 31.10.2009. Die Kündigungsschutzklage des Klägers wurde vom Arbeitsgericht durch Urteil vom 27.04.2011 – 9 Ca 4535/09 – abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist vor dem Landesarbeitsgericht Köln – 8 Sa 564/11 – anhängig.
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Die Parteien schlossen am 23.10.2009 folgende Vereinbarung:
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“wird vor dem Hintergrund des noch fortdauernden Rechtsstreits (Arbeitsgericht Köln, Aktenzeichen 9 Ca 4535/09) über Wirksamkeit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom 06.05.2009 Folgendes vereinbart:
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Die D GmbH hält an ihrer Rechtsauffassung fest, wonach das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer durch die oben bezeichnete Kündigung mit Ablauf des 31.10.2009 wirksam sein Ende gefunden hat.
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Ausschließlich mit der Zielsetzung, das bestehende Annahmeverzugsrisikos abzuwenden, wird zwischen den Parteien eine Prozessbeschäftigung zu folgenden Konditionen vereinbart:
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- Der Arbeitnehmer erbringt aufgrund dieser besonderen Vereinbarung über ein auflösend bedingtes Arbeitsverhältnis – bis auf Weiteres – seine Arbeitsleistung bei der D GmbH. Es gelten insoweit die bisherigen arbeitsvertraglichen und tariflichen Bedingungen.
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- Auflösende Bedingung für dieses Arbeitsverhältnis ist ein rechtskräftiges, die Kündigungsschutzklage abweisendes, 1.instanzliches Urteil bzw. im Falle einer Berufungsinstanz der Zugang der arbeitgeberseitigen Mitteilung über die Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes, dass die Kündigung rechtmäßig war.
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- Sofern rechtskräftig festgestellt ist, dass die Kündigung der (Unternehmen) das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat, besteht das ursprüngliche Arbeitsverhältnis fort.
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- Der Arbeitnehmer erklärt ausdrücklich, dass er diese Vereinbarung insbesondere auch im Hinblick auf die Beendigungswirkung des Prozessarbeitsverhältnisses verstanden hat”.
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(Anlage 1 B. 5 d. A.)
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Auf Grund dieser Vereinbarung wird der Kläger über den 31.10.2009 hinaus weiter beschäftigt.
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Mit seiner am 15.06.2011 beim Arbeitsgericht eingegangen Klage hat der Kläger beantragt,
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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auf Grund der Befristung vom 23.10.2009 nicht durch ein rechtskräftiges, die Kündigungsschutzklage abweisendes, erstinstanzliches Urteil bzw. im Falle einer Berufungsinstanz den Zugang der arbeitgeberseitigen Mitteilung über die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, dass die Kündigung rechtmäßig war, endet.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf das Urteil (Bl. 19 bis 22 d. A.) wird verwiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers, der weiter der Auffassung ist, die Befristung sei ohne Sachgrund erfolgt und daher unwirksam. Es könne dahinstehen, ob es sich dabei um eine auflösende Bedingung oder Zweckbefristung handele, da in beiden Fällen ein Sachgrund erforderlich sei. Die Berufung auf die Unwirksamkeit der Befristung sei auch nicht treuwidrig.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil abzuändern und nach seinem erstinstanzlichen Schlussantrag zu erkennen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Zurückweisung der Berufung.
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Sie ist der Auffassung, die Parteien hätten einen wirksamen zweckbefristeten Arbeitsvertrag abgeschlossen, der darauf gerichtet sei, die Beschäftigung bis zur endgültigen Klärung, ob und gegebenenfalls zu welchem Zeitpunkt die Kündigung wirksam geworden ist, fortzusetzen. Diese Vereinbarung bedürfe keines Sachgrundes im Sinne des TzBfG. Ungeachtet dessen liege auch ein Sachgrund vor. Bei der krankheitsbedingt begründeten Kündigung bestehe eine hohe Ungewissheit darüber, ob sich die Kündigung als rechtswirksam erweise, weil der Arbeitgeber die Kündigungsentscheidung lediglich auf der Grundlage von Erfahrungen der Vergangenheit stütze, aber wegen fehlender Kenntnisse über die Ursachen nicht sicher sagen könne, ob sich die Fehlzeiten wegen Erkrankung auch in Zukunft so fortsetzen würden. Er habe daher ein Interesse daran, im Falle der Kündigungsschutzklage die Zeit der Ungewissheit durch Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu bisherigen Konditionen zu überdauern. Damit minimiere er sein Verzugslohnrisiko, was schon einen ausreichenden Sachgrund darstelle. Er behalte den Arbeitnehmer zudem in betriebliche Abläufe integriert und hätte somit im Falle der erfolgreichen Kündigungsschutzklage keine Einarbeitungsphasen. Im Sinne einer auch nachvertraglichen Fürsorgepflicht sorge er durch diese Konstellation auch dafür, dass der Arbeitnehmer ein volles Einkommen verdienen könne und somit nicht auf den Bezug von Arbeitslosengeld angewiesen sei. Auch verbesserten sich die Arbeitsmarktchancen des Arbeitnehmers erheblich.
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Vorsorglich erklärt die Beklagte die Anfechtung des als Prozessarbeitsverhältnis gewollten Vertrages für den Fall, dass sich rechtskräftig die Auffassung des Klägers als zutreffend erweisen sollte.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, die Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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I. Die Berufung ist zulässig, in der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Entfristungsklage zu Recht abgewiesen. Das zwischen den Parteien auf Grund der Vereinbarung vom 23.10.2009 bestehende Prozessbeschäftigungsverhältnis endet im Falle eines rechtskräftigen, die Kündigungsschutzklage des Klägers gegen die Kündigung der Beklagten vom 06.05.2009 abweisenden erstinstanzlichen Urteils im Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht Köln – 8 Sa 564/11 – bzw. mit Zugang der arbeitgeberseitigen Mitteilung über die Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes, dass die Kündigung rechtmäßig war.
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1. Der Prozessbeschäftigungsvertrag der Parteien vom 23.10.2009 enthält eine auflösende Bedingung.
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a. Durch die Weiterbeschäftigungsvereinbarung schaffen die Arbeitsvertragsparteien für die Beschäftigung des Arbeitnehmers nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zur Entscheidung über die Kündigungsschutzklage eine arbeitsvertragliche Grundlage, weil sie in der Zeit keine Gewissheit darüber haben, ob zwischen ihnen noch ein Arbeitsverhältnis mit den daraus resultierenden Arbeits- und Beschäftigungspflichten besteht (vgl. BAG 22.10.2003 – 7 AZR 113/03). Hat die Vereinbarung die Beschäftigung des Arbeitnehmers bis zum – erstinstanzlichen oder rechtskräftigen – Abschluss des Kündigungsschutzprozesses zum Gegenstand, handelt es sich um eine Zweckbefristung. Denn bei Vertragsschluss ist aus Sicht der Parteien die Entscheidung über die Kündigungsschutzklage ein zukünftiges Ereignis, dessen Eintritt feststeht, lediglich der Zeitpunkt des Eintritts ist ungewiss. Wenn aber eine Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Abweisung der Kündigungsschutzklage vereinbart wird, handelt es sich um eine auflösende Bedingung, da bereits ungewiss ist, ob das zukünftige Ereignis, dass zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen soll, überhaupt eintreten wird (BAG 22.10.2003 – 7 AZR 113/03; 19.01.2005 – 7 AZR 113/04).
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b. Bei der zwischen den Parteien zustande gekommene arbeitsvertragliche Vereinbarung über die Weiterbeschäftigung des Klägers bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Wirksamkeit der am 06.05.2009 ausgesprochenen Kündigung handelt es sich danach um eine auflösende Bedingung, da eine vertragliche Vereinbarung über die befristete Beschäftigung des Klägers bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die anhängige Kündigungsschutzklage getroffen worden ist.
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2. Nach § 21 TzBfG gelten für auflösend bedingte Arbeitsverträge die Vorschriften der §§ 14 Abs. 1 und 4,17 TzBfG entsprechend. Die Befristung ist im Streitfall schriftlich vereinbart und entspricht somit dem Schriftformgebot nach § 14 Abs. 4 TzBfG (vgl. dazu BAG 22.10.2003 – 7 AZR 113/03). Der Kläger hat mit seiner am 15.06.2011 beim Arbeitsgericht Köln eingegangenen Klage auch die Klagefrist gemäß § 17 TzBfG gewahrt, da der Kündigungsschutzstreit noch beim Landesarbeitsgericht Köln anhängig ist.
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3. Die auflösend bedingte Prozessbeschäftigung bedarf nach § 14 Abs. 1 TzBfG eines Sachgrundes (anderer Auffassung: KR/Fischermeier 9. Aufl. § 625 BGB Rn 34; LAG Köln 30.05.2011 – 2 Sa 209/11). Die in § 14 Abs. 1 Nr. 1 bis 8 TzBfG genannten Sachgründe greifen nicht ein.
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a. Ein Sachgrund nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 TzBfG, der vorliegt, wenn die Befristung auf einem gerichtlichen Vergleich beruht, greift nicht ein. Denn die Parteien haben sich über die Prozessbeschäftigung außergerichtlich geeinigt. Dabei handelt es sich um keinen Prozessvergleich im Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Das Bundesarbeitsgericht hat zwar in früherer ständiger Rechtsprechung angenommen, in einem außergerichtlichen Vergleich könne ein sachlicher Befristungsgrund liegen (vgl. etwa BAG 22.02.1984 – 7 AZR 435/82). In mehreren nachfolgenden Entscheidungen hat das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich offen gelassen, ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist (BAG 19.01.2005 – 7 AZR 115/04; 22.10.2003 – 7 AZR 666/02). Bereits aus dem Wortlaut der gesetzlichen Neuregelung über den gerichtlichen Vergleich als Sachgrund nach Nr. 8 ergibt sich, dass der außergerichtliche Vergleich nicht darunter fällt. Aus der die Gesetzesbegründung zu § 14 Abs. 1 Nr. 8 (BT-Druck S 14/4374,19) geht hervor, dass die Mitwirkung des Gerichts ausreichende Gewähr für die Wahrung der Schutzinteressen des Arbeitnehmers bietet (vgl. dazu APS/Backhaus 3. Aufl. § 14 TzBfG Rn. 327). Eine dem Arbeitsgericht vergleichbare Kontrollinstitution fehlt beim außergerichtlichen Vergleich. Dieser verdient als privater Vertrag nach § 779 BGB keine andere Bewertung als jeder andere Vertrag zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, in dem eine Befristung vereinbart ist, und kann daher nicht als selbständiger Sachgrund angesehen werden (Sievers TzBfG 3. Aufl. § 14 Rn 340 m.w.N.).
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b. Ein Sachgrund nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 TzBfG, wonach ein rechtfertigender Grund vorliegt, wenn in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe die Befristung rechtfertigen, scheidet hier ebenfalls aus. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Wunsch des Arbeitnehmers die Befristung eines Arbeitsverhältnisses rechtfertigen (vgl. etwa BAG 19.01.2005 – 7 AZR 115/04). Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Interesse des Arbeitnehmers gerade auf die befristete Beschäftigung gerichtet sein muss. Das heißt, wenn ihm ein unbefristetes Arbeitsverhältnis angeboten worden wäre, hätte er dieses Angebot ausgeschlagen und nur ein befristetes Arbeitsverhältnis vereinbart (BAG 19.01.2005 – 7 AZR 115/04). Davon ist hier aber im Hinblick auf die Kündigungsschutzklage des Klägers nicht auszugehen. Im Übrigen haben die Parteien als Zielsetzung der Vereinbarung lediglich die Abwendung des bestehenden Annahmeverzugsrisikos der Beklagten aufgenommen.
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4. Die auflösend bedingte Prozessbeschäftigung ist aber durch einen sonstigen nicht genannten Sachgrund gerechtfertigt.
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a. Die Aufzählung der Sachgründe in § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 8 TzBfG ist – wie sich aus dem Wort “insbesondere” ergibt – nicht abschließend. Dadurch werden weder andere von der Rechtsprechung vor Inkrafttreten des Teilzeitbefristungsgesetzes anerkannte, noch weitere Sachgründe für die Befristung bzw. auflösende Bedingung ausgeschlossen. Die Bedenken von Lipke (KR/Lipke a.a.O. § 14 TzBfG Rn 348), wonach die Zulassung sonstiger, in § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 8 TzBfG nicht genannter Sachgründe, nur schwer mit den europarechtlichen Vorgaben (Richtlinie 1999/70/ EG) zu vereinbaren ist, hat das Bundesarbeitsgericht (vgl. dazu BAG 02.06.2010 – 7 AZR 136/09; 09.12.2009 – 7 AZR 399/08 – m.w.N.) zu Recht nicht geteilt. § 5 der Rahmenvereinbarung verlangt von den Mitgliedsstaaten nur mindestens eine der aufgezählten Maßnahmen zu ergreifen und benennt dazu u.a. “sachliche Gründe”. Die Richtlinie verlangt indes nicht, die Sachgründe näher zu definieren (APS/Backhaus a.a.O § 14 TzBfG Rn 80).
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b. Allerdings können sonstige, in § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 8 TzBfG nicht genannte Sachgründe die Befristung eines Arbeitsvertrages nur rechtfertigen, wenn sie den in § 14 Abs. 1 TzBfG zum Ausdruck kommenden Wertungsmaßstäben entsprechen und denen im Sachgrundkatalog des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 8 TzBfG genannten Sachgründen von ihrem Gewicht her gleichwertig sind (BAG 02.06.2010 – 7 AZR 136/09; 09.12.2009 – 7 AZR 399/08 – m.w.N.).
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c. Dies wird man immer dann annehmen können, wenn Interessen der Arbeitgeberseite und/oder der Arbeitnehmerseite eine rechtliche Anknüpfung erfahren haben, also von der Rechtsordnung anerkannt werden. Ein solches rechtlich anerkanntes Interesse findet sich gerade bei der Prozessbeschäftigung. Denn diese findet ihre rechtliche Anerkennung in den Anrechnungsvorschriften der § 615 Satz 2 BGB und § 11 KSchG. Mit den Anrechnungsvorschriften soll verhindert werden, dass der Arbeitnehmer durch eine unwirksame Kündigung vermögensmäßig besser oder schlechter gestellt wird als beim tatsächlichen Vollzug des Arbeitsverhältnisses. Auf der anderen Seite hält der Gesetzgeber auch im Interesse des Arbeitgebers den Arbeitnehmer für verpflichtet, im Rahmen des zumutbaren eine Arbeit während des Verzugszeitraums anzunehmen, ohne dass damit allerdings der Arbeitnehmer gezwungen ist, sich von seinem alten Arbeitsverhältnis zu verabschieden. Die Regelungen zum Annahmeverzug einschließlich der Anrechnungsvorschriften sind folglich bestrebt, einen Interessenausgleich zwischen dem gekündigten Arbeitnehmer und dem kündigenden Arbeitgeber herzustellen. Diesen Interessen trägt die Prozessbeschäftigung während des laufenden Kündigungsschutzprozesses Rechnung (im Anschluss an: Ricken, Annahmeverzug und Prozessbeschäftigung während des Kündigungsrechtsstreits NZA 2005, 323 ff. (330); so auch Sievers a.a.O. Rn 489; anderer Auffassung: ErfK/Müller-Glöge § 14 TzBfG Rn 76).
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d. Die zwischen den Parteien vereinbarte Prozessbeschäftigung mit der auflösenden Bedingung einer rechtskräftigen Abweisung der Kündigungsschutzklage wird den Anforderungen an einen sonstigen in § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 8 TzBfG nicht genannten Sachgrund gerecht. Bei der darin ausdrücklich formulierten Zielsetzung, das Annahmeverzugsrisiko des Arbeitgebers abzuwenden, handelt es sich um ein rechtlich geschütztes Interesse. Darüber hinaus trägt die Prozessbeschäftigung auch den Interessen des Arbeitnehmers Rechnung, der mit der Kündigungsschutzklage den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses begehrt. Denn auf Grund der Prozessbeschäftigung wird er auch nach Ablauf der Kündigungsfrist weiter beschäftigt. Damit erhält der Arbeitnehmer seine berufliche Qualifikation, was sowohl der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dient als auch, im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessert.
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5. Die von der Beklagten vorsorglich erklärte Anfechtung der Vereinbarung vom 23.10.2009 ist wegen der Wirksamkeit des Prozessbeschäftigungsverhältnisses gegenstandslos. Im Übrigen wäre die erstmals in der Berufung mit Schriftsatz vom 03.02.2012 erklärte Anfechtung nicht unverzüglich im Sinne des § 121 Abs. 1 BGB und daher ausgeschlossen.
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II. Der Kläger hat die Kosten der erfolglosen Berufung zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
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III. Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.