OLG Schleswig-Holtein, Urteil vom 17.04.2018 – 11 U 121/17
1. Nur relative Rechte unterliegen der Verwirkung, nicht auch absolute Rechte.
2. Ein „Stammrecht“ ist eine grundsätzlich bestehende Rechtsposition, der konkrete einzelne Ansprüche entspringen können. Es kann sich dabei sowohl um ein absolutes, also jedermann gegenüber bestehendes Recht (z.B. Eigentum), als auch um ein relatives, also nur bestimmten Personen gegenüber bestehendes Recht (z. B. Unterhaltsrecht) handeln. Ist ein „Stammrecht“ ein relatives Recht, so unterliegt es deshalb der Verwirkung.
3. Bei der Verwirkung stehen Zeitmoment und Umstandsmoment in gegenseitiger Abhängigkeit. Je kürzer der Zeitraum ist, umso gravierender müssen die Umstände erscheinen, die das Vertrauen des Schuldners rechtfertigen können; umgekehrt kommt, je länger der verstrichene Zeitraum ist, desto geringere Bedeutung den Umständen zu, aus denen sich das Vertrauen ergibt.
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 25.08.2017 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I.
1
Der Kläger verlangt von dem Beklagten die Rückabwicklung eines Grundstücksüberlassungsvertrags, hilfsweise eine Geldrente.
2
Im Jahr 1997 übertrug der damals 60jährige Kläger sein in S. belegenes Hausgrundstück auf den damals 38jährigen Beklagten. In dem notariellen Vertrag war vereinbart, dass der Kläger, so lange er lebe, in einem Teil des Hauses wohnen bleiben dürfe und von dem Beklagten außerdem eine monatliche Leibrente bekomme. Zudem sollte der Beklagte dem Kläger im Haushalt helfen.
3
In den Jahren danach erfüllte der Beklagte, der in dem anderen Teil des Hauses wohnt, alle Verpflichtungen aus dem Vertrag bis auf die Hilfe im Haushalt. Der Kläger verlangte diese Hilfe nicht; entsprechende Angebote des Beklagten in den ersten Jahren lehnte er im Gegenteil ausdrücklich ab. Nachdem allerdings zwischen den Parteien im Oktober 1999 Streit entstanden war, weigerte sich der Beklagte ausdrücklich, dem Kläger im Haushalt zu helfen. Mit einer im Jahr 2000 erhobenen Klage (Az … LG Lübeck, … OLG Schleswig) beantragte der Kläger, den Beklagten zu verurteilen, ihm wegen der unterlassenen Hilfe im Haushalt monatlich Geld zu zahlen. Diese Klage wurde mit der Begründung abgewiesen, dass es dem Kläger nach wie vor zuzumuten sei, dass der Beklagte ihm im Haushalt helfe. Das Urteil, das auch zukünftige Zahlungen betraf, erwuchs in Rechtskraft.
4
Erstmals im Jahr 2012 forderte der Kläger die Hilfe im Haushalt von dem Beklagten ein. Nachdem er diesem im Jahr 2015 fruchtlos eine entsprechende Frist gesetzt hatte, trat er von dem Vertrag über die Überlassung des Grundstücks zurück. Im vorliegenden Verfahren verlangt er von dem Beklagten die Rückabwicklung des Überlassungsvertrages, hilfsweise – wie bereits in dem Verfahren aus dem Jahr 2000 – die Zahlung einer Geldrente an Stelle der Hilfe im Haushalt für die Zeit ab Ablauf der gesetzten Frist.
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Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts und des weiteren erstinstanzlichen Vortrags der Parteien wird auf das Urteil des Landgerichts Bezug genommen.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat gemeint, der Kläger habe seinen vertraglichen Anspruch auf Hilfe im Haushalt verwirkt, weil er diesen Anspruch viele Jahre lang – bis zum Jahr 2012 – nicht geltend gemacht habe. In dieser langen Zeit habe sich der Beklagte – auch wegen der Zerrüttung des Verhältnisses zwischen den Parteien – darauf einrichten dürfen, dass der Kläger den Anspruch nicht mehr geltend mache.
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Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er meint, er könne seinen Anspruch auf die Hilfe schon deshalb nicht verwirkt haben, weil dieser Anspruch mangels eigenen Abrufens der Hilfe nicht fällig sei; es sei ihm nämlich unbenommen gewesen, sich selbst zu helfen, so lange das gehe. Wegen der Streitigkeiten habe der Beklagte gerade davon ausgehen müssen, dass er – der Kläger – seinen Anspruch auf die versprochene Hilfe auch durchsetzen werde.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, folgende Willenserklärung abzugeben:
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a) Ich bin mir mit dem Kläger darüber einig, dass das Eigentum am Grundstück Hof- und Gebäudefläche, in S. eingetragen im Grundbuch … Blatt 1720 auf den Kläger übergeht;
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b) Ich bewillige hiermit die Eintragung des Klägers als Eigentümer des oben bezeichneten Grundstücks in das Grundbuch.
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sowie hilfsweise:
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den Beklagten zu verurteilen, an ihn 6.900,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
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den Beklagten weiter zu verurteilen, beginnend ab Juni 2017 jeweils fällig im Voraus bis zum 3. eines Monats, monatlich 300,00 € zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt das angefochtene Urteil.
II.
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Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.Die Bestätigung des angefochtenen Urteils wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO kurz begründet:
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Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Rückabwicklung des Überlassungsvertrages (1.) noch auf Zahlung wegen der unterlassenen Hilfe im Haushalt (2.).
1.
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Dem Kläger steht kein Anspruch auf Rückabwicklung des Überlassungsvertrages zu.
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a. Der Anspruch auf Rückabwicklung ergibt sich nicht aus §§ 527, 530 BGB, denn es liegt keine Schenkung (unter Auflage) vor. Dies hat das Landgericht in dem angefochtenen Urteil zutreffend festgestellt. Auf die dortigen Ausführungen (S. 5/6 des Urteils) kann verwiesen werden.
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b. Der Anspruch ergibt sich auch nicht aus §§ 346, 323 Abs. 1 BGB. Nach § 323 Abs. 1 BGB kann der Gläubiger von einem gegenseitigen Vertrag zurücktreten, wenn der Schuldner seine Leistung nicht erbringt. Das setzt allerdings voraus, dass dem Gläubiger im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung ein wirksamer Anspruch auf die Leistung zusteht, dieser also nicht zuvor durch eine rechtsvernichtende Einwendung untergegangen ist. Letzteres ist indes hier der Fall, denn der Anspruch des Klägers auf die Hilfe im Haushalt durch den Beklagten war im September 2015, als der Kläger seinen Rücktritt erklärte, bereits auf Grund von Verwirkung untergegangen.
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Die Verwirkung ist eine rechtsvernichtende Einwendung aus Treu und Glauben (§ 242 BGB), die von Amts wegen zu beachten ist (statt vieler: Palandt-Grüneberg, BGB, 77. Aufl., § 242 Rn. 96). Ein Recht ist verwirkt, wenn sich ein Schuldner über einen gewissen Zeitraum hin wegen der Untätigkeit seines Gläubigers bei objektiver Beurteilung darauf einrichten durfte und auch eingerichtet hat, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde, und deswegen die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Das Verstreichen eines längeren Zeitraums (Zeitmoment) allein kann die Verwirkung von Rechten nicht begründen. Es müssen besondere Umstände hinzutreten (Umstandsmoment), die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen (OLG Koblenz, Urt. v. 07.10.2016, Az. 8 U 1325/15 – Tz. 37 m.w.N.). Der maßgebliche Zeitablauf beginnt – worauf der Kläger in seiner Berufungsbegründung zutreffend hinweist – grundsätzlich erst mit dem Zeitpunkt, in dem der Anspruch erstmals geltend gemacht werden konnte, also fällig war.
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Der Einwand des Klägers, die jeweilige Verpflichtung zur Haushaltshilfe sei erst nach Anforderung durch ihn fällig geworden, trifft indes nicht zu. Diese Einschränkung ist dem Vertrag nicht zu entnehmen. Im Überlassungsvertrag heißt es:
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„Der Übernehmer ist verpflichtet, dem Überlasser Hilfestellung im Haushalt zu leisten, d.h. dem Überlasser den Haushalt zu führen (Wäsche waschen u. bügeln, das Haus reinigen, einkaufen pp.).“
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Diese Regelung bedeutet, dass die Hilfe unabhängig von einer konkreten Aufforderung dauerhaft geschuldet wird. Irgendeine Einschränkung ist dem Wortlaut nicht zu entnehmen und ergibt sich auch nicht aus den weiteren Umständen. So wie eine Haushaltshilfe auch sonst zumeist wöchentlich tätig wird und Wasch-, Reinigungs- und Aufräumarbeiten, evtl. nach besonderer Weisung erledigt, ist auch hier davon auszugehen, dass eine dauerhafte, wohl zumindest wöchentliche Hilfe geschuldet war. Diese Dauerverpflichtung begann mit dem Abschluss des Überlassungsvertrages, wobei die einzelnen Hilfeleistungen etwa wöchentlich fällig wurden.
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Für die Frage der Verwirkung ist allerdings hier – ähnlich wie bei Unterhaltsleistungen (vgl. dazu BGH, Urteil v. 16.06.1982, Az. IVb ZR 709/80, NJW 1982, 1999) – danach zu unterscheiden, ob es sich um rückständige oder laufende Hilfeleistungen handelt oder ob es darum geht, dass das Recht auf Haushaltshilfe als solches verwirkt sein soll.
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Hinsichtlich der rückständigen Hilfeleistungen ist die Möglichkeit der Verwirkung bei Vorliegen der oben dargelegten Voraussetzungen (Zeit- und Umstandsmoment) gegeben. Ob diese Voraussetzungen hinsichtlich der in der Zeit vor 2012 fälligen wöchentlichen Hilfeleistungen vorliegen, kann jedoch dahinstehen, denn damit wäre der mögliche Anspruch des Klägers auf Rückabwicklung des Vertrages noch nicht ausgeschlossen. Im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung von September 2015 wären nämlich die Leistungen aus der Zeit ab Juni 2012 fällig gewesen, die der Kläger mit Schreiben vom 18.06.2012 gefordert hatte. Verwirkung schiede hier schon wegen der Geltendmachung durch den Kläger und wegen des Fehlens eines ausreichend langen Zeitablaufs aus.
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Dem Kläger stand aber deshalb kein Anspruch auf Hilfeleistung zu, weil schon im Jahr 2012 das „Stammrecht“ auf die Hilfe im Haushalt verwirkt war.
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Die Frage, ob ein Recht verwirkt werden kann, kann nicht allgemein beantwortet werden. Gegenstand der Verwirkung können nur subjektive Rechte sein, weil nur bei ihnen davon gesprochen werden kann, ihre Ausübung stehe in Widerspruch zu der länger andauernden Nichtausübung, die bei dem Schuldner auf Grund bestimmter Umstände einen entsprechenden Vertrauenstatbestand begründet habe (BGH, Urteil v. 21.10.2005, Az. V ZR 169/04; NJW-RR 2006, 235 – Tz. 10 m.w.N.). Weil es für die Verwirkung auf das Vertrauen des einzelnen Schuldners ankommt, können Gegenstand von Verwirkung auch nur relative Rechte sein, während absolute Rechte, die gegenüber jedermann wirken, selbst nicht der Verwirkung unterliegen (vgl. MüKo-Schubert, BGB, 7. Aufl., § 242 Rn. 358). Deshalb unterliegen dingliche Rechte nicht der Verwirkung, wohl aber die daraus folgenden Ansprüche (allg. M., vgl. nur BGH a.a.O. und MüKo-Schubert, a.a.O.).
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Wenn es bei Palandt-Grüneberg (a.a.O., Rn. 88) allerdings heißt, dass nur der entstandene Anspruch, nicht aber das „Stammrecht“ verwirkt werden kann, so tritt der Senat dem in dieser Pauschalität nicht bei. Vielmehr ist hier zu differenzieren. Das „Stammrecht“ als solches zeichnet sich dadurch aus, dass es eine grundsätzlich bestehende Rechtsposition bezeichnet, der konkrete einzelne Ansprüche entspringen können (vgl. BeckOK-Gutzler, SGB I, § 40 Rn. 6). Das „Stammrecht“ kann damit sowohl ein absolutes Recht (z.B. das allen gegenüber bestehende Eigentumsrecht, dem bestimmte gegen Einzelne gerichtete Unterlassungsansprüche folgen können) als auch ein relatives Recht (z.B. das nur bestimmten Personen gegenüber bestehende Unterhaltsrecht, aus dem Ansprüche auf monatliche Unterhaltszahlungen hervorgehen) sein. Soweit es ein relatives Recht ist, kommt grundsätzlich eine Verwirkung in Betracht. Die bei Palandt-Grüneberg (a.a.O.) zitierten Urteile des Bundesgerichtshofs (NJW 2003, 128) und des Kammergerichts (NZM 2008, 129) stützen die dortige pauschale Aussage nicht. In dem von dem Bundesgerichtshof entschiedenen Fall ging es um die Verwirkung von Unterhaltsrückständen, also gerade nicht um das „Stammrecht“ auf Unterhalt. Das Kammergericht, dessen Entscheidung Betriebskostenansprüche zum Gegenstand hatte, nimmt die genannte Entscheidung des Bundesgerichtshofs zwar in Bezug, ohne allerdings inhaltlich darauf einzugehen. Es kam in der Entscheidung des Kammergerichts letztlich auch auf diese Frage nicht an. Zum einen ist schon nicht ersichtlich, dass es dort um ein „Stammrecht“ in dem oben dargestellten Sinn ging; zum anderen fehlte es dort sowohl an dem Zeit- als auch an dem Umstandsmoment.
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Ebenso ist auch die Auffassung von Schubert (MüKo-Schubert a.a.O.), dass – ebenso wie dingliche Rechte und Mitgliedsrechte – auch das „Stammrecht“ auf Unterhalt nicht verwirkt werden könne, nur im Ergebnis richtig. Allerdings liegt dies nicht daran, dass dieses Stammrecht ein absolutes Recht wäre. Wie die von Schubert dafür in Bezug genommene Entscheidung des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 16.06.1982, Az. IVb ZR 709/80, NJW 1982, 1999) ausführt, finden die sich aus § 242 BGB ergebenden allgemeinen Grundsätze der Verwirkung im Bereich des Unterhaltsrechts deshalb keine Anwendung, weil es dort mit §§ 1611 Abs. 1 S. 2, 1579 ggf. iVm § 1361 Abs. 3 BGB besondere Vorschriften gibt, die abschließende Regelungen darstellen und für die Fälle des Wegfalls des Unterhaltsrechts aufgrund des Verhaltens des Unterhaltsberechtigten die allgemeinen Grundsätze der Verwirkung verdrängen (BGH., a.a.O – Tz. 9).
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Dass relative „Stammrechte“ grundsätzlich der Verwirkung unterliegen können, ist auch in anderen Rechtsgebieten anerkannt.
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So ist die Möglichkeit der Verwirkung des Erbanspruchs anerkannt worden (BGH WM 1977, 688 BeckOK/Sutschet BGB § 242 Rn. 151.). Im Arbeitsrecht unterliegen die aus dem Arbeitsvertrag herrührenden Stammrechte (z.B. der Anspruch auf Urlaubsentgelt) grundsätzlich der Verwirkung; in besonderen Fällen kann die Verwirkung jedoch wegen der vorrangigen Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers ausgeschlossen sein. Für die tarifvertraglich abgesicherten Rechte schließt nur die besondere Vorschrift des § 4 Abs. 4 S. 2 TVG eine Verwirkung aus (vgl. BeckOK/Sutschet, a.a.O. Tn. 145). Im Sozialrecht können bei wiederkehrenden Leistungen grundsätzlich sowohl der einzelne Anspruch als auch das Stammrecht der Verwirkung unterliegen, wobei letzteres dort nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt (BeckOK/Gutzler SGB I § 40 Rn. 6; für das Betriebsrentenrecht: Schumann DB 2010, 1591).
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Für die Haushaltshilfe als Teil der Gegenleistung des Beklagten für die Überlassung des Grundstücks durch den Kläger ist auch keine Vorschrift ersichtlich, die als Spezialvorschrift die allgemeinen Grundsätze der Verwirkung ausschließen würde. Insbesondere sind hier nicht die unterhaltsrechtlichen Maßstäbe heranzuziehen. Die Anwendung der unterhaltsrechtlichen Maßstäbe hat das OLG Zweibrücken zwar für die Verwirkung des Leibrentenanspruchs aus einem Grundstücksüberlassungsvertrag bejaht (OLG Zweibrücken, Urteil vom 13.03.2007, Az. 5 U 52/06). Dort handelte es sich jedoch um eine Grundstücksüberlassung gegen Zahlung einer Leibrente im Wege der vorweggenommenen Erbfolge zwischen Mutter und Sohn. Hier liegt der unterhaltsrechtliche Charakter der Vereinbarung auf der Hand. Die unterhaltsrechtlichen Maßstäbe finden hier dagegen keine Anwendung. Zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits bestand keine Unterhaltsverpflichtung. Der Überlassungsvertrag enthielt sowohl die Leibrente als auch die Haushaltshilfe als Gegenleistung für die Verschaffung des Eigentums an dem Grundstück im Rahmen eines rein vermögensrechtlichen Leistungsaustausches.
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Kann nach alledem also auch das „Stammrecht“ des Klägers auf Hilfe im Haushalt verwirkt werden, so steht fest, dass die Verwirkung dieses „Stammrechts“ bereits 2012 eingetreten war, denn die Voraussetzungen der Verwirkung lagen schon zu diesem Zeitpunkt vor.
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Da das „Stammrecht“ der Haushaltshilfe nicht fällig wird, ist für das Zeitmoment auf den Zeitpunkt der erstmaligen Entstehung dieses Rechts abzustellen, als auf den Zeitpunkt, in dem der Kläger die Möglichkeit hatte, die Hilfe einzufordern. Dies war schon mit dem Vertragsschluss im Jahr 1997 der Fall. Mithin waren im Jahr 2012 bereits 15 Jahre verstrichen, in denen der Beklagte die Hilfe nicht geltend machte. Selbst wenn erst die Klage auf Zahlung eines Geldbetrages anstelle der Hilfeleistung im Jahr 2000 oder sogar erst der Abschluss des Rechtsstreits im Oktober 2003 als maßgeblicher Zeitpunkt anzunehmen wäre, wären seit diesen Zeitpunkten bis zur Geltendmachung des Rechts im Jahr 2012 bereits 12 bzw. 9 Jahre verstrichen.
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Es lagen im Jahr 2012 auch solche Umstände vor, die in dem Beklagten das Vertrauen darauf begründen konnten und begründet hatten, dass der Kläger sein Recht auf Haushaltshilfe durch den Beklagten nicht mehr geltend machen werde. Die Anforderungen, die an das Umstandsmoment zu stellen sind, stehen in Abhängigkeit von dem Zeitmoment. Je kürzer der Zeitraum ist, umso gravierender müssen die Umstände erscheinen, die das Vertrauen des Schuldners rechtfertigen können; umgekehrt kommt, je länger der verstrichene Zeitraum ist, desto geringere Bedeutung den Umständen zu, aus denen sich das Vertrauen ergibt (MüKo-Schubert, a.a.O., Rn. 363).
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Als vertrauensbildender Umstand ist anzusehen, dass der Kläger sein Recht auf Hilfe im Haushalt von dem Beklagten auch im Jahr 2003 nicht geltend machte, nachdem er durch das Urteil des 7. Senats vom 23.10.2003 im vorangegangenen Rechtsstreit hatte erkennen müssen, dass eine Geldzahlung anstelle einer Hilfeleistung nicht in Betracht kommt. Es war zu erwarten, dass er nunmehr die nach dem Urteil des Oberlandesgerichts zumutbare Hilfeleistung einfordern würde, um entweder von dem Beklagten tatsächliche Hilfe zu erlangen oder aber über den Umweg des Schadenersatzes doch einen Geldbetrag zu erlangen. Blieb dieses Einfordern aus, so durfte der Beklagte darauf vertrauen, dass der Kläger die Hilfe auch zukünftig nicht mehr wollte, gerade auch angesichts der sich danach entwickelnden Streitigkeiten zwischen den Parteien. Tatsächlich hatte sich der Beklagte auch darauf eingestellt, denn er bot seine Hilfe, anders als unmittelbar nach dem Vertragsschluss, auch nicht mehr an. Weitere Umstände, die belegen, dass der Beklagte sich tatsächlich darauf eingestellt hatte, keine Haushaltshilfe mehr leisten zu müssen, trägt der Beklagte zwar nicht vor. Sie sind aber auch nicht mehr erforderlich. Bei der notwendigen Gesamtbetrachtung reicht der ausgeführte Umstand in Verbindung mit dem langen Zeitraum von mindestens neun Jahren aus, um im Jahr 2012 das aufgebaute Vertrauen des Beklagten als schutzwürdig anzusehen und die Verwirkung des Rechts auf Haushaltshilfe anzunehmen.
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Bestand also ab diesem Zeitpunkt das Recht des Klägers nicht mehr, konnte auch das Schreiben vom 18.06.2012 das Recht nicht mehr aufleben lassen. Die Fristsetzung im Jahr 2015 ging daher ins Leere; der Kläger hatte keinen Anspruch auf Haushaltshilfe mehr und damit auch kein Rücktrittsrecht.
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c. Auch auf § 313 Abs. 3 S. 1 BGB kann der Kläger kein Rücktrittsrecht stützen. Seinen Anspruch auf Hilfe im Haushalt hat er nach dem Gesagten verwirkt und seine weiteren Ansprüche aus dem Grundstücksüberlassungsvertrag setzen den Fortbestand seines anfänglich guten Verhältnisses zu dem Beklagten nicht voraus. Deshalb kann dem Kläger das Festhalten an dem unveränderten Vertrag trotz des Zerwürfnisses zwischen den Parteien zugemutet werden (§ 313 Abs.1 BGB).
2.
42
Der Hilfsantrag auf Zahlung ist zulässig (a.), aber ebenfalls unbegründet (b.).
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a. Der Antrag auf Zahlung eines Geldbetrages für rückständige Hilfeleistungen und auf zukünftige monatliche Zahlung ist zulässig. Insbesondere steht diesem Begehren nicht der Einwand der Rechtskraft wegen des vorangegangenen, vom 7. Senat 2003 rechtskräftig entschiedenen Streitverfahrens entgegen. Auch wenn es sich bei dem Antrag auf zukünftige Zahlungen um denselben Klagantrag handelt, steht der Einwand der Rechtskraft einer erneuten Entscheidung nicht entgegen. Der 7. Senat hatte die Abweisung des Antrags damit begründet, dass die vom Kläger vorgetragenen, bis zur mündlichen Verhandlung im September 2003 eingetretenen Umstände die Anpassung des Überlassungsvertrages gemäß § 313 Abs. 1 BGB nicht erforderten, weil dem Kläger die Entgegennahme der tatsächlichen Haushaltsleistung noch zumutbar sei. Damit hat der 7. Senat lediglich ausgesprochen, dass die Klage damals unbegründet war. Eine generelle Verneinung des Anspruchs ging damit nicht einher. Deshalb steht die Rechtskraft des Urteils einer Geltendmachung des Anspruchs auf zukünftige Zahlung wegen neuer, nach 2003 eingetretener Umstände nicht im Wege.
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b. Der Hilfsantrag ist indes insgesamt unbegründet. Der Antrag umfasst die unterlassene Hilfe im Haushalt in der Zeit ab Juli 2015 bis in die Zukunft. Wie sich aus den Ausführungen zu Ziff. 1 ergibt, stand dem Kläger allerdings ab 2012 wegen Verwirkung schon kein Anspruch auf die Haushaltshilfe mehr zu, so dass ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 und 3, 281 BGB ebenso ausscheidet wie ein Anspruch aus § 313 Abs. 1 BGB.
3.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 BGB, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 BGB.