Kein Entschädigungsanspruch des aus dem Flugzeug gewiesenen vor Wut tobenden, alkoholisierten Fluggastes

AG Rostock, Urteil vom 09.04.2010 – 48 C 292/09

Verweigert eine Fluggesellschaft einem alkoholisierten und vor Wut tobenden Fluggast die Beförderung, ist die gerechtfertigt und begründet daher keinen Anspruch auf Fluggastentschädigung (Rn. 15).

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der Kläger schloss für sich und seine Lebensgefährtin, die Zeugin K., mit der Beklagten einen Pauschalvertrag über eine in der Zeit vom 19.03. bis 27.03.2009 durchzuführende Schiffsreise. Der Vertrag beinhaltete u.a. den Hinflug von M. nach D. am 19.03.2009 mit der Fluggesellschaft L.. Der Kläger und die Zeugin K. suchten auf dem Flughafengelände zunächst nach dem Schalter der Fluggesellschaft L.. Auf Empfehlung des Zeugen W., eines Supervisors der Fluggesellschaft A., wandten sie sich gegen 19.00 Uhr an einen Abfertigungsschalter dieser Fluggesellschaft und erhielten dort die Bordkarten Nr. 297 und Nr. 298, die das Kürzel „SBY“ für standby trugen sowie mit einem Kugelschreiber gestrichen waren (Fotokopien, Bl. 71 d.A.). Sitzplatzkarten erhielten sie nicht. Der Kläger und die Zeugin begaben sich sodann zum boarding gate und standen in der Warteschlange als wiederum der Zeuge W. an sie herantrat. Auf Weisung des Zeugen W., der zwischenzeitlich auch Rücksprache mit dem Flugkapitän sowie der Crew des betreffenden Flugzeuges gehalten hatte, wurde dem Kläger die Beförderung verweigert. Allerdings wurde – was erst durch nachfolgende Recherchen vor Ort festgestellt werden konnte – das Fluggepäck des Klägers sowie der Zeugin befördert. Der Kläger sowie die Zeugin kehrten zunächst in ihre Wohnung nach A. zurück, flogen am Folgetag mit der Fluggesellschaft „E.“ nach D. und führten die gebuchte Reise durch. In Zusammenhang mit der verweigerten Beförderung entstanden dem Kläger Kosten von Euro 1.029,91. Wegen der Berechnung wird auf die Zusammenstellung in der Klageschrift (Bl. 5 d.A.) Bezug genommen. Letztmals mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 05.05.2009 forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung auf den 15.05.2009 vergeblich zur Zahlung eines Betrages von Euro 1.318,00 sowie vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in Höhe von Euro 186,24 auf.

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Der Kläger behauptet, für die Weigerung der Fluggesellschaft, ihn und die Zeugin K. zu befördern habe kein sachlicher Grund bestanden. Es sei davon auszugehen, dass der betreffende Flug überbucht gewesen sei und ein Vorwand für die Nichtbeförderung habe gesucht werden sollen. Er meint, über den Ersatz seiner Aufwendungen hinaus sei die Beklagte ihm auch zur Zahlung eines Betrages von Euro 1.200,00 gemäß der EG-Verordnung Nr. 261/2004 verpflichtet.

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Er beantragt,

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die Beklagte zu verurteilen, an ihn Euro 2.229,91 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.10.2009 sowie Euro 186,24 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2009 zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie behauptet, der Zeuge W. habe bereits bei dem ersten Zusammentreffen mit dem Kläger dessen Alkoholisierung bemerkt. Am boarding gate habe der Kläger ohne offensichtlichen Grund lautstark getobt und sei nicht zu beruhigen gewesen. Zudem habe sich der Kläger nicht von einem afroamerikanisch stämmigen Mitarbeiter kontrollieren lassen wollen. Nach Rücksprache mit dem Flugkapitän sei schließlich dem Kläger die Beförderung im Interesse der Flugsicherheit verweigert worden.

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Das Gericht hat zu den Umständen der Nichtbeförderung Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugin K. sowie des Zeugen W.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 16.03.2010 (Bl. 60 ff d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.

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I. Dem Kläger steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch gegen die Beklagte weder gemäß der EG-Verordnung Nr. 261/2004 noch als Minderungs- oder Schadensersatzanspruch gemäß §§ 651 Buchst.d, f, 249 ff BGB zu.

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1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch aus unberechtigter Nichtbeförderung gemäß der EG-Verordnung Nr. 261/2004 zu. Die Beklagte ist insoweit nicht sachlich verpflichtet. Passivlegitimiert für diese gesetzliche Schadensersatzpflicht ist – worauf das Gericht bereits hingewiesen hat – allein die Fluggesellschaft. Insoweit kommt es darauf, dass die Nichtbeförderung zudem gerechtfertigt war (s.u.), nicht an.

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2. Dem Kläger stehen keine reisevertraglichen Minderungs- bzw. Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zu. Die Beklagte hat die Nichtbeförderung des Klägers nicht zu vertreten.

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a. Mit Blick auf etwaige reisevertragliche Ansprüche ist zwar vorliegend die Fluggesellschaft als Erfüllungsgehilfe des Reiseveranstalters im Sinne des § 278 BGB anzusehen und kann dieser damit ein etwaiges Fehlverhalten zuzurechnen sein. An einem solchen Fehlverhalten fehlt es jedoch, weil die Weigerung der Fluggesellschaft, den Kläger zu befördern, sachlich gerechtfertigt war.

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b. Ungeachtet der öffentlich-rechtlich bestimmten Hoheitsbefugnisse und Bordverantwortlichkeit des Flugkapitäns durfte vorliegend der Zeuge W. jedenfalls nach Rücksprache mit dem Flugkapitän dem Kläger die Beförderung mit Rücksicht auf die weiteren Fluggäste und die Flugsicherheit verweigern.

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Im Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts mit einem ausreichend hohen Grad an Wahrscheinlichkeit fest, dass der Kläger seine Nichtbeförderung durch sein unangemessenes Verhalten veranlasst hat. Diese Überzeugung gründet sich in erster Linie auf die Bekundungen des Zeugen W., letztlich aber auch die Angaben des Klägers selbst. Der Zeuge W. hat anschaulich bekundet, dass er – trotz der bereits zuvor festgestellten Alkoholisierung – dem Kläger und der Zeugin die „richtigen“ Bordkarten mit Sitzplatznummern am Gate habe aushändigen wollen, dies jedoch nicht möglich gewesen sei, weil beide getobt und geschrien hätten und einer Ansprache nicht mehr zugänglich gewesen seien. Im Ergebnis einer hieraufhin erfolgten Rücksprache mit dem Flugkapitän sowie der Crew habe er beiden mitgeteilt, dass eine Beförderung nicht erfolge. Der Zeuge hat weiterhin die Einmaligkeit dieses Vorfalles im Laufe seiner Tätigkeit als Supervisor beschrieben und angegeben, aus Furcht vor der Reaktion des Klägers nach der Besprechung mit der Crew Beamte der Bundespolizei zu Hilfe gezogen zu haben. Es steht außer Frage, dass das vom Zeugen geschilderte Verhalten des Klägers die Versagung der Beförderung rechtfertigt.

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Der Zeuge ist glaubwürdig, seine Bekundungen sind glaubhaft. Allerdings ist im Rahmen der Glaubwürdigkeit des Zeugen sein Dienstverhältnis zu der Fluggesellschaft Air Berlin zu berücksichtigen, weil diese im Fall des Fehlens eines Rechtfertigungsgrundes dem Kläger ggf. ersatz- und der Beklagten ggf. regresspflichtig wäre. Durchgreifende Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen ergeben sich aber auch in Ansehung dieser Umstände nicht. Nach seinem Aussageverhalten war der Zeuge ersichtlich bemüht, jede der ihm gestellten Fragen umfassend zu beantworten und Details seiner damaligen Wahrnehmungen, aber auch sonstiger Umstände wie der Angst vor der Reaktion des Klägers zu schildern. Tendenzen, den Kläger bzw. die Zeugin K. einseitig zu belasten, sind für das Gericht nicht erkennbar gewesen. Im Gegenteil hat der Zeuge ein differenziertes Bild namentlich in Bezug auf das Verhalten der Zeugin K., die der Zeuge zunächst eher in der Rolle einer Vermittlerin gesehen hatte, gezeichnet. In Ansehung der Person des Zeugen und der Schilderung seiner beruflichen Tätigkeit erscheint dem Gericht schließlich die Annahme, der Zeuge sei wegen eines geringfügigen finanziellen Vorteils seiner Arbeitgeberin bereit, in strafbarer Weise vor Gericht falsche Angaben zu machen und damit zugleich seine berufliche Existenz auf’s Spiel zu setzen, fernliegend.

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Die Angaben des Zeugen sind auch unter Berücksichtigung der gesamten Umstände glaubhaft. Die Behauptung des Klägers, der Zeuge habe ihn ohne jeden Grund daran hindern wollen, den gebuchten Flug anzutreten, erscheint lebensfremd. Immerhin fand die Auseinandersetzung vor den Augen vieler Reisender statt und musste der Zeuge befürchten, eine erhebliche Anzahl von Personen werde seinen – nach Darstellung des Klägers – offensichtlich willkürlichen Angriff auf den sich ruhig und ordnungsgemäß verhaltenden Kläger bezeugen können. Ungeachtet dessen ist außer einem Fehlverhalten des Klägers ein vernünftiger Grund für die Nichtbeförderung nicht erkennbar. Soweit der Kläger insoweit eine Überbuchung des Fluges angeführt und behauptet hat, auch weitere gebuchte Fluggäste seien nicht mitgenommen worden, hat der Zeuge nachvollziehbar angegeben, dass bereits durch die an den Kläger und die Zeugin K. ausgegebenen Bordkarten mit den Nummern 297 und 298 eine Überbuchung widerlegt sei, weil die betreffende Maschine über 303 Sitzplätze verfügt habe. Soweit der Kläger vorgetragen hat, aufgrund der Überbelegung sei auch eine Reihe anderer Fluggäste nicht mitgenommen worden, hat er diese Behauptung trotz des Bestreitens der Beklagten nicht substanziiert obwohl es aus seiner Sicht geboten gewesen sein muss, noch am Flughafen oder ggf. auf der Schiffsreise die Namen weiterer willkürlich nicht beförderter Fluggäste zu notieren. Die Schilderung des Zeugen W., der Kläger sei in der maßgeblichen Situation – Warteschlange vor dem gate – nicht ansprechbar gewesen, wird zudem bestärkt durch die Angaben des Klägers selbst. Der Kläger hat insoweit erklärt, er habe den Zeugen und dessen Hinweis darauf, dass die ausgereichten Bordkarten nicht gelten nicht ernst genommen und sich abgewendet. Die Zeugin K. hat erklärt, die ganze Situation nicht verstanden zu haben. Dabei geht das Gericht davon aus, dass die offenbar auf Seiten des Klägers sowie der Zeugin K. entstandene Verwirrung ihre Ursache zu einem nicht unerheblichen Teil in dem von der Fluggesellschaft A. praktizierten Verfahren hat, „auffälligen“ Fluggästen zunächst nur gestrichene Schein-Bordkarten ohne Sitzplatznummer auszuhändigen ohne die Fluggäste darüber aufzuklären, dass diese Karten nur vorläufigen Charakter haben und eben nicht zum boarding berechtigen. Aber auch wenn dieses Verfahren der Fluggesellschaft undurchsichtig ist, rechtfertigt es keinesfalls das von dem Zeugen geschilderte Fehlverhalten des Klägers.

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Den Angaben des Zeugen W. stehen die Bekundungen der Zeugin K. entgegen. Die Zeugin bestätigte den Sachvortrag des Klägers dazu, dass weder aus dessen Verhalten noch aufgrund sonstiger Umstände die Weigerung der Beförderung gerechtfertigt war. Im Ergebnis erschüttern die Bekundungen der Zeugin die Angaben des Zeugen W. jedoch nicht. Im Rahmen der Glaubwürdigkeit der Zeugin ist zunächst zu berücksichtigen, dass diese dem Kläger als dessen Lebensgefährtin verbunden ist und das Aussageverhalten aufgrund dieses Näheverhältnisses – auch unbewusst – von der Rücksichtnahme auf die Interessen des Klägers, aber auch auf eigene wirtschaftliche Interessen, geprägt sein kann. Zu berücksichtigten ist auch, dass die Zeugin aufgrund der dargestellten fehlenden Transparenz der Verfahrensweise der Fluggesellschaft in dieser bzw. in dem diese repräsentierenden Zeugen W. den eigentlichen Verursacher der verweigerten Beförderungsleistung erkennt und daher geneigt sein kann, Fehlverhalten des Klägers und ggf. auch eigenes Fehlverhalten in Abrede zu stellen oder zu relativieren. Insgesamt begründen die Bekundungen der Zeugin daher keine durchgreifenden Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Zeugen W. und ergibt sich also, dass die Beförderung des Klägers zu Recht verweigert worden ist und die Beklagte Aufwendungs- oder Schadensersatz nicht schuldet.

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II. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr.11, 711 ZPO.

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