OLG Frankfurt, Urteil vom 14.03.2013 – 1 U 200/12
1. Auch bei einem Sportunfall im Schulunterricht gilt die Haftungsbegrenzung der §§ 106, 105 SGB VII dahin, dass ein Schädiger nur bei – auch bedingtem – Vorsatz bezüglich des Verletzungserfolgs haftet.(Rn.3)(Rn.4)
2. Für die Annahme eines solchen Vorsatzes müssen als Anknüpfungspunkt objektive Tatsachen dargetan werden, die den hinreichend sicheren Schluss auf die innere Tatsache eines entsprechenden Vorsatzes zulassen.(Rn.4)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 05.06.2012 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Das erstinstanzliche Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Das vorliegende Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
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I. Von der Darstellung des Sach- und Streitstands wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.
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II. Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das Landgericht ist zu Recht zu der Auffassung gelangt, dass der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche auf Schmerzensgeld, Aufwendungsersatz und Feststellung wegen des bedauerlichen Schulunfalls im Sportunterricht am …03.2011, als die Klägerin durch eine umfallende, gerade zuvor von mehreren Schülern unsachgemäß hochkant aufgestellte Weichbodenmatte mit einem Gewicht von 130 kg am Bein verletzt wurde, nicht zustehen. Diese Entscheidung beruht weder auf einem Rechtsfehler noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).
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1. Ein Schulunfall, wie er bedauerlicherweise hier die Klägerin als Erstklässlerin getroffen hat, und ebenso Unfälle im Rahmen von Arbeitsverhältnissen unterliegen gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 8 b SGB VII in Verbindung mit § 106 Abs. 1 Nr. 2 und § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII einer Haftungsprivilegierung. Zwar werden nach den Vorschriften des Sozialrechts – selbstverständlich – sämtliche Krankheitskosten, welche aus einem von einem Mitglied der Schulgemeinde oder einem Arbeitskollegen verursachten Unfall folgen, erstattet. Gegenstand der Haftungsprivilegierung ist aber, dass insbesondere kein Schmerzensgeld verlangt werden kann. Der Gesetzgeber hat eine Schmerzensgeldzahlung bewusst ausgeschlossen, um den Schulfrieden oder den Arbeitsfrieden, der auf dem gemeinsamen Zusammenwirken Vieler gründet, nicht neben dem bedauerlichen Unfall noch zusätzlich durch die Möglichkeit, Schmerzensgeld zu fordern und Schmerzensgeld zahlen zu müssen, zu belasten. Diese Entscheidung des Gesetzgebers für ein Haftungsprivileg gilt auch, soweit – etwa wie hier aus einem Schulunfall – Amtshaftungsansprüche gegen die Anstellungskörperschaft (Art. 34 GG/§ 839 BGB) in Rede stehen (vgl. etwa BGH, Urt. v. 27.06.2002, NJW 2002, 3096 f).
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2. Eine Ausnahme von diesem Haftungsprivileg macht der Gesetzgeber nur bei vorsätzlichem Handeln dessen, der wegen einer Pflichtverletzung in Anspruch genommen wird. Entsprechend dem dargestellten Zweck der Haftungsprivilegierung ist aber erforderlich, dass nicht nur bezüglich der Verletzungshandlung vorsätzlich gehandelt wurde, sondern dass Vorsatz auch bezüglich des Verletzungserfolgs anzunehmen ist, also auch der Verletzungserfolg zumindest billigend in Kauf genommen wurde (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des erkennenden Amtshaftungssenats, s. BGH, Urt. v. 11.02.2003, BGHZ 154, 11 [juris Rn. 9 ff]; Senat, Beschl. v. 30.11.2000, 1 U 99/00). Voraussetzung für einen Anspruch, für den ausnahmsweise die Haftungsprivilegierung nicht eingreift, ist demnach, dass hinreichende Anhaltspunkte gegeben sind, aus denen sich der sichere Schluss ziehen lässt, dass der Vorsatz des Schädigers auch den eingetretenen Schaden umfasste, er also auch diesen Schaden zumindest billigend in Kauf nahm, er also auch mit dem Eintritt des Verletzungserfolgs in dem Sinne einverstanden ist, dass er ihn billigend in Kauf nimmt.
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3. Für eine solche Annahme sieht der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte. Selbst wenn man einmal mit dem Vortrag der Klägerin rechtlich unterstellt, dass Anhaltspunkte für das Vorliegen des kognitiven Elements – also des Wissenselements – bestünden, kann hieraus nicht der Schluss auf das Vorliegen auch des für einen bedingten Vorsatz erforderlichen voluntativen Elements gezogen werden; denn das kognitive Element des bedingten Vorsatzes entspricht dem der bewussten Fahrlässigkeit, eröffnete also ebenso den Schluss auf eine bloße bewusste Fahrlässigkeit. Für die Annahme, dass die Turnlehrkraft B den bei der Klägerin bedauerlicherweise eingetretenen Verletzungserfolg billigend in Kauf genommen hätte, vermag der Senat den tatsächlichen Umständen, unter denen es zu dem Unfall kam, keinen Anknüpfungspunkt zu entnehmen.
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4. Angesichts kommt es für die vorliegend rechtlich zu beurteilende Unfallsituation nicht darauf an, ob überhaupt eine Pflichtverletzung der Turnlehrkraft B anzunehmen wäre. Dass er an einer anderen Stelle der Turnhalle andere Sportgeräte entgegennahm, statt – wie die Klägerin meint – sich in unmittelbarer Nähe des Ortes aufzuhalten, an dem die Erstklässler die für sie zweifellos unhandlichen, 130 kg schweren Weichbodenmatten wegräumten und dazu hochkant stellten, ist ihm nach Einschätzung des Senats nicht vorzuwerfen. Denn der Senat hat gemäß § 314 ZPO die als unstreitig erfolgten Feststellungen des Landgerichts zugrunde zu legen, dass Herr B im Rahmen des Sportunterrichts vor dem Unfalltag mit den Kindern eingeübt hat, wie eine Weichbodenmatte längsseits an der Turnhallenwand aufzustellen sei, und dass hierbei den Schülern auch erklärt wurde, dass die Matte keinesfalls hochkant aufgestellt werden darf. Ein Antrag auf Tatbestandsberichtigung bezüglich des erstinstanzlichen Urteils ist nicht gestellt worden. Vor dem Hintergrund dieses Übens begegnet der Senat der Wertung der Klägerin mit erheblicher Skepsis, dass es „per se nicht die Aufgabe von Erstklässlern sei, schwere Turnmatten ohne jegliche Unterstützung eines Lehrers wegzuräumen“; was auch Erstklässlern mit der ihrem Alter eigenen körperlichen Konstitution beim Umgang mit den von ihnen benutzten Sportgeräten zuzumuten ist, ist eine Frage des Einübens des Umgangs mit einer solchen Situation, und ein solches Einüben hat gemäß den Feststellungen des Tatbestands des erstinstanzlichen Urteils unstreitig stattgefunden. Soweit die Klägerin diese Feststellung nunmehr in der Berufungsinstanz bestreitet, stellt sich die Frage, ob ein solches Bestreiten gemäß § 531 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ZPO noch zuzulassen ist. Dasselbe hat zu gelten für die als unstreitig im Tatbestand des landgerichtlichen Urteils enthaltenen Feststellungen, dass entsprechend den vom beklagten Land vorgelegten Unterrichtsprotokollen schon im ersten Schulhalbjahr das Aufbauen und Transportieren der Sportgeräte und der korrekte Umgang mit den Matten vermittelt wurde und ebenso für die Feststellung, dass Herr B unverzüglich reagierte, als er wahrnahm, dass die hochkant aufgestellte Matte am Umfallen war.
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5. Soweit die Eltern der Klägerin als deren gesetzliche Vertreter daran festhalten, dass ihnen „völlig unverständlich“ sei, dass die vorstehend erörterte Haftungsprivilegierung zu einer faktisch vollständigen Haftungsfreistellung eines Lehrers führe und durch diese Haftungsfreistellung – nach dem Eindruck der Eltern der Klägerin – „regelrecht ein Freibrief auch für sehr weitreichende Verstöße gegen die Verkehrssicherungspflicht und daraus resultierender massiver Gefahren für die Gesundheit von Kindern erteilt“ werde, scheinen sie der Auffassung anzuhängen, dass korrektes Zusammenleben in Gemeinschaften ohne Schädigung eines Mitglieds der Gemeinschaft nur durch Sanktionen zu erreichen sei. Dies ist – wie ausgeführt – nicht die Wertung des Gesetzes. Die Eltern mögen sich vergegenwärtigen, wie die von ihnen aufgestellte, ersichtlich nicht durch hinreichende Anknüpfungstatsachen herleitbare Behauptung, der Turnlehrer B habe den Verletzungserfolg ihrer kleinen Tochter vorsätzlich billigend in Kauf genommen, negativ auf die Schulgemeinschaft einwirken kann. Ein derartiger Rechtsstreit auf Schadensersatz dient – was die Eltern in Sorge oder Mitgefühl für ihre Tochter möglicherweise aus dem Auge verlieren – nicht dazu, Personen, die man als verantwortlich für einen Unfall ansieht, abzustrafen; ein derartiger Sanktionscharakter ist dem Schadensersatzrecht fremd.
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6. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen, da ihr Rechtsmittel keinen Erfolg hat (§ 97 Abs. 1 ZPO). Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des erstinstanzlichen und des Berufungsurteils beruhen auf §§ 708 Nr. 10 Satz 2 und Satz 1, 713 ZPO.
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7. Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung; auch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erforderlich (§ 543 Abs. 2 ZPO).