OLG Hamm, Beschluss vom 01.07.2011 – 1 RBs 99/11
Eines ausdrücklichen Ansprechens der Möglichkeit des Absehens vom Fahrverbot bedarf es dann nicht, wenn der Begründung des amtsrichterlichen Urteils im Übrigen eindeutig zu entnehmen ist, dass der durch das Fahrverbot angestrebte Erfolg durch eine Erhöhung der Geldbuße bei gleichzeitigem Wegfall des Fahrverbots nicht erreicht werden kann. Dies gilt neben den Fällen des Fahrverbots nach Trunkenheits- oder Drogenfahrt auch für das Fahrverbot des § 25 Abs. 1 S. 1 StVG, wenn die Zahl und die Geschwindigkeit der Voreintragungen oder die Schwere des Verstoßes die Fahrverbotsanordnung gebieten. Dies kann etwa der Fall sein bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 43 km/h bei außerorts zulässigen 70 km/h Höchstgeschwindigkeit. Ist also ein Absehen vom Fahrverbot gegen eine Erhöhung der Geldbuße fernliegend, dann ist es nicht zu beanstanden, wenn sich dem tatrichterlichen Urteil nicht auch noch (ausdrücklich) entnehmen lässt, dass der Tatrichter sich der ausnahmsweise gegebenen Möglichkeit des Absehens vom Fahrverbot gegen eine Erhöhung der Geldbuße bewusst war (Rn. 15)
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Betroffene.
Gründe
I.
1
Das Amtsgericht Siegen hat gegen den Betroffenen durch das angefochtene Urteil vom 2. Februar 2011 wegen eines fahrlässigen Geschwindigkeitsverstoßes eine Geldbuße in Höhe von 160,- € verhängt. Zudem hat es ein einmonatiges Fahrverbot unter Anwendung des § 25 Abs. 2a StVG angeordnet. Dabei hat das Gericht folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:
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„Am 5.10.2010 gegen 12:10 Uhr befuhr die Betroffene mit einem PKW Audi A 6 mit dem amtlichen Kennzeichen ………. in Wilnsdorf (außerorts) die Hagerer Straße in Fahrtrichtung Siegen. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit ist dort auf 50 km/h durch Verkehrszeichen begrenzt. Im Bereich der Geschwindigkeitsbegrenzung wurde die Betroffene mittels des Lasermessgerätes vom Typ Riegl LR 90-235/P durch den Beamten E mit einer Geschwindigkeit von 99 km/h gemessen. Nach Abzug eines Toleranzwertes von 3 km/h ergibt sich, dass die Betroffene diese Stelle mit einer vorwerfbaren Geschwindigkeit von 96 km/h befuhr. Die Messstelle befindet sich außerhalb der geschlossenen Ortschaft.“
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Hiergegen hat der Betroffene über seinen Verteidiger mit am 9. Februar 2011 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage Rechtsbeschwerde eingelegt, diese nach Urteilszustellung vom 15. März 2011 mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 15. April 2011 begründet und hierbei die Sachrüge erhoben. Im Wesentlichen macht er geltend, die ordnungsgemäße Bedienung des Messgerätes sei nicht festgestellt worden. Zudem sei es erforderlich gewesen, einen Sachverständigen hinzuzuziehen, da angesichts der Örtlichkeit ein „Wandern“ des Messstrahls auf dem Kennzeichen des Fahrzeugs des Betroffenen möglich gewesen sei. Letztlich hätte das Gericht auch von einer Fahrverbotsanordnung absehen müssen, da eine Arbeitgeberbescheinigung vorgelegen habe, aus der sich eine Arbeitsplatzgefährdung für den Fall einer Fahrverbotsanordnung ergebe. Das Gericht hätte hierzu ergänzend angebotene Zeugen vernehmen müssen.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufzuheben und insoweit die Sache an das AG Siegen zurückzuverweisen. Das Amtsgericht habe sich nämlich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob gegen angemessene Erhöhung der Geldbuße ausnahmsweise wegen der hierdurch eintretenden Erziehungswirkung von einer Fahrverbotsanordnung hätte abgesehen werden können.
II.
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Die rechtzeitig gestellte und form- und fristgerecht begründete Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg, da die Nachprüfung des Urteils weder aufgrund der Beschwerderechtfertigung noch angesichts der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft einen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben hat.
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1. Was die Angriffe des Betroffenen gegen die Geschwindigkeitsmessung angeht, so hat die Generalstaatsanwaltschaft hierzu ausgeführt:
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„Die auf die Sachrüge vorzunehmende Überprüfung des angefochtenen Urteils lässt, soweit es den Schuldspruch betrifft, Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen nicht erkennen. Die in sich widerspruchsfreien und nicht gegen Denk- und Erfahrungssätze verstoßenden Feststellungen des Gerichts tragen die Verurteilung wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung um 46 km/h.
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Bei dem verwendeten Lasermessgerät Riegl LR 90-235/P handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren (zu vgl. Senatsbeschluss vom 25.11.1999 – 1 Ss OWi 1224/99 – ; OLG Hamm, Beschluss vom 25.08.2009 – 2 Ss OWi 593/09 – m. w. N., jeweils zitiert nach Burhoff online). Das Urteil wird den in der obergerichtlichen Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen hinsichtlich des erforderlichen Umfangs der tatsächlichen Feststellungen bei standardisierten Messverfahren (zu vgl. BGH NJW 1993, 3081 ff; OLG Hamm, Beschluss vom 15.05.2008 – 2 Ss OWi 229/08 – , m. w. N., zitiert nach Burhoff online) gerecht, in dem es das Messverfahren bezeichnet, den zu berücksichtigen Toleranzwert angibt und darlegt, dass es mögliche Fehlerquellen ausreichen berücksichtigt hat. Entgegen der Ausführungen in der Begründungsschrift sind die Vorgaben des Herstellers zum ordnungsgemäßen Einsatz des Gerätes nach den Urteilsfeststellungen eingehalten worden. Soweit der Betroffene – über unzulässige Angriffe auf die tatrichterlichen Feststellungen hinaus – die Zuverlässigkeit des Messverfahrens im vorliegenden Fall beanstandet und insbesondere rügt, das Tatgericht sei einen auf die Überprüfung der Messung durch einen Sachverständigen gerichteten Beweisantrag nicht gefolgt, bleibt anzumerken, dass die im Wege der Verfahrensrüge hätte erfolgen müssen (zu vgl. Göhler, OWiG, 15. Auflage, § 79 Rdnr. 27 d). Eine solche Rüge ist nicht in der gemäß § 79 Abs. 3 OWiG, § 344 Abs. 2 StPO erforderlichen Form erhoben worden und hätte im Übrigen keine Aussicht auf Erfolg, da sich weder aus dem Protokoll noch aus den Urteilsfeststellungen ergibt, dass ein entsprechender Beweisantrag gestellt worden ist bzw. über die Urteilsfeststellungen hinausgehende Einwände gegen die Richtigkeit der Messung erhoben worden sind.“
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Diesen Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung an. Das Amtsgericht hat in seiner Beweiswürdigung umfassend und nachvollziehbar dargelegt, wie es zu der fraglichen Messung gekommen ist und wie die Messung selbst durchgeführt wurde. Es hat dabei die Messörtlichkeit beschrieben und nach Darstellung der der Bedienungsanleitung entsprechenden Messung durch den Zeugen E rechtsfehlerfrei Messfehler ausgeschlossen. Insbesondere konnte das Gericht etwaige Zuordnungsfehler nachvollziehbar ausschließen. Auch das Wandern des Messstrahls als Ursache möglicher Messfehler hat das Gericht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen. Zwar geschah dies nicht ausdrücklich, doch sind die Angaben in dem angefochtenen Urteil zur Durchführung der Messung und der hierbei durch das Messgerät dem Zeugen E angezeigten Signale derart ausführlich, dass eine Fehlmessung durch ein derartiges „Wandern des Messstrahls“ nicht weiter von dem Amtsgericht zu erörtern war. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens war im Hinblick auf die eingeschränkte Amtsermittlungspflicht des § 77 Abs. 1 OWiG im hier nach den getroffenen Feststellungen tatsächlicher Art und den Darstellungen im Rahmen der Beweiswürdigung nicht notwendig. Eine weitergehende Verletzung der Amtsaufklärungspflicht hätte – hierauf hat die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hingewiesen – im Rahmen der wegen § 344 Abs. 2 S. 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 OWiG begründungsintensiven Verfahrensrüge von dem Betroffenen geltend müssen. Hieran fehlt es.
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2. Auch die Erwägungen zum Rechtsfolgenausspruch lassen Rechtsfehler zum Nachteil der Betroffenen nicht erkennen.Dies gilt zunächst für die Höhe der verhängten Geldbuße, bei der er sich um die im Bußgeldkatalog in BKat.-Nr. 11.3.7 vorgesehene Regelgeldbuße handelt.
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Ebenso hält die Festsetzung des Fahrverbots nach § 25 Abs. 1 S. 1 StVG von einem Monat rechtlicher Nachprüfung stand. Es handelt sich hierbei um das ebenfalls in BKat.-Nr. 11.3.7 wegen § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BKatV vorgesehene Regelfahrverbot wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers. Tatbezogene Besonderheiten, die zu herabgesetztem Handlungs- oder Erfolgsunrecht mit der Folge des Wegfalls des Vorwurfs der groben Pflichtverletzung hätten führen können sind nicht ersichtlich und seitens des Betroffenen auch nicht geltend gemacht.
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Von der Verhängung eines damit indizierten Regelfahrverbots kann nur ausnahmsweise abgesehen werden, nämlich wenn die Anordnung einer Härte ganz außergewöhnlicher Art darstellen würde oder sonstige, das äußere und innere Tatbild beherrschende außergewöhnliche Umstände ein Absehen von einem Regelfahrverbot rechtfertigen können (zu vgl. König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 25 StVG, Rdnr. 19 m. w. N.). Weder hat das Amtsgericht solches festgestellt, noch vermögen die von der Rechtsbeschwerde genannten Umstände einen solchen Ausnahmefall zu begründen.
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Der Betroffene hat zwar ausweislich der Urteilsgründe berufliche Härten behauptet. Berufliche und wirtschaftliche Folgen hat er jedoch regelmäßig hinzunehmen. Derartige Nachteile rechtfertigen daher kein Absehen von der außergewöhnlichen Art – sie sind vielmehr als notwendige Folge eines Fahrverbotes im Rahmen der hierdurch gewünschten und auch tatsächlich entfalteten Erziehungswirkung hinzunehmen. Dagegen können Existenzgefährdungen durch ein drohendes Fahrverbot, wie z. B. ein drohender Verlust des Arbeitsplatzes oder einer sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage u. U. ein Absehen vom Fahrverbot erforderlich machen, wenn das Fahrverbot dann unverhältnismäßige Auswirkungen hätte. Derart schwerwiegende Folgen hat das Amtsgericht aber nicht feststellen können. Insbesondere hat das Amtsgericht aus der seitens des Betroffenen in der Rechtsbeschwerdebegründung angeführten Arbeitgeberbescheinigung eine Existenzgefährdung nicht entnehmen können. Insoweit drängte es sich angesichts der Urteilsgründe auch nicht auf, hierzu weitere Zeugen zu vernehmen. Eine weitergehende Verletzung der Amtsaufklärungspflicht hätte auch hier wiederum mittels der wegen § 344 Abs. 2 S. 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 OWiG begründungsintensiven Verfahrensrüge geltend gemacht werden müssen. Eine solche wurde jedoch nicht erhoben.
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Aus den ausführlichen Erörterungen des Amtsgerichts zu etwaigen beruflichen Härten ergibt sich vielmehr, dass das Gericht unverhältnismäßige Härten hat ausschließen können. Es ist insoweit auch darauf zu verweisen, dass anerkanntermaßen die Entscheidung des Tatrichters, vom Fahrverbot abzusehen oder nicht abzusehen, vom Rechtsbeschwerdegericht in Zweifel „bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen ist (vgl. OLG Hamm DAR 1996, 68; VRS 92, 40; VRR 2007, 350, jeweils m. w. N.). Es kommt auch nicht darauf an, ob eine andere Entscheidung vertretbar gewesen wäre oder nicht.
15
Dahinstehen kann – entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft – schließlich, ob die Ausführungen des Amtsgerichts genügend deutlich zu erkennen geben, dass sich der Tatrichter der Möglichkeit bewusst gewesen ist, ob nicht allein deshalb von der Verhängung des Fahrverbots – bei gleichzeitiger Erhöhung der festgesetzten Geldbuße – abgesehen werden konnte, weil bei diesem Betroffenen der mit dem Fahrverbot erstrebte Besinnungs- und Erziehungseffekt auch auf diese Weise erreicht werden kann. Eines ausdrücklichen Ansprechens der Möglichkeit des Absehens vom Fahrverbot bedarf es nämlich dann nicht, wenn der Begründung des amtsrichterlichen Urteils im Übrigen eindeutig zu entnehmen ist, dass der durch das Fahrverbot angestrebte Erfolg durch eine Erhöhung der Geldbuße bei gleichzeitigem Wegfall des Fahrverbots nicht erreicht werden kann (vgl. u. a. OLG Hamm NZV 2000, 136 = DAR 2000, 177 = VRS 98, 222). Dies gilt neben den Fällen des Fahrverbots nach Trunkenheits- oder Drogenfahrt auch für das Fahrverbot des § 25 Abs. 1 S. 1 StVG, wenn die Zahl und die Geschwindigkeit der Voreintragungen oder die Schwere des Verstoßes die Fahrverbotsanordnung gebieten (vgl. hierzu OLG Hamm NZV 2002, 140). Dies kann etwa der Fall sein bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 43 km/h bei außerorts zulässigen 70 km/h Höchstgeschwindigkeit (OLG Hamm a.a.O.). Ist also ein Absehen vom Fahrverbot gegen eine Erhöhung der Geldbuße fernliegend, dann ist es nicht zu beanstanden, wenn sich dem tatrichterlichen Urteil nicht auch noch (ausdrücklich) entnehmen lässt, dass der Tatrichter sich der ausnahmsweise gegebenen Möglichkeit des Absehens vom Fahrverbot gegen eine Erhöhung der Geldbuße (§ 4 Abs. 4 BKatV) bewusst war.
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Die Schwere des Verstoßes beurteilt sich nach Ansicht des Senates dabei nicht nur anhand des Maßes der Geschwindigkeitsüberschreitung, sondern auch anhand der im Einzelfall gegebenen Verkehrs- und Messsituation. Das Amtsgericht hat neben der Feststellung der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 46 km/h im Rahmen der Beweiswürdigung und der Rechtsfolgenzumessung ausführlich die Straßenführung und weitere Einzelheiten zur Verkehrssituation (einschließlich des Verkehrsaufkommens) am Ort der Messung dargestellt. Im Rahmen der bei Beurteilung der Schwere des Verstoßes vorzunehmenden Gesamtbetrachtung mit der festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung und der von dem Gericht dargestellten Tatsache, dass der Betroffene mit seiner Geschwindigkeitsüberschreitung am Tattage mit deutlichem Abstand von über 20 km/h zum Folgenden der „Tagessieger“ an der Messstelle war, war das Absehen der Erörterungen zur Möglichkeit des Absehens vom Fahrverbot gegen angemessene Erhöhung der Geldbuße nicht zu beanstanden.
17
Die Rechtsbeschwerde war damit als unbegründet zu verwerfen.
III.
18
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.