Die Vornahme eines schwerwiegenden operativen Eingriffs (hier: HWS-Operation) ohne zuvor gesicherte Diagnose kann als grober Behandlungsfehler zu werten sein.

Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 11.11.2016 – 26 U 111/15

Ist vor einer HWS-Operation eine neurologische Untersuchung geboten und unterbleibt diese, ist die Operation nicht indiziert. Die Vornahme eines schwerwiegenden operativen Eingriffs ohne zuvor gesicherte Diagnose kann als grober Behandlungsfehler zu werten sein.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 14. April 2015 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufungsinstanz werden der Beklagten auferlegt.

Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

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Gründe
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I.
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Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen einer im Verlauf einer ärztlichen Heilbehandlung erlittenen Querschnittslähmung unterhalb des dritten Halswirbels auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung zukünftiger Ersatzpflicht für weitere materielle Schäden in Anspruch.
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Die am ##.##.1960 geborene Klägerin litt als Krankenschwester über Jahre hinweg an Rückenschmerzen, vorwiegend im Bereich der Lendenwirbelsäule. Im November 2008 begab sie sich in die Behandlung des Orthopäden C, der eine radiologische Untersuchung der Lendenwirbelsäule veranlasste.
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In der Zeit vom 15.12. bis 20.12.2008 begab sich die Klägerin in die stationäre Behandlung der Beklagten. Diese diagnostizierte nach entsprechender radiologischer Untersuchung bei der Klägerin ein radikulär pseudoradikuläres zervikales Schmerzsyndrom bei Osteochondrosen und Spondylarthrosen C4 bis 7 und Instabilität C3/4 mit konsekutiver Spinalkanalstenose, ein radikulär pseudoradikuläres lumbales Schmerzsyndrom bei produktiven Osteochondrosen und Spondylarthrosen L4 bis S1, eine ACG-Arthrose links sowie den Verdacht auf ein Thoracic-Outlet-Syndrom rechts. Am 06.01.2009 wurde extern ein MRT der HWS gefertigt. Ohne Bezugnahme auf dieses MRT empfahl die Beklagte in ihrem Bericht vom 30.01.2009 die ventrale Dekompression und Fusion der Halswirbel C4 bis 7 sowie die Implantation einer Bandscheibenprothese C 3/4. Der die Klägerin behandelnde Orthopäde C, dem der MRT-Befund vorlag, riet der Klägerin ebenfalls zu einer operativen Behandlung durch den chirurgischen Chefarzt Dr. N.
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Am 12.02.2009 führte die Klägerin ein präoperatives Gespräch zum Ablauf des geplanten Eingriffs mit dem Oberarzt der chirurgischen Abteilung, Dr. E. Am 10.03.2009 wurde die Klägerin stationär im Hause der Beklagten zur Durchführung der geplanten Implantation einer Bandscheibenprothese Typ 6 HWK 3/4 und einer Fusion HWK 4-7 mit Cage und Venture Verplattung aufgenommen. Die Ärzte Dr. N2 und Dr. L klärten die Klägerin am 10.03.2009 auf.
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Der operative Eingriff wurde am 11.03.2009 durchgeführt. Es erfolgte die Implantation einer Bandscheibenprothese C3/4 sowie eine ventrale Fusion C4-7 mit Cage und Verplattung. Die Operation wurde von Dr. L geleitet, der Chefarzt Dr. N war während des Eingriffs zeitweise anwesend.
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Im Anschluss an die Operation wurde die Klägerin auf die Intensivstation verlegt. Gegen 20:15 Uhr wurde eine zunehmende Schwäche aller vier Extremitäten festgestellt. Die Klägerin konnte nur noch den rechten Arm und die Zehen bewegen. Insbesondere hatte sie kein Empfindungsvermögen mehr.
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Mit der Diagnose einer postoperativen Nachblutung und Myelonkompression erfolgte am 11.03.2009 um 23:05 Uhr eine Revisionsoperation der Klägerin durch Dr. N. Während der Operation wurden die ventrale Platte und der Cage entfernt. Es erfolgten eine Blutstillung von ventral und eine Dekompression des Myelons.
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Am 12.03.2009 nahm Dr. N um 14:15 Uhr eine erneute Revisionsoperation vor, nachdem weitere klinische Kontrollen und CT-Untersuchungen eine erneute Kompression des Myelons ergeben hatten. Es erfolgten eine dorsale Dekompression mit Laminektomie und eine dorsale Instrumentation.
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Am 16.03.2009 wurde die Klägerin zur weiteren Behandlung in das Querschnittszentrum des berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikums C verlegt. Die Klägerin leidet seit der Operation vom 11.03.2009 unter einer kompletten Querschnittslähmung sub. C3.
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Die Klägerin hat behauptet, es habe keinen akuten operativen Behandlungsbedarf gegeben, insbesondere nicht im Hinblick auf den durchgeführten maximal-invasiven Eingriff. Es sei pflichtwidrig unterlassen worden, vor der Operation eine neurologische Untersuchung und ein Kernspin des Myelons durchzuführen. Die Operation sei durch den Operateur Dr. L, der nicht über die notwendige Kompetenz verfügt habe, zudem nicht lege artis durchgeführt worden. Da der Querschnitt direkt im Anschluss an die Operation aufgetreten sei, sei anzunehmen, dass es bereits während der Operation zu einer Einblutung gekommen sei, die entweder pflichtwidrig übersehen oder bei der die Blutstillung nicht sorgfältig durchgeführt worden sei. Die Revisionsoperation sei erst mit mehrstündiger Verspätung durchgeführt worden. Seit der Operation sei sie ein Leben lang auf den Rollstuhl und fremde Hilfe angewiesen. Die aus der körperlichen Beeinträchtigung resultierenden Beschwerden sowie die psychischen und sozialen Folgen rechtfertigten die Zahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens 400.000,00 €.
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Die Beklagten haben behauptet, die Operationen seien indiziert und alternativlos gewesen sowie unter Wahrung des Facharztstandards lege artis durchgeführt worden. Postoperativ habe sich ein extramedulläres Hämatom mit ventraler Myelonkompression gezeigt, worauf unmittelbar die Revisionsoperation eingeleitet worden sei. Die eingetretene Querschnittsymptomatik sei schicksalhaft bedingt.
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Das Landgericht hat der Klage gestützt auf ein fachorthopädisches Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. U stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 400.000,00 € sowie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 10.191,16 € verurteilt; überdies hat es die Ersatzpflicht hinsichtlich materieller Schäden der Klägerin festgestellt. Die im Zeitraum vom 15.12.2008 bis 16.03.2009 in mehreren Schritten erfolgte Behandlung der Klägerin sei aufgrund mehrerer Behandlungsfehler jedenfalls in der Gesamtschau grob fehlerhaft gewesen. Im Rahmen der stationären Behandlung vom 15.12. bis 20.12.2008 habe nur eine unvollständige Befunderhebung stattgefunden. Es sei differentialdiagnostisch eine neurologische Untersuchung und eine umfassende Bildgebung durch MRT erforderlich gewesen. Dennoch sei der Klägerin eine Operation angeraten worden, die so weder dem Grunde, noch der Form nach indiziert gewesen sei. Eine Instabilität C3/4 sei durch die Bildgebung nicht nachgewiesen. Eine Operation sei mangels motorischer Lähmungen allenfalls relativ indiziert gewesen. Konservative Behandlungsmethoden seien noch nicht ansatzweise ausgeschöpft gewesen. Man habe insoweit mit der Klägerin die Möglichkeit eines konservativen Behandlungsversuchs besprechen müssen, was der Aufklärungsdokumentation der Beklagten nicht zu entnehmen sei. Weiterhin sei die gewählte Operationsmethode nicht sinnvoll im Hinblick auf den Einbau einer Bandscheibenprothese C3/4. Es habe zum einen die Kontraindikation bestanden, dass mehr als drei Etagen operativ behandelt werden mussten und zum anderen, dass in unmittelbarer Nachbarschaft an das Bandscheibenfach C3/4 eine Wirbelsäulenfusion der Etagen C4-7 angegrenzt habe.
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Vor der Operation vom 11.03.2009 sei grob fehlerhaft eine weitere präoperative Befunderhebung unterlassen worden. Man hätte dem zwischenzeitlich bei der Klägerin neu aufgetretenen neurologischen Befund unabdingbar durch erneute neurologische Untersuchung und ein weiteres MRT nachgehen müssen. Diese seien auch für die Stellung der Operationsindikation erforderlich gewesen. Gerade der Umstand, dass eine relativ rasche Befundverschlechterung eingetreten sei, habe für andere Ursachen als knöcherne Veränderungen gesprochen. Infolge der unterlassenen Befunderhebung habe es keine sichere Diagnose gegeben, weshalb der Sachverständige diesen Fehler für unverständlich gehalten habe. Auf etwaige Fehler bei der Durchführung des unter Wahrung des Facharztstandards vorgenommenen Eingriffs komme es danach nicht mehr an. Aus dem postoperativen CT lasse sich ein regelgerechter Sitz der eingebrachten Bandscheibenprothese, des Cages und der Platten erkennen. Ursache der postoperativen Komplikation sei eine Nachblutung, die nicht zuverlässig zu vermeiden sei. Angesichts der Erforderlichkeit eines CT sei die erste Nachoperation als zeitgerecht anzusehen. Insgesamt erlaube die Vielzahl der präoperativen Fehler im Bereich der Befunderhebung, Diagnostik und Operationsplanung die Annahme einer grob fehlerhaften ärztlichen Behandlung. Die Klägerin habe nicht zu diesem Zeitpunkt und nicht in dieser Form operiert werden dürfen. Aufgrund des grob fehlerhaften Vorgehens der Beklagten greife zugunsten der Klägerin eine Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität, die durch die Beklagte nicht entkräftet worden sei. Durch die Operation sei es zu einer kompletten Querschnittslähmung unterhalb C3/4 gekommen mit der Folge, dass der Klägerin keine Willkürbewegungen der Arme und Beine mehr möglich seien und dass das sensible Empfinden im Bereich des Stammes und der Extremitäten einschließlich des sexuellen Empfindens fehle. Aufgrund einer Zwerchfellbeeinträchtigung sei auch eine eigenständige dauerhafte Atmung nicht mehr möglich, was eine Langzeitbeatmung zur Folge habe und zur Beeinträchtigung des Sprechvermögens geführt habe. Ferner bestehe eine Blasen- und Darmentleerungsstörung sowie eine Störung der Magen-Darm-Funktion. Auch eine psychische Belastung sei mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben. Aufgrund des dauerhaften und unabänderlichen Zustands und des Umstands, dass die Klägerin vollkommen auf fremde Hilfe angewiesen sei, sei ein Schmerzensgeld von 400.000,00 € gerechtfertigt.
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Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die weiterhin Abweisung der Klage begehrt. Das Landgericht sei zu Unrecht von Behandlungsfehlern ausgegangen. Rechtsfehlerhaft sei zunächst in der nicht durchgeführten neurologischen Untersuchung ein Befunderhebungsfehler konstatiert worden. Der Sachverständige habe außer Acht gelassen, dass der vorbehandelnde Orthopäde C bereits im Januar 2009 Untersuchungen durchgeführt habe. Insofern sei auch kein weiteres MRT erforderlich gewesen. Insbesondere aufgrund der festgestellten Osteophyten sei eher mit einer allmählichen Befundprogredienz zu rechnen gewesen. Die mehrmonatige konservative Behandlung sei ausreichend gewesen und habe nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Allein deshalb sei die Operation indiziert gewesen. Die Ärzte hätten auch auf die bereits durchgeführte Therapie und Diagnostik zurückgreifen dürfen. Es sei nicht mehr erforderlich gewesen, durch einen Neurologen differentialdiagnostisch auszuschließen, dass kein anderes Geschehen vorgelegen habe. Auch ohne Funktionsaufnahmen sei die Diagnosestellung korrekt gewesen. Es sei ferner die richtige Methode angewendet worden. Die Versteifung sei ebenso in Ordnung gewesen wie das Einbringen der Bandscheibenprothese. Aufgrund der raschen Befundverschlechterung sei es auch ohne weitere diagnostische Maßnahmen und Erstellung eines erneuten MRT zumindest vertretbar gewesen, sofort die Operation durchzuführen. Eine weitere präoperative Befunderhebung sei vor der Operation vom 11.03.2009 nicht vorzunehmen gewesen. Das Landgericht habe unzutreffend den Vorbehandler C nicht als Zeugen vernommen und das vorgelegten Privatgutachten nicht gewürdigt. Die Annahme eines groben Behandlungs- oder Befunderhebungsfehlers sei unzutreffend. Letztlich wäre auch bei ordnungsgemäßer Befunderhebung das Ergebnis gewesen, das eine Operationsindikation bestanden hätte. Allein aus dem durch Herrn C gefertigten MRT sei eine Operationsindikation gegeben gewesen, die sich bei aktueller Befunderhebung bestätigt hätte. Unabhängig von der nicht gegebenen Beweislastumkehr beruhe die Schädigung der Klägerin nicht auf der behandlungsfehlerfrei durchgeführten Operation, sondern auf dem schicksalhaft aufgetretenen Hämatom, was durch eine Blutung hervorgerufen worden sei und niemals vermieden werden könne.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 14.04.2015 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen
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Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Es bleibe dabei, dass die Operation nicht indiziert gewesen sei. Der Sachverständige habe sich entgegen den Behauptungen der Beklagten mit den durch Dr. C vorgenommenen Untersuchungen gutachterlich auseinandergesetzt. Ohnehin habe dessen Therapie allein aus der Verordnung von Schmerzmitteln und Spritzen bestanden, was keine ausreichende konservative Behandlung darstelle. Keinesfalls habe man eine Operation ohne vorherige differentialdiagnostische neurologische Untersuchung und ohne Anfertigung eines erneuten MRT vornehmen dürfen. Die angewandte Operationsmethode sei falsch gewesen. Zudem habe ein Diagnosefehler vorgelegen, da bei der Klägerin keine Instabilität vorgelegen habe. Auch das Privatgutachten sei vom Sachverständigen berücksichtigt worden, der gleichwohl bei seiner Einschätzung verblieben sei. Jedenfalls in ihrer Gesamtheit seien die Behandlungsfehler als grob anzusehen. Die Kausalität sei zweifellos zu bejahen. Es sei erst wegen des groben Behandlungsfehlers zur Operation gekommen. Auf wenn die Operation fehlerfrei vorgenommen worden sein sollte, so wäre ohne die Operation keine Blutung hervorgerufen worden. Zudem sei weiterhin von einem Aufklärungsfehler des ärztlichen Personals der Beklagten auszugehen.
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Der Senat hat ergänzenden Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen C. Ferner hat der Sachverständige Prof. Dr. U sein Gutachten mündlich erläutert und ergänzt. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 11.11.2016 verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insbesondere auch des Wortlautes der erstinstanzlich gestellten Anträge, wird auf die angefochtene Entscheidung sowie die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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II.
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Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.
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Der Klägerin steht gegen die Beklagte der erstinstanzlich zuerkannte Anspruch auf Ersatz materieller und immaterieller Schäden nach den §§ 611, 280, 278, 249, 253 Abs. 2 BGB bzw. 823, 831, 249, 253 Abs. 2 BGB zu. Das Landgericht hat der Klägerin zu Recht und mit zutreffender Begründung einen Anspruch auf Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 400.000,00 € zuerkannt und die Ersatzpflicht der Beklagten hinsichtlich materieller Schäden der Klägerin festgestellt.
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Die Ärzte der Beklagten haben bei der Klägerin eine Fusion der Halswirbelkörper C4-7 sowie eine Bandscheibenprothesenimplantation im Bandscheibenfach C3/4 vorgenommen. Das Landgericht hat bei der Beurteilung der vom 15.12.2008 bis 16.03.2009 erfolgten ärztlichen Behandlung in nicht zu beanstandender Weise mehrere teils einfache, teils grobe Behandlungsfehler festgestellt und hat die Behandlung der Klägerin in der Gesamtschau als grob fehlerhaft angesehen.
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1.
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Erfolglos rügt die Beklagte, die weiterhin sämtliche Behandlungsfehler in Abrede stellt, zunächst, es sei keine Auseinandersetzung mit dem von ihr vorgelegten Privatgutachten Prof. Dr. I vom 02.10.2013 (Bl. 193 ff d.A.) erfolgt. Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. U hat sich vielmehr im Ergänzungsgutachten vom 10.06.2014 (Bl. 276 ff d.A.) ausführlich mit dem Privatgutachten befasst. Er hat dezidiert und nachvollziehbar dargelegt und begründet, in welchen Punkten er dem Privatgutachter folgt und wo er dessen Schlussfolgerungen nicht teilt. Dabei hat sich der Sachverständige auch mit der im Privatgutachten aufgeführten Literatur auseinandergesetzt und herausgearbeitet, dass sich daraus gerade kein Widerspruch zu den vom ihm vorgenommenen Bewertungen ergibt. Zudem ist zu beachten, dass es vorliegend maßgeblich um die Beurteilung eines orthopädischen Sachverhalts geht, der Privatgutachter aber als Neurologe einer anderen Fachrichtung angehört. Soweit danach das Landgericht den Ausführungen des Sachverständigen gefolgt ist, ist dies nicht zu beanstanden, wenngleich der Beklagten zuzugestehen ist, dass das Landgericht das Privatgutachten im Urteil nicht explizit erwähnt hat.
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2.
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Soweit im Rahmen des stationären Aufenthalts vom 15.12. bis 20.12.2008 der Entschluss gefasst worden ist, der Klägerin die streitgegenständliche Operation an der Halswirbelsäule zu empfehlen, ist der Sachverständige auch nach Vernehmung des Zeugen C und Auswertung der von diesem vorgelegten Behandlungsunterlagen dabei verblieben, dass eine unvollständige Befunderhebung stattgefunden hat sowie, dass die Operation weder dem Grunde, noch der Form nach indiziert gewesen ist.
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a) Ein Befunderhebungsfehler ist zunächst darin zu sehen, dass die nach Angabe des Sachverständigen bereits zu diesem Zeitpunkt zwingend erforderliche präoperative stationäre neurologische Untersuchung unterblieben ist.
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Die Klägerin litt bei ihrer stationären Aufnahme an degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule, die Nackenschmerzen mit Ausstrahlung in die rechte obere Extremität verursacht haben. Soweit das Landgericht noch angenommen hat, dass die Klägerin im Dezember 2008 wegen ausstrahlender HWS-Schmerzen mit Teillähmungen durch ihren Orthopäden, den Zeugen C, bei der Klinik der Beklagten vorgestellt wurde, hat sich dies im Senatstermin nicht bestätigt. Der Zeuge C hat vielmehr glaubhaft bekundet, zu diesem Zeitpunkt von Beschwerden der Klägerin im Bereich der HWS keine Kenntnis gehabt und diese allein wegen der von ihm auch entsprechend dokumentierten Beschwerden im Bereich der LWS bei der Beklagten vorgestellt zu haben.
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Überdies können derartige Lähmungserscheinungen nach Angabe des Sachverständigen durch einen raumfordernden Prozess ausgelöst sein, sie können aber auch durch einen zentralen Prozess wie eine Entzündung oder Degeneration ausgelöst werden. Es hätte danach differentialdiagnostisch durch einen Neurologen ausgeschlossen werden müssen, dass ein zentrales Geschehen vorliegt, um sicher zu sein, dass der Funktionsausfall eindeutig auf einer Einengung beruht. Erst dann kann die Indikation zur Operation gestellt werden.
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Soweit die Beklagte auf die zuvor vom Zeugen C vorgenommenen Untersuchungen und Behandlungen verweist und anführt, es sei nicht mehr erforderlich gewesen, durch einen Neurologen differentialdiagnostisch auszuschließen, dass kein anderes Geschehen vorgelegen habe, fehlt es bereits an einer dezidierten Angabe dieser Untersuchungen. Vor allem aber hat der Zeuge C die Klägerin gerade zur stationären Abklärung von Beschwerden im Bereich der LWS im Klinikum der Beklagten vorgestellt. Er hat seinen Bekundungen nach im HWS-Bereich keinerlei eigenen Untersuchungen durchgeführt und hat insoweit auch keine Behandlung der Klägerin vorgenommen. Der Sachverständige vermochte Gegenteiliges auch den Behandlungsunterlagen des Zeugen nicht zu entnehmen und ist im Senatstermin dabei verblieben, dass die Befunderhebung im Dezember 2008 unvollständig gewesen ist.
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b) Die Ärzte der Beklagten haben ebenso die zur differentialdiagnostischen Abklärung erforderliche MRT-Untersuchung fehlerhaft unterlassen. Selbst wenn sich aus der anderweitigen Bildgebung eine Einengung ergibt, bleibt diese nach Angabe des Sachverständigen in vielen Fällen ohne Auswirkung, so dass zur differentialdiagnostischen Abklärung aus medizinischer Sicht zwingend ein MRT gehört.
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Soweit die Beklagte die Erforderlichkeit eines MRT im Berufungsverfahren weiterhin in Abrede stellt und wiederum auf die Voruntersuchungen des Zeugen C verweist, hat der Sachverständige überzeugend dargelegt, dass die Erstellung eines MRT erforderlich gewesen ist. Der Zeuge C hat zudem seinen Bekundungen nach gerade keinerlei eigene Voruntersuchungen bei der Klägerin vorgenommen. Ein MRT ist von dem Zeugen auch erst nach dem stationären Aufenthalt der Klägerin veranlasst worden.
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c) Es verbleibt auch dabei, dass den Ärzten der Beklagten eine teilweise unvertretbare Diagnose vorzuwerfen ist.
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Der Sachverständige hat die von den Ärzten der Beklagten gestellte Diagnose als vertretbar angesehen mit Ausnahme der Instabilität C3/4. Eine solche Instabilität war durch die vorgenommene Bildgebung gerade nicht nachgewiesen, da man sie weder im CT noch im Kernspin vom 06.01.2009 erkennen kann. Die hierzu erforderlichen Funktionsaufnahmen (Röntgenaufnahmen unter Bewegung) sind nicht erstellt worden. Auch aus dem späteren Operationsbericht vom 11.03.2009 konnte der Sachverständige keine Instabilität ableiten.
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d) Weiterhin bestand bei der Klägerin im Dezember 2008 nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme allenfalls eine relative OP-Indikation. Bei zervikalen Bandscheibenvorfällen müssen operative Maßnahmen individuell abgewogen werden, da in vielen Fällen eine konservative Behandlung gleichfalls erfolgversprechend ist.
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Nachdem bei der Klägerin im Dezember 2008 allein Kribbelparästhesien und Gefühlsstörungen vorhanden waren und ausdrücklich festgehalten wurde, dass gerade keine motorischen Lähmungen vorlagen, bestand nach Angabe des Sachverständigen keine absolute OP-Indikation. Auch das später erstellte MRT vom 06.01.2009 zeigte keine Myelopathiesignale am Rückenmark, so dass ein Rat zum Abwarten gleichermaßen vertretbar gewesen wäre.
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Es wäre danach im Rahmen des stationären Aufenthalts eine Abklärung erforderlich gewesen, ob bereits ein erfolgloser Behandlungsversuch stattgefunden hat. Mit der Klägerin musste besprochen werden, ob bereits ein konservativer Behandlungsversuch stattgefunden hat und ob man einen solchen (ggf. weiteren) Behandlungsversuch unternimmt.
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Nachdem das vom Sachverständigen geforderte Gespräch über die Möglichkeit des Zuwartens und Weiterführens der konservativen Behandlung nicht stattgefunden hat, ergibt sich hieraus der Vorwurf unzureichender Aufklärung über Behandlungsalternativen.
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Über eine Intensivierung der konservativen Therapie als Alternative zum operativen Eingriff ist aber auch nach Beklagtenvortrag nicht gesprochen worden. Ohne Erfolg stellt die Beklagte weiter auf die vom Zeugen C vorgenommene konservative Behandlung vom 03.11.2008 bis 16.02.2009 ab und führt an, die Operation sei indiziert gewesen, da mit einer Besserung durch konservative Therapie nicht mehr zu rechnen gewesen sei. Dabei geht zunächst ihr im Berufungsverfahren erhobener Vorwurf, der Sachverständige habe die vom Zeugen C durchgeführte konservative Behandlung außer Acht gelassen, ins Leere. Der Sachverständige hat sich in seinem Ergänzungsgutachten vom 10.06.2014 sowie dessen Erläuterung im Verhandlungstermin vom 14.04.2015 sehr detailliert mit der Behandlung der Klägerin durch den Zeugen C auseinandergesetzt. Danach hat die Klägerin die Praxis des Zeugen insgesamt acht Mal aufgesucht, wobei die Behandlung überhaupt erst ca. einen Monat lief und lediglich 3 Termine vor der ersten stationären Behandlung bei der Beklagten im Dezember 2008 stattgefunden haben. Allein dies belegt, dass zu diesem Zeitpunkt keinesfalls angenommen werden konnte, dass die Klägerin konservativ auskuriert gewesen ist. Der Sachverständige hat insoweit ausgeführt, dass eine konservative Behandlung über viele Jahre gehen kann und dass man in diesem Zusammenhang auch eine Intensivierung der konservativen Therapie bis hin zu stationären Maßnahmen erwägen und mit dem Patienten besprechen muss. Vor allem hat der Zeuge C im Senatstermin bekundet, keinerlei konservative Behandlung im Bereich der HWS durchgeführt und die Klägerin diesbezüglich nicht einmal untersucht zu haben.
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Der Privatgutachter sieht eine Indikation zur OP wegen eines chronischen Schmerzsyndroms und der Verschlechterung des neurologischen Befundes als gegeben an. Ihm war bei Abfassung seines Gutachtens aber nicht bekannt, dass sich die Klägerin erst einen Monat in Behandlung des Zeugen C befunden hat, als die Beklagte bereits zur OP geraten hat.
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Hinsichtlich der vom Zeugen C im schriftlichen Behandlungsverlauf (Schreiben vom 20.03.2014, Bl. 265 a d.A.) angegebenen grob neurologisch fassbaren Ausfälle bei der Klägerin hat der Sachverständige auf eine unaufgeklärte deutliche Befunddiskrepanz verwiesen. Durch die Beklagte wurde noch im Bericht vom 10.02.2009 ein motorisch und sensibler unauffälliger Befund dokumentiert, wie er damit korrespondierend bereits im Arztbrief vom 30.01.2009 für Dezember 2008 beschrieben worden ist. Dort finden sich, wie der Sachverständige im Senatstermin nochmals bestätigt hat, in Bezug auf die HWS ausdrücklich keine neurologischen Auffälligkeiten. Danach müsste sich – so der Schluss des Sachverständigen – die vom Zeugen C beschriebene Befundverschlechterung zwischen dem 10.02.2009 und der stationären Aufnahme der Klägerin am 10.03.2009 ereignet haben und der Zeuge C seinen Befund bei der in diesem Zeitraum einmalig am 16.02.2009 erfolgten Vorstellung der Klägerin in seiner Praxis erhoben haben. Hierzu hat der Zeuge C nunmehr im Rahmen seiner Vernehmung aber dargelegt, dass er selbst keine Befundverschlechterung festgestellt hat und auch die Klägerin ihm gegenüber in dem fraglichen Zeitraum nicht von einer Verschlechterung ihres Befindens berichtet hat. Der Zeuge vermochte insoweit nur anzugeben, dass die Klägerin ihm gegenüber Beschwerden im Bereich der HWS bestätigt habe und dass ihm eine Streckschwäche beider Arme bekannt gewesen ist.
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Soweit der Zeuge C wegen der degenerativen Veränderungen in Form von Einengungen des Spinalkanals und der Nervenwurzeln über mehrere Etagen eine operative Versorgung für angezeigt gehalten und der Klägerin seinen Bekundungen nach hierzu geraten hat, ist der Sachverständige gleichwohl dabei verblieben, dass die Veränderungen mangels Vorliegens von neurologischen Ausfällen lediglich eine relative OP-Indikation begründet haben.
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Abweichend vom Privatgutachten Prof. Dr. I ergab sich auch aus den CTs vom 18.12.2008 keine Einengung des ventralen Reserveraumes in den Segmenten C4-7, aus der sich bei klinischer Befundverschlechterung die Operationsindikation ergeben würde. So hat der die Untersuchung seinerzeit befundene Radiologe keine Einengung des Reserveraumes beschrieben und auch der gerichtliche Sachverständige hat im Rahmen der Nachbefundung angegeben, dass die tatsächliche vorliegende Einengung des Reserveraumes gerade nicht mit einer Kompression des Halsmarks gleichzusetzen ist und damit nicht per se eine Indikation zum operativen Vorgehen bedingt, zumal der klinische Befund zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend unauffällig gewesen ist. Auch aus dem MRT vom 06.01.2009 lässt sich in Verbindung mit dem CT vom 18.12.2008 nach den ergänzenden Angaben des Sachverständigen nicht mehr herleiten, da im Prinzip im CT vom 18.12.2008 dieselben degenerativen Veränderungen beschrieben werden wie im MRT vom 06.01.2009. Auch unter Berücksichtigung der stattgehabten Bandscheibenvorfälle ergibt sich kein Hinweis darauf, dass diese Vorfälle neurologische Ausfälle bewirkt hätten.
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e) Schließlich hat sich bestätigt, dass auch die von den Ärzten der Beklagten gewählte Operationsmethode aus zwei Gründen kontraindiziert gewesen ist. Da vorliegend eine Fusion der Etagen C4-C7 durchgeführt und eine Bandscheibenprothese in das angrenzende Bandscheibenfach C3/4 implantiert worden ist, hat zum einen die Kontraindikation bestanden, dass mehr als drei Etagen operativ behandelt werden mussten und zum anderen, dass in unmittelbarer Nachbarschaft an das Bandscheibenfach C3/4 eine Wirbelsäulenfusion angrenzte.
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Der Sachverständige hat nachvollziehbar begründet, dass durch eine Fusion eine erhöhte Belastung der Nachbarsegmente eintritt, wodurch die Prothese sodann einer erhöhten biomechanischen Belastung unterworfen wird, was die Gefahr einer verfrühten Prothesenlockerung deutlich erhöht. Eine unmittelbar an das für die Bandscheibenimplantation vorgesehene Bandscheibenfach angrenzende zervikale Fusion stellt danach eine Kontraindikation dar, wobei nach den Ausführungen des Sachverständigen bereits 2008 bekannt gewesen ist, dass eine teilweise Versteifung zu einer Überlastung der beweglichen Nachbarsegmente führt. Als weitere Kontraindikation gilt die Notwendigkeit, mehr als drei Bandscheibenetagen zu behandeln. Insgesamt hat der Sachverständige die Implantation einer Bandscheibenprothese oberhalb einer angrenzenden 3-Etagen-Fusion als nicht mehr nachvollziehbar bezeichnet. Man hätte seinen Angaben nach im Falle der Klägerin notfalls den Bereich C3/4 mit versteifen müssen, soweit nicht bereits die Versteifung C4-7 ausreichend gewesen wäre. Allein hierdurch wäre dann eine regelgerechte Biomechanik gewährleistet worden.
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Der Privatgutachter hat weder in der Operation in insgesamt 4 Höhen, noch in der Kombination eine Kontraindikation gesehen. Zur Begründung hat er die (lange) postoperativ gefertigte Kernspinaufnahme vom 17.07.2009 herangezogen und angegeben, die nahezu vollständige Destruktion des Myelons C3-6/7 sei insgesamt nur durch eine großvolumige über mehrere Höhen reichende kompressive Hämatombildung erklärbar (Bl. 206 d.A.). Soweit die Beklagte im Berufungsverfahren danach weiterhin anführt, es sei die richtige Methode zur Anwendung gekommen, sowohl die vom Sachverständigen als korrekt angesehene Versteifung (Bekl. schreibt C3/4 meint aber wohl C4-7) sei in Ordnung gewesen, als auch das Einbringen der Bandscheibenprothese C3/4 ist der Sachverständige dem im Senatstermin überzeugend entgegengetreten. Er hat nochmals dargelegt, dass die Versteifung aus medizinischer Sicht durchaus erforderlich gewesen ist, sich die doppelte Kontraindikation aber aus der Kombination mit der anschließenden Bandscheibenprothese ergibt. Dem schließt sich der Senat an.
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3.
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Ein gesonderter grober Behandlungsfehler ist weiterhin darin zu sehen, dass vor der Operation vom 11.03.2009 eine weitere präoperative Befunderhebung unterlassen worden ist.
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Es war ausweislich der Unterlagen der Beklagten zwischenzeitlich ein neuer neurologischer Befund bei der Klägerin aufgetreten mit Sensibilitätsstörungen im rechten Unterarm und der rechten Hand und einer Kraftgradminderung bzgl. des Trizeps und des Bizeps. Diesem Befund hätte man nach Angabe des Sachverständigen zwingend weiter durch Erstellung eines neuen MRT und Veranlassung einer erneuten neurologischen Untersuchung nachgehen müssen. Dabei ist insbesondere die differentialdiagnostische neurologische Untersuchung zum Ausschluss anderer neurologischer Erkrankungen erforderlich gewesen. Beide Untersuchungen waren danach für die Stellung der Operationsindikation zwingend erforderlich.
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Der Sachverständige hat diese Unterlassung aus medizinischer Sicht für vollkommen unverständlich erachtet und zur Begründung angeführt, dass sich infolge der unterlassenen Befunderhebung vor dem Eingriff keine sichere Diagnose ergeben hat. Nachdem mangels neurologischer Abklärung für die Verschlechterung keine Diagnose vorgelegen hat, hätte die Operation unter keinen Umständen stattfinden dürfen.
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Der Befund bei stationärer Aufnahme der Klägerin war nach Angabe des Sachverständigen mit dem vom 06.01.2009 nicht mehr vereinbar. Vor allem ließ sich gerade kein Rückschluss vom Auftreten neurologischer Ausfälle auf eine absolute OP-Indikation ziehen. Gerade die relativ rasche Befundverschlechterung sprach überwiegend für andere Ursachen, da der Prozess bei knöchernen Veränderungen eher langsam verläuft. Der Sachverständige hat klargestellt, dass die von den Ärzten der Beklagten angenommene zervikale Myelopathie, die einer operativen Behandlung bedurft hätte, gerade nicht nachgewiesen war. Aus den vorliegenden Befunden waren keine sicheren Myelopathiezeichen zu entnehmen. Auch der Privatgutachter Prof. I hat insoweit übereinstimmend angeführt, dass unklar ist, worauf sich diese Diagnose gestützt hat. Soweit der Privatgutachter Prof. Dr. I ein erneutes MRT nicht für erforderlich gehalten und ausgeführt hat, die Beklagte habe sich auf die bereits diagnostizierten Bandscheibenvorfälle berufen und die Verschlechterung hierauf zurückführen dürfen, ist dem der Sachverständige überzeugend entgegengetreten. Er hat insoweit dargelegt, dass die stattgehabten Bandscheibenvorfälle für sich genommen keinen Hinweis auf die Bewirkung neurologischer Ausfälle gegeben haben und hat auf die jedenfalls bis Februar 2009 dokumentierten unauffälligen neurologischen Untersuchungen hingewiesen.
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Entgegen der Ansicht der Beklagten war es danach allein wegen der Befundverschlechterung nicht vertretbar, ohne weitere Diagnostik sofort zu operieren. Die Diagnose einer Myelopathie war zwar angesichts der Ausfallerscheinungen der Klägerin grundsätzlich vertretbar. Gerade wegen des schnellen Verlaufs hätte man dieser Sache aber vor Stellung der OP-Indikation unbedingt nachgehen müssen, zumal die bisherige Bildgebung gerade zur Diagnosesicherung nicht geeignet gewesen ist. Bei einer fortgeschrittenen Myelopathie kann man die Veränderung nach den ergänzenden Ausführungen des Sachverständigen im Kernspin sehen. Nachdem solche im Kernspin vom 06.01.2009 gerade nicht zu erkennen waren, hätte man zur Abklärung des Verdachts vor dem operativen Eingriff zumindest ein neues MRT veranlassen müssen. Auch aus der ex post Betrachtung heraus ist es nach Angabe des Sachverständigen wenig wahrscheinlich, dass präoperativ eine Myelopathie bei der Klägerin vorgelegen hat.
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Der Senat hält in Übereinstimmung mit dem Landgericht die Vornahme eines schwerwiegenden operativen Eingriffs ohne zuvor gesicherte Diagnose für grob fehlerhaft. Man hatte zu diesem Zeitpunkt eine unklare Situation bei einem vorliegenden Akutereignis und hat ohne weitergehende Befunderhebung einfach operiert. Der Sachverständige hat im Senatstermin angegeben, dass man wegen der unterlassenen Befunderhebung nicht genau sagen kann, ob ggf. eine absolute OP-Indikation bestanden hat. Er hat dargelegt, dass das Vorgehen der Ärzte der Beklagten aus fachlicher Sicht nicht mehr verständlich ist und dargelegt, dass ein Kandidat in der Facharztprüfung durchgefallen wäre, wenn der die streitgegenständliche Operation ohne vorherige neurologische Abklärung durchgeführt hätte.
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4.
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Der Sachverständige vermochte aufgrund des Operationsberichts vom 11.03.2009, der ein sorgfältiges Vorgehen dokumentiert, weiterhin keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Durchführung der Operation selbst erkennen. Auffällig war allein der erhebliche Zeitbedarf für den Eingriff. Aus dem am Abend des Eingriffs durchgeführten CT ließ sich ein regelrechter Sitz der eingebrachten Bandscheibenprothese, des Cages und der Platten erkennen. Ursache der postoperativen Komplikation ist nach Angabe des Sachverständigen höchstwahrscheinlich eine Hämatombildung infolge einer Nachblutung, die auch bei ordnungsgemäßem Vorgehen nicht zuverlässig zu vermeiden ist. Auch die Revisionsoperation ist nach erneuter Bildgebung mit Nachweis eines Hämatoms zeitnah unter Wahrung des Facharztstandards durchgeführt worden.
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5.
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Das Landgericht ist aufgrund des groben Befunderhebungsfehlers sowie der in der Gesamtschau auch zur Überzeugung des Senats insgesamt als grob fehlerhaft anzusehenden Behandlung zutreffend von einer Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität für die Primärschädigung ausgegangen, die von der Beklagten nicht entkräftet worden ist. Durch die Operation ist es zu einer kompletten Querschnittslähmung der Klägerin unterhalb C3/4 gekommen.
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Der Sachverständige hat bereits die unterlassene Befunderhebung unmittelbar vor dem Eingriff vom 11.03.2009 als grob fehlerhaft eingestuft. Die Vielzahl der vom Sachverständigen angeführten präoperativen Fehler im Bereich der Befunderhebung, Diagnostik und Operationsplanung erlaubt überdies in der Gesamtschau die Annahme einer insgesamt grob fehlerhaften ärztlichen Behandlung. Maßgeblich hierfür ist vor allem, dass ohne hinreichend gesicherte Diagnose operiert worden ist und es daher fehlerhaft gewesen ist, der Klägerin zu diesem Eingriff zu raten. Es hätte danach – wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat – weder zu diesem Zeitpunkt noch in dieser Form operiert werden dürfen. Die Ärzte der Beklagten haben bei ihrer Beurteilung zudem die anderweitigen therapeutischen Möglichkeiten vollkommen außer Acht gelassen.
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Es ist danach entgegen der Auffassung der Beklagten unbeachtlich, dass die Querschnittlähmung nicht unmittelbar auf einem Behandlungsfehler bei Durchführung der Operation selbst beruht, sondern auf einer Komplikation wegen des aufgetretenen Hämatoms. Nachdem schon die Vornahme der Operation an sich und zudem die gewählte Operationsmethode (grob) fehlerhaft gewesen ist, kommt es hierauf nicht an.
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6.
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Letztlich ist das zugesprochene Schmerzensgeld von 400.000,00 € angesichts der vom Sachverständigen bestätigten und im Berufungsverfahren nicht mehr streitigen schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen auch zur Überzeugung des Senats nicht zu beanstanden.
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Angesichts zu erwartender weitergehender vor allem materieller Folgen ist auch der Feststellungsantrag zulässig und begründet.
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Auch die vorgerichtlichen Anwaltskosten sind erstattungsfähig. Soweit die Beklagte den tatsächlichen Anfall dieser Kosten und die Aktivlegitimation der Klägerin mit Nichtwissen bestritten hat, ist dies irrelevant, da der Klägerin allein ein Freistellungsanspruch zuerkannt worden ist.
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III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 Abs. 2 ZPO. Die für die Entscheidung maßgeblichen Rechtsfragen sind solche des Einzelfalls.

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