BGH zur Frage der Anfechtbarkeit von “Ebay”-Verträgen

BGH, Urteil vom 26.01.2005 – VIII ZR 79/04

Zur Frage der Anfechtbarkeit von “Ebay”-Verträgen

Tenor:

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 10. November 2004 für Recht erkannt:

Die Revision des Beklagten und die Anschlußrevision der Klägerin gegen das Urteil der 20. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld vom 24. Februar 2004 werden zurückgewiesen.

Von den Kosten des Revisionsverfahrens haben der Beklagte 8/9 und die Klägerin 1/9 zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Die Klägerin veräußert Computer nebst Zubehör über eine Website im Internet. Im Januar 2003 legte der zuständige Mitarbeiter der Klägerin für das Notebook der Firma S. , Typ V. S. einen Verkaufspreis von 2.650 € fest und gab diesen in das EDV-gesteuerte Warenwirtschaftssystem der Klägerin ein. Mittels einer von der Klägerin verwendeten Software wurden diese Daten anschließend automatisch in die Produktdatenbank ihrer Internetseite übertragen. Als Ergebnis dieses Vorgangs enthielt die Datenbank jedoch nicht den eingegebenen Betrag von 2.650 €, sondern einen Verkaufspreis von 245 €. Der Klägerin wurden im Februar 2003 mehrere Fälle bekannt, in denen es zu einem Fehler im Datentransfer durch die im übrigen beanstandungsfrei laufende Software gekommen war; die Ursache konnte nicht festgestellt werden. Der Beklagte bestellte am 1. Februar 2003 ein Notebook des vorgenannten Typs zu dem auf der Internetseite der Klägerin angegebenen Verkaufspreis von 245 €. Die Klägerin bestätigte dem Beklagten mittels einer automatisch verfaßten E-Mail vom gleichen Tage den Eingang seiner Bestellung zu diesem Preis. Eine weitere automatisch verfaßte E-Mail der Klägerin vom gleichen Tage (15.36 Uhr) hatte folgenden Inhalt:

“Sehr geehrter Kunde,
Ihr Auftrag wird jetzt unter der Kundennummer … von unserer Versandabteilung bearbeitet … Wir bedanken uns für den Auftrag …”.

Das Notebook wurde mit Rechnung/Lieferschein der Klägerin vom 5. Februar 2003 zum Verkaufspreis von 245 € zuzüglich Versandkosten von 12,80 € an den Beklagten ausgeliefert. Mit Schreiben vom 11. Februar 2003 erklärte die Klägerin die Anfechtung des Kaufvertrags mit der Begründung, das Notebook sei aufgrund eines Systemfehlers irrtümlich mit dem Preis von 245 € versehen worden. Der Beklagte lehnte mit Schreiben seiner Prozeßbevollmächtigten vom 18. Februar 2003 die Herausgabe des Notebooks ab. Die Klägerin setzte dem Beklagten hierzu mit Schreiben vom 28. Februar 2003 vergeblich eine Frist bis zum 8. März 2003.

Die Klägerin begehrt die Herausgabe und Rückübereignung des Notebooks Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises sowie die Feststellung, daß der Beklagte verpflichtet ist, den aus der Verweigerung der Herausgabe entstandenen und noch entstehenden Schaden zu ersetzen. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht der Klage hinsichtlich des Herausgabeantrags stattgegeben; hinsichtlich des Feststellungsantrags hat es die Berufung zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils. Die Klägerin hat sich der Revision angeschlossen; sie verfolgt ihren Feststellungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

Die Klägerin habe einen Anspruch gegen den Beklagten auf Rückübereignung des Notebooks gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB. Der Kaufvertrag sei aufgrund der mit Schreiben der Klägerin vom 11. Februar 2003 erklärten Anfechtung unwirksam. Die Klägerin sei wegen eines Irrtums in der Erklärungshandlung gemäß § 119 Abs. 1, 2. Alt. BGB zur Anfechtung berechtigt gewesen, da ihr zuständiger Mitarbeiter bei der Einstellung der Preisangaben in das Internet eine Erklärung des Inhalts, das Notebook solle 245 € kosten, nicht habe abgeben wollen. Die fehlerhafte Übertragung des Preises habe zunächst zwar nur die Präsentation des Warenangebots der Klägerin auf der Internetseite und damit eine invitatio ad offerendum betroffen. Dieser Fehler habe jedoch bei der automatisierten, vom Computer erstellten Annahmeerklärung fortgewirkt, weil bereits mit der Dateneingabe – in Verbindung mit der vorausgegangenen Programmierung – der Inhalt der späteren Annahmeerklärung festgelegt werde.

Der Feststellungsantrag der Klägerin sei unbegründet. Der Beklagte habe sich mit der Pflicht zur Herausgabe des Notebooks nicht in Verzug befunden. Weder den anwaltlich beratenen Beklagten noch seinen Rechtsanwalt treffe ein Verschulden an der Nichtleistung, da die Rechtslage hinsichtlich der Anfechtbarkeit in besonderem Maße unklar gewesen sei.

II.
Diese Erwägungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand, so daß die Revision des Beklagten (A.) und die Anschlußrevision der Klägerin (B.) zurückzuweisen sind.

A.
Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, die Klägerin sei gemäß § 119 Abs. 1 BGB zur Anfechtung ihrer auf den Abschluß des Kaufvertrags gerichteten Willenserklärung berechtigt gewesen.

1. Zwischen den Parteien ist ein Vertrag über den Kauf des Notebooks zu dem auf der Internetseite der Klägerin angegebenen Preis von 245 € zustande gekommen. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß die Klägerin nicht bereits mit der Präsentation des Notebooks auf ihrer Internetseite ein gemäß § 145 BGB verbindliches Angebot abgegeben hat, sondern daß sie insoweit lediglich zur Abgabe von Angeboten aufgefordert hat (invitatio ad offerendum). Daraus folgt, daß ein Angebot erst in der Bestellung des Beklagten vom 1. Februar 2003 zu dem auf der Internetseite der Klägerin angegebenen Verkaufspreis von 245 € zu sehen ist. Dies wird von der Revision ebensowenig in Zweifel gezogen wie die dem Berufungsurteil zu entnehmende Feststellung, daß die Klägerin dieses Angebot angenommen hat. Das Berufungsgericht hat sich allerdings nicht dazu geäußert, ob bereits die am 1. Februar 2003 um 15.36 Uhr versandte, automatisch verfaßte E-Mail der Klägerin oder erst die Übersendung der Ware mit Lieferschein/Rechnung vom 5. Februar 2003 als Annahmeerklärung zu werten ist. Da weitere tatsächliche Feststellungen nicht zu erwarten sind, kann der Senat diese Auslegung selbst vornehmen. Danach ist aus der Sicht eines verständigen Erklärungsempfängers (§§ 133, 157 BGB) bereits die E-Mail der Klägerin vom 1. Februar 2003, in der sie den Beklagten als Kunden anspricht und ihm mitteilt, daß sein Auftrag nunmehr von der Versandabteilung bearbeitet werde und sie sich des weiteren für den Auftrag bedankt, als konkludente Erklärung der Annahme des Angebots des Beklagten zu dem auf ihrer Internetseite angegebenen und in ihrer ersten automatischen E-Mail vom gleichen Tage bestätigten Verkaufspreis von 245 € auszulegen. Hiervon gehen auch beide Parteien im Revisionsverfahren aus.

2. Entgegen der Auffassung der Revision befand sich die Klägerin im Zeitpunkt der Abgabe ihrer Annahmeerklärung in einem zur Anfechtung berechtigenden Irrtum gemäß § 119 Abs. 1 BGB. Nach § 119 Abs. 1 BGB kann, wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war (1. Alt.; Inhaltsirrtum) oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte (2. Alt.; Erklärungsirrtum), die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, daß er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, daß die Klägerin sich im Zeitpunkt der Präsentation des Notebooks auf ihrer Website – mithin bei Abgabe ihrer invitatio ad offerendum – in einem Erklärungsirrtum befand. Dieser Irrtum der Klägerin ist, wie das Berufungsgericht zu Recht ausgeführt hat, jedenfalls deswegen beachtlich, weil er bei ihrer auf den Vertragsschluß gerichteten Annahmeerklärung noch fortwirkte.

a) Die Klägerin wollte auf ihrer Internetseite für das Notebook den Verkaufspreis von 2.650 € angeben, den ihr zuständiger Mitarbeiter festgelegt hatte. Die tatsächlich auf der Internetseite erschienene Preisangabe von 245 € entsprach daher nicht ihrem Erklärungswillen. Zwar ist der Irrtum in der Erklärungshandlung nicht dem Mitarbeiter der Klägerin selbst unterlaufen, da er den von ihm festgelegten Verkaufspreis zutreffend in ihr Warenwirtschaftssystem eingegeben hat. Vielmehr beruhte die Änderung des eingegebenen Verkaufs- preises auf einem Fehler im Datentransfer durch die im übrigen beanstandungsfrei laufende Software. Die Verfälschung des ursprünglich richtig Erklärten auf dem Weg zum Empfänger durch eine unerkannt fehlerhafte Software ist als Irrtum in der Erklärungshandlung anzusehen. Denn es besteht kein Unterschied, ob sich der Erklärende selbst verschreibt beziehungsweise vertippt oder ob die Abweichung vom gewollten Erklärungstatbestand auf dem weiteren Weg zum Empfänger eintritt. Dies ergibt sich auch aus § 120 BGB, wonach eine Willenserklärung, welche durch die zur Übermittlung verwendete Person oder Einrichtung unrichtig übermittelt worden ist, unter der gleichen Voraussetzung angefochten werden kann wie nach § 119 BGB eine irrtümlich abgegebene Willenserklärung. Dementsprechend wird § 120 BGB einhellig als Fall des Erklärungsirrtums angesehen, der lediglich eine gesonderte gesetzliche Regelung erhalten hat (Erman/ H. Palm, BGB, 11. Aufl., § 119 Rdnr. 33; Soergel/Hefermehl, BGB, 13. Aufl., § 119 Rdnr. 11; MünchKommBGB/Kramer, 4. Aufl., § 119 Rdnr. 46; Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl.,(wtrp) § 119 Rdnr. 10; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl., § 36 Rdnr. 14). Keine andere Beurteilung ist gerechtfertigt, wenn – wie im vorliegenden Fall – aufgrund fehlerhaften Datentransfers ein Übermittlungsfehler geschieht, bevor die Willenserklärung den Bereich des Erklärenden verlassen hat. Das Berufungsgericht hat auch zutreffend angenommen, daß der bei der Abgabe der invitatio ad offerendum vorliegende Erklärungsirrtum der Klägerin im Zeitpunkt ihrer auf den Vertragsschluß gerichteten Annahmeerklärung fortwirkte (ebenso OLG Frankfurt/Main, OLGR 2003, 88 mit Anmerkung von Dümig, EWiR § 119 BGB 1/03, S. 953; anders insoweit, jedoch für eine andere Fallgestaltung, LG Köln, MMR 2003, 481 mit kritischer Anmerkung Mankowski, EWiR § 150 BGB 1/03, S. 853). Die Klägerin hat die Annahme des Angebots des Beklagten aufgrund der Programmierung ihres Bestellungssystems erklärt. Diese Erklärung – Annahme der Bestellung zu einem Preis von 245 € – entsprach nicht ihrem Erklärungswillen. Die Klägerin wollte das Notebook, wie ausgeführt, zu einem Preis von 2.650 € verkaufen. Sie hatte den Programmablauf ihres Bestellungssystems so vorgesehen, daß der in ihr Warenwirtschaftssystem eingegebene Betrag in die Produktdatenbank übernommen und als Verkaufspreis für nachfolgende Bestellungen verbindlich sein sollte. Die Klägerin ging entsprechend dem von ihr beabsichtigten Programmablauf fälschlich davon aus, daß der automatisch in die Produktdatenbank übertragene Verkaufspreis dem in ihr EDV-System eingegebenen Betrag – wie im Regelfall geschehen – entspreche und die Bestellung des Beklagten mithin zu dem von ihr festgelegten Verkaufspreis von 2.650 € erfolge. Zu diesem von ihr festgelegten Preis wollte sie die Annahme erklären. Indem sie in Vollzug des Programmablaufs gleichwohl die Bestellung des Beklagten – zu einem Preis von 245 € – annahm, setzte sich der Irrtum der Klägerin fort.

b) Entgegen der Auffassung der Revision handelt es sich nicht um einen Irrtum in der Willensbildung bzw. in der Erklärungsvorbereitung. Die Klägerin hat ihren Erklärungswillen fehlerfrei gebildet, indem ihr zuständiger Mitarbeiter den Verkaufspreis für das Notebook auf 2.650 € festlegte und dieser Betrag nach ihrer Vorstellung vom Ablauf des verwendeten Computerprogramms in die Produktdatenbank der Internetseite übernommen werden sollte. Der vorliegende Fall ist daher auch nicht mit einem von der Revision in diesem Zusammenhang angeführten (verdeckten) Kalkulationsirrtum vergleichbar, bei dem der bereits im Stadium der Willensbildung unterlaufene Fehler als Irrtum im Beweggrund (Motivirrtum) grundsätzlich nicht zur Anfechtung berechtigt, auch wenn die falsche Berechnung auf Fehlern einer vom Erklärenden verwendeten Software beruht (vgl. BGHZ 139, 177, 180 f.). Denn die Angabe des falschen Betrags von 245 € beruhte nicht auf einer fehlerhaften Berechnung des Preises im Stadium der Willensbildung der Klägerin, sondern auf einem nachfolgenden Fehler bei der Übertragung der Daten.

3. Soweit der Beklagte in der Revisionsbegründung die Auffassung vertritt, er habe über den Kaufpreis hinaus zumindest Anspruch auf die von ihm gezahlten Versandkosten (§ 122 Abs. 1 BGB), und hierin die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem Herausgabeverlangen der Klägerin zu sehen sein sollte (§ 273 Abs. 1 BGB), kann diese Einrede, die auf einen neuen Gegenanspruch gestützt wird, aus prozessualen Gründen nicht berücksichtigt werden, da sie erstmals in der Revisionsinstanz erhoben wurde (vgl. BGH, Urteil vom 1. Februar 1993 – II ZR 106/92, NJW-RR 1993, 774 unter B m.w.Nachw.).

B.
Auch die Anschlußrevision der Klägerin, mit der sie ihren Antrag auf Feststellung der Verpflichtung des Beklagten zum Ersatz des aus der Verweigerung der Herausgabe des Notebooks entstandenen und noch entstehenden Schadens weiterverfolgt, ist nicht begründet. Der Beklagte ist nicht gemäß §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet, weil er mit seiner auf § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB beruhenden Verpflichtung zur Rückübereignung und Herausgabe des Notebooks nicht in Verzug geraten ist. Das Berufungsgericht hat angenommen, daß weder den anwaltlich beratenen Beklagten noch seinen Rechtsanwalt ein Verschulden an der Nichtleistung treffe, da die Rechtslage hinsichtlich der Anfechtbarkeit in besonderem Maße unklar gewesen sei. Dies trifft entgegen der von der Anschlußrevision vertretenen Auffassung zu. Die vorliegende Fallgestaltung wirft, wie ausgeführt, Abgrenzungsprobleme zu einem – grundsätzlich nicht zur Anfechtung berechtigenden – Motivirrtum auf; einschlägige höchstrichterliche Entscheidungen lagen bisher nicht vor.

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