BGH zur Ermittlung des Barunterhaltsschadens

BGH, Urteil vom 05.06.2012 – VI ZR 122/11

Der Umfang der gesetzlichen Unterhaltspflicht bestimmt sich nicht nach § 844 Abs. 2 BGB, sondern nach den unterhaltsrechtlichen Vorschriften. Den nach diesen Normen geschuldeten Unterhalt setzt § 844 Abs. 2 BGB voraus (Rn. 5).

Zur Berechnung des Barunterhaltsschadens sind nach der Ermittlung des für Unterhaltszwecke verfügbaren fiktiven Nettoeinkommens des Getöteten in einem zweiten Schritt die „fixen Kosten“ vorweg abzusetzen und – nach quotenmäßiger Verteilung des verbleibenden Einkommens auf den Getöteten und seine unterhaltsberechtigten Hinterbliebenen – in voller Höhe den einzelnen Unterhaltsgeschädigten anteilig zuzurechnen. Unter „fixen Kosten“ sind jene Ausgaben zu verstehen, die weitgehend unabhängig vom Wegfall eines Familienmitgliedes als feste Kosten des Haushalts weiterlaufen und deren Finanzierung der Getötete familienrechtlich geschuldet hätte (Rn. 7).

Tenor

Auf die Revision der Klägerin zu 1 wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 15. März 2011 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Ehemann der Klägerin zu 1 (im Folgenden: Klägerin) und Vater des Klägers zu 2 starb am 22. September 2004 infolge eines Verkehrsunfalls. Die volle Einstandspflicht der Beklagten steht außer Streit. Im vorliegenden Rechtsstreit verlangen die Kläger den Ersatz entgangenen Unterhalts. Die Klägerin begehrt mit der Leistungsklage die Zahlung einer Geldrente, deren Höhe sie in erster Instanz für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2005 mit 650 € monatlich und für die Zeit vom 1. Juli 2005 bis 30. September 2034 mit 707 € monatlich beziffert hat. Daneben begehrt sie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für ihren darüber hinausgehenden Unterhaltsschaden. Der Kläger zu 2 hat die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung einer monatlichen Geldrente begehrt. Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Gegen dieses Urteil haben nur die Beklagten Berufung eingelegt, und zwar allein mit dem Ziel der vollständigen Abweisung des Leistungsantrags der Klägerin. Die Berufung hatte teilweise Erfolg und führte zur Ermäßigung und zeitlichen Kürzung der von den Beklagten an die Klägerin zu zahlenden Rentenbeträge. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter, soweit das Berufungsgericht zu ihrem Nachteil entschieden und die Klage abgewiesen hat.

Entscheidungsgründe

I.

2

Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht der Klägerin gegen die Beklagten ein Anspruch auf Ersatz des ihr durch den Unfalltod ihres Ehemannes entstandenen Unterhaltsschadens in Form einer monatlich zu zahlenden Geldrente zu, jedoch für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2005 nur in Höhe von monatlich 179,07 € und für die Zeit vom 1. Juli 2005 bis 28. Februar 2015 nur in Höhe von monatlich 236,18 €. Der Rentenanspruch ende am 28. Februar 2015 mit der Vollendung des 16. Lebensjahres des Klägers zu 2. Von diesem Zeitpunkt an sei die betriebliche Arbeitsleistung der Klägerin in ihrem Schausteller- und Imbissbetrieb wegen des dann geringeren Betreuungsbedarfs des Kindes auf 50 % zu erhöhen. Da der sich für diese Zeit errechnende Unterhaltsrentenbetrag der Klägerin in Höhe von monatlich 327,77 € geringer sei als die ihr zustehende Witwenrente, entfalle ein Rentenanspruch gegen die Beklagten.

II.

3

Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

4

1. Das Berufungsgericht stellt zutreffend darauf ab, dass nach § 844 Abs. 2 BGB bei der Tötung eines gesetzlich zum Unterhalt Verpflichteten die unterhaltsberechtigte Person Anspruch auf Ersatz des Schadens hat, der ihr durch Entzug des Unterhaltsrechts entsteht (vgl. Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 10. Aufl., Rn. 319). Der Ersatz ist grundsätzlich durch Entrichtung einer Geldrente zu leisten. Dabei hat nach § 823 Abs. 1, § 844 Abs. 2 BGB der Schädiger dem Geschädigten bei Vorliegen der vom Berufungsgericht festgestellten weiteren Voraussetzungen insoweit Schadensersatz zu leisten, als der Getötete während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens zur Gewährung des Unterhalts nach dem Gesetz verpflichtet gewesen wäre. Dies zwingt den Richter zu einer Prognose, wie sich die Unterhaltsbeziehungen zwischen dem Unterhaltsberechtigten und dem Unterhaltspflichtigen bei Unterstellung seines Fortlebens nach dem Unfall entwickelt hätten. Er muss daher gemäß § 287 ZPO eine vorausschauende Betrachtung vornehmen, in die er alle voraussehbaren Veränderungen der Unterhaltsbedürftigkeit des Berechtigten und der (hypothetischen) Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen, wäre er noch am Leben, einzubeziehen hat. Dabei hat der Tatrichter bei der Festsetzung der Unterhaltsrente für die Zukunft sämtliche für die Bemessung dieser Rente im Bezugszeitraum zukünftig maßgebend werdenden Faktoren zu berücksichtigen (vgl. Senatsurteile vom 24. April 1990 – VI ZR 183/89, VersR 1990, 907; vom 4. November 2003 – VI ZR 346/02, VersR 2004, 75, 77 mwN; vom 27. Januar 2004 – VI ZR 342/02, VersR 2004, 653 und vom 25. April 2006 – VI ZR 114/05, VersR 2006, 1081 Rn. 8).

5

2. Der Umfang der gesetzlichen Unterhaltspflicht bestimmt sich nicht nach § 844 Abs. 2 BGB, sondern nach den unterhaltsrechtlichen Vorschriften. Den nach diesen Normen geschuldeten Unterhalt setzt § 844 Abs. 2 BGB voraus (vgl. Senatsurteil vom 4. November 2003 – VI ZR 346/02, aaO S. 76).

6

a) Bei der Ermittlung des Barunterhaltsschadens geht das Berufungsgericht zutreffend von den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus (vgl. z.B. Senatsurteile vom 6. Oktober 1987 – VI ZR 155/86, VersR 1987, 1243 f.; vom 31. Mai 1988 – VI ZR 116/87, VersR 1988, 954, 955, 957; vom 5. Dezember 1989 – VI ZR 276/88, VersR 1990, 317 f. und vom 2. Dezember 1997 – VI ZR 142/96, BGHZ 137, 237, 240; vgl. auch Jahnke in: van Bühren/Lemcke/Jahnke, Anwalts-Handbuch Verkehrsrecht, 2. Aufl., Teil 4 Rn. 1352 ff.; Wenzel/Zoll, Der Arzthaftungsprozess, 2012, Kap. 2 Rn. 2264 ff.; Burmann/Heß in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, 2012, Kap. 7 Rn. 459 ff.). Zu Recht beanstandet die Revision jedoch, dass dem Berufungsgericht bei der Errechnung der „fixen Kosten“ des Haushalts Rechtsfehler unterlaufen sind.

7

b) Zur Berechnung des Barunterhaltsschadens sind nach der Ermittlung des für Unterhaltszwecke verfügbaren fiktiven Nettoeinkommens des Getöteten in einem zweiten Schritt die „fixen Kosten“ vorweg abzusetzen und – nach quotenmäßiger Verteilung des verbleibenden Einkommens auf den Getöteten und seine unterhaltsberechtigten Hinterbliebenen – in voller Höhe den einzelnen Unterhaltsgeschädigten anteilig zuzurechnen (Senatsurteil vom 1. Oktober 1985 – VI ZR 36/84, VersR 1986, 39, 40). Unter „fixen Kosten“ sind jene Ausgaben zu verstehen, die weitgehend unabhängig vom Wegfall eines Familienmitgliedes als feste Kosten des Haushalts weiterlaufen und deren Finanzierung der Getötete familienrechtlich geschuldet hätte (Senatsurteile vom 11. Oktober 1983 – VI ZR 251/81, VersR 1984, 79, 81 und vom 31. Mai 1988 – VI ZR 116/87, aaO S. 955).

8

aa) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, das Berufungsgericht hätte als „fixe Kosten“ die Aufwendungen für die Unfallversicherung der Klägerin berücksichtigen müssen. Insoweit ist weder dargetan noch ersichtlich, dass der verstorbene Ehemann unterhaltsrechtlich zur Zahlung dieser Kosten verpflichtet gewesen wäre.

9

bb) Der Revision kann auch nicht darin gefolgt werden, dass die Prämien für die Lebensversicherung des verstorbenen Ehemannes der Klägerin als „fixe Kosten“ von dem Nettoeinkommen abzusetzen seien. Da diese Lebensversicherungen mit dem Tod des Ehemannes endeten, sind darauf keine weiteren Prämien mehr zu entrichten.

10

cc) Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht die Aufwendungen für die Lebensversicherungen der Klägerin nicht als „fixe Kosten“ des Haushalts berücksichtigt, sondern in vollem Umfang als individuelle Aufwendungen angesehen hat. Sie verweist mit Recht darauf, dass die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann nach den getroffenen Feststellungen gemeinsam selbständig in ihrem Schausteller- und Imbissbetrieb tätig gewesen sind. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Aufwendungen und Rücklagen von Selbständigen zur Altersvorsorge, die während der Zeit der aktiven beruflichen Tätigkeit erbracht würden, jedoch als „fixe Kosten“ des Haushalts zu berücksichtigen (vgl. Senatsurteile vom 26. Mai 1954 – VI ZR 69/53, VersR 1954, 325, 326 und vom 14. April 1964 – VI ZR 89/63, VersR 1964, 778, 779; BGH, Urteil vom 3. Dezember 1951 – III ZR 68/51, VersR 1952, 97, 98). Aufwendungen und Rücklagen zur Altersvorsorge können, soweit den betreffenden Personen keine ausreichende gesetzliche Altersrente zur Verfügung steht, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht stets in vollem Umfang als Beiträge für „freiwillige“ Versicherungen behandelt werden. Insoweit kann es sich vielmehr durchaus um „notwendige“ und damit „fixe Kosten“ des Haushalts handeln. Da Prämien für Kapitallebensversicherungen je nach Lage des Falles sowohl der Eigen- bzw. Altersvorsorge als auch der Absicherung der Unterhaltsberechtigten dienen können und insoweit eine besondere Form des Unterhalts darstellen, sind sie gegebenenfalls mit dem Anteil, der nicht der Vermögensbildung dient, bei der Bemessung der Rentenhöhe gemäß § 844 Abs. 2 BGB vom unterhaltsrechtlich relevanten Nettoeinkommen abzuziehen (BGH, Urteil vom 3. Dezember 1951 – III ZR 68/51, aaO S. 98 f.; Wenzel/Zoll, aaO Rn. 2284). Dabei unterfällt die Höhe des als „fixe Kosten“ zu berücksichtigenden Anteils regelmäßig der tatrichterlichen Schätzung gemäß § 287 ZPO (vgl. OLG Zweibrücken, VersR 1994, 613, 614 mit NA-Beschluss des erkennenden Senats vom 26. Oktober 1993 – VI ZR 6/93; OLG Hamm, Urteil vom 6. Juni 2008 – I-9 U 123/055, juris Rn. 148), wobei nach Lage des Falles auch zu berücksichtigen sein kann, in welchem Maße beide Ehegatten zum Familieneinkommen beigetragen haben.

11

dd) Die Revision beanstandet auch mit Recht, dass das Berufungsgericht bei der Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO ermessensfehlerhaft die der Klägerin zu ersetzenden Fixkosten über 16 ¼ Jahre hinweg um je 25 % für die beiden Kinder des Getöteten gekürzt hat, obwohl möglicherweise dessen Unterhaltspflicht seit dem 1. Oktober 2008 gegenüber der am 1. September 2008 volljährig gewordenen Tochter (und Schwester des Klägers zu 2) nicht mehr bestanden hätte und ab 1. März 2017 gegenüber dem am 25. Februar 2017 volljährig werdenden Kläger zu 2 nicht mehr bestehen würde. Insoweit hat das Berufungsgericht bei der Aufteilung der „fixen Kosten“ die Altersentwicklung der beiden Kinder nicht hinreichend berücksichtigt.

12

ee) Die Revision rügt ferner mit Recht, dass das Berufungsgericht diesen Fehler wiederholt hat, indem es bei der Verteilung des nach Abzug der „fixen Kosten“ verbleibenden Unterhaltsbeitrags des Getöteten den Anteil der Klägerin über 16 ¼ Jahre hinweg konstant mit 35 % bemessen hat. Auch dabei hat es den sich durch das Heranwachsen der Kinder ergebenden Veränderungen nicht in ausreichendem Maße Rechnung getragen.

13

3. In dem dargestellten Umfang ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen, um dem Berufungsgericht Gelegenheit zu geben, die Höhe des Unterhaltsschadens unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats zu ermitteln. Dabei wird im Rahmen der Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO gegebenenfalls auch das Vorbringen der Revisionserwiderung zur Berechnung des Rentenanspruchs zu berücksichtigen sein.

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