Bei Eisenbahnwaggons, die bauartbedingt erklettert werden können, muss deutlich auf Lebensgefahr durch Oberleitungen hingewiesen werden

BGH, Urteil vom 14. März 1995 -VI ZR 34/94

1. Bei Eisenbahnwaggons, die infolge ihrer Bauart (zB fest angebrachte Leitern) das Erklettern des Wagendaches ermöglichen, muß, wenn sie auf einem für Kinder zugänglichen und von ihnen auch betretenen Gelände abgestellt werden, deutlich auf die Lebensgefahr hingewiesen werden, die bei Annäherung an die Oberleitung besteht. Insoweit reichen am Waggon angebrachte Blitzpfeile mangels genauen Hinweises auf die Gefahrenquelle nicht aus.

2. Der Bahnunternehmer konnte im Mai 1991 darauf vertrauen, daß nach der Rechtsprechung die Blitzpfeile zur Warnung ausreichten.

(Leitsatz des Gerichts)

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz für Verletzungen, die er auf einem Eisenbahnwaggon durch Stromüberschlag von der Oberleitung erlitten hat. Der damals 13 Jahre und 8 Monate alte Kläger spielte am 4. Mai 1991 auf dem der Beklagten gehörenden, nicht umzäunten Bahngelände “Abstellbahnhof H.”. Er kletterte zunächst auf die Plattform eines auf einem Rangiergleis abgestellten Güterwagens, eines “Selbstentladewagens”, und dann über eine dort angebrachte Steigleiter auf das Wagendach. Am Waggon war im Bereich dieser Leiter unten und oben jeweils das gelbe Warnzeichen “Blitzpfeil” nach Bundesbahn-Norm 11002 angebracht. Auf dem Wagendach geriet der Kläger zu nahe an die Oberleitung. Durch den Stromschlag stürzte er vom Wagendach und erlitt schwere Verletzungen und Verbrennungen. Beide Beine mußten etwa 10 cm unterhalb des Knies amputiert werden.

Der Kläger hat Zahlung eines Schmerzensgeldes – nach seiner Vorstellung Kapital 120.000 DM und Rente monatlich 750 DM – sowie die Feststellung beantragt, daß die Beklagte ihm zum Ersatz von 3/4 allen weiteren materiellen und immateriellen Schadens vorbehaltlich eines Anspruchsübergangs auf Dritte verpflichtet sei.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung, mit welcher der Kläger seinen Anspruch auf Ersatz der Hälfte des Schadens beschränkt hat, hat das Oberlandesgericht die auf Zahlung eines Schmerzensgeldes gerichtete Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger vorbehaltlich eines Anspruchsübergangs auf Dritte die Hälfte allen weiteren materiellen und immateriellen Schadens aus dem Unfall zu ersetzen.

Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht nimmt an, daß die Beklagte dem Kläger unter Berücksichtigung eines hälftigen Mitverschuldens aus dem Gesichtspunkt der Deliktshaftung nach § 823 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet sei, weil sie durch unzureichende Warnung schuldhaft ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt habe. Diese Pflicht umfasse jedenfalls gegenüber Kindern auch die Vorbeugung vor einer Gefährdung durch unbefugtes und mißbräuchliches Verhalten.

Da der betreffende Waggon durch Trittstufen und Leitern besonders leicht bis zum Dach – und damit bis zu einem Abstand von 1,24 m zur Oberleitung – zu ersteigen sei, habe er einen besonderen Anreiz zum Spielen geboten, zugleich aber eine besondere Gefahrenquelle für Kinder dargestellt, die das Wagendach erkletterten und sich dort aufrichteten. Die unter 15.000-Volt-Hochspannung stehende Oberleitung auf dem Bahngelände der Beklagten stelle eine so erhebliche Gefahrenquelle dar, daß Kinder vor ihr deutlich gewarnt werden müßten. Die an den Waggons angebrachten Blitzpfeil-Warnzeichen reichten nicht aus, um Kinder auf die von der Oberleitung ausgehenden Gefahren hinzuweisen. So habe der Kläger selbst die Blitzsymbole nur auf Gefahren von an dem Waggon selbst vermuteten elektrischen Anlagen bezogen. Da die Umgebung des Bahngeländes durch ihren Buschbewuchs sowie die Nähe der stillgelegten Zeche und des Wohngebiets einen besonderen Spielanreiz biete, hätte die Beklagte im Hinblick auf die von der Oberleitung ausgehenden Gefahren zusätzliche Maßnahmen – etwa durch pictographische Darstellungen zur Verdeutlichung der gerade von der Oberleitung ausgehenden Gefahr oder durch zusätzliche Warntafeln – treffen müssen, zumal ihr bzw. ihren Bediensteten bekannt gewesen sei, daß dort häufig Kinder spielten. Soweit das Berufungsgericht in früheren Entscheidungen für vergleichbare Fälle die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht verneint habe, halte es im Hinblick auf die zunehmende Zahl solcher Unfälle sowie auf die gestiegenen Sicherheitserwartungen des Verkehrs daran nicht fest. Zwar müsse sich der Kläger auch ein erhebliches Mitverschulden anrechnen lassen. Jedoch könne nicht von grober Fahrlässigkeit ausgegangen werden.

II.

Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht durchweg stand.

1. Die Revision meint, die Beklagte habe schon deshalb keine Verkehrssicherungspflicht verletzt, weil sie gegenüber Unbefugten auf dem Bahngelände keinen Verkehr eröffnet habe. Zudem sei für Kinder, die sich etwa doch in die Nähe der Waggons begäben und körperlich zu deren Erklettern imstande seien, die Warnung durch Blitzpfeile ausreichend.

a) Die Revision kann keinen Erfolg haben, soweit sie in Zweifel zieht, daß auf dem Bahngelände eine Verkehrssicherungspflicht der Beklagten – insbesondere gegenüber spielenden Kindern – bestand. Ein Grundstückseigentümer und erst recht der Betreiber einer gefährlichen Anlage darf sich nicht darauf verlassen, daß sich Kinder nicht unbefugt in einen Gefahrenbereich begeben, wenn dieser besonderen Anreiz für den kindlichen Spieltrieb bietet und damit verbundene Gefahren für ein Kind nicht ohne weiteres erkennbar sind (Senatsurteile vom 20. März 1973 – VI ZR 55/72VersR 1973, 621, 622; vom 22. Oktober 1974 – VI ZR 149/73VersR 1975, 88, 89 und vom 19. Februar 1991 – VI ZR 171/90VersR 1991, 559). Vielmehr muß der Grundstückseigentümer wirksame und auf Dauer angelegte Schutzmaßnahmen ergreifen, um diese Kinder vor den Folgen ihrer Unbesonnenheit und Unerfahrenheit zu bewahren (Senatsurteil vom 19. Februar 1991 – aaO). Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts mußte die Beklagte mit spielenden Kindern auf dem fraglichen Gelände rechnen. Danach grenzten die Abstellgleise an mit Gras und Büschen bewachsenes Gelände und eine seit längerem geschlossene Zeche an. In der Nähe liege das Wohngebiet des Klägers. Kinder spielten häufig auf dem Gelände. Ebenso habe, wie das Berufungsgericht unangegriffen feststellt, der vom Kläger erkletterte Waggon einen besonderen Anreiz zum Spielen geboten, weil er besonders leicht bis zum Dach zu besteigen gewesen sei. Die über Trittstufen und Leitern ohne weiteres zu erreichende obere Plattform habe nur 85 cm unter dem Wagendach gelegen. Eine derartige Distanz könne ein Schulkind ohne weiteres überwinden. Unter diesen Umständen mußte die Beklagte damit rechnen, daß Kinder abgestellte Waggons von derartiger Beschaffenheit besteigen und so in die Nähe der Oberleitung geraten würden.

b) Entgegen der Auffassung der Revision konnte die Beklagte sich auch nicht damit beruhigen, daß Kinder von solchen Vorhaben durch die angebrachten Warnzeichen abgehalten würden.

aa) Ohne Erfolg verweist die Revision insoweit auf die internationale Verwendung dieses Symbols sowie darauf, daß es den Unfallverhütungsvorschriften entspreche.

Wenn auch derartige Normen zur Feststellung von Inhalt und Umfang bestehender Verkehrssicherungspflichten hinzugezogen werden können (Senatsurteil BGHZ 103, 338, 341 ff.), kommt es doch für die Frage, ob durch ihre Beachtung eine Verkehrssicherungspflicht gehörig erfüllt worden ist, auf die Umstände des Einzelfalles an. Hierfür ist vorliegend die Frage maßgeblich, ob die im Bereich der Steigleiter angebrachten Warnpfeile für Kinder hinreichend erkennen lassen, daß die Gefahr eines elektrischen Schlags gerade von der räumlich mit den Waggons nicht zusammenhängenden Oberleitung ausgeht.

bb) Diese Frage hat das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht verneint. Zwar kann der Verkehrssicherungspflichtige je nach dem Maß, in welchem eine Gefahr sich offensichtlich aufdrängt, darauf vertrauen, daß Kinder und Jugendliche sich dieser Gefahr aus ihrem natürlichen Angstgefühl nicht bewußt aussetzen (Senatsurteil vom 2. Mai 1978 – VI ZR 110/77VersR 1978, 762, 763). Dieser Grundsatz kann indes nur eingreifen, wenn die Gefahrenquelle offensichtlich ist. Insoweit hat das Berufungsgericht auch nicht verkannt, daß die Verkehrssicherungspflicht zum Schutz spielender Kinder sich in aller Regel auf solche Gefahren beschränkt, die ihnen verborgen bleiben oder denen sie aus anderen Gründen nicht ausweichen können (Senatsurteile vom 25. April 1978 – VI ZR 194/76VersR 1978, 739, 740 und vom 18. Oktober 1988 – VI ZR 94/88VersR 89, 155, 156 f.). Entgegen seiner früheren Auffassung (so z.B. VersR 1990, 913, 914 mit Nichtannahmebeschluß des erkennenden Senats vom 10. Oktober 1989 – VI ZR 271/88 -) nimmt es jedoch an, daß Kinder oder Jugendliche, selbst wenn sie körperlich zum Erklettern der Waggons in der Lage seien, vom Alter her nicht über eine derartige Lebenserfahrung und ein solches technisches Grundwissen verfügten, daß sie einen Blitzpfeil als Warnung vor der unter Hochspannung stehenden Oberleitung verstehen müßten.

Insoweit stellt das Berufungsgericht ohne Verfahrensfehler fest, der Kläger habe die Warnung durch Blitzpfeile nicht auf die Oberleitung, sondern auf irgendwelche an den Waggons befindlichen elektrischen Anlagen bezogen. Auch seine Mutter habe ihn zwar vor dem Betreten des Bahngeländes nur wegen der Gefahr durch herannahende Züge gewarnt, nicht aber an eine Gefährdung durch Strom aus der Oberleitung gedacht. Ferner verweist das Berufungsgericht auf die erhebliche Zahl vergleichbarer Unfälle, die darauf schließen lasse, daß das fragliche Symbol von Kindern und Jugendlichen nicht als Warnung gerade vor der Oberleitung verstanden werde.

cc) Hierauf kommt es indes nicht allein an. Maßgeblich ist vielmehr auch, daß die Waggons durch die angebrachten Leitern eine Aufstiegshilfe enthalten, die spielende Kinder zum Erklettern des Waggons verlocken kann, zumal sie bei Rangier- oder Entladearbeiten auch sehen können, daß Bahnbedienstete diese Leitern besteigen. Da der Abstand von der oberen Plattform bis zum Wagendach gering ist und seine Überwindung für Kinder einen zusätzlichen Anreiz darstellen kann, muß ihnen deutlich gemacht werden, daß sie sich beim Erreichen des Wagendachs in die Nähe der Oberleitung und damit in unmittelbare Lebensgefahr begeben. Das wird durch die am Waggon selbst angebrachten Blitzsymbole nicht hinreichend kenntlich gemacht, da sie nicht auf die eigentliche Gefahrenquelle – nämlich die Oberleitung – hinweisen. Insoweit muß in Betracht gezogen werden, daß Kinder selbst dann, wenn sie grundsätzlich mit Strom in der Oberleitung rechnen, im Eifer des Spiels diese Gefahr außer acht lassen. Deshalb muß sie ihnen jedenfalls dann, wenn die Waggons infolge ihrer Beschaffenheit zum Erklettern einladen, zur Abwehr dieses besonderen Spielanreizes deutlich vor Augen geführt werden. Nur so kann verhindert werden, daß Kinder die unmittelbare Nähe und die Größe der Gefahr, in welche sie sich bei Annäherung an die Oberleitung begeben, falsch einschätzen.

dd) Bei dieser Sachlage hat das Berufungsgericht entgegen der Auffassung der Revision die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht nicht überspannt, wenn es jedenfalls unter den hier gegebenen besonderen, sich aus der Beschaffenheit des Waggons und der Örtlichkeit ergebenden gefahrerhöhenden Umständen gezielte Warnhinweise durch pictographische Darstellungen oder Warntafeln verlangt, welche unmißverständlich klarmachen, daß die Gefahr eines tödlichen Stromschlags von der Oberleitung ausgeht. Die Verkehrssicherungspflicht erfordert es nämlich, mit der Warnung die Gefahrenquelle möglichst so genau darzustellen, daß die Kinder erkennen, auf welche Gefahr sie sich einstellen müssen und durch welches Verhalten sie sie vermeiden können. Deshalb muß auf die Lebensgefahr hingewiesen werden, die beim Erklettern des dazu verführenden Waggons schon von der Annäherung an die Oberleitung ausgeht. Die Blitzpfeile reichen dazu, wie bereits dargelegt, nicht aus. Soweit diese Frage in früheren Entscheidungen anders beurteilt worden ist, kann hieran aus den dargelegten Gründen jedenfalls für solche Fälle nicht festgehalten werden, in welchen Waggons der beschriebenen Bauart sich auf Abstellgleisen und einem für Kinder zugänglichen Gelände befinden und ihre Verbindung mit der stromführenden Oberleitung nicht ohne besonderen Hinweis erkennbar ist (vgl. insoweit auch die strengeren Anforderungen im Urteil des OLG Karlsruhe VersR 1992, 1490 mit Nichtannahmebeschluß des erkennenden Senats vom 29. September 1992 – VI ZR 328/91).

b) Die vom Berufungsgericht erörterten Maßnahmen – z.B. pictographische Darstellung oder stationäre Warntafeln im Bereich derartiger Abstellgleise – stehen auch nicht außer Verhältnis zu der unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben, die ohne solche zusätzlichen Hinweise droht. Soweit die Revision sich auf den Vortrag der Beklagten bezieht, daß zusätzliche Textschilder nach den einschlägigen DIN-Normen nicht an stationären Anlagen angebracht werden sollten, verkennt sie, daß mit den vom Berufungsgericht erörterten stationären Warntafeln ersichtlich solche gemeint sind, die in dem gefährdeten Bereich der Abstellgleise aufzustellen seien. Weiter meint die Revision, daß die Beklagte – wohl unter dem Blickpunkt hierdurch entstehender Kosten – nicht zur Entwicklung neuartiger Pictogramme verpflichtet sei. Dieser Auffassung vermag der erkennende Senat jedoch nicht zu folgen. Wenn schon eigentliche Sicherungsmaßnahmen wie etwa Einzäunung des Geländes oder bauliche Vorkehrungen, die das Erklettern der Waggons verhindern oder wesentlich erschweren, aus Gründen der Praktikabilität bzw. aus Kostengründen nicht in Betracht kommen sollten, muß jedenfalls hinreichend deutlich vor der Gefahrenquelle gewarnt werden. Daß die Kosten einer solchen Warnung unzumutbar seien, hat die Beklagte nicht dargetan und ist nach den Umständen des Streitfalls auch nicht anzunehmen. Im übrigen liegt es auf der Hand, daß der Schutz vor derart schweren Verletzungen auch beträchtliche Kosten noch als zumutbar erscheinen läßt.

Ohne Erfolg verweist die Revision in diesem Zusammenhang auf das Vorbringen der Beklagten, wegen des internationalen Eisenbahnverkehrs würden auf ihrem Gelände auch ausländische Waggons abgestellt, auf deren Kennzeichnung sie keinen Einfluß habe. Zum einen könnte diesem Umstand weitgehend durch stationäre Warntafeln im Bereich von Abstellgeländen Rechnung getragen werden. Im übrigen ist davon auszugehen, daß die auf dem Bahngelände der Beklagten befindlichen Waggons überwiegend in ihrem Eigentum stehen und deshalb von ihr mit Warnhinweisen versehen werden könnten. Hierdurch würde auch dann, wenn eine Kennzeichnung ausländischer Waggons nicht möglich sein sollte, die Zahl der potentiellen Unfälle schon wesentlich verringert, zumal schon die Warnhinweise an den Waggons der Beklagten dazu beitragen würden, derartige Gefahren nachhaltiger ins allgemeine Bewußtsein zu rücken.

2. Mit Erfolg bekämpft die Revision jedoch die Auffassung des Berufungsgerichts, daß die Beklagte die oben dargelegte Verkehrssicherungspflicht schuldhaft verletzt habe. Insoweit kann sich die Revision darauf berufen, daß in dem in VersR 1990, 913, 914 abgedruckten, von dem erkennenden Senat durch Nichtannahme der Revision bestätigten Urteil des OLG Hamm sowie in einem weiteren, nicht veröffentlichten Urteil des selben Gerichts vom 19. Februar 1990 – 6 U 144/89 – die Warnfunktion des Blitzpfeils für ausreichend erachtet und insbesondere angenommen worden ist, daß sie auch von Kindern und Jugendlichen auf die Oberleitung bezogen werde. Da beide Entscheidungen nur in geringem zeitlichen Abstand vor dem hier zu beurteilenden Fall ergangen sind, kann dem Berufungsgericht nicht darin gefolgt werden, daß sich die Beklagte schon in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt (Mai 1991) auf gestiegene Sicherheitserwartungen des Verkehrs und einen dadurch begründeten Wandel der Auffassung über den Umfang ihrer Verkehrssicherungspflicht habe einstellen müssen. Vielmehr sind die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten erst durch das angefochtene Urteil verschärft worden. Bei dieser Sachlage war für die Beklagte im Schadenszeitpunkt nicht erkennbar, daß sie ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht in ausreichendem Maß nachgekommen ist (vgl. Senatsurteil vom 23. Oktober 1984 – VI ZR 85/83VersR 1985, 64, 65 f.). Mithin haftet sie dem Kläger nicht unter dem Blickpunkt deliktischen Verhaltens nach § 823 BGB. Ihre Haftung kann vielmehr nur aus § 1 HaftpflG hergeleitet werden, so daß die Beklagte nach § 6 HaftpflG dem Kläger nur Ersatz der Kosten der Heilung sowie des Vermögensnachteils zu leisten hat, den der Kläger dadurch erleidet, daß infolge der Verletzung zeitweise oder dauernd seine Erwerbsfähigkeit aufgehoben oder gemindert oder eine Vermehrung seiner Bedürfnisse eingetreten ist. Insoweit gilt auch die Haftungsgrenze des § 9 HaftpflG, nämlich Beschränkung einer gemäß § 8 Abs. 1 HaftpflG zu zahlenden Geldrente auf 30.000 DM pro Jahr. Ein Anspruch auf Ausgleich des immateriellen Schadens gemäß § 847 BGB, wie ihn der Kläger in erster Linie erstrebt, kommt nach den Vorschriften des Haftpflichtgesetzes nicht in Betracht.

4. Soweit sich die Revision gegen die Bewertung des Mitverschuldens des Klägers wendet, welches nach § 4 HaftpflG i.V.m. § 254 BGB zu berücksichtigen ist, kann sie keinen Erfolg haben. Die tatrichterliche Würdigung des Mitverschuldens ist mit der Revision nur in beschränktem Umfang angreifbar (Senatsurteil vom 12. Januar 1988 – VI ZR 158/87VersR 1988, 474, 475 m.w.N.), nämlich dahin, ob der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht gelassen worden sind. Letzteres wird zwar von der Revision gerügt. Indessen zeigt sie nicht auf, um welche Umstände es sich dabei handeln soll. Daß die Unfallstelle in der Nähe einer vielbefahrenen Schnellstrecke liegt, ist vom Berufungsgericht nicht übersehen worden. Entgegen der Auffassung der Revision kann das Verhalten des Klägers auch nicht schon deshalb als grob fahrlässig angesehen werden, weil die Beklagte selbst allenfalls leicht fahrlässig gehandelt habe. Insoweit kommt es nämlich darauf an, ob das eigene Verhalten des Klägers die Merkmale grober Fahrlässigkeit aufweist (Senatsurteil vom 12. Januar 1988 – aaO). Das hat das Berufungsgericht jedoch frei von Rechtsfehlern verneint, so daß die Revision mit ihrer abweichenden Auffassung nicht durchdringen kann.

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