AG München, Urteil vom 11.06.2015 – 171 C 12772/15
Bei der Ausübung der Totenfürsorge ist der mutmaßliche Wille des Verstorbenen maßgebend.
Ein Münchner verstarb am 26.5.2015. Er war zu diesem Zeitpunkt 60 Jahre alt und war seit 2011 verheiratet mit einer Frau, die aus der Türkei stammt. Die Ehe blieb kinderlos, jedoch hat die Witwe aus einer vorangegangenen Verbindung zwei Töchter. Der Verstorbene wuchs bei seinen Eltern auf, gemeinsam mit einer durch seine Eltern in die Familie aufgenommenen Pflegeschwester. Der Verstorbene war katholischen Glaubens und war bis zu seinem Tod noch nie in der Türkei. Er hat kein Testament hinterlassen. Die Witwe des Verstorbenen möchte den Leichnam in ihrem Heimatdorf in der Türkei bestatten, da sie selbst dort begraben werden möchte.
Die Mutter des Verstorbenen möchte nicht, dass ihr Sohn in der Türkei beerdigt wird. Die geplante Bestattung in der Türkei entspreche nicht dem Willen des Verstorbenen. Es sei besprochen gewesen, dass er in dem Familiengrab seiner Mutter in Neuaubing beerdigt werde. Weiterhin habe sich der Verstorbene eine Feuerbestattung gewünscht. Er habe zu keinem Zeitpunkt den Wunsch geäußert, in der Türkei beerdigt zu werden. Am 28.05.2015 erwirkte die Mutter eine einstweilige Verfügung beim Amtsgericht München, mit der der Witwe untersagt wurde, den Leichnam in die Türkei zu überführen. Die Witwe legte dagegen Widerspruch ein.
Der zuständige Richter am Amtsgericht München gab der Witwe Recht und hob die einstweilige Verfügung auf. Damit kann sie den Verstorbenen in die Türkei überführen und dort beerdigen.
Im Urteil wird ausgeführt, dass das Recht der Totenfürsorge gesetzlich nicht geregelt sei. Ausgehend von den Grundrechten der Menschenwürde und dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit müsse es einem Menschen grundsätzlich gestattet sein, über den Verbleib und die weitere Behandlung oder Verwendung seiner sterblichen Überreste selbst zu bestimmen. Diese Überlegung bewege sich auch im Einklang mit den Grundsätzen des Erbrechts, wonach der Erblasser frei über seinen Nachlass verfügen kann. Der Grundansatz, wonach dem Verstorbenen in erster Linie die Bestimmungshoheit übertragen wird, findet sich auch in anderen gesetzlichen Regelungen, wie etwa den Bestimmungen über die Organspende. Die Rechtsprechung überträgt das Recht der Totenfürsorge auf den nächsten Verwandten des Verstorbenen, im hiesigen Fall auf die Ehefrau (
). Der Inhaber des Totenfürsorgerechts hat sich im Rahmen des (mutmaßlichen) Willens des Verstorbenen zu bewegen. Innerhalb dieses Rahmens muss dem Inhaber aber ein erheblicher Ermessens- und Beurteilungsspielraum zuerkannt werden. Andernfalls wird die Umsetzung der Totenfürsorge nicht praktikabel sein, so das Urteil. Das Gericht sei nach der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass das Vor-haben der Ehefrau sich im Rahmen des mutmaßlichen Willens des Verstorbenen bewegt. So habe dieser gegenüber den Töchtern seiner Ehefrau geäußert, dass er mit seiner Ehefrau gemeinsam bestattet werden wolle. Das Gericht habe nicht übersehen, dass die Mutter und die Pflegeschwester einen abweichenden Willen geschilderte haben. Danach habe der Verstorbenen eine Feuerbestattung und Beerdigung im Familiengrab in Neuaubing gewünscht. Es ist durchaus vorstellbar, dass sich der Verstorbene mit verschiedenen Möglichkeiten der Totenfürsorge befasst und angefreundet hat. Für das Gericht entscheidend ist, dass die Alter-native, die die (Ehefrau) nunmehr gewählt hat, nicht im Widerspruch zu den geäußerten Wünschen des Verstorbenen sich bewegt. Sie hält sich im Rahmen dessen, was der Verstorbene sich zu Lebzeiten gewünscht hat, so das Urteil weiter.
Dem Gericht ist bewusst, dass diese Entscheidung für die (Mutter) eine nur schwer zu ertragende Härte mit sich bringt. Ihr wird es – wenn überhaupt – nur unter erschwerten Bedingungen möglich sein, die Grabstelle ihres Sohnes zu besuchen oder an der Beerdigung selbst teilzunehmen. Diese Gesichtspunkte sind bedauerlich, aber für die Entscheidungsfindung nicht erheblich. Es ging in diesem Verfahren ausschließlich darum, den erklärten oder mutmaßlichen Willen des Verstorbenen zu ergründen, um dann beurteilen zu können, ob die Ausübung der Totenfürsorge (durch die Ehefrau) mit diesem Willen in Einklang zu bringen ist.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle: Pressemitteilung 63/16 des AG München vom 12. August 2016