Beginn der Widerrufsfrist von Finanzierungsvertrag nur bei ordnungsgemäßer Belehrung

LG Dortmund, Urteil vom 20.12.2013 – 3 O 35/13

Der Bundesgerichtshof hat bereits wiederholt entschieden, dass die in den Formularen – gleichlautend – verwendete Formulierung “Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung.” schon deshalb fehlerhaft ist, weil sie nicht umfassend ist. Der Verbraucher wird zwar aus der Verwendung des Wortes “frühestens” schließen, dass der Beginn des Fristlaufs noch von weiteren Voraussetzungen abhängt. Er wird jedoch darüber im Unklaren gelassen, um welche Voraussetzungen es sich dabei handeln könnte (Rn. 70)

Tenor

I. 1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.091,16 € (i.W.: siebentausendeinundneunzig 16/100 Euro) zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.01.2013 zu bezahlen.

2. Es wird festgestellt, dass der Beklagten gegen den Kläger aus dem Darlehensvertrag vom 22.12.2003 keine Ansprüche zustehen.

3. Die Verurteilung gemäß Ziffern 1. und 2. erfolgt Zug um Zug gegen Übertragung aller Rechte des Klägers aus der Kommanditbeteiligung an der N (I Fonds Nr. 143) über einen Beteiligungsbetrag von 25.000,00 € an die Beklagte.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger die nicht anrechenbaren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.165,80 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.01.2013 zu bezahlen.

5. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der Übertragung der Rechte aus der Kommanditbeteiligung gemäß Ziffer 3. seit dem 11.01.2013 in Verzug befindet.

6. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.683,41 € (i.W.: zehntausendsechshundertdreiundachtzig 41/100 Euro) zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.01.2013 zu bezahlen.

7. Es wird festgestellt, dass der Beklagten gegen den Kläger aus dem Darlehensvertrag vom 29.10.2004 keine Ansprüche zustehen.

8. Die Verurteilung gemäß Ziffern 6. und 7. erfolgt Zug um Zug gegen Übertragung aller Rechte des Klägers aus der Kommanditbeteiligung an der N2 (I2 Fonds Nr. 158) über einen Beteiligungsbetrag von 25.000,00 € an die Beklagte.

9. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der Übertragung der Rechte aus der Kommanditbeteiligung gemäß Ziffer 8. seit dem 11.01.2013 in Verzug befindet.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Hilfswiderklage der Beklagten wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits nach einem Streitwert von 41.139,19 € tragen der Kläger zu 37 % und die Beklagte zu 63 %.

III. Das Urteil ist für beide Parteien gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand
1
Der Kläger macht vorliegend Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit seinen Beteiligungen an der N (I Fonds Nr. 143, im Folgenden: I-Fonds Nr. 143) und an der N2 (I2 Fonds Nr. 158, im Folgenden: I2-Fonds Nr. 158) geltend.

2
Beteiligung am HL-Fonds Nr. 143:

3
Im Dezember 2003 beteiligte sich der Kläger wirtschaftlich über die I3 am I-Fonds Nr. 143, einem unternehmerischen Beteiligungsfonds für internationale Kinofilmproduktionen (u.a. “U”). Grundlagen des Fondsbeitritts des Klägers waren der im August 2003 herausgegebene Emissionsprospekt zum I-Fonds Nr. 143 (Anlage K10) sowie der Zeichnungsschein aus Dezember 2003. Die Beteiligungssumme belief sich auf 25.000 € zuzüglich eines Agios in Höhe von 420,00 €. Die Beklagte übernahm die obligatorische Anteilsfinanzierung des Klägers; der fremdfinanzierte Anteil an der Beteiligung des Klägers über eine Inhaberschuldverschreibung betrug 11.000 €. Die Beitrittsvereinbarung enthielt zugleich einen entsprechenden Auftrag gegenüber der I3 zur Aufnahme dieser Fremdfinanzierung bei der Beklagten. Die Treuhänderin schloss am 22.12.2003 einen Begebungsvertrag mit der Beklagten ab und stellte im Namen des Klägers eine Inhaberschuldverschreibung in Höhe des fremdfinanzierten Teils der Einlage aus.

4
Der Emissionsprospekt zum I-Fonds Nr. 143 enthält auf Seite 101 zwei Widerrufsbelehrungen, nämlich eine zur Beitrittsvereinbarung und eine weitere zum Vertrag über die Begebung und Übernahme einer Inhaberschuldverschreibung. Letztere lautet wie folgt:

5
“Widerrufsbelehrung Nr. 2

6
zum Vertrag über die Begebung und Übernahme einer Inhaberschuldverschreibung:

7
Widerrufsrecht

8
Sie können Ihre

9
(1) in der Beitrittsvereinbarung enthaltenen, auf die Aufnahme der Fremdfinanzierung (Vertrag über die Begebung und Übernahme einer Inhaberschuldverschreibung) gerichteten Willenserklärungen an den Treuhänder/Verwalter ab Unterzeichnung dieser Beitrittsvereinbarung und

10
(2) die in Ihrem Namen von dem Treuhänder/Verwalter abgegebenen Willenserklärungen zur Aufnahme der Fremdfinanzierung (Vertrag über die Begebung und Übernahme einer Inhaberschuldverschreibung)

11
innerhalb von zwei Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, eMail) widerrufen. Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs. Der Widerruf ist zu richten an:

B

( … )

12
Im Falle der Erklärungen zu (2) handelt die B als Empfangsbote für die E.

13
Widerrufsfolgen

14
Im Falle eines wirksamen Widerrufs sind die beiderseits empfangenen Leistungen zurückzugewähren und ggf. gezogene Nutzungen (z.B. Zinsen) herauszugeben. Bereits geleistete Einlagen (zzgl. Agio) werden binnen zwei (2) Wochen zurücküberwiesen. Können Sie uns die empfangene Leistung ganz oder teilweise nicht oder nur in verschlechtertem Zustand zurückgewähren, müssen Sie uns insoweit gegebenenfalls Wertersatz leisten.

15
Finanzierte Geschäfte

16
Widerrufen Sie die in der Beitrittsvereinbarung enthaltenen, auf die Aufnahme der Fremdfinanzierung gerichtete Willenserklärung an den Treuhänder/Verwalter, so sind Sie gleichzeitig auch nicht mehr an Ihre sonstigen in der Beitrittsvereinbarung enthaltenen, auf den Beitritt zur N (die “Fondsgesellschaft”) bzw. auf Ihre auf den Abschluss eines Treuhand- und Beteiligungsverwaltungsvertrages gerichteten Willenserklärungen (insbesondere die erteilten Vollmachten und Aufträge) gebunden.

17
Ende der Widerrufsbelehrung”

18
Die Inhaberschuldverschreibung wurde Ende des Jahres 2009 zurückgeführt; die Schlusszahlung erfolgte am 22.12.2009.

19
Mit anwaltlichem Schreiben an die Fa. B vom 24.12.2012 (Anlage K4) erklärte der Kläger den Widerruf des Finanzierungsvertrages (Inhaberschuldverschreibung, Begebungsvertrag).

20
Die aus der Fondsbeteiligung geflossenen Ausschüttungen dienten zum Teil zur Deckung des gesamten Kapitaldienstes (Zins- und Tilgungsleistungen). Der Kläger erhielt im Zeitraum 14.12.2004 bis 04.06.2012 Ausschüttungen in Höhe von insgesamt 7.328,84 €; diesen Betrag, der sich aus der Anlage B20 ergibt, hat der Kläger im Termin vor der Kammer am 22.11.2013 unstreitig gestellt (Bl. 258 d.A.).

21
Für den I-Fonds Nr. 143 reklamiert der Kläger entgangenen Gewinn in Höhe von 7.870,92 €; diesen Betrag hätte er erzielt, wenn er das Geld anderweitig angelegt hätte.

22
Beteiligung am I2-Fonds Nr. 158:

23
Am 29.10.2004 beteiligte sich der Kläger wirtschaftlich über die I3 am I2-Fonds Nr. 158, bei dem es sich ebenfalls um einen unternehmerischen Beteiligungsfonds für internationale

24
Kinofilmproduktionen (u.a. “K”) handelt. Grundlagen des Fondsbeitritts des Klägers waren der im Oktober 2004 herausgegebene Emissionsprospekt zum I2-Fonds Nr. 158 (Anlage K10-2) sowie der Zeichnungsschein vom 20.10./29.10.2004 (Anlage K1-2). Die Beteiligungssumme belief sich auch hier auf 25.000 € zuzüglich eines Agios in Höhe von 133,00 €. Die Beklagte übernahm die obligatorische Anteilsfinanzierung des Klägers durch Gewährung eines Darlehens; der fremdfinanzierte Anteil an der Beteiligung des Klägers betrug hier 11.700 €. Die Beitrittsvereinbarung zum Fonds sowie der Darlehensvertrag sind in einem Formular zusammengefasst; dieses wurde vom Kläger am 20.10.2004 und von der Fondsgesellschaft am 29.10.2004 unterschrieben (Anlage K 1-2).

25
In dem Formular heißt es unter der Überschrift “gesetzliches Widerrufsrecht” (Bl. 3 li. Sp. oben):

26
“Maßgeblicher Bestandteil dieses Zeichnungsscheins sind die Belehrungen über ein etwaiges gesetzliches Widerrufsrecht. Dieses Widerrufsrecht besteht nur unter den im Gesetz näher bestimmten Voraussetzungen; ein vertraglich begründetes Widerrufsrecht besteht nicht.”

27
Am Schluss des Abschnitts A (Bl. 3 li. Sp. unten) ist eine vorgedruckte, vom Kläger gesondert unterschriebene “Empfangsbestätigung” enthalten mit folgendem Wortlaut: “Ich bestätige, die Vertragsunterlagen inklusive Beteiligungsprospekt sowie die beiden Widerrufsbelehrungen erhalten und zur Kenntnis genommen zu haben.”

28
Im folgenden Abschnitt B (Bl. 3 re. Sp. oben) heißt es: “Auf den Darlehensvertrag finden die in Abschnitt D. umseitig abgedruckten Darlehensbestimmungen unter Einbezug der Angaben in Abschnitt A. Anwendung.”

29
Die beiden Widerrufsbelehrungen befinden sich nicht in dem Zeichnungsschein, sondern auf Seite 105 des Emissionsprospekts (Anlage K10-2). Hierbei handelt sich jeweils um eine Widerrufsbelehrung für die Beitrittsvereinbarung und eine weitere für den Darlehensvertrag mit der Beklagten. Letztere lautet wie folgt:

30
“Widerrufsbelehrung Nr. 2

31
zum Darlehensvertrag mit der E (Abschnitte B. und D. des Zeichnungsscheins).

32
Widerrufsrecht

33
Sie können ihre im Zeichnungsschein enthaltene, auf die Aufnahme der Fremdfinanzierung (Darlehensvertrag) gerichtete Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs. Der Widerruf ist zu richten an:

B

(…)

34
Die B handelt als Empfangsvertreter für die E.

35
Widerrufsfolgen

36
Im Falle eines wirksamen Widerrufs sind die beiderseits empfangenen Leistungen zurückzugewähren und ggf. gezogene Nutzungen (z.B. Zinsen) herauszugeben. Können Sie uns die empfangene Leistung ganz oder teilweise nicht oder nur in verschlechtertem Zustand zurückgewähren, müssen Sie uns insoweit ggf. Wertersatz leisten.

37
Finanzierte Geschäfte

38
Falls Sie diesen Darlehensvertrag widerrufen, mit dem sie ihre Verpflichtungen aus einem anderen Vertrag finanzieren, so sind Sie auch an den anderen Vertrag nicht gebunden, wenn beide Verträge eine wirtschaftliche Einheit bilden. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn wir zugleich auch ihre Vertragspartner im Rahmen des anderen Vertrags sind oder wenn wir uns bei Vorbereitung und nach Abschluss des Darlehensvertrages der Mitwirkung ihres Vertragspartners bedienen. Können Sie auch den anderen Vertrag widerrufen, so müssen Sie den Widerruf gegenüber ihrem diesbezüglichen Vertragspartner erklären.

39
ENDE DER WIDERRUFSBELEHRUNG”

40
Das Darlehen, dessen Laufzeit bis zum 20.12.2012 ging, ist zwischenzeitlich vollständig zurückgeführt worden.

41
Mit anwaltlichem Schreiben an die Fa. B vom 24.12.2012 (Anlage K4-2) erklärte der Kläger den Widerruf des Darlehensvertrages.

42
Die aus der Fondsbeteiligung geflossenen Ausschüttungen dienten zum Teil zur Deckung des gesamten Kapitaldienstes (Zins- und Tilgungsleistungen). Der Kläger erhielt im Zeitraum 23.12.2005 bis 28.12.2012 Ausschüttungen in Höhe von insgesamt 2.749,59 €; diesen Betrag, der sich aus der Anlage B20a ergibt, hat der Kläger im Termin vor der Kammer am 22.11.2013 unstreitig gestellt (Bl. 258 d.A.).

43
Für den I2-Fonds Nr. 158 reklamiert der Kläger entgangenen Gewinn in Höhe von 6.660,53 €; diesen Betrag hätte er erzielt, wenn er das Geld anderweitig angelegt hätte.

44
Der Kläger hält seinen Widerruf bezüglich beider Fondsbeteiligungen für wirksam und begehrt hierauf gestützt jeweils Rückabwicklung der Beteiligungen dergestalt, dass ihm die von ihm erbrachten Zahlungen (nebst Zinsen) abzüglich erhaltener Ausschüttungen zurückzuerstatten seien, wovon die erzielten Steuervorteile nicht in Abzug zu bringen seien, und ferner Feststellung, dass die Beklagte aus den streitgegenständlichen Finanzierungsverträgen keinerlei Ansprüche mehr gegen ihn habe. Zug um Zug bietet er die Übertragung seiner Beteiligung an die Beklagte an. Außerdem begehrt er die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten.

45
Der Kläger beantragt.

46
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 15.868,92 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.01.2013 zu bezahlen.

47
2. Es wird festgestellt, dass der Beklagten gegen den Kläger aus dem Darlehensvertrag vom 22.12.2003 keine Ansprüche zustehen.

48
3. Die Verurteilung gemäß Ziffern 1 und 2 erfolgt Zug um Zug gegen Übertragung aller Rechte des Klägers aus der Kommanditbeteiligung an der N (I Fonds Nr. 143) über einen Beteiligungsbetrag von 25.000,00 € an die Beklagte.

49
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger die nicht anrechenbaren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.165,80 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 11.01.2013 zu bezahlen.

50
5. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der Übertragung der Rechte aus der Kommanditbeteiligung gemäß Ziffer 3. seit dem 11.01.2013 in Verzug befindet.

51
6. hilfsweise für den Fall, dass dem Kläger die aufgrund des Widerrufs geltend gemachten Rückabwicklungsansprüche nicht zustehen:

52
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle weitergehenden Vermögensnachteile aus und im Zusammenhang mit der Kommanditbeteiligung an der N (I Fonds Nr. 143) über einen Beteiligungsbetrag von 25.000,00 € zu ersetzen.

53
7. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 17.101,72 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.01.2013 zu bezahlen.

54
8. Es wird festgestellt, dass der Beklagten gegen den Kläger aus dem Darlehensvertrag vom 29.10.2004 keine Ansprüche zustehen.

55
9. Die Verurteilung gemäß Ziffern 7 und 8 erfolgt Zug um Zug gegen Übertragung aller Rechte des Klägers aus der Kommanditbeteiligung an der N2 (I2 Fonds Nr. 158) über einen Beteiligungsbetrag von 25.000,00 € an die Beklagte.

56
10. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der Übertragung der Rechte aus der Kommanditbeteiligung gemäß Ziffer 9. seit dem 11.01.2013 in Verzug befindet.

57
11. hilfsweise für den Fall, dass dem Kläger die aufgrund des Widerrufs geltend gemachten Rückabwicklungsansprüche nicht zustehen:

58
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle weitergehenden Vermögensnachteile aus und im Zusammenhang mit der Kommanditbeteiligung an der N2 (I2 Fonds Nr. 158) über einen Beteiligungsbetrag von 25.000,00 € zu ersetzen.

59
Die Beklagte beantragt,

60
die Klage abzuweisen.

61
Hilfsweise beantragt sie im Wege der Widerklage,

62
festzustellen, dass der Kläger verpflichtet ist, sämtliche Steuervorteile, die er im Zusammenhang mit seinen Beteiligungen an den Medienfondsgesellschaften N (I-Fonds Nr. 143) und N2 (I2-Fonds Nr. 158) erzielt hat, an die Beklagte auszukehren, sobald und soweit über diese Steuervorteile bestandskräftige Steuerbescheide vorliegen und soweit ihm die Steuervorteile nach Abzug einer etwaigen Besteuerung von Beträgen, die im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits zugesprochen werden sollten, verbleiben.

63
Der Kläger beantragt,

64
die Hilfswiderklage abzuweisen.

65
Die Beklagte hält den Widerruf bezüglich beider Fondsbeteiligungen für unwirksam, hilfsweise seien die Steuervorteile in Anrechnung zu bringen. Sie ist der Auffassung, dass der Kläger durch das lange Zuwarten (bis Ende 2012) sein Widerrufsrecht verwirkt habe. Unabhängig davon sei ein etwaiges gesetzliches Widerrufsrecht des Klägers längst erloschen. Die Beklagte macht vorsorglich ein Zurückbehaltungsrecht geltend: Denn der Kläger habe ihr die Rückübertragung der jeweiligen Fondsanteile bislang nicht ordnungsgemäß (weil nicht konkretisiert, ohne Anteilsnummer) angeboten. Schließlich erhebt sie die Einrede der Verjährung.

66
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst zu den Akten gereichten Unterlagen sowie auf das Terminsprotokoll vom 22.11.2013 (Bl. 258, 258a d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe
I.

67
Die Klage ist zulässig und zum Teil – in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang – begründet.

68
Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Rückabwicklung der beiden streitgegenständlichen Fondsbeteiligungen (I-Fonds Nr. 143 und I2-Fonds Nr. 158) aus den §§ 495 Abs. 1, 355, 357, 358, 346 ff. BGB zu.

69
1. Der vom Kläger mit Schreiben jeweils vom 24.12.2012 erklärte Widerruf beider Finanzierungsverträge (Vertrag über die Begebung und Übernahme einer Inhaberschuldverschreibung betreffend den I-Fonds Nr. 143 und Darlehensvertrag betreffend den I2-Fonds Nr. 158) ist wirksam. Das Widerrufsrecht des Klägers ist nicht durch Fristablauf erloschen, weil die Widerrufsfrist mangels ordnungsgemäßer Belehrung nicht in Gang gesetzt worden ist, § 355 Abs. 3 BGB. Denn die dem Kläger erteilten Widerrufsbelehrungen genügen nicht den gesetzlichen Anforderungen.

70
Die jeweilige “Widerrufsbelehrung Nr. 2″ ist bei beiden Fonds jedenfalls im Hinblick auf den angegebenen Fristbeginn unzutreffend. Die Kammer schließt sich den diesbezüglichen Ausführungen des OLG München in dessen zum I2-Fonds Nr. 158 ergangenen Urteil vom 17.01.2012 (Az.: 5 U 2167/11, zit. nach juris), das nach Rücknahme der Revision durch die hiesige Beklagte beim Bundesgerichtshof – XI ZR 67/12 – in Rechtskraft erwachsen ist, vollumfänglich an (ebenso: OLG Frankfurt/M., Urt. v. 08.02.2012 – 19 U 26/11BeckRS 2012, 07271, nachfolgend BGH – XI ZR 115/12 -; OLG Stuttgart, Urt. v. 29.12.2011 – 6 U 79/11 – zit. nach juris, nachfolgend BGH – XI ZR 50/12 -).

71
Der Bundesgerichtshof hat bereits wiederholt entschieden, dass die in den Formularen – gleichlautend – verwendete Formulierung “Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung.” schon deshalb fehlerhaft ist, weil sie nicht umfassend ist. Der Verbraucher wird zwar aus der Verwendung des Wortes “frühestens” schließen, dass der Beginn des Fristlaufs noch von weiteren Voraussetzungen abhängt. Er wird jedoch darüber im Unklaren gelassen, um welche Voraussetzungen es sich dabei handeln könnte (vgl. BGH, Urt. v. 28.06.2011 – XI ZR 349/10NJW-RR 2012, 183, 185, Rn. 34 m.w.N.).

72
Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass die erteilten Widerrufsbelehrungen der damaligen Musterbelehrung gemäß der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 u. Abs. 3 der Verordnung über Informations- und Nachweispflichten nach bürgerlichem Recht (fortan: BGB-InfoVO) in der von 01.09.2002 bis 07.12.2004 gültigen Fassung (fortan: Musterbelehrung) entsprochen haben. Die Berufung der Beklagten auf die Musterbelehrung scheitert schon daran, dass die tatsächlich verwendeten Belehrungen ihrem Wortlaut nach – über die in § 14 Abs. 3 BGB-InfoVO gestatteten Abweichungen hinaus – nicht in jeder Hinsicht dem Text der Musterbelehrung entsprechen (vgl. BGH, Urt. v. 28.06.2011, a.a.O., Rn. 38 f.). Denn anstelle der Überschrift “Widerrufsbelehrung” lautet die Überschrift nunmehr jeweils “Widerrufsbelehrung Nr. 2″ mit den Zusätzen “zum Vertrag über die Begebung und Übertragung einer Inhaberschuldverschreibung” bzw. “zum Darlehensvertrag mit der E (Abschnitte B. und D. des Zeichnungsscheins.” Unter der jeweiligen Überschrift “Widerrufsrecht” wurde zudem die Formulierung “Sie können Ihre Vertragserklärung …” erweitert zu “Sie können Ihre (1) ( … ) und (2) ( … )” (betrifft den I-Fonds Nr. 143) bzw. zu “Sie können Ihre im Zeichnungsschein enthaltene, auf die Aufnahme der Fremdfinanzierung (Darlehensvertrag) gerichtete Vertragserklärung (…)” (betrifft den Fonds Nr. 158). Obwohl nach den Zusätzen zur Musterbelehrung als Empfänger des Widerrufs “Name/Firma und ladungsfähige Anschrift des Widerrufsadressaten” angegeben werden können, verweist die von der Beklagten verwendete Widerrufsbelehrung den Widerrufenden nicht an den Adressaten, sondern an die “B” und belehrt den Widerrufenden zusätzlich darüber, dass diese Gesellschaft als “Empfangsbote” (betrifft den I-Fonds Nr. 143) bzw. als “Empfangsvertreter” (betrifft den Fonds Nr. 158) für die Beklagte handele. Im letzten Absatz unter der Überschrift “Finanzierte Geschäfte” verändert schließlich die von der Beklagten verwendete Formulierung in der Widerrufsbelehrung für den I2-Fonds Nr. 158 den von der Musterbelehrung vorgegebenen Satzbau (“Falls Sie diesen Darlehensvertrag widerrufen, (…)” statt “Widerrufen Sie diesen Darlehensvertrag, (…)”).

73
Es kommt nicht darauf an, welche Relevanz in inhaltlicher Hinsicht die von der Beklagten vorgenommenen Abweichungen haben. Zwar hat der Bundesgerichtshof (Urt. v. 28.06.2011, a.a.O., Rn. 39) anklingen lassen, eine Berufung auf die Musterbelehrung komme dann nicht in Frage, wenn der Verwender den Text “ersichtlich einer eigenen inhaltlichen Bearbeitung unterzogen hat”. Gleichwohl ist dem Verwender die Berufung auf § 14 Abs. 1 BGB-InfoVO nicht nur dann zu versagen, wenn er die Musterbelehrung einer eigenen inhaltlichen Bearbeitung unterzogen hat. Denn schon im Folgesatz der genannten Entscheidung lässt der Bundesgerichtshof eine Berufung auf die Fiktion der Gesetzmäßigkeit dann nicht gelten, wenn der Unternehmer – wie hier – “in den ihm zur Verfügung gestellten Mustertext selbst” eingreift, “unabhängig vom konkreten Umfang der von ihm vorgenommenen Änderungen”.

74
Nach alledem muss sich die Beklagte an der fehlenden Gesetzmäßigkeit der von ihr verwendeten Belehrungen festhalten lassen und kann sich auf einen Fristbeginn hinsichtlich des Widerrufsrechts nicht berufen.

75
2. Der Kläger hat sein Widerrufsrecht nicht verwirkt.

76
Schon wenn man allein auf das sog. “Zeitmoment” des Verwirkungstatbestandes abstellen wollte, wird deutlich, dass sich die Frage der Verwirkung nur beim I-Fonds Nr. 143, bei dem zwischen der Rückführung der Finanzierung (Ende 2009) und der Ausübung des Widerrufsrechts (Ende 2012) ca. drei Jahre lagen, stellt. Beim I2-Fonds Nr. 158 dagegen ist das “Zeitmoment” offensichtlich nicht erfüllt, da die Laufzeit des Darlehens bis Ende 2012 ging.

77
Im Allgemeinen setzt Verwirkung voraus, dass der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend gemacht hat, obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre, dass der Gegner sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde und die verspätete Geltendmachung daher gegen Treu und Glauben verstößt (s. etwa BGH, Urt. v. 18.10.2004 – II ZR 352/02NZG 2005, 35, 36 f.). Eine Verwirkung kann regelmäßig nicht eintreten, soweit der Anspruchsteller von seinem bestehenden Recht überhaupt keine Kenntnis erlangt hat; ein Vertrauenstatbestand kann dann schon denknotwendig nicht eintreten (vgl. OLG München, Urt. v. 27.03.2012 – 5 U 4557/11BeckRS 2012, 07947, Rn. 10 f. m.w.N.). Die Anleger des I-Fonds Nr. 143 und des I2-Fonds Nr. 158 haben nach dem Vortrag des Klägers durch erste Gerichtsentscheidungen ab Ende des Jahres 2011 frühestens ab diesem Zeitpunkt Kenntnis von einem unverändert bestehenden Widerrufsrecht erlangt. Diesem Vorbringen ist die Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten, so dass eine Verwirkung des Widerrufsrechts schon aus diesem Grund nicht in Betracht kommt.

78
Ohne Erfolg verweist die Beklagte in diesem Zusammenhang auf ein Urteil des OLG Köln vom 25.01.2012 (13 U 30/11, BKR 2012, 162). Der dortige Fall mag mit dem vorliegenden Fall (Abschluss von Darlehensverträgen in den Jahren 2003 und 2004) zwar insoweit vergleichbar sein, als auch dort, ähnlich wie hier, mehrere Jahre (sieben, s. OLG Köln, a.a.O., Rn. 23) verstrichen waren, bis – jeweils am 24.12.2012 – der Widerruf erklärt wurde. Neben dem “Zeitmoment” ist für die Annahme einer Verwirkung jedoch auch das “Umstandsmoment” erforderlich. Dieses hat das OLG Köln ohne nähere Begründung damit bejaht, dass dort der Widerruf erst im Jahre 2010 erklärt wurde, nachdem bereits im Jahre 2005 die Verpflichtungen aus dem Darlehensvertrag beiderseitig vollständig erfüllt worden waren (a.a.O., Rn. 24). Dieser Ansicht vermag die Kammer nicht zu folgen, da bei dieser Betrachtung die sechsjährige Aufbewahrungsfrist des § 257 Abs. 4 HGB für Ansprüche aus Bankverbindungen unberücksichtigt bleibt. Das bedeutet, dass trotz der bereits im Dezember 2009 erfolgten Schlusszahlung die wechselseitigen Leistungen aus dem Finanzierungsvertrag bezüglich der Beteiligung des Klägers am I-Fonds Nr. 143 noch nicht vollständig erfüllt waren.

79
3. Der Kläger hat daher die beiden Darlehensverträge wirksam widerrufen. Die Darlehen sind gemäß den §§ 357 Abs. 1, 346 Abs. 1, 358 Abs. 2 BGB in der Weise rückabzuwickeln, dass die von ihm erbrachten Zahlungen abzüglich erhaltener Ausschüttungen rückzugewähren sind und dass im Übrigen im Rahmen der Rückabwicklung die Beklagte an die Stelle der beiden Fonds tritt (§ 358 Abs. 4 S. 2 BGB; zu den Einzelheiten: OLG München, Urt. v. 17.01.2012, a.a.O., Rn. 48-70; OLG Stuttgart, Urt. v. 29.12.2011, a.a.O., Rn. 40-63).

80
Etwaige Steuervorteile des Klägers sind nicht anspruchsmindernd in Abzug zu bringen. Im Wege des Vorteilsausgleichs sind die aufgrund der Anlage erzielten dauerhaften Steuervorteile anzurechnen, sofern nicht die Ersatzleistung selbst oder eine Zug um Zug gegen die Ersatzleistung vorgesehene Übertragung der Beteiligung ihrerseits etwa als Betriebseinnahme nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG besteuert wird (vgl. BGH, Urt. v. 07.12.2009 – II ZR 205/08BeckRS 2010, 01364, Rn. 30; Urt. v. 15.07.2010 – III ZR 336/08NZG 2010, 1029, 1030, Rn. 36). Trotz Versteuerung der Ersatzleistung sind die erzielten Steuervorteile anzurechnen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Anleger außergewöhnliche Steuervorteile erzielt hat. Der Kläger hat eine Ersatzleistung als Betriebseinnahme zu versteuern. Für besondere Steuervorteile gibt es vorliegend keine Anhaltspunkte.

81
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das Angebot des Klägers, Zug um Zug die Kommanditbeteiligungen der Beklagten zu übertragen, ausreichend erfolgt; der Benennung der Nummerierung des Kommanditanteils bedarf es hierfür nicht (vgl. OLG München, Urt. v. 17.01.2012, a.a.O., Rn. 88).

82
Der Anspruch des Klägers auf Zahlung von Verzugszinsen ab Rechtshängigkeit folgt aus § 291 BGB. Der weitergehende Zinsanspruch des Klägers ist unschlüssig, weil er herauszugebende Nutzungsvorteile der Fondsgesellschaften nicht dargelegt hat und er sich seinen Liquiditätsvorteil durch die Steuervorteile bei der Beurteilung der Herausgabe von Nutzungsvorteilen entgegenhalten lassen muss (zu den Einzelheiten: OLG Stuttgart, Urt. v. 29.12.2011, a.a.O., Rn. 58-62; OLG München, Urt. v. 17.01.2012, a.a.O., Rn. 69).

83
4. Die Hilfswiderklage der Beklagten ist zulässig, aber – aus den genannten Gründen – unbegründet.

II.

84
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. ZPO. Der Streitwert wurde gemäß den §§ 3, 5 ZPO festgesetzt.

III.

85
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre rechtliche Grundlage in § 709 S. 1 u. S. 2 ZPO.

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