Arzt ist nur verpflichtet, über sogenannte echte Behandlungsalternativen aufzuklären

OLG München, Beschluss vom 20.04.2012 – 1 U 4430/11

Der Arzt ist nur verpflichtet, über sogenannte echte Behandlungsalternativen aufzuklären. Eine echte Behandlungsalternative ist gegeben, wenn für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten (Rn. 5).

Die Rechtsprechung berücksichtigt zur Aufklärung des Patienten, dass es schlicht unmöglich und für Arzt und Patient unzumutbar ist, sämtliche denkbaren Variationsmöglichkeiten des ärztlichen Vorgehens zu erörtern. Wenn keine wesentlichen Unterschiede der in Betracht kommenden Varianten bestehen, diese also in etwa gleichwertige und gleichartige Chancen und Risiken haben, bleibt es Sache des Arztes, welches Vorgehen er wählt (Rn. 7).

Über seltene Folgen, die, wenn sie überhaupt auftreten, zu keiner relevanten Beeinträchtigung des Patienten führen, muss der Arzt vorab nicht informieren (Rn. 8).

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 28.09.2011, Az. 9 O 20249/08, wird durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das in Ziffer I genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

IV. Der Streitwert für die erste Instanz und das Berufungsverfahren werden auf 11.584,89 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Berufung der Beklagten wird nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen, da das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.

2

Auf den Senatsbeschluss vom 07.03.2012 wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Auch das Vorbringen im Schriftsatz der Beklagten vom 18.04.2012 gibt keine Veranlassung, die Sach- und Rechtslage anders zu beurteilen, als im Beschluss vom 07.03.2012 dargelegt. Das landgerichtliche Urteil leidet entgegen der Meinung der Beklagten weder in rechtlicher noch in sachlicher Hinsicht unter entscheidungserheblichen Fehlern. Der Senat hält insbesondere daran fest, dass der Klägerin bzw. dem Drittwiderbeklagten kein Aufklärungsversäumnis zur Last fällt.

3

Ergänzend ist im Hinblick auf das Vorbringen vom 18.04.2012 folgendes festzuhalten:

4

Die Beklagte meint nach wie vor, sie sei nicht hinreichend über Behandlungsalternativen und über mögliche Risiken des Eingriffs (Gefahr eines Störempfindens beim Sehen infolge von Glaskörpertrübungen, die nach Einsatz der Linse wahrnehmbar werden) informiert worden. Rechtlich ist jedoch die erteilte präoperative Aufklärung zur Überzeugung des Senats als ausreichend zu qualifizieren. Entgegen der Meinung der Beklagten ist die Rechtsansicht des Senats (und des Landgerichts) weder überraschend, noch weicht sie von den anerkannten Grundsätzen der Rechtsprechung zu den Aufklärungspflichten des Arztes vor Durchführung eines operativen Eingriffs ab.

5

a) Wie bereits im Beschluss vom 07.03.2012 ausführlich erläutert, sind nur sogenannte echte Behandlungsalternativen aufklärungsbedürftig. Eine echte Behandlungsalternative ist gegeben, wenn für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten.

6

Durchaus kann auch eine konservative Behandlung oder ein bloßes Abwarten eine Behandlungsalternative zu einer Operation sein, über die der Patient informiert sein muss, insbesondere wenn sich Beschwerden oder körperliche Beeinträchtigungen dadurch wieder geben können. Diesbezügliche Informationsdefizite der Beklagten lagen jedoch zweifelfrei nicht vor. Es bestanden keine Aussichten auf Besserung, vielmehr hatte die Beklagte, was sie unstreitig wusste, lediglich die Möglichkeit, sich mit ihrer schlechten Sehfähigkeit abzufinden, oder sich eine künstliche Linse einsetzen zu lassen (vgl. auch die eigenen Angaben der Beklagten gegenüber dem Sachverständigen, wonach ihr der Drittwiderbeklagte ausdrücklich gesagt hat, dass die Operation nicht unbedingt nötig sei, sie jedoch eine Operation gewollt habe).

7

Desweiteren berücksichtigt die Rechtsprechung zur Aufklärung des Patienten, dass es schlicht unmöglich und für Arzt und Patient unzumutbar ist, sämtliche denkbaren Variationsmöglichkeiten des ärztlichen Vorgehens zu erörtern. Wenn keine wesentlichen Unterschiede der in Betracht kommenden Varianten bestehen, diese also in etwa gleichwertige und gleichartige Chancen und Risiken haben, bleibt es Sache des Arztes, welches Vorgehen er wählt (vgl. umfangreicher BGH- und OLG-Rechtsprechungsnachweis bei Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 3. Aufl., Rn. A 1501 ff). Der Arzt ist demnach nicht verpflichtet, mit dem Patienten sämtliche auf dem Markt befindlichen Medizinprodukte durchzusprechen und Materialvarianten darzustellen. Nur dann, wenn sich daraus für den Patienten (aus der Sicht ex ante) wesentliche Unterschiede in den Chancen und Risiken der Behandlung ergeben können, besteht ein Aufklärungsbedarf. Auch diesbezüglich fehlt jeglicher Anhalt für ein Aufklärungsversäumnis.

8

b) Nach dem Ergebnis der sachverständigen Begutachtung, gegen die die Beklagte keine stichhaltigen inhaltlichen Einwände vorzubringen vermag, war mit einer relevanten Beeinträchtigung der Patientin durch das Phänomen „Glaskörpertrübung“ bei objektiver Betrachtung nicht zu rechnen. Es mag sein, dass die Beklagte die Trübungen, die sie nunmehr durch die verbesserte Sehschärfe wahrnimmt, besonders stören. Entscheidend ist jedoch die Sicht ex ante und die aus der wissenschaftlichen Literatur und praktischen Erfahrung zu beurteilende Risikoprognose bei derartigen Operationen. Gibt es, wonach auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens auszugehen ist, nur eine geringe Zahl an Patienten, die derartige Trübungen nach der Operation überhaupt wahrnehmen, und fehlen zudem in der Fachliteratur Hinweise darauf, dass Patienten hierunter ernsthaft leiden, fehlt die Basis für die Annahme eines Aufklärungsdefizits. Über seltene Folgen, die, wenn sie überhaupt auftreten, zu keiner relevanten Beeinträchtigung des Patienten führen, muss der Arzt vorab nicht informieren. Der Drittwiderbeklagte musste – auch hieran hält der Senat fest – mangels entsprechender Anhaltspunkte in der Fachliteratur auch nicht vorhersehen, dass die Beklagte die nunmehr für sie sichtbaren Glaskörpertrübungen besonders stören.

9

Da die Entscheidung des Landgerichts, der Klage stattzugeben und die Widerklage bzw. Drittwiderklage abzuweisen, zweifelsfrei richtig ist, war die Berufung der Beklagten nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

II.

10

Der Senat versteht das Vorbringen der Beklagten in der Berufung dahingehend, dass sie ihre prozessualen Ziele der ersten Instanz vollumfänglich weiterverfolgt. Ausgehend von den Angaben der Beklagten schätzt der Senat den Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren und das Berufungsverfahren auf 11.584,89 € (Honorarforderungen 1.584,89 €, Schmerzensgeld 5.000 €, Feststellung 5.000 €). Die Korrektur der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung vom 12.10.2011 erfolgt gemäß § 68 GKG.

III.

11

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 i.V.m. §§ 711, 713 ZPO. Der Beschluss des Senats ist kraft Gesetzes ohne Sicherheitsleistung und ohne gesonderten Ausspruch vollstreckbar.

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