Notwendigkeit der Aufklärung über alternative Strahlentherapie bei Karzinom

OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 18.12.2014 – 15 U 20/14

Notwendigkeit der Aufklärung über alternative Strahlentherapie bei Karzinom

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Marburg vom 19.12.2013 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 30.000,– € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.03.2010 zu zahlen.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger 5.447,– € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.03.2010 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen Schäden, die aus der Operation vom … 2009 folgen, zu ersetzen, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Kosten von 952,– € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.03.2012 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz haben der Kläger zu 64 % und die Beklagte zu 36 % zu tragen. Von den Kosten des Rechtsstreits im Berufungsrechtszug tragen der Kläger 23 % und die Beklagte 77 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrags leistet

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe
I.

Der Kläger verfolgt mit der Klage Ansprüche gegen die Beklagte wegen behaupteter fehlerhafter ärztlicher Behandlung.

Der Kläger wurde in der Klinik der Beklagten am ….2009 wegen einer als Karzinom diagnostizierten Hautveränderung am Penis operiert. Hierbei erfolgte eine Teilresektion der Glans penis. Vor der Operation wurde der Kläger am ….2009 über die Risiken einer operativen Teilentfernung aufgeklärt. Eine Aufklärung über eine Behandlungsalternative in Form der Strahlentherapie (Brachytherapie) erfolgte nicht. Auf seine Frage nach einer Strahlentherapie wurde ihm vielmehr erklärt, sie komme bei ihm nicht in Betracht.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er hätte bei der Behandlung des bei ihm festgestellten Karzinoms über die Brachytherapie als gleichwertige Therapie aufgeklärt werden müssen. Diese sei hinsichtlich der Erfolgschance gleichwertig, hinterlasse jedoch keine bleibenden Schäden.

Der Kläger hat beantragt,

1.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, das 145.000,– € jedoch nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit ….2009 zu zahlen,
2.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn Schadenersatz in Höhe von 5.447,– € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.03.2010 zu zahlen,
3.
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen Schäden, die aus der fehlerhaften Operation vom ….2009 folgen, zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergangen sind oder übergehen,
4.
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.368,91 € vorgerichtliche Kosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, bei dem beim Kläger vorliegenden Tumor im Stadium T2 sei die Brachytherapie keine ebenbürtige Therapieoption gewesen. In den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Urologie und der europäischen Gesellschaft für Urologie aus dem Jahr 2007 sei die partielle Penektomie und inguinale Lymphknotenentfernung als Behandlungsempfehlung für einen Tumor im Stadium T2 genannt. Es könne den Ärzten der Beklagten nicht zum Vorwurf gemacht werden, dem Kläger nicht die Möglichkeit einer konservativen Brachytherapie als ernsthafte Alternative dargelegt zu haben.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im ersten Rechtszug wird Bezug genommen auf die tatsächlichen Feststellungen in dem Tatbestand des angefochtenen Urteils (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat die Klage nach Beweiserhebung durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen X vom 20.03.2013 und dessen Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung am 26.07.2013 abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dem Kläger stehe gegen die Beklagte weder ein vertraglicher noch ein deliktischer Anspruch auf Schadenersatz oder Schmerzensgeld zu. Ein für die vom Kläger geltend gemachten Beschwerden ursächlicher Behandlungsfehler lasse sich nicht feststellen, insbesondere nicht bei der konkreten Therapiewahl und bei deren Durchführung. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen liege ein Behandlungsfehler nicht vor. Im vorliegenden Fall sei ein organerhaltender chirurgischer Therapieansatz in Form lokalchirurgischer Technik nach Mohs gewählt worden, der ein serielles Vorgehen vorsehe. Dabei werde zunächst die oberflächliche Beeinträchtigung abgetragen und dann immer weiter in die Tiefe geschnitten, bis möglichst der gesamte Tumor entfernt sei.

Wegen der beträchtlichen Infiltrationstiefe sei das Verfahren vorliegend abgebrochen und eine Weiterbehandlung in der urologischen Klinik empfohlen worden. Zweifellos entspreche das gewählte Operationsverfahren nicht dem in der Urologie gängigen. Jedoch sei dieses Verfahren besonderes für kleine oberflächliche Tumore geeignet. Der vom Kläger nach der Operation beklagte großflächige Defekt seines Penis sei auf die von dem Kläger bedingte Verzögerung der diagnostischen Prozedur von 7 Monaten und der Zunahme des Tumors zurückzuführen. Die Kammer könne auch nicht davon ausgehen, dass dem Kläger vor Durchführung der Operation eine lediglich 1 cm tiefe Einkerbung versprochen worden sei. Insoweit sei der Kläger beweisfällig geblieben. Zu der Behauptung, der komplette Tumor des Klägers wäre mittels Strahlentherapie erfolgreich behandelt worden, sei auf die Ausführungen des Sachverständigen zu Rezidivraten zu verweisen, die für die Strahlentherapie bei 24 bis 66 % lägen. Ein Behandlungsfehler ergebe sich ferner nicht daraus, dass die Behandlung durch einen Dermatologen erfolgt ist, obwohl ein Peniskarzinom grundsätzlich dem Fachbereich der Urologie unterfalle. Der Kläger habe sich primär an einen Dermatologen gewandt. Nachdem das männliche Genital inklusive der Glans penis komplett mit Haut überzogen sei, lasse sich aus der Facharztanerkennung eine Berechtigung zur operativen Therapie durch Tumorexzision ableiten. Ein Befunderhebungsfehler liege nicht in der unterlassenen Aufnahme eines Ultraschalls, da dies optional sei.

Die Behandler hätten darüber hinaus keine Aufklärungspflicht gegenüber dem Kläger verletzt. Die Kammer könne nicht davon ausgehen, dass für die Behandlung des Klägers mehrere gleichwertige Behandlungsmethoden zur Verfügung gestanden hätten. Denn der Sachverständige habe nicht bestätigt, dass die Brachytherapie zum Zeitpunkt der Operation ein gleichwertiger Therapieansatz gewesen sei. Dies folge nach den Ausführungen des Sachverständigen für das beim Kläger vorliegende Peniskarzinom Stadium T2 nicht aus der Leitlinie EAU-Guidelines Stand 2004. Diese sehe die Strahlentherapie nur optional unter strengsten Kriterien beim Stadium T1 G3 und Stadium T2 vor, welches auf weniger als 50 % der Eichel begrenzt sei. Allein diese Begrenzung dürfte im vorliegenden Fall mit 2 x 1 cm überschritten sein. Für das Stadium T1 G3 und T2 und höhere Stadien werde die Teilamputation oder Totalamputation des Penis empfohlen. Die Radiotherapie werde in der Leitlinie 2004 -ebenso wie in der Leitlinie 2009- nur bei Verweigerung einer Amputation aufgeführt. Die Brachytherapie sei damit nicht gleichwertig gewesen. Denn für eine klinische Einschätzung nur als T1 – Tumor ergebe sich aus den Akten kein ausreichend begründeter Hinweis, wobei eine sichere Differenzierung auch mit zusätzlichen Untersuchungsmethoden nicht mit annähernd sicherer Aussagekraft möglich gewesen wäre. Insoweit seien auch die Stellungnahmen des Privatgutachters Z nicht überzeugend, weil dessen Ausführungen darauf gründeten, dass beim Kläger ein Tumor im Stadium T1 vorgelegen habe. Zudem begründe Z seine Ausführungen mit den Leitlinien EAU 2010, welche für die Operation des Klägers am ….2009 nicht relevant seien. Auch die Behauptung des Klägers, die Brachytherapie sei hinsichtlich der Erfolgsaussichten ebenbürtig und hinterlasse keine Schäden, bestätige der gerichtliche Sachverständige nicht. Auch nach der Brachytherapie seien bleibende Schäden -auch in kosmetischer Hinsicht- vorhanden. Die Kammer könne auch nicht davon ausgehen, dass den Behandlern eine fehlende Aufklärung im Hinblick auf eine Gleichwertigkeit der Brachytherapie in der Leitlinie EAU 2009 vorwerfbar wäre, da nicht davon auszugehen sei, dass die im Februar bzw. März 2009 neugefasste Leitlinie zum Zeitpunkt der Behandlung am …./….2009 bereits veröffentlicht oder den Beklagten in anderer Weise bekannt gewesen sei. Entsprechenden Vortrag halte der Kläger nicht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils, Band I Blatt 375 bis 383 der Akte.

Gegen dieses seinem Prozessbevollmächtigten am 23.12.2013 in vollständig abgefasster Form zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 23.01.2014, bei Gericht eingegangen vorab per Fax am selben Tag, Berufung eingelegt. Diese hat er mit Schriftsatz vom 19.02.2013, bei Gericht eingegangen vorab per Fax am selben Tage, begründet.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren weiter. Abweichend zu den Anträgen in erster Instanz fordert der Kläger in zweiter Instanz die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes, das er in einer Größenordnung von mindestens 50.000,– € für angemessen erachtet. Er rügt im Wesentlichen, das Verfahren erster Instanz leide insgesamt darunter, dass die falsche Leitlinie angewandt und deshalb die Gleich- wertigkeit der Brachytherapie verkannt worden sei. Den beteiligten Fachkreisen hätten im April 2009 die im Februar 2009 veröffentlichten Leitlinien EAU 2009 bekannt sein müssen. Der Sachverständige sei zu seiner Aussage der fehlenden Gleichwertigkeit gelangt, weil er die Leitlinien von 2004 zugrunde gelegt habe, die dies noch anders gesehen hätten. Fälschlich sei die Kammer davon ausgegangen, dass den Behandlern die fehlende Aufklärung im Hinblick auf die Neubewertung in den Leitlinien EAU 2009 nicht vorwerfbar sei, weil nicht davon ausgegangen werden könne, dass die im Februar bzw. März neugefassten Leitlinien im Zeitpunkt der Behandlung bereits veröffentlicht oder den Behandlern bekannt gewesen seien und der Kläger hierzu keinen Vortrag gehalten habe. Der Kläger verweist hierzu darauf, dass die Leitlinien im Februar 2009 im Internet einsehbar gewesen seien und Kliniken und Ärzte über das spezielle Ärzteforum „medline“ verfügten. Nach den Leitlinien 2009 sei zudem zur Größenbestimmung des Tumors ein MRT erforderlich gewesen. Auch zu der Frage, ob vor der Operation die Aufnahme eines Ultraschalls erforderlich gewesen sei, komme der Sachverständige zu einem falschen Ergebnis, weil er die Leitlinie 2004 zugrunde lege. Falsch sei auch die Annahme des Sachverständigen, dass das Karzinom von einem Dermatologen habe behandelt werden können. Verfahrensrechtlich kranke das Urteil daran, dass nicht ordnungsgemäß festgestellt worden sei, ob es sich um einen T1 oder T2 Tumor handle. Der Gerichtsgutachter sei insoweit falsch nach Aktenlage von einer Infiltration des corpus spongiosum ausgegangen. Den Vortrag des Klägers zur Größe des Tumors, die für die Einschätzung des Sachverständigen zur Einstufung von entscheidender Bedeutung gewesen sei, habe das Gericht unbeachtet gelassen. Insgesamt sei das erstinstanzliche Gericht dem Vortrag des Klägers zu Widersprüchen im eingeholten Gutachten nicht in gebotener Weise nachgegangen, so dass eine Verletzung rechtlichen Gehörs vorliege. Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird Bezug genommen auf den Schriftsatz vom 19.02.2014 (Bd. II Bl. 416 – 425 d. A.) sowie den weiteren Schriftsatz vom 14.08.2014 (Bd. II Bl. 451-459 d.A.).

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des am 19.12.2013 verkündeten Urteils des Landgerichts Marburg, Aktenzeichen 5 O 25/11, die Beklagte zu verurteilen

1.
an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 50.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem ….2009;
2.
Schadenersatz in Höhe von 5.447,– € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.03.2010;
3.
vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 952,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
4.
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen Schäden, die aus der fehlerhaften Operation vom ….2009 folgen, zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergangen sind oder übergehen.
Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Wegen des Vorbringens der Beklagten in der Berufungsinstanz wird Bezug genommen auf den Schriftsatz mit der Berufungserwiderung vom 26.06.2014 (Bd. II Bl. 446 – 450 d. A.).

In der mündlichen Verhandlung hat der Senat den Kläger persönlich angehört und den Sachverständigen X zur Erläuterung seines für das Landgericht erstatteten Gutachtens ergänzend befragt. Wegen der Ergebnisse wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift vom 25.09.2014 (Bd. II Bl. 461 ff. d.A.).

II.

Die Berufung des Klägers ist statthaft sowie form- und insbesondere fristgerecht eingelegt und begründet worden, mithin zulässig.

In der Sache hat die Berufung teilweise Erfolg. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 30.000 Euro, Ersatz materiellen Schadens in Höhe von 5.447,00 Euro, Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 952,00 Euro, jeweils nebst Zinsen, und Feststellung der Ersatzpflicht künftigen materiellen Schadens. Die weitergehende Berufung war dagegen zurückzuweisen.

1.

Zu Unrecht rügt die Berufung das Vorliegen eines Behandlungsfehlers. Soweit der Kläger mit der Berufung zunächst die Beweiswürdigung des Landgerichts zur fehlenden Erforderlichkeit eines Sicherheitssaumes von 10 mm angegriffen hat, kommt es hierauf nicht mehr an. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich klargestellt, dass die Klage auf diesen Vorwurf nicht mehr gestützt werde. Der weitere Angriff, ein Behandlungsfehler liege entgegen der Feststellung des Landgerichts darin, dass die streitgegenständliche Behandlung von einem Dermatologen und nicht von einem Urologen ausgeführt wurde, ist nicht durchgreifend. Diese Feststellung verstößt nicht gegen die von der Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelten Kriterien der Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit sowie des Freibleibens der Beweiswürdigung von Verstößen gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze, noch begegnet sie in ihrer Überzeugungskraft vernünftigen Zweifeln. Die Feststellung, dass ein Dermatologe aufgrund der Weiterbildungsordnung der Landesärztekammer auf dem Gebiet der Haut- und Geschlechtskrankheiten auch zur gebietsbezogenen Tumortherapie befähigt sei, was bereits daraus folge, dass das männliche Genitial inklusive der Glans komplett mit Haut überzogen ist, ist nicht zu beanstanden. Der Einwand des Klägers, diese Feststellung verstoße gegen die Gesetze der Logik, ist nicht durchgreifend.

2.

Die Berufung hat allerdings Erfolg, soweit sie sich auf eine unzureichende Aufklärung stützt. Der Senat vermag sich der Rechtsauffassung des Landgerichts nicht anzuschließen, die Operation sei trotz fehlender Aufklärung über die Möglichkeit einer Strahlentherapie rechtmäßig gewesen, weil die Brachytherapie am ….2009 unter Geltung der Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Urologie (EAU) aus dem Jahr 2004 keine gleichwertige Behandlungsmethode gewesen wäre.

a.

Es kann dahinstehen, ob das Urteil des Landgerichts auf einer unzureichenden Tatsachenfeststellung beruht, weil der geltende medizinische Standard nicht bestimmt wurde. Der Sachverständige X hat seiner Beurteilung durchgängig die EAU-Guidelines Stand 2004 zugrunde gelegt, obwohl nach den Ausführungen des Sachverständigen in seiner mündlichen Anhörung unklar geblieben war, ob die Leitlinie EAU 2004 oder die Leitlinie 2009 den maßgeblichen medizinischen Standard wiedergibt, und ob unter Zugrundelegung der Leinlinie EAU 2009 die Brachytherapie eine gleichwertige Behandlungsmethode darstellte. Der medizinische Standard gibt Auskunft darüber, welches Verhalten von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt in der konkreten Behandlungssituation aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs im Zeitpunkt der Behandlung erwartet werden kann. Er repräsentiert den jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrung, der zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat (BGH, Urteil vom 15. April 2014 – VI ZR 382/12 -, […]). Die Ermittlung des Standards ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, der sich dabei auf die medizinische Bewertung des Behandlungsgeschehens durch einen Sachverständigen aus dem betroffenen medizinischen Fachgebiet stützen muss (BGH, Urteil vom 15. April 2014 – VI ZR 382/12 -, […]). Zur Frage der jeweils anwendbaren Leitlinien kommt es hierbei auf die Situation zum Zeitpunkt der Behandlung an (BGH, Urt. v. 25.11.2003 – VI ZR 8/03NJW 2004, 1452, 1453).

b.

Die Aufklärung des Klägers war deshalb unzureichend, weil ihm die Möglichkeit einer Strahlentherapie nicht eröffnet wurde, ihm vielmehr hierzu eine falsche Auskunft gegeben und ihm eine Aufklärung über diese Therapieform trotz Nachfrage verweigert wurde.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass ärztliche Heileingriffe grundsätzlich der Einwilligung des Patienten bedürfen, um rechtmäßig zu sein, und diese Einwilligung nur wirksam erteilt werden kann, wenn der Patient über den Verlauf des Eingriffs, seine Erfolgsaussichten und mögliche Behandlungsalternativen mit wesentlich anderen Belastungen, Chancen und Gefahren aufgeklärt worden ist. Nur so sind das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und sein Recht auf körperliche Unversehrtheit gewahrt. Für die ärztliche Hinweispflicht kommt es entscheidend nicht nur auf einen bestimmten Grad der Komplikationsdichte, sondern maßgeblich auch darauf an, ob das in Frage stehende Risiko dem Eingriff spezifisch anhaftet und bei seiner Verwirklichung die Lebensführung des Patienten besonders schwer belastet (BGH VersR 2009, 257 [BGH 18.11.2008 – VI ZR 198/07]). Soweit es um die Wahl der Behandlungsmethode geht, ist diese zwar primär Sache des Arztes. Die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten erfordert aber eine Unterrichtung über eine alternative Behandlungsmöglichkeit, wenn für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten (vgl. BGH Urteil vom 13. Juni 2006 – VI ZR 323/04, BGHZ 168, 103 Rn. 13 -, […]).

Eine Aufklärung wäre unter Anwendung dieser Grundsätze von den Behandlern der Beklagten jedenfalls zu fordern gewesen, wenn die Brachytherapie für das beim Kläger vorliegende Karzinom des Penis zum Zeitpunkt der Behandlung eine gleichwertige Behandlungsmethode dargestellt hätte. Dies ist mit dem Landgericht zumindest unter Geltung der Leitlinien EAU-Guidelines Stand 2004 nicht sicher festzustellen. Der Sachverständige X hat für das beim Kläger anzunehmende Peniskarzinom Stadium T2 unter Bezugnahme auf die Leitlinien EAU-Guidelines Stand 2004 ausgeführt, diese sehe die Strahlentherapie nur optional unter strengsten Kriterien beim Karzinom des Stadiums T1 G3 und Stadium T2 vor, welcher auf weniger als 50 % der Eichel begrenzt sei. Allein diese Begrenzung sei im vorliegenden Fall mit 2 x 1 cm (ohne Beachtung der Tiefe) überschritten gewesen. Für das Stadium T1 G3 und T2 und höhere Stadien werde die Teilamputation oder Totalamputation des Penis empfohlen. Die Radiotherapie werde in der Leitlinie 2004 nur bei Verweigerung einer Amputation aufgeführt. Unter Geltung der Leitlinie 2009 hat der Sachverständige X in seiner ergänzenden Stellungnahme vor dem Senat die Radiotherapie indes als eine zu erwägende Methode angesehen.

An seiner Einschätzung, dass es sich um einen T2-Tumor mit Infiltration des corpus spongiosum gehandelt habe, hat der Sachverständige X in seiner mündlichen Anhörung vor dem Senat festgehalten. Für das Vorliegen eines Tumors dieser Klassifikation spreche der Histologiebefund vom ….2009; auch die vom Kläger vorgelegten Lichtbilder würden belegen, dass der beim Kläger stattgefundene Eingriff sehr substanziell gewesen sei und es ungewöhnlich wäre, wenn das corpus spongiosum nicht betroffen gewesen wäre.

Aus den Ausführungen des Sachverständigen folgt jedoch ebenso, dass die Brachytherapie unter Zugrundelegung der Leitlinie EAU-Guidelines Stand 2004 und der Annahme eines T2-Tumors – wenngleich möglicherweise nicht als gleichwertige Behandlungsmöglichkeit – zumindest im Fall der Amputationsverweigerung durch den Kläger eröffnet gewesen wäre. Hierüber wäre der Kläger alternativ zur operativen Entfernung jedenfalls deshalb aufzuklären gewesen, weil er eine Aufklärung über eine Strahlentherapie wünschte. Nach der mündlichen Anhörung des Klägers vor dem Senat ist unstreitig geblieben, dass der Kläger den behandelnden Arzt bereits am ….2009 vor Durchführung der Wundgrundbiopsie danach gefragt hatte, ob die Möglichkeit der Strahlentherapie besteht, falls es sich um Krebs handelt. Dies wurde von dem behandelnden Arzt der Beklagten mit dem Hinweis, diese Möglichkeit bestehe beim Kläger nicht, pauschal verneint. Eine Aufklärung über die Erfolgsaussicht der Strahlentherapie zur Tumorbeherrschung hätte die Beklagte unter diesen Umständen selbst dann erteilen müssen, wenn diese nach den zu dieser Zeit geltenden Leitlinien nicht das Mittel der Wahl war. Nach Auffassung des Senats muss es in Anbetracht des mit einer Teilamputation der Glans penis verbundenen Risikos und insbesondere auch wegen der dauerhaften optischen Beeinträchtigung des Penis dem Patienten überlassen bleiben, sich unter Abwägung der bestehenden unterschiedlichen Heilungschancen und Rezidivrisiken zwischen einer Exzision mit Teilresektion der Glans penis und einer organerhaltenden Radiotherapie zu entscheiden. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten ist nur gewahrt, wenn ihm die Möglichkeit eröffnet wird, sich insoweit ausreichend beraten gegen eine operative und für eine organerhaltende Therapie zu entscheiden, selbst wenn diese geringere Erfolgschancen bietet und mit erhöhten Rückfallrisiken verbunden ist. Das in Kauf zu nehmen obliegt allein der Entscheidung des Patienten. Auch die Leitlinie EAU-Guideless Stand 2004 nennt die Brachytherapie als Behandlungsmethode für den Fall der Verweigerung einer Amputation. Daraus folgt nicht, dass es allgemeiner medizinischer Auffassung entspräche, die Brachytherapie erst zu erwähnen, wenn der Patient von sich aus ohne Kenntnis einer Behandlungsalternative eine Amputation ablehnt und aus seiner Sicht bereit ist, der Krebserkrankung ihren Lauf zu lassen. Vielmehr wird der Patient in der Regel erst zu einer Amputationsverweigerung kommen können, wenn ihm aufgezeigt wird, dass es zur Amputation eine Alternative gibt, wenn auch aus medizinischer Sicht nicht gleichwertig und mit geringeren Erfolgschancen.

Die demnach erforderliche Aufklärung wurde dem Kläger indes nicht nur nicht zuteil, sondern mit dem unzutreffenden Hinweis, die Möglichkeit einer Strahlentherapie sei in keinem Fall eröffnet, geradezu versagt. Dies war falsch. Denn die Strahlentherapie stellt eine grundsätzlich anerkannte Methode der Krebsbehandlung dar. Sie findet in den einschlägigen medizinischen Leitlinien zur Behandlung des Peniskarzinoms Erwähnung und ist keine Außenseitermethode, von der aus medizinischer Sicht ohne Abwägung von Chancen und Risiken abzuraten gewesen wäre. Zu beachten ist weiter, dass zum Zeitpunkt der vom Kläger erbetenen Aufklärung über die Strahlentherapie am ….2009 diese – selbst unter Geltung der Leitlinie EAU-Guidelines Stand 2004 – nicht als medizinisch kontraindiziert abgetan werden konnte, da vor Durchführung der für den ….2009 geplanten Shave-Exzision und Wundgrundbiopsie die Tiefenausdehnung des Tumors noch nicht voll abschätzbar war. In Übereinstimmung mit dem Sachverständigen X geht der Senat davon aus, dass es keine ordnungsgemäße Aufklärung darstellt, dem Kläger bereits am ….2009 zu sagen, dass eine Strahlentherapie nicht in Betracht komme. Einen Hinweis auf die Strahlentherapie enthält die schriftliche Einverständniserklärung des Klägers vom ….2009 nicht. Dass die Brachytherapie mündlich erörtert wurde, hat die Beklagte nicht behauptet. Die Beklagte kann in diesem Zusammenhang ferner nicht damit gehört werden, die Einverständniserklärung am ….2009 habe nur eine diagnostische Erhebung zur Bestimmung des Tumorgrades betroffen. Denn die Einverständniserklärung des Klägers bezog sich bereits auf den therapeutischen Eingriff mit operativer Teilentfernung der Glans penis, der am ….2009 vorgenommen worden ist.

Nach alledem war die Einwilligung des Klägers in die Operation am ….2009 nicht von einer hinreichenden Risikoaufklärung durch die behandelnden Ärzte der Beklagten getragen. Die Beklagte haftet dem Kläger daher ohne Rücksicht darauf, ob die Operation medizinisch fachgerecht durchgeführt wurde, für alle aus der Operation entstandenen und noch entstehenden Schäden.

c.

Den Einwand der sogenannten hypothetischen Einwilligung, also dass der Kläger sich dem Eingriff auch bei zutreffender Aufklärung über dessen Risiken unterzogen und nicht eine Brachytherapie vorgezogen hätte, der grundsätzlich beachtlich ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 18. November 2008 – VI ZR 198/07 -, […]), hat die Beklagte bereits nicht erhoben. Demgegenüber hat der Kläger für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass er sich bei vollständiger Aufklärung in jedem Fall gegen die aus seiner Sicht verstümmelnde Operation und für die Strahlentherapie entschieden hätte. Der Senat glaubt dies dem Kläger aufgrund des von ihm gewonnenen persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung am 25.09.2014. Dem entspricht auch das tatsächliche Handeln des Klägers. So hat er nach der Operation am ….2009 eine weitere Amputation abgelehnt und sich in der Folge einer Strahlentherapie unterzogen.

3.

Durch die Operation ist dem Kläger ein Gesundheitsschaden in Form eines Teilverlustes der Glans penis entstanden. Der Senat verkennt nicht, dass die Operation medizinisch indiziert war und zusammen mit der nachfolgenden Strahlentherapie zu einem Therapieerfolg geführt hat. Es kann indes im Rahmen einer hypothetischen Betrachtung nicht angenommen werden, das Peniskarzinom wäre ohne die operative Teilresektion nicht geheilt worden, bzw. eine operative Teilresektion wäre gegebenenfalls nach erfolgloser Strahlentherapie ohnehin erforderlich geworden. Für einen solchen hypothetischen Kausalverlauf im Sinne des rechtmäßigen Alternativverhaltens ist die Beklagte beweispflichtig (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2005 – VI ZR 313/03 -, […]). Diesen Beweis kann die Beklagte nicht führen.

4.

Der dem Kläger entstandene Gesundheitsschaden rechtfertigt nach Auffassung des Senats ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000,– € (§ 253 Abs. 2 BGB). Der Senat hat insbesondere berücksichtigt, dass der Kläger in Folge der Operation einen Teilverlust der Glans penis erlitten hat, der von ihm … psychisch als besonders beeinträchtigend erlebt wird, weil der Teilverlust auf Dauer optisch ohne weiteres erkennbar ist. Weiter ist zu beachten, dass der Kläger durch die Teilresektion in seinem Alltag bei Sport und sexueller Betätigung … Beeinträchtigungen ausgesetzt ist. Der Senat kann nachvollziehen, dass der Kläger, was er in der mündlichen Verhandlung geäußert hat, in hohem Maße gehemmt ist, Frauen intim gegenüber zu treten, weil er befürchtet, dass der Anblick seines Penis abstoßend wirken könne.

Ein höheres Schmerzensgeld ist nach Auffassung des Senats im Hinblick auf die vom Kläger eher allgemein geschilderten Beschwerden, die keine hinreichende Beurteilung zulassen, nicht gerechtfertigt. Mit dem Sachverständigen X ist weiter zugrunde zu legen, dass es sich um eine medizinisch indizierte Heilbehandlung gehandelt hat und auch die Brachytherapie demgegenüber keinen makellosen medizinischen Aspekt geboten hätte.

Nach alledem hält der Senat ein Schmerzensgeld von 30.000,– € für angemessen aber auch für ausreichend.

5.

Der Kläger hat weiter einen ersatzfähigen materiellen Schaden in Form der Gutachterkosten des von ihm eingeschalteten Privatgutachters Z in Höhe von 5.227,50 € erlitten, sowie Kosten der Dokumentation/ Fotoshooting von 50,– € und Auslagen in Höhe von 150,– € und 19,50 €. Diese Kosten dienten der Schadensermittlung und sind unstreitig in dem Umfang entstanden, wie sie dem Berufungsantrag zu 2) unterlegt sind.

6.

Der Zinsausspruch beruht auf den §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs.1 BGB. Einen vor dem 31.03.2010 eintretenden Verzug der Beklagten hat der Kläger nicht dargelegt, so dass die Klage hinsichtlich des weitergehenden Zinsbegehrens abzuweisen war.

7.

Der Feststellungsantrag ist zulässig. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Klage auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz bereits eingetretener und künftiger Schäden zulässig, wenn die Möglichkeit eines Schadenseintritts besteht. Ein Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO) ist nur zu verneinen, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund gegeben ist, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (vgl. BGH NJW-RR 2007, 601 [BGH 09.01.2007 – VI ZR 133/06]; VersR 2001, 876 [BGH 20.03.2001 – VI ZR 325/99]; VersR 2001, 874). Die Möglichkeit eines Schadenseintritts ist angesichts des Eingriffs in die körperliche Integrität des Klägers durch die Teilamputation des Penis zu bejahen.

Der Feststellungsantrag ist auch begründet, weil ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff gegeben ist, der auch zu künftigen Schäden führen kann. Es erscheint möglich, dass der Kläger auf Grund der verbleibenden eingriffsbedingten Schäden (Teilverlust der Glans penis) in der Zukunft materielle Schäden erleiden kann.

8.

Die Beklagte schuldet weiter für die vor dem 01.08.2013 erfolgte außergerichtliche Vertretung des Klägers Ersatz der Rechtsanwaltskosten aus einem Streitwert von 65.447,– € in Höhe von 952,– €. Der Zinsanspruch beruht auf §§ 291, 288 Abs.2 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 92 Abs. 2, 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die Vollstreckbarkeit rechtfertigt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 709 Satz 2 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Entscheidung des Senats auf einer Würdigung von Tatsachen im Einzelfall auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beruht und der Sache auch sonst keine grundsätzliche Bedeutung zukommt.

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