LG Dessau-Roßlau, Urteil vom 11.05.2012 – 2 O 617/11
Der Schutzzweck des § 833 BGB gebietet eine einschränkende Auslegung in den Fällen, in denen bei einer Auseinandersetzung von Hunden der Verletzungserfolg durch eine eigenverantwortliche Handlung des Geschädigten eingetreten ist, mit der gerade die von seinem Hund ausgehende spezifische Tiergefahr eingedämmt werden soll, mag diese sich auch als eine nicht fernliegende Reaktion auf die bloße Anwesenheit des anderen Hundes darstellen (Rn. 19).
Allein der Umstand, dass der Halter seinen Hund ohne jedes Angriffsverhalten unangeleint auf die Straße lässt, begründet keine verschuldensabhängige Haftung des Hundehalters (Rn. 21).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
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Der Kläger nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht aus Tierhalterhaftung auf Schadensersatz in Anspruch.
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Die Zedentin und Zeugin …, die die Ehefrau des Klägers ist, führte in den frühen Abendstunden des 11.11.2010 ihren angeleinten Schäferhund auf dem … in …, einer Anliegerstraße, aus. Vom unverschlossenen Wohngrundstück Nr. … kam der unangeleinte Jack Russell – Foxterrier der Beklagten, die gerade aus der Haustür getreten war und sich zu ihrem unmittelbar davor geparkten Pkw begeben wollte, auf den Schäferhund der Zeugin zugelaufen. In der Befürchtung, der Schäferhund, der in diesem Augenblick an der Leine anzog und nach dem Hund der Beklagten biss, könne dem deutlich kleineren Terrier Verletzungen zufügen, ergriff die Zeugin die mit der rechten Hand geführte Leine zusätzlich mit der linken Hand und zog ihren Hund ruckartig zurück. Dabei erlitt sie aufgrund der Gegenbewegung ihres Hundes eine Fraktur des dritten Fingers sowie eine Strecksehnenruptur des zweiten Fingers der linken Hand. Die Verletzungen mussten operativ behandelt werden. Von März bis Mai 2011 musste sich die Zeugin einer Schmerztherapie unterziehen. Weitere Behandlungen folgten. Mit Privaturkunde vom 20.05.2011 trat die Zeugin sämtliche Ansprüche aus dem schädigenden Ereignis an den Kläger ab.
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Der Kläger behauptet, die Behandlung der Zeugin sei noch nicht abgeschlossen, ein Dauerschaden nicht ausschließbar. Bei einem weiteren operativen Eingriff am 29.01.2012 sei eine Platte aus der Hand entfernt worden. Die Beweglichkeit der verletzten Finger sei dauerhaft eingeschränkt. Die Beklagte habe für die Schäden einzutreten, weil sich in dem Unfall gerade die von einem unangeleinten Hund ausgehende Gefahr verwirklicht habe. Der Zeugin seien aus Anlass der erlittenen Verletzungen 758,52 € Verdienstausfall, Kosten in Höhe von 240,63 € für erforderliche Zuzahlungen zur Heilbehandlung sowie 291,11 € Fahrtkosten entstanden (insgesamt 1.290,26 €). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Forderungsaufstellung in der Klageschrift Bezug genommen. Daneben hält der Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 4.000,00 € für angemessen und fordert den Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn
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1. 1.290,26 € Verdienstausfall und Auslagen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2011,
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2. ein angemessenes Schmerzensgeld – welches in das Ermessen des Gerichts gestellt wird – nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.11.2010,
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3. Verzugsfolgen in Höhe von 466,24 €
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zu zahlen,
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4. festzustellen, dass die Beklagte dem Kläger alle materiellen und immateriellen Schäden, die aus dem Unfallereignis der … vom 11.11.2010 entstanden sind und noch entstehen, zu 100% zu ersetzen hat.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie behauptet, ihr Terrier habe mit dem Schäferhund lediglich spielen wollen. Dieser habe ihren Hund jedoch sofort angegriffen, der umgehend die Flucht ergriffen habe. Die Verletzungen der Zeugin seien allein auf deren unsachgemäßen Versuch zurückzuführen, ihren Hund zurückzuhalten. Das geforderte Schmerzensgeld hält die Beklagte für übersetzt. Daneben bestreitet sie die Höhe des geltend gemachten materiellen Schadens sowie den behaupteten Eintritt eines Dauerschadens.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird gem. § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Das Gericht hat Beweis erhoben über den Hergang des schädigenden Ereignisses durch Vernehmung der Zeugin …. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 04.04.2012 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
17
Der Kläger hat aufgrund des schädigenden Ereignisses vom 11.11.2010 gegen die Beklagte aus abgetretenem Recht weder gem. § 833 BGB, noch gem. § 823 Abs. 1 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB einen Schadensersatzanspruch.
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Ein Anspruch aus Gefährdungshaftung gem. § 833 BGB besteht nicht. weil der Schaden nicht durch den Hund der Beklagten verursacht worden ist. Erforderlich ist insoweit ein Zurechnungszusammenhang zwischen dem tierischen Verhalten und dem eingetretenen Schaden, wobei das Verhalten des Tieres nicht die einzige Ursache gewesen sein muss, sondern eine adäquate Mitverursachung genügt (BGH, NJW-RR 2006, 813). Stets muss aber ein zumindest mittelbarer Ursachenzusammenhang zur Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens bestehen, der auch dann vorliegen kann, wenn der Schadenseintritt auf einer psychisch vermittelten Vermeidungs-, Ausweich- oder Schreckreaktion beruht (vgl. etwa OLG Oldenburg, VersR 2002, 1166).
19
Der Schutzzweck des § 833 BGB gebietet allerdings eine einschränkende Auslegung in den Fällen, in denen bei einer Auseinandersetzung von Hunden der Verletzungserfolg durch eine eigenverantwortliche Handlung des Geschädigten eingetreten ist, mit der gerade die von seinem Hund ausgehende spezifische Tiergefahr eingedämmt werden soll, mag diese sich auch als eine nicht fernliegende Reaktion auf die bloße Anwesenheit des anderen Hundes darstellen.
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Hiervon ist im Streitfall auszugehen. Wie die inhaltlich weitgehend deckungsgleiche Schilderung der Zeugin …, an deren Glaubhaftigkeit keinerlei Zweifel bestehen, und die informatorische Befragung der Beklagten ergeben haben, ist der physisch deutlich unterlegene Hund der Beklagten zwar unangeleint, aber in erkennbar friedfertiger Weise auf den Hund der Zeugin zugelaufen. Es bestanden mithin keine Anhaltspunkte für eine bevorstehende, durch das Verhalten des Hundes der Beklagten heraufbeschworene Auseinandersetzung der Tiere. Statt dessen ging das aggressive Verhalten allein vom Hund der Zeugin aus, der nach dem übereinstimmenden Bekunden der Zeugin und der Beklagten sogleich nach dem Hund der Beklagten biss, sodass dieser aufjaulte und ins Haus zurück zu flüchten versuchte. Wenn die Zeugin in dieser Situation, weil sie aufgrund der Dunkelheit das tatsächliche Verhalten ihres Hundes nicht abschätzen kann, den Versuch unternimmt, diesen durch ein ruckartiges Zurückreißen vom Hund der Beklagten zurück zu halten, um von diesem Gefahren abzuwenden, und sich dabei Verletzungen zuzieht, realisiert sich in dem eingetretenen Schaden nicht die vom Hund der Beklagten ausgehende typische Tiergefahr, sondern allein die des eigenen Hundes. Die Beklagte haftet mit anderen Worten nicht schon deshalb verschuldensunabhängig, weil ihr Hund ohne jedes Angriffsverhalten unangeleint auf die Straße gelaufen und der Hund der Zeugin hierauf in aggressiver Weise reagiert hat.
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Auch für einen verschuldensabhängigen deliktischen Anspruch ist kein Raum. Selbst wenn der Beklagten vorzuwerfen wäre, ihren Hund auf der kurzen Distanz von der Haustür bis zum wenige Schritte davor geparkten Pkw nicht angeleint zu haben, ist dieser Umstand nicht adäquat ursächlich für den der Zeugin entstandenen Schaden. Vielmehr beruht dieser allein auf ihrer Reaktion, die darauf gerichtet war, ihren eigenen Hund zur Vermeidung einer ernsthaften Auseinandersetzung beider Tiere zurückzuhalten und deshalb durch das Verhalten der Beklagten nicht herausgefordert worden ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 Sätze 1 und 2 i.V.m. 709 Satz 2 ZPO.
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Der Streitwert setzt sich zusammen aus den materiellen und immateriellen Schadensersatzforderungen sowie einem Betrag von 1.000,- € für den Feststellungsantrag. Der Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten bleibt als Nebenforderung außer Betracht.
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Beschluss
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Der Streitwert wird auf 6.290,26 € festgesetzt.