Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 08.02.2011 – 4 U 1040/10
Der Verkehrssicherungspflichtige ist nicht verpflichtet, unverzüglich solche Gefahren zu beseitigen, die erst durch das Eingreifen Dritter entstehen (hier: entfernte Gehwegplatten) (Rn. 8).
Tenor
Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 12.11.2010 – Az. 10 O 838/10 – durch einstimmigen Beschluss nach § 522 II ZPO zurückzuweisen.
Der Klägerin wird Gelegenheit gegeben, hierzu bis zum 28.02.2011 Stellung zu nehmen.
Gründe
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Die Berufung der Klägerin hat nach einstimmiger Auffassung des Senats keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Senats im Urteilsverfahren (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 3 ZPO).
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Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen behaupteter Verletzung der Verkehrssicherungspflicht auf Schadenersatz in Anspruch.
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Zur Begründung trägt die Klägerin in beiden Instanzen vor, sie sei auf dem Weg nach Hause am 26.11.2008 gegen 21.00 Uhr in unmittelbarer Nähe ihrer Wohnung auf dem Gehweg in der Max-Liebermann-Straße in Erfurt gestürzt, da sie in ein Loch getreten sei, das durch das Fehlen von zwei Gehwegplatten entstanden sei. Am Nachmittag, als sie das Haus verlassen habe, sei der Gehweg noch vollständig erhalten gewesen. Allerdings seien die Gehwegplatten auf dem Fußweg bereits seit Monaten locker gewesen. Ihr Ehemann habe bereits im April 2008 die Beklagte darüber in Kenntnis gesetzt.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte keine Verkehrssicherungspflicht verletzt habe. Es habe sich zum Einen nicht um eine für die Klägerin nur schwer beherrschbare Gefahrensituation gehandelt, da sie nach ihrem eigenen Vortrag von der Reparaturbedürftigkeit des Gehwegs gewusst habe. Ausschlaggebend sei aber in erster Linie der Umstand, dass sich nicht die Gefahr der lockeren Platten, sondern die Gefahr realisiert habe, dass irgendeine unbefugte Person in den Stunden vor dem behaupteten Unfall eine oder zwei Platten vom Gehweg entfernt habe. Da die Beklagte von dieser Gefahr keine Kenntnis gehabt habe und auch nicht verpflichtet sei, Gehwege täglich zu kontrollieren, liege keine Verkehrssicherungspflichtverletzung vor.
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Der Klägerin steht auch unter Zugrundelegung ihres Vorbringens in der Berufungsbegründung kein Anspruch auf Schadenersatz zu.
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Die Beklagte ist als Trägerin der Straßenbaulast (§§ 9 Abs. 1, 43 Abs. 1 S. 3 Thüringer Straßengesetz) für den Zustand des streitgegenständlichen innerstädtischen Gehwegs verantwortlich im Rahmen der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht, § 823 Abs. 1 und 2 BGB, die in Thüringen hoheitlich ausgestaltet ist (§§ 10 Abs. 1, 43 Abs. 1 Thüringer Straßengesetz) und deren Verletzung Amtshaftungsansprüche gemäß § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG auslöst. Nach der Rechtsprechung des Senats haftet ein Straßenverkehrssicherungspflichtiger nach folgenden Grundsätzen.
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Auch bei einem Gehweg hat der Pflichtige die Verkehrsteilnehmer vor den von diesem ausgehenden und bei seiner zweckgerichteten Benutzung drohenden Gefahren zu schützen und dafür Sorge zu tragen, dass der Gehweg sich in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis genügenden Zustand befindet. Das bedeutet allerdings nicht, dass ein Gehweg schlechthin gefahrlos und frei von allen Mängeln sein muss. Eine vollständige Gefahrlosigkeit der Straße und ihrer Benutzung kann mit zumutbaren Mitteln nicht erreicht und vom Verkehrsteilnehmer nicht erwartet werden. Grundsätzlich muss der Straßenbenutzer sich vielmehr den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen und die Straße so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet. Der Verkehrssicherungspflichtige muss in geeigneter und zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen, Gefahren ausräumen und / oder vor ihnen warnen, die für den die erforderliche Eigensorgfalt walten lassenden Benutzer nicht erkennbar sind und auf die er sich nicht einzurichten vermag. Ob danach eine Straße „in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis entsprechenden Zustand“ ist, entscheidet sich im einzelnen nach der allgemeinen Verkehrsauffassung, wobei Art und Häufigkeit der Benutzung des Verkehrsweges und seine Bedeutung zu berücksichtigen sind ( ständige Senatsrechtsprechung, Beschluss vom 15.10.2009 Az.: 4 U 553/09, Urteil vom 24.06.2009, Az.: 4 U 67/09).
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Bei Anwendung dieser Grundsätze liegt eine Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten nicht darin, dass sie bezüglich der entfernten Gehwegplatten bis zum behaupteten Unfall keine Abhilfe geschaffen hat. Die Klägerin hat selber vorgetragen, dass die Gehwegplatten am Nachmittag noch vorhanden waren, als sie das Haus verließ. Da eine lückenlose Kontrolle mit zumutbaren Mitteln nicht zu erreichen ist und deshalb von dem verkehrssicherungspflichtigen Hoheitsträger nicht verlangt werden kann, liegt darin, dass die Beklagte diesen Zustand nicht sofort beseitigt hat, keine Verkehrssicherungspflichtverletzung.
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Ein Anspruch der Klägerin ist auch nicht deshalb begründet, weil die Beklagte, obwohl sie bereits seit April 2008 Kenntnis davon hatte, dass einzelne Platten des streitgegenständlichen Gehwegs locker waren, bis zum Unfalltag untätig blieb. Nach Angaben der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung in erster Instanz war im August 2008 ein Straßenmeister da, der sich den Gehweg angeschaut, aber keine Reparaturmaßnahmen vorgenommen habe. Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht lässt sich diesem Vortrag nicht entnehmen. Die Klägerin beschreibt keinen Zustand, der einer sofortigen Abhilfe bedurfte. Insbesondere ist der Sachverhalt nicht mit dem zu vergleichen, der der Entscheidung des Senats vom 01.03.2006 (Aktenzeichen 4 U 719/04) zugrunde lag. Denn anders als in dem dort entschiedenen Fall bestanden hier keine Anhaltspunkte für die Gefahr, dass eine Bürgersteigplatte beim Betreten zur Seite kippt. Die anlässlich der Kontrolle gefertigten Bilder sprechen ebenso gegen eine solche Gefahrenlage wie die Tatsache, dass sich diese nicht realisiert hat.
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Der Umstand, dass auf Grund einer möglichen Lockerung der Gehwegplatten deren Beseitigung einfacher möglich war, begründet eine Haftung ebenfalls nicht. Denn der Verkehrssicherungspflichtige ist nicht verpflichtet, Gefahren zu beseitigen, die erst durch das Eingreifen Dritter entstehen. Um einen solchen Fall handelt es sich aber hier. Zudem steht auch nicht fest, dass es hohl liegende Gehwegplatten waren, die entfernt wurden.
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Ein Anspruch der Klägerin ist schließlich auch nicht deshalb begründet, weil die Beklagte nach dem Unfall den Gehweg erneuert hat. Die Entschärfung einer Gefahrenquelle, kann nicht als Anerkenntnis einer Verkehrssicherungspflicht gedeutet werden (Senatsurteil vom 10.11.2004. Az.: 4 U 432/04). Ein Verhalten der Beklagten nach dem Unfall ist deshalb nicht geeignet, eine Verkehrssicherungspflicht zu begründen.
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Darüber hinaus würde ein etwaiger Verstoß der Beklagten gegen ihre Verkehrssicherungspflicht vollumfänglich hinter das sehr hohe Eigenverschulden der Klägerin zurücktreten. Die Klägerin wohnt unmittelbar an der Unfallstelle. Mit Ausnahme der fehlenden Platten war ihr der von ihr behauptete schlechte Zustand des Gehweges ebenso bekannt wie die Beleuchtungssituation. Wenn sie sich gleichwohl entschließt, in der Dunkelheit diesen Weg zu benutzen, obwohl sie ihr Ziel auch über die andere besser beleuchtete Gehwegseite hätte erreichen können, so hätte sie hierbei äußerste Vorsicht walten lassen müssen. Dies hat die Klägerin nicht getan, weil sie dann das durch das Fehlen der Platten entstandenen Loch hätte bemerken müssen.
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Die Berufung hat auch nicht deshalb Erfolg, weil ein Verfahrensmangel vorliegt. Weder hat das Gericht seiner Entscheidung Umstände zugrunde gelegt, die nicht Gegenstand des Parteivorbringens waren, noch hat es maßgebliche Beweisangebote nicht berücksichtigt. Wie sich aus den vorhergehenden Ausführungen ergibt, kommt es auf die angebotenen Beweismittel überhaupt nicht an, da eine Haftung auch dann ausscheidet, wenn man den Vortrag der Klägerin als wahr unterstellt. Insbesondere ist auch die Schlussfolgerung des Landgerichts, dass man auf der Straßenseite, auf der sich die Laterne befindet, besser sehen kann, nicht unzulässig. Sie entspringt allgemeiner Lebenserfahrung.
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Bleibt die Berufung der Klägerin mithin erfolglos, rät der Senat der Klägerin, ihr Rechtsmittel innerhalb der Erklärungsfrist zurückzunehmen; auf die Kosteneinsparung (Kostenverzeichnis 1220, 1222, Anlage 1 GKG) wird ausdrücklich hingewiesen.