OLG Koblenz, Urteil vom 23.07.2014 – 5 U 336/14
1. Die bloße Übernahme des Frachtguts stellt keine die Zahlungspflicht des Empfängers gemäß § 421 Abs. 2 Satz 1 HGB begründende konkludente Geltendmachung des Rechts auf Ablieferung nach § 421 Abs. 1 Satz 1 HGB dar. Dafür bedarf es vor Erhalt des Frachtguts einer auf dessen Übergabe gerichteten Willensäußerung, verbunden mit einer Haftungsbekundung. Das gilt gleichermaßen für Frachtkosten wie für Standgelder.
2. Die einjährige Verjährungsfrist des § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB erfasst nicht nur vertragliche, sondern auch bereicherungsrechtliche Ansprüche. Von gesetzlichen Schadensersatzansprüchen abgesehen, gilt das aber nur im Verhältnis zwischen dem Absender des Transportguts und dem Frachtführer, nicht jedoch zwischen diesem und dem Empfänger.
3. § 288 Abs. 4 BGB ist keine Anspruchsgrundlage, sondern eröffnet lediglich über Zinsforderungen hinausgehende Verzugsschadensersatzansprüche gemäß § 280 Abs. 1 und 2 BGB.
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 12. Zivilkammer – 2. Kammer für Handelssachen – des Landgerichts Mainz vom 31.01.2014 in Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels dahin geändert, dass die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt wird, an die Klägerin 30.197,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.08.2012 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits fallen der Beklagten zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin ihrerseits entsprechende Sicherheit stellt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
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I. Die Klägerin war mit der Durchführung von Gleisbauarbeiten betraut. Dazu bestellte sie unter dem 17.08.2011 bei einer Lieferantin 2.000 t Planumschutzschicht-Material, das am 2.09. und 5.09.2011 in Mengen von jeweils 1.000 t in einem Bahnhof eintreffen sollte. Die Lieferantin ließ den Transport von der Beklagten als Frachtführerin vornehmen. Diese setzte dazu insgesamt 32 Eisenbahnwaggons ein, die ihrer Darstellung nach termingerecht vor Ort waren. Eine Subunternehmerin der Klägerin meldete ihr am 6. und am 7.09.2011 sukzessive die Entladung von 31 Waggons.
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Unter dem 30.09. und dem 10.10.2011 berechnete die Beklagte der Klägerin Wagenstandgelder von insgesamt 30.197,44 €. Das begründete sie mit der Inanspruchnahme zu langer Entladezeiten, die sie gehindert hätten, die Waggons anderweit gewinnbringend zu nutzen. Dabei setzte sie – unter Gewährung eines kostenfreien Zeitraums von 48 Stunden – bis zur Freimeldung ein tägliches Standgeld von 244 € nebst Mehrwertsteuer an. Für den Waggon, der nicht frei gemeldet worden war, wurde ein Entgelt bis zur dessen effektiver Rückführung am 23.09.2011 geltend gemacht.
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Die Rechnungsbeträge ließ die Beklagte alsbald von einem Konto der Klägerin abbuchen. Da diese zu der Auffassung gelangte, nicht zahlungspflichtig zu sein, forderte sie in einem anwaltlichen Schreiben vom 8.08.2012 Erstattung. Das lehnte die Beklagte unter dem 28.08.2012 ab.
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Im Hinblick darauf hat die Klägerin Rückzahlungsklage in Höhe von 30.197,44 € nebst Zinsen erhoben und gleichzeitig den Ausgleich vorgerichtlicher Anwaltskosten verlangt. Sie hat die Beklagte durchweg für ungerechtfertigt bereichert erachtet; vorsorglich hat sie die Angemessenheit der reklamierten Standgelder bestritten. Demgegenüber ist die Beklagte von einer frachtrechtlichen Zahlungspflicht der Klägerin als Lieferungsempfänger ausgegangen und hat auf eine ihr im Frachtbereich allgemein zustehende Abrechnungsermächtigung verwiesen. Zudem hat sie die Verjährungseinrede erhoben.
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Das Landgericht, auf dessen Urteil ebenso wie auf den Inhalt der Gerichtsakten im Übrigen zur näheren Sachverhaltsdarstellung Bezug zu nehmen ist, hat die Klage zugesprochen. Es hat keinen Rechtsgrund für die von der Beklagten vorgenommenen Abbuchungen gesehen, weil es an vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien fehle. Im Hinblick darauf scheide auch die Anwendung frachtrechtlicher Verjährungsregeln aus.
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Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Sie erstrebt die Abweisung der Klage, indem sie namentlich ihre Rechtsverteidigung vertieft, die Klägerin habe eine gesetzliche Zahlungspflicht getroffen.
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II. Die Berufung hat lediglich einen geringfügigen Erfolg. Im Übrigen scheitert sie.
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1. Das angefochtene Urteil erweist sich im Ergebnis insoweit als zutreffend, als die Beklagte zur Rückgewähr der vom Konto der Klägerin eingezogenen Gelder von 30.197,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.08.2012 verurteilt worden ist. Die Verpflichtung zur Auskehr der abgebuchten Beträge ergibt sich aus § 812 Abs. 1 S. 1 BGB, weil die Beklagte nicht berechtigt war, die Klägerin in Anspruch zu nehmen.
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a) Die Beklagte macht geltend, dass ihr die Klägerin Standgelder in entsprechender Höhe geschuldet habe. Vertragliche Abreden der Parteien, die das tragen könnten, sind jedoch nicht vorhanden. Rechtsgeschäftliche Beziehungen haben lediglich zwischen der Klägerin und deren Lieferantin und daneben zwischen dieser und der Beklagten bestanden. Es ist weder behauptet noch sonst ersichtlich, dass die Klägerin im Zuge der Auftragserteilung ihrer Lieferantin an die Beklagte auf der Grundlage einer bestehenden Vollmacht verpflichtet worden wäre.
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b) Die streitigen Standgelder konnten auch nicht gemäß § 421 Abs. 3 HGB von der Klägerin eingefordert werden. Allerdings hat die Klägerin, indem sie insoweit durch ihre vor Ort befindliche Subunternehmerin handelte, das von der Beklagten gelieferte Frachtgut entgegen genommen. Aber dieser Vorgang war nicht geeignet, eine Haftung für anfallende Standgelder auszulösen. Vielmehr hätte die Klägerin dazu im Vorfeld an die Beklagte herantreten und ihr Auslieferungsrecht nach § 421 Abs. 1 S. 1 HGB aktiv ausüben müssen. Das ist nicht geschehen. Der Umstand, dass das herangebrachte Material entladen und angenommen wurde sowie dass davon später Mitteilung gemacht wurde, reichte nicht hin (BGHZ 171, 84). Vielmehr hätte es vor Erhalt des Materials einer auf dessen Übergabe gerichteten Willensäußerung, verbunden mit einer Haftungsbekundung, bedurft (Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl., § 421 Rn. 30; Schmidt in Staub, HGB, 5. Aufl., § 421 Rn. 5).
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In dieser Richtung hat sich bereits das Landgericht geäußert. Der dagegen mit der Berufung geführte Angriff, die vorstehenden Erwägungen könnten nur im Rahmen des § 421 Abs. 2 HGB und damit allein in Bezug auf die Frachtkosten, nicht aber auch im Hinblick auf § 421 Abs. 3 HGB und die dort angesprochenen Standgelder Geltung beanspruchen, geht fehl. Er verkennt, dass beide Bestimmungen ohne Differenzierung von identischen Voraussetzungen, nämlich der Ausübung des Empfängerrechts nach Maßgabe des § 421 Abs. 1 S. 1 HGB ausgehen (Merkt in Baumbach/Hopt, HGB, 36. Aufl., § 421 Rn. 4; vgl. auch Czerwenka in Münchener Kommentar, HGB, 2. Aufl.,, § 421 Rn. 38).
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c) Die Auffassung der Beklagten, sie dürfe die ihr zugeflossenen Standgelder einbehalten, weil sie gemäß einem allgemeinen Übereinkommen (Frachtausgleichsverfahren) abbuchungsbefugt gewesen sei, trifft nicht zu. Eine Abbuchungsbefugnis konnte lediglich die Funktion haben, vorhandene Ansprüche effizient zu realisieren, war aber untauglich, ihrerseits Ansprüche für die Beklagte zu begründen und veränderte Leistungsbeziehungen zwischen den Parteien zu schaffen. Das hat letztlich auch die Beklagte gesehen, indem sie auf die von der Abbuchungsbefugnis ausgehenden Abrechnungserleichterungen hingewiesen hat (Schriftsatz vom 3.12.2012).
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d) Die Verjährungseinrede, mit der die Beklagte der Bereicherungsforderung der Klägerin entgegentritt, greift nicht. Die Forderung unterliegt der allgemeinen Verjährungsfrist der §§ 195, 199 Abs. 1 BGB, die unzweifelhaft nicht verstrichen ist. Die Regelung des § 439 Abs. 1 S. 1 HGB, die eine lediglich einjährige Verjährungsfrist vorsieht, gelangt nicht zur Anwendung. Allerdings werden davon – abweichend vom Normwortlaut – nicht nur vertragliche, sondern auch bereicherungsrechtliche Ansprüche erfasst. Das gilt aber allein im Verhältnis zwischen dem Absender des Transportguts und dem Frachtführer, mithin im vorliegenden Fall zwischen der Lieferantin und der Beklagten (BGH NJW 1972, 1003; Herber/Eckardt in Münchener Kommentar, HGB; 2. Aufl., § 439 Rn. 4). Ansprüche von Dritten, die außerhalb dieser Rechtsbeziehung stehen, unterfallen § 439 Abs. 1 S. 1 HGB lediglich in den von § 434 Abs. 2 HGB gezogenen Grenzen (Schmidt in Staub, HGB, 5. Aufl., § 439 Rn. 19), setzen also einen gesetzlichen Schadensersatzanspruch voraus, der hier nicht in Streit ist.
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Im Hinblick darauf kann auf sich beruhen, ob die Einjahresfrist des § 439 Abs. 1 S. 1 HGB, die im Anschluss an das Mahnschreiben der Klägerin vom 8.08.2012 bis zur Zahlungsablehnung durch die Beklagte gehemmt war (§ 439 Abs. 3 S. 1 HGB) und dann mit der Klageeinreichung vom 6.11.2012 erneut gehemmt wurde, überhaupt abgelaufen ist. Das ist ungeklärt, weil nicht vorgetragen wurde, wann die Abbuchung durch die Beklagte erfolgte und damit die Bereicherungsforderung der Klägerin entstand.
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2. Der Erfolg des Rechtsmittels beschränkt sich auf den Bereich der von der Klägerin erhobenen Nebenforderungen. Dass die Berufungsbegründungsschrift hier keinen besonderen Angriff erkennen lässt, steht dabei einer Urteilskorrektur nicht entgegen (BGH NJW 1992, 1898; BGH NJW 1994, 1656).
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a) Die Entscheidung des Landgerichts hat keinen Bestand, soweit sie der Klägerin, anknüpfend an deren mit Schreiben vom 8.08.2012 ausgesprochene Mahnung, auf den Erstattungsbetrag Zinsen jenseits von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zuerkannt hat. § 288 Abs. 2 BGB, den es herangezogen hat, ist nicht einschlägig, weil es nicht um die Verzinsung einer Entgeltforderung geht. Das hat die Klägerin augenscheinlich selbst erkannt. Sie war zwischenzeitlich von ihrem anfänglichen Begehren, die Beklagte auf der Grundlage von § 288 Abs. 2 BGB zu verurteilen, abgerückt und hatte dann nur Zinsen gemäß § 288 Abs. 1 S. 1 BGB geltend gemacht, ließ dies jedoch am Ende wieder fallen.
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b) Auch der Zuspruch der Ersatzforderung wegen vorgerichtlicher Anwaltskosten kann nicht aufrecht erhalten werden. Das Landgericht hat ihn auf § 288 Abs. 4 BGB gestützt. Diese Norm stellt jedoch keine Anspruchsgrundlage dar, sondern lässt nur Raum für über Zinsforderungen hinausgehende Verzugsschadensersatzansprüche gemäß § 280 Abs. 1 und 2 BGB. Derartige Ansprüche sind für die Klägerin aber nicht eröffnet, weil die reklamierten anwaltlichen Gebühren bereits mit der Fertigung des Schreibens vom 8.08.2012 erfallen waren, das vor Verzugseintritt verfasst wurde und den Verzug der Beklagten erst nachfolgend begründete. Für eine verzugsunabhängige Haftung der Beklagten gemäß § 819 Abs. 1 BGB gibt es keinen greifbaren Anhalt.
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3. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Gründe für die Zulassung der Revision fehlen.
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4. Der nachträglich eingereichte Schriftsatz der Beklagten vom 18.07.2014 gibt keine Veranlassung, von der im Beschluss vom 28.05.2014 gesetzten Ausschlussfrist Abstand zu nehmen.
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Rechtsmittelstreitwert: 30.197,44 €.