Zum Anspruch auf Unterlassung oder Schutzmaßnahmen gegenüber den Betreiber eines Windrades
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 10. November 2021 – 9 U 15/20
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 7. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe vom 21. Januar 2020, Az. 7 O 294/18, wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleitung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Hinterlegung oder Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund der Urteile vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I.
1
Der Kläger begehrt von der Beklagten Unterlassung, hilfsweise Einschränkung des Betriebs einer in räumlicher Nähe zu seinem Wohngrundstück errichteten Windenergieanlage.
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Der Kläger ist Eigentümer eines Einfamilienhauses in X., welches er mit seiner Familie bewohnt. Im Wesentlichen südlich des Grundstücks des Klägers plante die A. AG die Errichtung des Windparks Y.. Dieser besteht aus insgesamt 16 neu zu errichtenden Windkraftanlagen des Typs Enercon E-82 E2 mit einer Nennleistung von je 2,3 Megawatt. Die Anlagen haben eine Nabenhöhe von 78 m, einen Rotordurchmesser von 82 m und eine Gesamthöhe von 119 m. Das Ingenieurbüro B. GmbH erstattete für den geplanten Windpark am 13. April 2014 ein schalltechnisches Gutachten, in dem für insgesamt 42 immissionsschutzbedürftige Orte, die von Schallemissionen der Anlagen des Windparks betroffen sein würden, die jeweilige Vorbelastung, die erwartete Zusatzbelastung durch den Windpark und die sich daraus jeweils ergebende Gesamtbelastung berechnet wurden. Wegen der Einzelheiten wird auf das vorgenannte Gutachten (Blatt 232 – 263 d. A., im Folgenden: Prognosegutachten) Bezug genommen.
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Das Objekt des Klägers ist in diesem Gutachten als Immissionsort Nummer zwei berücksichtigt. Für diesen geht das Prognosegutachten von einer Vorbelastung von 37 dB(A), einer Zusatzbelastung durch die Anlagen des Windparks von 40 dB (A) und einer daraus resultierenden Gesamtbelastung von 42 dB(A) (Seite 17 des Prognosegutachtens) bei einem zulässigen Pegel von 45 dB(A) nachts aus. Dem Prognosegutachten liegt zugrunde, dass der jeweilige Schallleistungspegel, den die 16 Anlagen erreichen, nachts die im Gutachten auf Seite 21 genannten Werte nicht überschreitet.
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Räumlich gesehen mit Abstand am nächsten zum Grundstück des Klägers liegt die unter der Nummer 13 des Prognosegutachtens erfasste Windenergieanlage. Diese befindet sich in einer Entfernung von etwa 440 m ungefähr südlich des Grundstücks des Klägers. Für diese Anlage ist im Gutachten ein Schallleistungspegel von 103,5 dB(A) zugrunde gelegt. Der Anlagenhersteller, die Firma Enercon, garantiert die Einhaltung eines Schallleistungspegels von 103,5 dB(A) bis zu einer Leistung von 2 MW.
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Aufgrund des Gutachtens erhielt die A. AG am 19. November 2014 vom Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume Schleswig-Holstein eine Genehmigung nach § 4 BImSchG für die Errichtung dieser Anlage (Anlage K1). Auch zur Nachtzeit sei mit den in der Prognose berücksichtigten Reduzierungen der nächtlichen Schallleistungen der Anlage keine Überschreitung der zulässigen Immissionsrichtwerte zu erwarten. Im laufenden Betrieb sei die Einhaltung des der Prognose zu Grunde gelegten Schallleistungspegels durch eine gutachterliche Abnahmemessung nachzuweisen. Zur Tagzeit sei auch bei ungedrosseltem Betrieb der Anlagen keine Überschreitung der zulässigen Immissionsrichtwerte zu erwarten. Wegen der weiteren Einzelheiten des Genehmigungsbescheids wird auf die Anlage K1 verwiesen. Der Kläger erhob gegen die Immissionsschutzgenehmigung Widerspruch, der durch Widerspruchsbescheid vom 15. Juni 2015 (Anlage K2) zurückgewiesen wurde. Die Genehmigung ist bestandskräftig. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage K2 Bezug genommen.
6
Die Anlage wurde in der Folge errichtet und wird von der Beklagten betrieben. Sie wurde zunächst nachts mit reduzierter Leistung betrieben. Die A. AG ließ ein Schallemissionsgutachten erstellen, mit welchem die Einhaltung des Schallleistungspegels überprüft wurde. Dieses kam zu dem Ergebnis, dass ein Schallleistungspegel von 103,5 dB bei dieser Anlage auch bei maximaler Leistung nicht überschritten werde. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten Anlage B2, dort insbesondere Seite 8, Bezug genommen. Die Anlage wird nunmehr auch zur Nachtzeit ungedrosselt betrieben.
7
Der Kläger hat die Ergebnisse des Schallprognosegutachtens bestritten und behauptet, die Anlage verursache erhebliche Schallimmissionen an seinem Wohnhaus, die das von ihm hinzunehmende Maß übersteigen würden. Die exakte Berechnung sei von erheblicher Bedeutung, da auch die nach dem Schallprognosegutachten errechneten Werte nur knapp unterhalb der zulässigen Beurteilungspegel lägen. Es seien Zuschläge für Impuls- und Tonhaltigkeit vorzusehen. Die Anwendung der TA Lärm sei dem Grunde nach fehlerhaft. Wegen der weiteren Einwendungen zum Prognosegutachten wird auf die Klageschrift Bezug genommen.
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Am Grundstück des Klägers seien Immissionen nachts von lediglich 40 dB(A) zulässig. Es fehle eine Umweltverträglichkeitsprüfung. Die Anlage habe eine optisch bedrängende Wirkung. Es fehle ein Gutachten zur Turbulenzintensität und zu Turbulenzbelastungen. Die Genehmigung stelle außerdem nicht sicher, dass der Kläger nicht in unzulässiger Weise durch Schattenwurf beeinträchtigt werde.
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Der Kläger hat beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, die Windenergieanlage Typ Enercon E-82 E2 mit einer Leistung von 2,3 MW, einer Nabenhöhe von 78 m sowie einer Gesamthöhe von 119 m zur Genehmigungsnummer G 10/2014/004, Kurzbezeichnung MND13, Gemarkung X., Flur X, Flurstück X gemäß dem der Klagschrift anliegenden Genehmigungsbescheid (Anlage 1) zur Gewinnung von Windenergie zu betreiben,
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2. hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, durch geeignete Maßnahmen, zum Beispiel die zeitlich befristete Abschaltung/Drosselung der Windenergieanlage, sicherzustellen, dass weder das Eigentum des Klägers noch dessen Gesundheit durch den Betrieb der Windenergieanlage Typ Enercon E-82 E2 mit einer Leistung von 2,3 MW, einer Nabenhöhe von 78 m sowie einer Gesamthöhe von 119 m zur Genehmigungsnummer G 10/2014/004, Kurzbezeichnung MND13, Gemarkung X., Flur X, Flurstück X beeinträchtigt wird, sowie
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3. der Beklagten für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 250.000 € oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten anzudrohen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat geltend gemacht, die Anlage sei bestandskräftig genehmigt. Überschreitungen zulässiger Immissionswerte seien nicht zu erwarten.
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Das Landgericht hat nach Beweiserhebung durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens und ergänzende mündliche Erläuterung des Gutachtens die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass hinsichtlich des Hauptantrages, gerichtet auf eine generelle Unterlassung des Betriebes der streitgegenständlichen Windenergieanlage, ein privatrechtlicher Abwehranspruch wegen grundstücksbezogener Einwirkungen nach § 14 BImSchG mit Blick auf die bestandskräftige Genehmigung der Anlage ausgeschlossen sei. Soweit nicht grundstücksbezogene Abwehransprüche wegen Gefährdung der Gesundheit des Klägers in Rede stünden, seien konkrete Gesundheitsgefährdungen, die über die allgemeinen, mit einer an der Grenze des Zulässigen liegenden Geräuschbelastung eines Wohngrundstücks stets verbundenen Folgen hinausgehen würden, nicht konkret vorgetragen.
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Auch hinsichtlich des Hilfsanspruches sei die Klage unbegründet, weil der Kläger zur Duldung der Immissionen gemäß §§ 1004 Abs. 2, 906 BGB verpflichtet sei. Wenn die von der streitgegenständlichen Anlage ausgehenden Geräuschbelastungen die Grenzwerte der TA Lärm nicht überschreiten würden, bestehe in der Regel eine Duldungspflicht. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme verursache die streitgegenständliche Anlage auch unter Berücksichtigung der Vorbelastung keine Schallimmissionen am Objekt des Klägers von mehr als 45 dB. Eben dieser Wert sei für das in relativ vereinzelter Lage außerhalb eines Wohn- oder Kleinsiedlungsgebietes belegene Objekt des Klägers einschlägig. Soweit dem Sachverständigengutachten die Prämisse zugrunde liege, dass der Schallleistungspegel der streitgegenständlichen Anlage als Emissionswert einen Pegel von 103,5 dB (A) nicht überschreite, sei dies nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen auch im ungedrosselten Betrieb der Fall. Soweit der Kläger einen Zuschlag wegen Tonalität der Anlage berücksichtigt wissen wolle, weise nach dem Ergebnis des Schallnachmessungsgutachtens die Anlage keine wahrnehmbare Tonalität auf. Infraschallimmissionen seien nicht konkret dargelegt. Eine optisch bedrängende Wirkung sei, soweit es nicht um Schattenwurf, sondern um eine Beeinträchtigung der Aussicht gehe, keine Immission auf das Grundstück, die Gegenstand eines privatrechtlichen Abwehranspruchs sein könne. Ein nicht hinnehmbarer Schattenwurf aber sei nicht konkret vorgetragen.
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Hinsichtlich der näheren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen.
19
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der dieser sein erstinstanzliches Klageziel unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens weiterverfolgt.
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Er macht geltend, dass § 14 Satz 1 BImSchG nicht eingreife, weil die der Beklagten erteilte Genehmigung zum Betrieb der streitgegenständlichen Anlage noch nicht bestandskräftig sei. Insoweit schwebe zum Az. 2 LA 11/17 ein verwaltungsrechtlicher Rechtsstreit vor dem Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgericht.
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Dessen ungeachtet sperre auch bei unanfechtbaren Genehmigungen § 14 Satz 1 BImSchG privatrechtliche Ansprüche nur hinsichtlich der von der Genehmigung umfassten benachteiligenden Wirkungen. Tatsächlich werde die Anlage so betrieben, dass die der Genehmigung zu Grunde gelegten Immissionswerte, Nebenbestimmungen und Auflagen nicht eingehalten würden.
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Weder die in dem Prognosegutachten angenommene Vorbelastung, noch die dort angenommene Zusatzbelastung seien nach den seit dem 31. Januar 2018 geltenden Vorgaben zustande gekommen.
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Gemäß Erlass des Umweltministeriums vom 31. Januar 2018 seien die neuen LAI-Hinweise zum Schallimmissionsschutz bei Windkraftanlagen (Stand 30. Juni 2016) hinsichtlich der im verwaltungsrechtlichen Genehmigungsverfahren durchzuführenden Messungen zugrunde zu legen. Danach sei bei der Berechnung der Schallausbreitung die Bodendämpfung wegzulassen und die Berechnung nach einem vom Normenausschuss Akustik, Lärmminderung und Schwingungstechnik veröffentlichten „Interimsverfahren“ vorzunehmen, woraus sich ein höherer Lärmpegel ergebe. Die im Prognosegutachten enthaltenen Belastungswerte seien nicht unter Anwendung des Interimsverfahrens ermittelt worden. Zwar entfalte der Anwendungserlass nur verwaltungsintern eine Bindungswirkung. Eine Bindungswirkung für die Gerichte entstehe erst dann, wenn das Interimsverfahren einen neuen gesicherten Stand der Technik darstelle, der die Bindungswirkung der TA Lärm und damit die Anwendung des alternativen Verfahrens (DIN ISO 96132) entfallen lasse. Der Umstand aber, dass immer mehr Bundesländer, zwischenzeitlich zwölf, durch Anwendungserlasse die LAI-Hinweise zur Anwendung brächten, stelle ein sicheres Indiz für einen neuen gesicherten Erkenntnisstand dar.
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Zudem gebe es in Schleswig-Holstein seit dem 25. Mai 2018 für Bestandsanlagen ein „Konzept zum Umgang mit AltWKA bei der Beurteilung der Schallimmission durch das Interimsverfahren“ des Landesamtes für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume, das davon ausgehe, dass Altanlagen unter Anwendung des Interimsverfahrens gegebenenfalls nicht mehr den Anforderungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG entsprächen. Mit Erlass vom 19. August 2019 sei im Weiteren die Anordnung an die Kommunen ergangen, dass die Anwendung der LAI- Hinweise im Rahmen der kommunalen Bauleitplanung beachtet werden müsste.
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In der Folge sei das Interimsverfahren auch auf die der Beklagten erteilte Genehmigung und die dieser Genehmigung zu Grunde liegenden Emissions- und Immissionswerte anzuwenden, auch wenn die Genehmigung am 19. November 2014 erteilt worden sei und das Prognosegutachten vom 23. April 2014 stamme. Gleiches gelte für das von der Beklagten vorgelegte Schallemissionsgutachten der A. AG vom 4. April 2017. Jedenfalls aber mit Blick auf das vor dem Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgericht anhängige Berufungsverfahren und die fehlende Bestandskraft der Genehmigung sei das Interimsverfahren auf die streitgegenständliche Anlage anzuwenden, so dass es einer neuen bzw. berichtigten Schallimmissionsprognose und/oder einer Schallemissionsnachmessung bedürfe. Bei Anwendung des von dem Gerichtssachverständigen nicht herangezogenen Interimsverfahrens komme es zu einer Überschreitung des Immissionsrichtwertes.
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Fehlerhaft folge die angefochtene Entscheidung dem Sachverständigen dahingehend, dass bei einer normierten Windgeschwindigkeit von 9 m/s 95 % der Nennleistung und das Maximum des verursachten Schallleistungspegels erreicht würden und bei einer weiteren Steigerung bis zur Nennleistung der Schallleistungspegel nicht mehr ansteige. Tatsächlich aber verweise das Schallnachmessungsgutachten auf zwei Messwerte zwischen 9 m/s und 10 m/s, die einen weiteren linearen Anstieg zeigten. Damit sei aber gerade nicht erwiesen, dass der Schallleistungspegel von 103,5 dB (A) nicht überschritten werde.
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Zudem weise das Schallnachmessungsgutachten Messungen von 10:50 Uhr bis 14:46 Uhr aus; eine Messdauer von etwa vier Stunden aber sei nach der Rechtsprechung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts (Urteil vom 13. Juni 2019 – 7 U 18/19) unter Verweis auf die Ziffer 6.4 der TA Lärm nicht ausreichend. Selbst wenn man Ziffer 6.4 der TA Lärm nicht die Verpflichtung zu einer Langzeitmessung entnehmen wolle, so müssten zumindest Zeit und Dauer der Messungen für die gesamte Beurteilungszeit kennzeichnend sein. An einer Nachtmessung fehle es ganz. Ziffer 6.4 der TA Lärm und die LAI-Hinweise sähen aber eine Nachtmessung vor. Nachmessungen des Klägers hätten Überschreitungen des Grenzwerts von 45 dB (A) ergeben.
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Zudem komme nach dem Urteil des 7. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 13. Juni 2019 (Az. 7 U 18/19) den gesetzlichen Grenz- oder Richtwerten nur eine Indizwirkung, nicht aber eine bindende Wirkung zu.
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Ferner lasse ein Grenzwert von 45 dB (A) die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation in ihren Leitlinien vom 10. Oktober 2018 für Umgebungslärm für die europäische Region außer Acht. Danach sei der Grenzwert für die durchschnittliche Lärmbelästigung durch Windenergieanlagen auf weniger als 45 dB (A) zu verringern. Zwar sähen die aktuellen WHO-Leitlinien mangels ausreichender wissenschaftlicher Erkenntnisse ausdrücklich keine Empfehlung vor, aber auch die zuvor geltenden WHO-Leitlinien aus dem Jahre 2009 hätten bereits einen jährlichen durchschnittlichen nächtlichen Geräuschpegel von mehr als 40 dB (A) als gesundheitsgefährdend angesehen. Den Gesichtspunkt einer Gesundheitsgefährdung und das wissenschaftliche Beweismaterial der Weltgesundheitsorganisation aber lasse die angefochtene Entscheidung unerörtert.
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Im Weiteren setze sich die angefochtene Entscheidung nicht ausreichend mit den Beeinträchtigungen durch Infraschall auseinander. So sei mit Schriftsatz vom 6. Februar 2017 (dort Seite 2 – 15) dargelegt worden, dass durch den von der streitgegenständlichen Windkraftanlage ausgehenden Infraschall eine erhebliche Gesundheitsgefährdung des Klägers bestehe. Tatsächlich komme Infraschall durch die streitgegenständliche Windkraftanlage am Grundstück des Klägers an und sei messbar. Das Landgericht habe es insoweit versäumt, Messungen zu veranlassen. Da Infraschall nicht hörbar sei, komme es auf ein „Überdecken“ durch andere Umweltgeräusche oder eine tatsächliche Belästigung nicht an. Zwischenzeitlich gebe es fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse über die gesundheitlichen Auswirkungen von Infraschall, so insbesondere Mikroseismizität, auf den menschlichen Körper, wie etwa eine Verminderung der Herzmuskelkraft.
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Hinsichtlich der näheren Einzelheiten sowie des weiteren Parteivortrages des Klägers in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründung vom 6. April 2020 (Bl. 423 – 442 d.A.) sowie die ergänzenden Schriftsätze vom 2. März 2021 (Bl. 534) und 5. März 2021 (Bl. 549 d.A.), jeweils nebst Anlagen, verwiesen.
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Der Kläger beantragt:
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1. Das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 21. Januar 2020, zugestellt am 29. Januar 2020, zum Az. 7 O 294/18 wird abgeändert. Es wird nach den Schlussanträgen der ersten Instanz erkannt, mithin die Beklagte/Berufungsbeklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, die Windenergieanlage Typ Enercon EB-82 E2 mit einer Leistung von 2,3 MW, einer Nabenhöhe von 78 m sowie einer Gesamthöhe von 119 m zur Genehmigungsnummer G 10/2014/004, Kurzbezeichnung MND 13, Gemarkung X., Flur X., Flurstück X. gemäß dem der Klageschrift anliegenden Genehmigungsbescheid (Anlage 1) zur Gewinnung von Windenergie zu betreiben,
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2. hilfsweise, die Beklagte/Berufungsbeklagte zu verurteilen, durch geeignete Maßnahmen, zum Beispiel die zeitlich befristete Abschaltung/Drosselung der Windenergieanlage, sicherzustellen, dass weder das Eigentum des Klägers/Berufungsklägers noch dessen Gesundheit durch den Betrieb der Windenergieanlage Typ Enercon EB-82 E2 mit einer Leistung von 2,3 MW, einer Nabenhöhe von 78 m sowie einer Gesamthöhe von 119 m zur Genehmigungsnummer G 10/2014/004, Kurzbezeichnung MND 13, Gemarkung X., Flur X., Flurstück X. beeinträchtigt wird sowie
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3. der Beklagten für den Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 250.000,00 € oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten anzudrohen.
36
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
38
Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Sie weist darauf hin, dass die streitgegenständlichen Windenergieanlagen zwischenzeitlich bestandskräftig genehmigt worden seien, da der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 23. März 2020 zurückgewiesen worden sei.
39
Im Weiteren macht sie geltend, dass es schon an einer Störereigenschaft der Beklagten bei einer Entfernung der Windkraftanlagen von mindestens 440 m fehle. Die bestandskräftige Genehmigung indiziere die Ortsüblichkeit der Benutzung des emittierenden Grundstücks. Zudem hielten die Anlagen die genehmigten Werte ein. Aus Gründen des Bestandsschutzes sei der Erlass des Ministeriums für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung vom 31. Januar 2018 nicht anwendbar. Die Ausführungen des Klägers zu Beeinträchtigungen durch Infraschall entbehrten der notwendigen Anknüpfungstatsachen für eine Beweiserhebung. Stellungnahmen der Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahre 2009 könnten schon angesichts ihres Alters keinen neuen wissenschaftlichen Erkenntnisstand darstellen.
40
Hinsichtlich der näheren Einzelheiten sowie des weiteren Parteivortrages der Beklagten in der Berufungsinstanz wird auf die Schriftsätze vom 28. April 2020 (Bl. 492 – 492R d.A.), vom 29. Januar 2021 (Bl. 503 – 507 d.A) und vom 4. März 2021 (Bl. 542 f d.A.), jeweils nebst Anlagen, verwiesen.
II.
41
Die zulässige, so insbesondere fristgerecht eingelegte und fristgerecht begründete Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg. Der Kläger kann von der Beklagten weder die mit dem Hauptantrag begehrte Unterlassung des Betriebs der Windenergieanlage noch die mit dem Hilfsantrag begehrten Schutzmaßnahmen verlangen.
42
1. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte den Betrieb der streitgegenständlichen Windenergieanlage unterlässt. Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus § 1004 Abs. 1 BGB bzw. entsprechend § 1004 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 823 Abs. 1 BGB.
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a) Ein auf die Betriebseinstellung gerichteter grundstücksbezogener privatrechtlicher Abwehranspruch des Klägers ist gemäß § 14 Satz 1 Hs. 1 BImSchG ausgeschlossen. Die Vorschrift statuiert eine über § 1004 Abs. 2, § 906 Abs. 1 und Abs. 2 BGB hinausgehende Duldungspflicht des gestörten Nachbarn. Sie soll den Bestand von förmlich genehmigten Anlagen gegenüber privatrechtlichen Ansprüchen sichern. Hintergrund ist, dass der Schutz des betroffenen Nachbarn durch die Beteiligungsmöglichkeit im Genehmigungsverfahren nach § 10 BImSchG vorverlagert wird (Staudinger/Roth, BGB, Neubearb. 2020, § 906 Rn. 20). Die Ausschlusswirkung des § 14 Satz 1 Hs. 1 BImSchG umfasst den auf eine Eigentums- und Besitzbeeinträchtigung gestützten Anspruch des Klägers. Die Errichtung und der Betrieb der Windenergieanlage wurden unstreitig immissionsschutzrechtlich genehmigt. Die Genehmigung ist zwischenzeitlich auch bestandskräftig, nachdem der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 21. Dezember 2016 mit Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 23. März 2020 abgelehnt worden ist.
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Nichts anderes ergibt sich, soweit der Kläger behauptet, die Anlage werde so betrieben, dass die der Genehmigung zu Grunde gelegten Emissionswerte, Nebenbestimmungen und Auflagen nicht eingehalten würden. Zwar ist zutreffend, dass die Sperrwirkung des § 14 Satz 1 Hs. 1 BImSchG nur hinsichtlich der von der Genehmigung umfassten benachteiligenden Wirkungen eingreift. Bezüglich einer Überschreitung des genehmigten Betriebs verweist der Kläger jedoch lediglich auf eigene Messungen mit einem handelsüblichen, werkskalibrierten Messgerät für rund 70,00 €, denen zufolge es an insgesamt acht Tagen im Jahr 2017 zu einer Überschreitung des zulässigen Nachtschallpegels von 45 dB (A) um bis zu zwei dB(A) gekommen sei. Zu den näheren Umständen und technisch korrekten Ausführung der Messungen sowie deren Dauer und Häufigkeit fehlt es an Vortrag. Offensichtlich handelt es sich um punktuelle Messungen. Einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen aber dürfen nach Nr. 7.2 i.V.m. Nr. 6.3 TA Lärm die Immissionsrichtwerte in der Nacht um bis zu 20 db (A) überschreiten. Dieser Rahmen wird auch nach den Messungen des Klägers ersichtlich eingehalten. Die Messungen des Klägers geben daher keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass der zulässige Nachtschallpegel von 45 dB (A) aufgrund des Betriebs der streitgegenständlichen Windkraftanlage systematisch überschritten werden könnte. Der ungenügende Vortrag des Klägers gibt daher keine Veranlassung, auf dem Grundstück des Klägers durch einen Sachverständigen Schallpegelmessungen vornehmen zu lassen.
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b) Soweit der Kläger den Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch auf Beeinträchtigungen der Gesundheit und körperlichen Unversehrtheit zu stützen sucht, ist ein Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB analog in Verbindung mit § 823 Abs. 1 BGB zwar nicht durch § 14 Satz 1 Hs. 1 BImSchG ausgeschlossen (vgl. BeckOK-UmweltR/Giesberts, 59. Ed., BImSchG, § 14 Rn. 17; Jarass, BImSchG, 13. Aufl. 2020, § 14 Rn. 11). Allerdings fehlt es an Vortrag des Klägers dazu, dass und welche gesundheitlichen und körperlichen Beeinträchtigungen in der Vergangenheit bei ihm aufgetreten sind, die er auf den Betrieb der Windenergieanlage zurückführt. Der Kläger hat nur zu abstrakten Beeinträchtigungen vorgetragen, die von Windenergieanlagen im Allgemeinen ausgehen und die im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren Bedeutung haben können.
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2. Auch der Hilfsantrag des Klägers bleibt ohne Erfolg. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch gemäß § 1004 Abs. 1, § 906 BGB auf Vornahme von Schutzvorkehrungen beim Betrieb der Windenergieanlage zu.
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Soweit er sein Begehren auf Beeinträchtigungen von Gesundheit und Körper zu stützen sucht, fehlt es – wie vorstehend zu Ziffer 1. ausgeführt – an konkretem Vortrag. Im Übrigen ist nicht festzustellen, dass von der Windenergieanlage der Beklagten Einwirkungen auf das im Eigentum des Klägers stehende Grundstück ausgehen, welche die Benutzung des Grundstücks mehr als nur unwesentlich im Sinne des § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB beeinträchtigen.
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a) Der Eigentümer eines Grundstücks kann von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen gemäß § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB insoweit nicht verbieten, als die Einwirkungen die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigen. Ob sich eine Beeinträchtigung nur als unwesentlich in diesem Sinne darstellt, beurteilt sich nach dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen und danach, was ihm unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange zuzumuten ist (BGH, Urteil vom 26. Oktober 2018 – V ZR 143/17, NJW 2019, 773 Rn. 10). Darzulegen und zu beweisen ist die Unwesentlichkeit der Beeinträchtigung grundsätzlich vom Störer. Gemäß § 906 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB kommt den in Gesetzen oder Rechtsverordnungen festgelegten Grenz- oder Richtwerten ebenso wie den Werten in allgemeinen, gemäß § 48 BImSchG erlassenen und den Stand der Technik wiedergebenden Verwaltungsvorschriften die Funktion einer Entscheidungshilfe für den Richter bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung zu. Dabei hat ein Überschreiten der Werte Indizwirkung für das Vorliegen einer wesentlichen Beeinträchtigung und indiziert ein Einhalten oder Unterschreiten der Werte die Unwesentlichkeit der Beeinträchtigung. Der Richter kann von dem Regelfall im Rahmen seines Beurteilungsspielraums abweichen, wenn dies besondere Umstände des Einzelfalls gebieten. Darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen sind solche die Indizwirkung erschütternden Umstände von demjenigen, der trotz Einhaltung der Grenzwerte eine wesentliche Beeinträchtigung geltend macht. Er muss nur diese Umstände darlegen und beweisen, um dem Tatbestand des § 906 Abs. 1 Satz 2 BGB die Indizwirkung zu nehmen. Hingegen braucht er nicht nachzuweisen, dass die Beeinträchtigung wesentlich ist (BGH, Urteil vom 13. Februar 2004 – V ZR 217/03, NJW 2004, 1317, Rn. 13 mwN).
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b) Nach diesem Maßstab lässt sich im Streitfall nicht feststellen, dass die von der Windenergieanlage der Beklagten ausgehenden Einwirkungen auf das Grundstück des Klägers mehr als nur unwesentlich sind.
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aa) Das gilt zunächst für die behaupteten Geräusch- und Schalleinwirkungen. Insoweit ist die Unwesentlichkeit der Beeinträchtigung indiziert; die geltenden Richtwerte werden nicht überschritten. Diese Indizwirkung hat der Kläger nicht erschüttert.
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(a) Die maßgeblichen Werte sind der TA Lärm, zuletzt geändert durch Allgemeine Verwaltungsvorschrift vom 1. Juni 2017 (BAnz AT vom 8. Juni 2017 B 5), zu entnehmen. Bei diesem Regelwerk handelt es sich um eine Allgemeine Verwaltungsvorschrift im Sinne des § 906 Abs. 1 Satz 3 BGB. Danach gelten für das in Nr. 6.1 Buchst. d) (vormals Buchst. c) der TA Lärm einzuordnende Grundstück des Klägers Immissionsrichtwerte für den Beurteilungspegel von 60 dB(A) am Tag (6 Uhr bis 22 Uhr, Nr. 6.4 TA Lärm) und von 45 dB(A) während der Nacht (22 Uhr bis 6 Uhr, Nr. 6.4 TA Lärm).
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(b) Diese Immissionsrichtwerte für den Beurteilungspegel werden nicht überschritten. Nach den Feststellungen des Landgerichts beträgt der berechnete Belastungspegel am Wohnhaus des Klägers 42 dB(A). An diese Feststellungen ist der Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden, weil keine konkreten Anhaltspunkte bestehen, die Zweifel an ihrer Richtigkeit und Vollständigkeit begründen, und deshalb keine erneute Feststellung geboten ist. Insbesondere kann das vom Landgericht eingeholte schalltechnische Gutachten des Sachverständigen vom 11. Juli 2019 einschließlich der ergänzenden mündlichen Stellungnahme vom 10. Dezember 2019 der gerichtlichen Beurteilung uneingeschränkt zugrunde gelegt werden.
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(aa) Die Rüge des Klägers, das Prognosegutachten und das Schallemissionsgutachten, die Gegenstand der Prüfung des gerichtlichen Sachverständigen gewesen sind, seien fehlerhaft, weil Lärmimmissionen wegen der Einführung der Hinweise der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz (LAI) zum Schallimmissionsschutz für Windkraftanlagen mit Stand vom 30. Juni 2016 nach dem sogenannten Interimsverfahren zu ermitteln seien, hat keinen Erfolg.
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Zutreffend ist, dass das Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung des Landes Schleswig-Holstein mit seinem Schreiben vom 31. Januar 2018 an das Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume um die Anwendung der genannten Hinweise im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren und bei der Überwachung von Windkraftanlagen als Erkenntnisquelle gebeten hat. Nach Lit. B) Ziff. 2 des Schreibens sind die LAI-Hinweise auch zur Prognose, ob schädliche Umwelteinwirkungen vorliegen, anzuwenden.
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Bei dem Schreiben des Ministeriums für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung des Landes Schleswig-Holstein vom 31. Januar 2018 handelt es sich indessen um einen Erlass ohne Normcharakter mit lediglich verwaltungsinterner Bindungswirkung für verwaltungsrechtliche Genehmigungsverfahren. Als solcher bindet er die Zivilgerichte nicht.
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Das Prognosegutachten und das Schallemissionsgutachten sind auf der Basis der TA Lärm und der gemäß Ziffer A.2.3.4. der TA Lärm und Ziffer 2 der Hinweise zum Schallimmissionsschutz bei Windenergieanlagen des Länderausschusses für Immissionsschutz für die Schallausbreitungsberechnung maßgeblichen DIN ISO 9613-2 erstellt worden. Der nach § 48 BImschG erlassenen TA Lärm kommt, soweit sie unbestimmte Rechtsbegriffe des BImSchG konkretisiert und das Verfahren der Ermittlung und Beurteilung von Geräuschimmissionen regelt, eine auch im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zu.
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Etwas anderes käme überhaupt nur dann in Betracht, wenn die TA Lärm durch neuere wissenschaftliche Erkenntnisse überholt wäre und nicht mehr den Stand der Technik darstellen würde. Dieses kann nicht festgestellt werden. Der bloße Umstand allein, dass die Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz neuere Entwicklungen in der Wissenschaft zum Anlass genommen hat, ihre Hinweise zum Schallimmissionsschutz für Windkraftanlagen zwischenzeitlich zu ändern, bedeutet noch nicht, dass diese den nunmehrigen Stand der Technik darstellen und die TA Lärm überholt wäre. Erst recht folgt solches nicht daraus, dass die Verwaltungen von zwölf Bundesländern die LAI-Hinweise zum Schallimmissionsschutz für Windkraftanlagen mit Stand vom 30. Juni 2016 eingeführt haben. Konkrete wissenschaftliche Erkenntnisse und Studien aber trägt der Kläger nicht vor.
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(bb) Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit der ermittelten Werte ergeben sich auch nicht im Hinblick auf die Rüge des Klägers, dass die angefochtene Entscheidung dem Sachverständigen dahingehend folge, dass bei einer normierten Windgeschwindigkeit von 9 m/s 95 % der Nennleistung und das Maximum des verursachten Schallleistungspegels erreicht würden und bei einer weiteren Steigerung bis zur Nennleistung der Schallleistungspegel nicht mehr ansteige.
59
Der Kläger stützt sich insoweit allein darauf, dass das Schallnachmessungsgutachten bei Windgeschwindigkeiten von 9 m/s und 10 m/s zwei Messwerte ausweise, die einen weiteren linearen Anstieg zeigten. Mit diesem Umstand hat sich der Sachverständige in seiner mündlichen Anhörung auseinandergesetzt und die zwei Messwerte im Ergebnis als statistische Ausreißer ohne statistische Belastbarkeit eingeordnet. Die Berufung zeigt nicht auf, aus welchen Gründen heraus die umfangreichen Ausführungen des Sachverständigen (vgl. Seite 8 f. des Terminsprotokolls vom 10. Dezember 2019) nicht tragfähig sein sollten.
60
(cc) Im Weiteren rügt der Kläger unter Hinweis auf die von ihm selbst durchgeführten nächtlichen Schallmessungen, dass dem Schallnachmessungsgutachten lediglich Messungen von 10:50 Uhr bis 14:46 Uhr, mithin über eine Messdauer von etwa vier Stunden, und keine Nachtmessung zu Grunde lägen. Dies ist nicht geeignet, Zweifel an der Richtigkeit der ermittelten Werte zu begründen.
61
Der Verweis des Klägers auf die von ihm durchgeführten nächtlichen Schallmessungen verkennt, dass es nicht um die Messung von Immissionen auf seinem Grundstück zur Tagzeit bzw. Nachtzeit geht, sondern um die Nachmessung der vom Hersteller angegebenen und garantierten Schallemissionen der Anlage, die der Genehmigung zu Grunde liegen. Immissionen zur Tag- und Nachtzeit sind damit nicht angesprochen.
62
Aus den Ausführungen des Sachverständigen im schriftlichen Gutachten vom 11. Juli 2019, dort Seite 12, ergibt sich im Weiteren, dass es auf eine bestimmte Messdauer nicht ankommt. Nach den Vorgaben der DIN 61400-11 sind mindestens 18 Mittelungszeiträume von zehn Sekunden pro Windklasse sowohl im ein- als auch im abgeschalteten Zustand der Windenergieanlage für eine belastbare Auswertung erforderlich.
63
Der Senat verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass nach dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen, dort Seite 12 f., diese Voraussetzungen ausweislich des Messberichtes in den Wind-BINs bei neun und zehn m/s nicht erfüllt sind.
64
Der Sachverständige hat dies aber ausdrücklich als unkritisch bewertet, weil zum einen das Hintergrundgeräusch einen typischen, linearen Anstieg mit zunehmender Windgeschwindigkeit aufweise, sodass die resultierende Regressionsgerade als belastbar angesehen werden könne. Zum anderen hätten nach der Datenlage die Hintergrundgeräusche einen nur sehr geringen Einfluss bei der Bildung des hintergrundkorrigierten äquivalenten Dauerschallpegels. Die im schalltechnischen Messbericht zur Schallnachmessung auf der Grundlage der unvollständigen Messdaten gewonnene Einschätzung, dass sichergestellt sei, dass trotz eines zu erwartenden Anstiegs des Schallleistungspegels im Wind-Bin 10 der maximal zulässige Schallleistungspegel von 103,5 dB (A) nicht überschritten werde, hat der Sachverständige aufgrund von Berechnungen und aus seiner gutachterlichen Erfahrung heraus für nachvollziehbar erachtet.
65
Die Berufung setzt sich mit dieser gutachterlichen Einschätzung nicht näher auseinander und zeigt auch keine anderweitigen Gesichtspunkte auf, die dem Senat Veranlassung geben könnten, die gutachterliche Einschätzung in Frage zu stellen.
66
(c) Ob, wie der Kläger meint, an Stelle der Immissionsrichtwerte der TA Lärm die von der Weltgesundheitsorganisation WHO erlassenen „Leitlinien für die Europäische Region gegen Nachtlärm“ oder die aktuelleren „Leitlinien für Umgebungslärm für die Europäische Region“ (veröffentlicht im Oktober 2018) heranzuziehen sind, kann offen bleiben.
67
Der in Ziff. 3.4 der aktuellen Leitlinien als sogenannte bedingte Empfehlung enthaltene Wert für die durchschnittliche Lärmbelastung durch Windenergieanlagen von bis zu 45 dB (A) (Leitlinienwert für den ganztätigen Dauerschallpegel) wird nach den bindenden erstinstanzlichen Feststellungen nicht überschritten. Anders als die zuvor geltenden Leitlinien, die einen jährlichen durchschnittlichen nächtlichen Geräuschpegel von maximal 40 dB (A) vorsahen, sprechen die aktuellen WHO-Leitlinien mangels ausreichender wissenschaftlicher Erkenntnisse ausdrücklich keine Empfehlung für durchschnittliche nächtliche Lärmbelastungen aus.
68
(d) Soweit der Kläger geltend macht, dass gesundheitliche Beeinträchtigungen durch Infraschall zu besorgen stünden, geht die gegenwärtige oberverwaltungsgerichtliche Praxis zu immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen davon aus, dass tieffrequenter Schall durch Windenergieanlagen in den Abständen, die für den Lärmschutz im hörbaren Bereich notwendig sind, unterhalb der menschlichen Hör- und Wahrnehmungsschwelle liegt und eine Gesundheitsgefahr oder erhebliche Belästigung nicht gegeben ist (vgl. etwa BayVGH, Beschluss vom 8. Juni 2015 – 22 CS 15.686, juris Rn. 23 f.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23. Februar 2016 – 3 S 2225/15, juris Rn. 71 ff.; OVG Münster, Beschluss vom 6. Mai 2016 – 8 B 866/15, juris Rn. 32; OVG Schleswig, Beschluss vom 31. August 2016 – 1 MB 5/16, juris Rn. 43; OVG Lüneburg, Beschluss vom 19. Dezember 2016 – 12 ME 85/16, juris Rn. 22; OVG Münster, Beschluss vom 21. November 2017 – 8 B 935/17, juris Rn. 37 ff.). Sie greift auf ministerielle Erlasse (etwa Nr. 5.6.1.1 Windenergie-Erlass Baden-Württemberg; Nr. 7.7 Windenergie-Erlass Bayern vom 19. Juli 2016), Messprojekte und Untersuchungen zurück, die von Landesanstalten, Landesumweltämtern und Messinstituten an verschiedenen Windenergieanlagentypen durchgeführt wurden (vgl. BayVGH, a.a.O.; VGH Baden-Württemberg, a.a.O.; OVG Münster, Beschluss vom 21. November 2017, a.a.O. juris Rn. 40 f.). Nach dem im Auftrag des Umweltministeriums Baden-Württemberg erstellten Bericht der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg LUBW vom Februar 2016 über Ergebnisse des Messprojekts 2013 bis 2015 zu tieffrequenten Geräuschen inklusive Infraschall von Windkraftanlagen und anderen Quellen lag der Infraschallpegel in der Umgebung von Windkraftanlagen bei den durchgeführten Messungen selbst bei Abständen zwischen 120 m und 300 m zur Windenergieanlage deutlich unterhalb der menschlichen Wahrnehmungsschwelle. In 700 m Abstand war beim Einschalten der Windenergieanlage der gemessene Infraschall-Pegel nicht mehr nennenswert oder nur in geringem Umfang erhöht, wobei der Infraschall im Wesentlichen vom Wind und nicht von der Anlage erzeugt wurde. Entsprechend führt Nr. 7.7 des Windenergie-Erlasses Bayern aus, dass ab einem Abstand von 250 m im Genehmigungsverfahren keine weitere Prüfung zum Infraschall geboten ist. Das OVG Schleswig entscheidet in gefestigter Rechtsprechung, dass ab einem Abstand von 250 m zu einer Windenergieanlage in der Regel durch Infraschall keine erheblichen Belästigungen mehr zu erwarten sind und dass bei Abständen von mehr als 500 m durch die Windenergieanlage regelmäßig nur ein Bruchteil des in der Umgebung messbaren Infraschalls erzeugt wird; wissenschaftlich gesicherte Hinweise darauf, dass von dem von Windenergieanlagen verursachten Infraschallanteil, der unterhalb der Wahrnehmungsschwelle des menschlichen Gehörs liegt, eine Gesundheitsgefahr oder eine erhebliche Belästigung ausgeht, gibt es danach nicht (vgl. nur OVG Schleswig, Beschluss vom 31. August 2016 – 1 MB 5/16, juris Rn. 43).
69
Der Kläger hat nicht substantiiert vorgetragen, inwieweit trotz der Entfernung von mehr als 440 m zwischen der streitgegenständlichen Windenergieanlage und dem von ihm bewohnten Haus mit tieffrequentem Schall zu rechnen ist und inwieweit dieser im Streitfall überhaupt gesundheitsschädigende Wirkung haben kann. Dem Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den gesundheitlichen Folgen von Infraschall ist nicht nachzugehen. Das Beweismittel ist – derzeit – ungeeignet:
70
Soweit der Kläger für seine Behauptung, dass Infraschall erhebliche Auswirkungen auf die Eigenschwingung von Organen, auf das Herz und Gehirn, auf die Atmung und den Schlaf mit gesundheitsschädigenden Folgen habe und diese Wirkungen bis in 15 km Entfernung gegeben seien, auf in- und ausländische Berichte, Untersuchungen und Studien verweist, stehen diese möglicherweise im Widerspruch zu den oben aufgeführten Erhebungen, auf welche die oberverwaltungsgerichtliche Praxis zurückgreift. Allerdings verweist etwa der LUBW-Bericht vom Februar 2016 ausdrücklich darauf, dass die dort ermittelten Messergebnisse im Einklang mit denen ähnlicher Untersuchungen auf nationaler und internationaler Ebene stünden, betont aber zugleich, dass es derzeit keine wissenschaftlich abgesicherten Belege für nachteilige Wirkungen in dem in den jeweiligen Abständen gemessenen Bereich des für den Infraschall und Teile des tieffrequenten Frequenzbereichs einschlägigen Bewertungspegels dB (G) gebe (vgl. auch OVG Schleswig, Beschluss vom 31. August 2016 – 1 MB 5/16, juris Rn. 43). Ein Sachverständigengutachten zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Infraschall, der durch Windenergieanlagen erzeugt wird, kann nur diesen derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Forschung wiedergeben und ist nicht geeignet, neue Erkenntnisse zu vermitteln, auf deren Grundlage sich der Senat eine Überzeugung davon bilden könnte, dass auch bei dem Kläger trotz der gegebenen Entfernung gesundheitliche Beeinträchtigungen, ausgehend von der streitigen Windenergieanlage, konkret zu befürchten sind.
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Konkrete gesundheitliche oder anderweitige Beeinträchtigungen durch Infraschall behauptet der Kläger bezogen auf seine Person nicht.
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3. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.