Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 11. November 2021 – 11 U 29/20
Wird jemand durch einen von einem Polizeibeamten abgegebenen Schuss verletzt, so muss der Verletzte beweisen, dass die Polizei durch die Abgabe des Schusses amtspflichtwidrig das Übermaßverbot verletzt hat, wenn die Polizei zur Ausübung unmittelbaren Zwangs (Einwirkung auf Personen mittels körperlicher Gewalt, Hilfsmitteln der körperlichen Gewalt oder Waffen) in der Situation berechtigt war.
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die Berufung des beklagten Landes wird das am 12.06.2020 verkündete Schlussurteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Kiel abgeändert und die gegen das beklagte Land gerichtete Klage abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf (37.500,00 € + 75 % x 5.000,00 € =) 41.250,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
1
Der Kläger, der im März 2013 in seiner Wohnung in X. durch den Schuss einer Polizistin verletzt wurde, nimmt das beklagte Land aus Amtshaftung auf Schadensersatz in Anspruch.
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Der Kläger hatte damals unter dem Einfluss von Medikamenten und Betäubungsmitteln aus dem Fenster seiner Wohnung heraus Nachbarn und Passanten beschimpft. Diese riefen die Polizei, und zwar mit dem Hinweis, dass der Kläger eine Waffe habe. Auf dem Hausflur kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen den herbeigeeilten Polizisten einerseits und dem Kläger andererseits, der die Polizisten für Einbrecher hielt. Schließlich hielten zwei der Polizisten – die Zeugen B und C – den Kläger auf dem Hausflur fest, während zwei andere – die Zeugin W und der Zeuge K – die Wohnung des Klägers betraten. Dort entdeckten sie im Wohnzimmer mehrere Waffen, u.a. eine Armbrust mit passender Munition und eine Pistole. Kurz danach riss sich der Kläger im Hausflur los, lief in seine Küche und ergriff dort ein Messer. Der Zeuge B rief aus dem Hausflur in die Wohnung hinein: „Er hat eine Waffe, weg, weg, weg!“. Dem Zeugen K gelang es noch, aus der Wohnung zu fliehen, bevor der Kläger die Wohnungstür von innen verriegelte. Die Zeugin W dagegen floh in das zum Flur hin offen stehende Badezimmer, stellte sich hinter die Milchglasscheibe der Dusche und zog ihre Dienstwaffe. Der Kläger rief, er werde alle umbringen, und lief den Wohnungsflur entlang in Richtung Wohnzimmer. Bevor er dort ankam, schoss die Zeugin W von ihrer Position in der Dusche auf ihn, wobei streitig ist, wo genau sich der Kläger in diesem Zeitpunkt befand. Jedenfalls traf ihn der Schuss an seiner linken Bauchseite und trat an der rechten Bauchseite in etwas geringerer Höhe wieder aus. Trotz seiner lebensbedrohlichen Verletzung lief der Kläger noch ins Wohnzimmer; dort wurde er von den Polizisten überwältigt, die unterdessen die Wohnungstür eingetreten hatten. Der Kläger musste sich wegen der Schussverletzung vier Bauchoperationen unterziehen, die mit Komplikationen einhergingen, und war sechs Wochen lang in stationärer Behandlung.
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Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Schlussurteil Bezug genommen.
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Der Kläger hat behauptet, er sei, als ihn der Schuss getroffen habe, gerade auf dem Wohnungsflur an der geöffneten, linksseitig gelegenen Badezimmertür vorbeigelaufen, um sein Pfefferspray aus dem Wohnzimmer zu holen. Er hat gemeint, in dieser Situation sei der Schuss nicht als Notwehr der Zeugin W gerechtfertigt und die vom beklagten Land behauptete, abweichende Vorstellung der Zeugin jedenfalls vermeidbar gewesen. Mit seiner Klage hat der Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld verlangt und außerdem die Feststellung beantragt, dass ihm auch seine materiellen Schäden zu ersetzen seien. Seine Klage hat der Kläger zunächst nicht nur gegen das beklagte Land, sondern auch gegen die Zeugin W gerichtet; insoweit ist die Klage aber mit rechtskräftigem Teilurteil vom 01.09.2017 abgewiesen worden.
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Das beklagte Land hat sich gegen die Klage gewandt, und zwar u.a. mit der Behauptung, der Kläger sei auf seinem Weg von der Wohnungstür in Richtung Wohnzimmer vom Flur aus nach links in das Badezimmer abgebogen und dort mit gezücktem Messer auf die Zeugin W zugelaufen, bevor diese geschossen habe. Das beklagte Land hat gemeint, der Schuss sei deshalb als Notwehr gerechtfertigt gewesen; jedenfalls aber habe sich die Zeugin W eine Notwehrlage vorgestellt und diese Vorstellung nicht vermeiden können.
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Das Landgericht hat den Kläger persönlich angehört, die Akte betreffend das gegen den Kläger gerichtete Ermittlungsverfahren beigezogen, die Polizistin W und die Polizisten K, C und B als Zeugen vernommen sowie ein schriftliches Ballistikgutachten des Sachverständigen D eingeholt, das dieser unter dem 19.04.2014 vorgelegt (Bl.306-317) und im Termin vom 28.02.2020 erläutert hat (Bl.389-392). Obwohl nach Einschätzung des Sachverständigen die Darstellung des beklagen Landes wahrscheinlicher ist als diejenige des Klägers, hat das Landgericht das beklagte Land mit dem angefochtenen Schlussurteil verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld von 22.500,00 € nebst Zinsen zu zahlen, und festgestellt, dass das beklagte Land dem Kläger auch 75 % seiner materiellen Schäden zu ersetzen hat. Abgewiesen hat das Landgericht die Klage nur wegen der weiter gehenden Anträge.
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In den Entscheidungsgründen heißt es, dem Kläger stehe der ihm zugesprochene Anspruch aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB, Art. 34 GG zu. Weil nämlich die Zeugin W durch den Schuss eine Körperverletzung begangen und damit ihre Amtspflichten verletzt habe, obliege dem beklagten Land der Beweis der behaupteten Notwehrlage (§ 258 Abs. 2 Nr. 1 LVwG, § 227 BGB). Diesen Beweis habe das beklagte Land aber nicht geführt. Es stehe nämlich nicht fest, dass der Kläger unmittelbar vor dem Schuss sich auf die Zeugin W zubewegt oder ein Messer in der Hand gehabt habe. Trotz der dahin gehenden Angaben der Zeugen, insbesondere der Zeugin W, und trotz der Ausführungen des Sachverständigen sei nämlich nicht mit der notwendigen Sicherheit auszuschließen, dass die abweichende Darstellung des Klägers zutreffe. Auf der Grundlage dieser Darstellung wonach der Kläger im Zeitpunkt des Schusses den Flur entlang an der Badezimmertür vorbei in Richtung Wohnzimmer gegangen sei, habe aber für die Zeugin W objektiv keine Notwehrlage vorgelegen. Zwar sei davon auszugehen, dass sie sich eine Notwehrlage vorgestellt habe, ihr also kein Vorsatz vorzuwerfen sei. Wohl aber sei ihr Fahrlässigkeit vorzuwerfen, denn es stehe nicht fest, dass sie ihre Vorstellung nicht habe vermeiden können.
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Der gegen den Kläger zu erhebende Mitverschuldensvorwurf sei nicht mit mehr als dem vom Kläger selbst eingeräumten Viertel zu bewerten. Auf dieser Grundlage rechtfertigten die Verletzungen des Klägers das ihm zugesprochene Schmerzensgeld.
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Gegen seine Verurteilung sowie gegen die Feststellung seiner Schadensersatzpflicht wendet sich das beklagte Land mit seiner Berufung. Zur Begründung beanstandet es sowohl die Feststellung, dass möglicherweise keine Notwehrlage bestanden habe, als auch die weitere Feststellung, dass die Zeugin W ihre dahin gehende Vorstellung habe vermeiden können. Aus den Feststellungen des Sachverständigen und den Bekundungen der vernommenen Zeugen ergebe sich das Gegenteil.
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Das beklagte Land beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Schlussurteils und Zurückweisung der Berufung des Klägers die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung des beklagten Landes zurückzuweisen.
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Der Kläger verteidigt das Urteil, soweit hiermit seinen Anträgen entsprochen worden ist.
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Die Behauptung des beklagten Landes, wonach er unmittelbar vor dem Schuss mit gezücktem Messer im Badezimmer auf die Zeugin W zugestürmt sei, sei schon dadurch widerlegt, dass ihn das Projektil nicht von vorn, sondern von links getroffen habe. Aus seinen Schusswaffen im Wohnzimmer habe sich deshalb keine Notwehrlage ergeben, weil er seinerzeit erstens nur sein Pfefferspray aus dem Wohnzimmer habe holen wollen und zweitens schon vor dem Schuss die anderen Polizisten die Tür eingetreten hätten und so in die Wohnung gelangt seien.
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Das ihm zugesprochene Schmerzensgeld hält der Kläger allerdings für zu gering, und zwar auch unter Berücksichtigung des von ihm eingeräumten Mitverschuldens von einem Viertel, so dass
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der Kläger mit seiner eigenen Berufung beantragt,
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das angefochtene Schlussurteil hinsichtlich des Tenors zu 1 abzuändern und das beklagte Land zu verurteilen, an ihn ein Schmerzensgeld in Höhe von 37.500,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.03.2013 zu zahlen.
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Hierzu beantragt das beklagte Land,
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die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
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Jedenfalls eine Erhöhung des dem Kläger zugesprochenen Schmerzensgeldes hält das beklagte Land trotz der erheblichen Verletzungen für unangemessen.
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Im Termin vom 19.10.2021 hat auch der Senat den Kläger persönlich angehört. Wegen seiner Angaben wird auf das Terminsprotokoll verwiesen.
II.
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Die Berufung des beklagten Landes ist begründet, diejenige des Klägers unbegründet. Dem Kläger steht nämlich der erhobene Amtshaftungsanspruch aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB, Art. 34 GG schon dem Grunde nach nicht zu. Gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO wird die Abänderung der angefochtenen Entscheidung kurz begründet.
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1. Zwar hat das Landgericht nach Beweisaufnahme festgestellt, dass nicht vollkommen auszuschließen ist, dass der Kläger im Zeitpunkt des Schusses entgegen der Darstellung des beklagten Landes nicht im Badezimmer mit gezücktem Messer auf die Zeugin W zustürmte, sondern an der geöffneten Badezimmertür vorbei in Richtung Wohnzimmer lief. Auch spricht viel dafür, die vom beklagten Land ins Feld geführten Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellung als nicht so konkret zu bewerten, wie diese Anhaltspunkte sein müssten, damit der Senat die Feststellung nicht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auch seiner eigenen Entscheidung zu Grunde zu legen hätte. Für diese Bewertung spricht vor allem, dass das Projektil den Körper des Klägers nicht in Längsrichtung, sondern in Querrichtung von links nach rechts durchschlug; auch nach Einschätzung des Sachverständigen muss deshalb jedenfalls der Bauch des Klägers zum Wohnzimmer hin, also nach rechts gerichtet gewesen sein, als ihn der Schuss traf. Für den Umstand, dass Blut im Badezimmer, aber nicht im Flur gefunden wurde, sind auch andere Erklärungen denkbar als nur diejenige, dass der Kläger bereits im Badezimmer war, als die Zeugin W auf ihn schoss.
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2. Allerdings steht dem Kläger der erhobene Amtshaftungsanspruch auch auf der Grundlage der demnach möglicherweise bindenden Feststellung des Landgerichts nicht zu, also trotz der festgestellten Möglichkeit, dass er bei Schussabgabe an der geöffneten Badezimmertür vorbei in Richtung Wohnzimmer lief.
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Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen.
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a) Dass die Zeugin W nach §§ 250 – 261 LVwG zur Ausübung unmittelbaren Zwangs und damit zu einem deliktischen Eingriff in absolute Rechtsgüter des Klägers berechtigt war, steht schon auf Grund des unstreitigen Sachverhalts fest und wird, soweit ersichtlich, auch vom Kläger nicht in Abrede gestellt.
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Nachdem nämlich schon die Nachbarn von einer Waffe des Klägers berichtet hatten, hatte auch der Zeuge B noch gerufen, dass der Kläger eine Waffe habe, bevor er vom Kläger ausgesperrt wurde. Vor allem aber hatte die Zeugin W selbst zusammen mit dem Zeugen K kurz vor ihrem Schuss tatsächlich mehrere Waffen im Wohnzimmer entdeckt, u.a. eine Armbrust mit passenden Geschossen und eine Umarex-Pistole, Modell Walther P99 RAM. Ausweislich des Wohnungsgrundrisses und der Lichtbilder Nrn.109-113, 116f, 119 aus der Lichtbildmappe der beigezogenen Ermittlungsakte lagen die Waffen unmittelbar links hinter dem offenen Durchgang zum Wohnzimmer auf dem Bett. Ausweislich der Lichtbilder Nrn. 206f aus jener Mappe war der Pistole auch nicht ohne weiteres anzusehen, dass sie nur zum Verschießen von Kunststoffkugeln mit geringer, durch CO2-Patronen erzeugter Bewegungsenergie geeignet war. Als sie von ihrer Position in der Dusche auf den Kläger schoss, war die Zeugin W weiter vom Flur entfernt als der Kläger vom Wohnzimmer, so dass die Zeugin W in diesem Zeitpunkt allen Grund zu der Befürchtung hatte, dass der Kläger im nächsten Augenblick eine seiner Schusswaffen erreicht haben würde, bevor sie selbst das Badezimmer würde verlassen und vom Flur aus ihre eigene Schusswaffe in Richtung Wohnzimmer und damit abermals auf den Kläger würde richten können. Angesichts der vorangegangenen Ankündigung des Klägers, alle umzubringen, ist auch dessen Einwand unerheblich, wonach er damals aus dem Wohnzimmer tatsächlich nicht eine seiner dort liegenden Schusswaffen, sondern nur sein Pfefferspray holen wollte.
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b) Da demnach Tatsachen feststehen, aufgrund derer die Zeugin W zur Ausübung unmittelbaren Zwangs und damit zu einem deliktischen Eingriff in Rechte des Klägers berechtigt war, obliegt dem Kläger der Beweis derjenigen Voraussetzungen, von denen die Berechtigung seines Vorwurfs abhängt, dass die Zeugin durch den Schuss das Übermaßverbot verletzt habe (vgl. die auch vom Landgericht herangezogene Entscheidung des OLG Hamm, 11 U 118/94, Rn.40; ferner Itzel/Schwall, Praxishandbuch des Amts-, Staatshaftungs- und Entschädigungsrechts, 3.Aufl. Rn.266; Baumgärtel-Laumen, Hb.d.Beweislast im PrivatR, 4.Aufl.2019, § 839 Rn.4; vgl. ferner allgemein Palandt/Sprau, BGB, 80.Aufl., § 839 Rn.84).
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Diesen Beweis hat der Kläger aber nicht geführt.
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Der Kläger hat insbesondere nicht diejenigen Voraussetzungen bewiesen, von denen abhängt, dass die Zeugin W ihm nicht in lebensgefährdender Weise in den Bauch schießen durfte, etwa deshalb, weil sie ohne wesentliche Erhöhung der ihr selbst und ihren Kollegen drohenden Gefahr ihn zuvor nach § 259 Abs. 1 LVwG warnen, nur in seine Beine schießen oder darauf vertrauen konnte, dass die Gefahr auf andere, für den Kläger mildere Weise beseitigt würde, etwa dadurch, dass der Kläger rechtzeitig von ihren Kollegen überwältigt würde, die nach Darstellung des Klägers schon vor dem Schuss die Tür eingetreten hatten.
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Indem das Landgericht ausweislich Seite 8 seines Schlussurteils nicht hat feststellen können, ob ein konkreter Angriff des Klägers auf die Zeugin W unmittelbar bevorstand, hat es auch nicht ausschließen können, dass dies durchaus der Fall war, dass also der Schuss in den Bauch zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben erforderlich war. Die Feststellung, dass auch die Richtigkeit der Darstellung des beklagten Landes nicht auszuschließen ist, wird auch vom Kläger nicht konkret beanstandet; er hält die vom Landgericht getroffenen Feststellungen in seiner Berufungserwiderung im Gegenteil ausdrücklich für richtig. Weil in der Tat keine konkreten Anhaltspunkte für Zweifel an der Feststellung ersichtlich sind, dass ein konkreter Angriff des Klägers auf die Zeugin W unmittelbar bevorgestanden haben kann, hat der Senat nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO jedenfalls diese Feststellung auch seiner eigenen Entscheidung zu Grunde zu legen. Für diese Bewertung sprechen die Bekundungen der Zeugin W, das Sachverständigengutachten, nach dem der Kläger, obwohl sein Bauch im Zeitpunkt des Schusses nach rechts wies, ausweislich entsprechender Grafiken (Bl.314-317) dennoch zugleich mit dem Oberkörper in vorwärtsgerichteter Angriffshaltung auf die Zeugin W zugestürmt sein kann, sowie der Umstand, dass im Flur kein Blut gefunden wurde.
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c) Jedenfalls auf der Grundlage der Darstellung des beklagten Landes, deren Richtigkeit demnach nicht auszuschließen ist, war aber der Schuss nach § 258 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 LVwG (wie auch nach § 227 BGB, vgl. Palandt/Ellenberger, a.a.O., § 227 Rn.3, wonach die Rechte aus dieser Bestimmung trotz der Sonderregelungen in den Polizeigesetzen auch Polizeibeamten zustehen) gerechtfertigt, insbesondere nach § 259 Abs. 3 S. 2 LVwG auch ohne Warnung zulässig und deshalb nicht amtspflichtwidrig i.S.d. § 839 Abs. 1 S. 1 BGB. Dies sieht, soweit ersichtlich, auch der Kläger nicht anders, und zwar zu Recht. Nach seiner Ankündigung, alle umzubringen, war der sofortige Schuss der Zeugin nämlich jedenfalls dann, wenn der Kläger seinerzeit bereits mit gezücktem Messer im Badezimmer auf die Zeugin W zustürmte, erforderlich, um ihn angriffsunfähig zu machen und so einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von ihr – der Zeugin – abzuwenden und eine gegenwärtige Gefahr für ihren Leib und ihr Leben abzuwenden. Auf dieser Grundlage ist der Zeugin also auch kein Verstoß gegen das Übermaßverbot vorzuwerfen.
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Dass der Kläger jedenfalls zunächst, nachdem er sich aus dem Zugriff der Zeugen B und C befreit hatte, ein Messer aus der Küche genommen hatte, ist überdies ausweislich des Urteilstatbestandes erstinstanzlich unstreitig gewesen. Bei seinen Anhörungen durch die damals zuständige Einzelrichterin am 09.05.2017 (Bl.139) und am 16.03.2018 (Bl.190) hat der Kläger jeweils eingeräumt, dass er dieses Messer auch noch in der Hand hielt, als ihn der Schuss traf, und bei seiner Anhörung durch die Kammer hat er dies immerhin noch für möglich gehalten (Bl.388).
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3. Die Argumente aus den Schriftsätzen des Klägers vom 22.10.2021 und vom 08.11.2021 rechtfertigen es nicht, nach § 156 ZPO die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.