OLG Zweibrücken, Urteil vom 14. Juni 2006 – 1 U 92/05
Zur Haftung bei einer durch Notwehr gerechtfertigten Verletzung eines Angreifers mit einem rückwärts fahrenden Pkw
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Zweibrücken vom 3. Juni 2005 geändert:
Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
III . Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
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Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
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1. Nach dem Tatbestand des angefochtenen Urteils – dessen Berichtigung nicht beantragt worden ist – ist unter den Parteien zum Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz folgendes Geschehen, aus dem die Klägerin ihre Ansprüche auf Schadenersatz und Schmerzensgeld herleitet, unstreitig gewesen:
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„Am 01.04.2001 gegen 1.20 Uhr fuhr der Beklagte zu 1) mit seinem PKW Toyota Corolla …, haftpflichtversichert bei der Beklagten zu 2), die Klägerin an bei dem Versuch, sich mit seinem PKW durch schnelles Rückwärtsfahren einer für ihn bedrohlichen Situation zu entziehen, die dadurch entstanden war, dass mehrere Personen nach einem vorangegangenen Streit mit dem Beklagten den Beklagten bedrohten und auf sein stehendes Fahrzeug einschlugen. Die Klägerin, die schräg hinter dem Fahrzeug des Beklagten zu 1) stand, wurde von dem Fahrzeug des Beklagten zu 1) erfasst. Sie erlitt eine offene, komplette Unterschenkelstückfraktur links …“
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Die Erstrichterin hat nach Erhebung von Zeugenbeweis die Beklagten zur Zahlung von Schadenersatz in Höhe von 967,15 Euro und von Schmerzensgeld in Höhe von 1 500,– Euro (jeweils nebst Zinsen) verurteilt. In den Entscheidungsgründen hat sie u. a. ausgeführt, es sei nicht bewiesen, dass der Beklagte zu 1) bei der Verletzung der Klägerin in Notwehr gehandelt habe. Eine Minderung der geltend gemachten Ersatzansprüche wegen eines Mitverschuldens der Klägerin hat sie nach dem Inhalt der Entscheidungsgründe nicht erwogen.
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2. Entgegen der Auffassung der Erstrichterin steht der Klägerin der behauptete Schadensersatzanspruch nach den §§ 823 Abs. 1, 847 BGB a. F. nicht zu, weil der Senat nach dem Ergebnis der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme davon überzeugt ist, dass der Beklagte zu 1) bei der Verletzung der Klägerin in Notwehr gehandelt hat. Eine durch Notwehr gebotene Handlung ist nicht widerrechtlich (§ 227 Abs. 1 BGB). Das schließt auch Ansprüche der Klägerin auf Ersatz ihres (materiellen) Schadens nach § 7 Abs. 1 StVG aus.
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a) Notwehr ist diejenige Verteidigung, welche erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden (§ 227 Abs. 2 BGB). Das trifft auf das Wegfahren des Beklagten zu 1) zu.
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Nach dem von der Erstrichterin im Tatbestand des angefochtenen Urteils wiedergegebenen Tathergang – von dem der Senat bei der Beurteilung der Ansprüche der Klägerin auszugehen hat (vgl. § 529 Abs. 1 Nr. 1 1 Halbs. ZPO) – sah sich der Beklagte zu 1) einem Angriff mehrerer Personen ausgesetzt, die ihn mit physischer (Tritte und Schläge gegen seinen PKW) und psychischer Gewalt nötigen wollten, aus dem Auto auszusteigen und sich einer – möglicherweise körperlichen – Auseinandersetzung mit seinem Kontrahenten S… Sch… allein oder gar mit mehreren zu stellen (Versuch der Nötigung nach § 240 Abs. 2 StGB). Dass die Angreifer die Zeugen B… und Sch… nicht daran hinderten, in den PKW des Beklagten zu 1) einzusteigen, steht der Würdigung ihres Verhaltens als versuchte Nötigung des Beklagten zu 1) nicht entgegen. Das Vorgeschehen, insbesondere die handfeste Streitigkeit zwischen dem Beklagten zu 1) und Sch…, in deren Verlauf Sch… zu Boden gegangen war, erklärt zwanglos, dass Sch… und seine Gruppe nur an der Person des Beklagten zu 1) interessiert waren. Abgesehen davon hatten sich auch die Zeugen B… und Sch… nicht unbedrängt gefühlt. Der Zeuge B… – dessen Aussage in der Beiakte 4046 Js 3529/01 im Einverständnis beider Parteien im Wege des Urkundenbeweises verwertet worden ist – gab in seiner Vernehmung am 1. April 2001 an, beim Einsteigen in den PKW des Beklagten zu 1) habe ihm jemand die Autotür „ins Kreuz geschlagen“. Als er sich umgedreht habe, habe er einen Schwarzen auf sich zukommen sehen, der einen Gegenstand in der Hand gehabt habe, der ausgesehen habe wie eine Antenne mit einer Kugel an der Spitze; aus Angst habe er dann zu einem Messer gegriffen, woraufhin der Schwarze weggelaufen sei. Die Zeugin Sch… hat in ihrer Aussage vor dem Landgericht am 29. April 2005 bekundet, sie habe in der Situation nicht nur Angst gehabt, es habe Panik geherrscht. Sie habe nachher im Auto gehockt und gezittert und geheult. Daran hat sie in ihrer Aussage vor dem Senat am 24. Mai 2006 festgehalten.
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Selbst für den Fall, dass die Angreifer den Beklagten zu 1) nur in Angst und Schrecken versetzen wollten, ohne zugleich die Absicht zu haben, ihn zum Aussteigen zu nötigen, brauchte dieser den Angriff auf sein Eigentum (Zeugin Sch…: „Durch die Schläge auf das Auto sind richtige Dellen im Dach zurückgeblieben“) nicht zu dulden. Der andauernden (vollendeten und versuchten) Sachbeschädigung konnte er vielmehr nachhaltig entgegentreten und dabei dasjenige Abwehrmittel wählen, das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr gewährleistete (vgl. BGH NStZ 2005, 31). Die im eiligen Wegfahren mit dem PKW liegende Notwehr rechtfertigte grundsätzlich auch dabei verursachte Körperverletzungen der Angreifer. Denn eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter findet bei der Notwehr grundsätzlich nicht statt (vgl. z. B: BGHSt 48, 207 = NJW 2003, 1955).
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b) Dass dem Beklagten zu 1) ein anderes wirksames Mittel zur Beendigung des Angriffs auf ihn und/oder sein Eigentum zur Verfügung gestanden hätte, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich. Eine irgendwie geartete verbale Auseinandersetzung mit den Angreifern oder ein Ausharren im PKW auf dem Parkplatz mit ungewissem Ausgang – es wäre zwar eine Möglichkeit gewesen, dass die Angreifer des Einwirkens auf das Fahrzeug müde werden und mit der Zeit davongehen; es wäre aber auch denkbar gewesen, dass sich ihre von den Zeugen B… und Sch… bekundete Aggression gegenüber dem Beklagten zu 1) weiter steigert und die Intensität der Attacken zunimmt – waren keine zumutbaren Optionen. Nach dem festgestellten Sachverhalt hatte der Beklagte zu 1) auch nicht vor, seinen PKW als Waffe gegen die Angreifer einzusetzen und sie durch bewusstes Anfahren auszuschalten; er wollte lediglich die Flucht ergreifen.
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In der zur Verletzung der Klägerin führenden Situation auf dem Parkplatz wirkte sich eine vorherige Mitwirkung des Beklagten zu 1) an der Eskalation des Geschehens nicht mehr aus. Zwar war der Beklagte zu 1) bei vorherigen Begegnungen mit seinem Kontrahenten Sch… in der Gaststätte „H…“ und später auf der Straße an Streitereien aktiv beteiligt. Er trug aber auch zur Beruhigung des Geschehens bei, indem er nach ersten Auseinandersetzungen in der Gaststätte „H…“ das Lokal (auf Bitten der Wirtin) verließ und ein anderes Lokal aufsuchte. Das spätere Zusammentreffen zwischen dem Beklagten zu 1) und Sch… sowie dessen Gruppe auf der Straße wurde vom Beklagten zu 1) nicht gesucht, sondern fand eher zufällig statt. Nach der erneuten Streiterei mit Sch…, der auf den Beklagen zu 1) zugerannt war und dann – wahrscheinlich infolge eines Schlags des Beklagten zu 1) – zu Boden fiel, brachte der Beklagte zu 1) durch das Weglaufen in Richtung seines PKW deutlich zum Ausdruck, dass er sich an Auseinandersetzungen nicht mehr beteiligen wolle. Bei dieser Sachlage ist kein Raum für die Annahme, der Beklagte zu 1) habe die spätere Notwehrlage auf dem Parkplatz vorwerfbar verursacht, so dass er den dort erfolgten Angriff der Gruppe nur mit Zurückhaltung hätte abwehren dürfen (zur Beschränkung des Notwehrrechts bei Provokation: BGH NStZ 2002, 425).
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c) Es kommt deshalb maßgeblich darauf an, ob auch die Klägerin zur Gruppe der Angreifer im Sinne des § 227 Abs. 2 BGB gehörte oder ob sie eine an dem Geschehen Unbeteiligte war. Nur im letzteren Fall hätten sich die Beklagten nicht auf ein Notwehrrecht des Beklagten zu 1) berufen können, weil sich dessen Wirkungen auf die Beeinträchtigung von Rechtsgütern des Angreifers beschränken (vgl. z. B. MünchKomm StGB-Erb § 32 Rdnrn. 114, 115; S/S-Lencker/Perron StGB § 32 Rdnr. 31; Tröndle/Fischer StGB § 32 Rdnr. 15). Nach dem Inhalt der Verhandlung und dem Ergebnis der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme hat der Senat – abweichend von der Erstrichterin – keinen vernünftigen Zweifel daran, dass die Klägerin ebenfalls eine der Angreifer war.
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Die Klägerin war nach den Bekundungen der Zeugen B….. und Sch… von Anfang an Mitglied der Gruppe um den Kontrahenten des Beklagten zu 1), aus der heraus später auf dem Parkplatz die Angriffe erfolgten. Der Zeuge B… hat weiter ausgesagt, nach der Auseinandersetzung zwischen dem Beklagten zu 1) und Sch… auf der Straße, in deren Verlauf Sch… zu Boden ging, sei die Klägerin heran gelaufen und habe den Beklagten zu 1) gestoßen; dieser sei weggerannt. Die Zeugin Sch… hat ausgesagt, sie habe die Klägerin später von dem PKW wegziehen wollen, jedoch einen Stoß bekommen. Zuvor habe sie genau gesehen, dass die Klägerin auf das Auto geschlagen habe. Sie habe nicht den Eindruck gehabt, dass die Klägerin – wie diese vorgebracht hat – irgendwie beruhigend auf jemand in ihrer Gruppe habe einwirken wollen.
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3. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob eine Haftung der Beklagten auch deswegen ganz entfällt, weil die Klägerin ein überwiegendes Mitverschulden trifft (vgl. § 254 BGB). In Anbetracht der angespannten Situation auf dem Parkplatz hätte sich ihr aufdrängen müssen, dass der Beklagte zu 1) seinen PKW nicht in aller Ruhe vorsichtig ausparken, sondern hektisch und schnell wegfahren werde. Sie hätte sich deshalb, um sich vor Schaden zu bewahren, nicht im Gefahrenbereich des Autos aufhalten dürfen. Das hat sie grob fahrlässig verkannt.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (vgl. § 543 Abs. 2 ZPO).