OLG Frankfurt, Beschluss vom 07. Februar 2018 – 11 U 153/17
Zur Haftung bei Scheuen eines Pferdes wegen eines vorbeilaufenden Hundes
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das am 10.11.2017 verkündete Urteil des Landgerichts Hanau – 1. Zivilkammer – im Beschlusswege zurückzuweisen, weil das Rechtsmittel keine Aussicht auf Erfolg verspricht und weil auch die weiteren Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO gegeben sind.
Gründe
I.
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Die Parteien streiten um Ansprüche aus Tierhalterhaftung.
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Die tatsächlichen Feststellungen des angegriffenen Urteils werden gem. § 522 Abs. 2 S. 4 ZPO in Bezug genommen.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass dem Kläger keine Schadensersatzansprüche nach § 833 BGB gegen die Beklagte zustünden.
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Es fehle bereits an einer den Unfall auslösenden typischen, vom Hund der Beklagten ausgehenden Gefahr. Der Hund sei lediglich nah an dem Pferd des Klägers vorbeigelaufen. Er habe sich jedoch weder aggressiv verhalten noch den Bewegungsablauf des Pferdes gestört.
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Darüber hinaus könne nicht festgestellt werden, dass der Hund überhaupt Ursache des Unfalls gewesen sei. Der Einvernahme der klägerseits benannten Zeugen habe es nicht bedurft. Dabei könne zu Gunsten des Klägers unterstellt werden, dass die Zeugen bestätigen würden, dass die Schreckreaktion des Pferdes in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Vorbeilaufen des Hundes der Beklagten erfolgte. Dies allein würde jedoch nicht beweisen, dass für diese Reaktion das Vorbeilaufen des Hundes ursächlich gewesen sei. Vielmehr spreche gegen diese Kausalität, dass das Pferd auch nach dem eigenen Vortrag des Klägers gut ausgebildet und im Umgang mit Hunden vertraut gewesen sei. Darüber hinaus ereignete sich der Vorfall erst nach ca. 60-90 Minuten des gemeinsamen Ausritts, in denen durchgehend der freilaufende Hund anwesend gewesen sei. Gegen die Kausalität spreche schließlich auch, dass der Hund an mehreren Pferden vorbeigelaufen sei, sich indes kein anderes Pferd erschreckt habe.
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Darüber hinaus stehe einer Haftung entgegen, dass der Kläger jedenfalls konkludent in die Anwesenheit des freilaufenden Hundes eingewilligt habe. Damit habe er auf etwaige Ansprüche, die ihre Grundlage allein in der Anwesenheit des Hundes haben könnten, verzichtet.
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Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er sein erstinstanzliches Klageziel weiterverfolgt. Die Tatsachenfeststellungen seien fehlerhaft und widersprächen bereits dem eigenen Vortrag der Beklagten. Die Beklagte habe selbst den Hund als kausal für den Unfall bezeichnet. Auch im Tatbestand des Urteils sei festgestellt worden, dass sich das Pferd wegen des Hundes erschreckt habe. Folglich sei der Hund kausal für den Unfall gewesen. Soweit das Landgericht erwähne, dass sich kein anderes Pferd erschreckt habe, sei der Hund auch an keinem anderen Pferd derart nah vorbeigelaufen. Schließlich müsse das tierische Verhalten nach den allgemeinen Haftungsregeln des § 833 BGB auch nicht die einzige Ursache für die Verletzung sein. Es reiche vielmehr Mitverursachung. Er, der Kläger, müsse sich auch nicht eine Gefährdungshaftung seines eigenen Pferdes anrechnen lassen. Dem stehe zum einen die Regelung des §§ 840 Abs. 3 BGB entgegen; zum anderen sei die Kausalität seines Pferdes nicht festgestellt. Ein Mitverschulden scheide aus. Nur wenn er sich ohne besonderen Grund in die gefahrbringende Nähe eines Tieres gebracht hätte, wäre an ein solches zu denken. Vorliegend habe er jedoch dafür einen guten Grund gehabt, nämlich mit den anderen Vereinsmitgliedern auszureiten. Er habe nie damit rechnen müssen, dass sich der Hund so verhalte, dass er sein Pferd erschreckt.
II.
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Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung hat in der Sache keine Aussicht auf Erfolg.
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Das Landgericht hat zu Recht Ansprüche des Klägers nach § 833 BGB zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für eine anspruchsbegründende Tierhalterhaftung liegen nicht vor.
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Zweifelhaft erscheint bereits, ob überhaupt von einer Tiergefahr auszugehen ist. Eine typische Tiergefahr äußert sich in einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbstständigen Verhalten des Tieres (vergleiche BGH, Urteil vom 20.12.2005 – VI ZR 225/04; Wagner in: Münchner Kommentar zum BGB, 7. Aufl., § 833 Rn. 17). Daran kann es fehlen, wenn das Tier lediglich der Leitung und dem Willen eines Menschen folgt und nur daraus der Schaden resultiert, weil er in einem solchen Fall allein durch den Menschen verursacht wird (BGH ebenda). Vorliegend könnte aus den eigenen Angaben des Klägers im Rahmen der Klagebegründung folgen, dass ein vom Menschen gelenktes und damit auch dem Menschen zuzurechnendes Verhalten zu beurteilen ist. Der Kläger trägt im Rahmen seiner Klage selbst vor, dass der Hund „nach einem Rufen des Ehemanns der Beklagten“ kam (Bl. 4). Der Hund folgte demnach dem Befehl des Menschen, der das Ziel, wenn auch nicht die konkrete Laufbahn vorgab. Der Umstand, dass das Tier sich der Reitergruppe näherte, beruhte auf einem lenkenden Verhalten eines Menschen. Die Nähe des Hundes zur Reitergruppe hatte damit ihre Ursache nicht auf dem unberechenbaren und selbständigen Verhalten des Hundes, sondern in dem Rufen des Ehemanns der Beklagten.
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Das Vorliegen einer Tiergefahr verlangt grundsätzlich ein Verhalten des Tieres, welches über die bloße physische Anwesenheit hinausgeht (vergleiche OLG Saarbrücken, Urteil vom 14.07.2005 – 8 U 283/04). Ob das Vorbeigelaufen des Hundes am klägerischen Pferd bereits eine über seine Anwesenheit hinausgehende Gefahr begründet, erscheint zweifelhaft.
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Fraglich erscheint zudem – wie zutreffend vom Landgericht ausgeführt – die Kausalität des Vorbeilaufens des Hundes für das Erschrecken des Pferdes.
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Entgegen der Darstellung des Klägers im Rahmen der Berufungsbegründung ist die Kausalität zwischen den Parteien nicht unstreitig. Richtig ist, dass die Beklagte im Rahmen der Klageerwiderung ausführte, dass sich das Pferd des Klägers erschrak, als der Hund der Beklagten an ihm vorbeilief (Bl. 54). Aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt sich jedoch deutlich, dass mit dieser Formulierung allein das zeitliche Zusammentreffen bezeichnet werden sollte. Die Beklagte betont ausdrücklich nachfolgend, dass bestritten werde, dass das Pferd des Klägers wegen des Hundes der Beklagten erschrak (Bl. 55). Soweit das Landgericht ausgeführt hat, dass es der Einvernahme der klägerseits benannten Zeugen zur Kausalität nicht bedürfe, da diese allein eine zeitliche Koinzidenz, nicht jedoch eine ursächliche belegen könnten, setzt sich der Kläger in der Berufungsbegründung mit diesen überzeugenden Ausführungen nicht auseinander. Das Landgericht ist mithin insoweit zutreffend von einer Beweisfälligkeit ausgegangen.
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Auf einen die Kausalität stützenden Anscheinsbeweis beruft sich der Kläger zu Recht selbst nicht. Die unstreitigen Gesamtumstände belegen keinen Geschehensablauf, der typischerweise zu der hier realisierten Schädigung führt. Unstreitig begleitete der frei laufende Hund die Reitergruppe vielmehr bereits mind. 60 Minuten vor dem Unfall, ohne dass es zu Zwischenfällen kam. Unstreitig passierte der Hund das Pferd zudem mit einem nicht unerheblichen Abstand von ca. 2 Metern. Der Kläger hat die entsprechenden Angaben der Beklagten (Bl. 57) nicht nachfolgend bestritten. Der Kläger trägt zudem im Rahmen der Berufungsbegründung selbst vor, dass auch zuvor schon Ausritte in Begleitung des Hundes erfolgt waren (Bl. 110). Schließlich handelt es sich unstreitig um ein hundeerfahrenes Pferd. Der Kläger trägt schließlich auch nicht vor, dass sich der Hund zuvor stets in unmittelbarer Nähe der Beklagten aufgehalten hatte und erstmals im Zusammenhang mit dem hier streitgegenständlichen Vorfall sich zunächst von den Reitern entfernt und dann wieder aufgetaucht war.
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Sowohl das Vorliegen einer Tiergefahr als auch der Kausalität einer solchen für den Unfall bedürfen indes keiner abschließenden Entscheidung. Auch wenn man zu Gunsten des Klägers von einer Tiergefahr ausgehen würde, die – wiederum zu Gunsten des Klägers unterstellt – auch ursächlich für das Scheuen des Pferdes gewesen ist, stehen dem Kläger im Ergebnis keine Ansprüche zu.
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Zum einen muss der Kläger sich ein erhebliches Mitverschulden nach § 254 BGB durch die Realisierung der eigenen Tiergefahr des von ihm gerittenen Pferdes anrechnen lassen. Der Grundsatz, dass die auf Seiten des Geschädigten mitwirkenden Sach- und Betriebsgefahr den Ersatzanspruch beschränkt, gilt auch im Bereich der Tierhalterhaftung (vergleiche Wagner in: Münchner Kommentar zum BGB, 7. Aufl., § 833 Rn. 72; OLG Rostock, Urteil vom 10.12.2010 – 5 U 57/10; OLG Saarbrücken, Urteil vom 14.07.2005 – 8 U 280/04). Unstreitig rannte vorliegend das Pferd nach dem Scheuen im Zusammenhang mit dem Vorbeilaufen des Hundes in einen Weidezaun und erschrak sich daraufhin erneut. Erst zu diesem Zeitpunkt verlor der Kläger den Halt. Dies hatte die Beklagte im Rahmen der Klageerwiderung vorgetragen (Bl. 54), ohne dass der Kläger die Angaben nachfolgend bestritten hat. Sie stehen darüber hinaus auch in Übereinstimmung mit den Bekundungen der Zeugin A (Bl. 17, 18). Auf Basis dieser Angaben wiegt die Tiergefahr des Pferdes des Klägers mindestens gleich hoch wie die des Hundes der Beklagten.
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Zum anderen erlangt vorliegend der Umstand, dass der Kläger auf eigene Gefahr einen Ausritt in Kenntnis des freilaufenden Hundes der Beklagten vorgenommen hat, Bedeutung. Dabei kann offenbleiben, ob dieser Gesichtspunkt ebenfalls im Rahmen des Mitverschuldens nach § 254 BGB Bedeutung erlangt oder aber unter dem Gesichtspunkt eines Verhaltens gegen Treu und Glauben zum Ausschluss einer Haftung führt (vergleiche hierzu näher BGH, ebenda). Ein Geschädigter handelt jedenfalls selbstwidersprüchlich, wenn er sich Risiken bewusst aussetzt, die über die normale Tiergefahr hinausgehend und er bei Verwirklichung der besonderen Gefahr den Halter aus dem Gesichtspunkt der Tierhalterhaftung auf Schadensersatz in Anspruch nimmt (BGH ebenda). Soweit das Bewusstsein einer besonderen Gefährdung Voraussetzung ist (BGH ebenda), liegt dieses auch nach dem eigenen Vortrag des Klägers vor. Der Kläger wusste, dass der freilaufende Hund die Reitergruppe begleitete; er betont selbst, dass der Hund jedenfalls hätte angeleint sein müssen. Dass dies – aus seiner Sicht gefahrerhöhend – nicht der Fall war, war ihm bekannt.
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Nach der nach höchstrichterlicher Rechtsprechung in derartigen Konstellationen erforderlichen Interessenabwägung ist vorliegend von einem vollständigen Haftungsausschluss auszugehen. Sowohl der Kläger als auch die Beklagte handelten beim Ausritt im eigenen Interesse; sie nahmen in ihrer Freizeit an einem Vereinsausritt teil. Der Kläger schreibt selbst, dass eine Gefährdung durch den freilaufenden Hund äußerst fernlag. Dies lag zum einen daran, dass sein Pferd hundeerfahren war. Zum anderen verhielt sich der Hund nicht auffällig, sondern lief – auch nach dem klägerischen Vortrag – vollständig unauffällig mit der Reitergruppe bzw. in ihrer Nähe. Soweit der Kläger im Rahmen der Berufungsbegründung ausführt, er habe „nicht damit rechnen müssen, dass der Hund sich so verhält, dass er sein Pferd erschreckt“ (Bl. 110), liegt das „so verhalten“ des Hundes allein im Vorbeilaufen am klägerischen Pferd mit einem Abstand von 2 m. Dieses Verhalten war bereits bei Antritt des Auftrittes vorhersehbar und für einen freilaufenden Hund typisch. Darüber hinausgehende erhöhte gefahrträchtige Verhaltensweisen des Hundes ergeben sich auch aus der Berufungsbegründung nicht.
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Berücksichtigt man darüber hinaus das mindestens mit 50 % zu bewertende Mitverschulden der eigenen Tiergefahr, die sich durch das Erschrecken des Pferdes nach dem Zusammenstoß mit dem Zaun realisierte, erscheint es angemessen, dass der Verursachungsbeitrag der Beklagten als Halterin des Hundes vollständig zurücktritt (vergleichbar auch OLG Saarbrücken, Urteil vom 14.07.2005-8 U 283/04).
III.
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Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen. Im Hinblick auf die kostenrechtliche Privilegierung einer Berufungsrücknahme wird angeregt, auch zu überdenken, ob das Rechtsmittel weiter durchgeführt werden soll.