Zur Haftung des Leiters einer Treibjagd für Reitunfall im Zusammenhang mit Schussgeräuschen

LG Arnsberg, Urteil vom 26. Mai 2010 – 3 S 22/10

Den Leiter einer Treibjagd trifft keine Verkehrssicherungspflicht, die dem Zweck dient, einen an der Jagd unbeteiligten Reiter vor Gefahren zu schützen, die von Schussgeräuschen während der Durchführung einer Jagd ausgehen.(Rn.25)(Rn.30)(Rn.31)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 06.02.2010 verkündete Urteil des Amtsgerichts Arnsberg (Aktenzeichen: 12 C 499/09) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe
I.

1
Die Klägerin nimmt den Beklagten in dessen Eigenschaft als Jagdleiter einer am 15.11.2008 durchgeführten Treibjagd wegen eines Reitunfalls in Anspruch.

2
Die Klägerin ritt in Begleitung ihrer Freundin T. Q. am fraglichen Tag zwischen 12.30 Uhr und 13.00 Uhr mit einem Pferd über den in einem Waldgebiet bei O. verlaufenden Reitweg (sog. „I.-Weg“).

3
An diesem Tag fand in der Nähe dieses Gebietes die vom Beklagten durchgeführte Treibjagd statt. Während des Ausrittes sahen die Klägerin und ihre Freundin Personen, die sie im Nachhinein als Teilnehmer der von dem Beklagten durchgeführten Treibjagd identifizierten. Nachdem die Klägerin und ihre Freundin etwa die Hälfte des geplanten Ausrittes zurückgelegt hatten, vernahmen sie ein erstes Schussgeräusch. Sie überlegten zunächst umzukehren, entschieden sich dann aber den Ausritt fortzusetzen. Kurz darauf fiel erneut ein Schuss. Nach dem bestrittenen Vortrag der Klägerin blieb das von ihr gerittene Pferd erschrocken von dem zweiten Schussgeräusch plötzlich stehen und beugte sich nach vorne, so dass sie vom Pferd fiel.

4
Die Klägerin hat behauptet, der Schuss sei von einem Jagdteilnehmer der Treibjagd des Beklagten nicht unweit von dem Reitweg abgegeben worden.

5
Der Beklagte habe keine Hinweis- oder Warnschilder im Bereich des Jagdgebietes angebracht, insbesondere nicht an der Zuwegung zum Wald- und Reitgebiet. Das von ihr gerittene Pferd habe sich aufgrund des Schussgeräusches erschrocken. Sie sei gestürzt, obwohl es sich bei dem Tier um ein ruhiges und ihr bekanntes Pferd handele und sie über 10 Jahre Reiterfahrung verfüge. Durch den Sturz sei es zu diversen Verletzungen gekommen, die sie bis heute beinträchtigen würden. So habe sie eine Gehirnerschütterung, einen Kreuzbeinbruch, ein Schleudertrauma und Prellungen erlitten. Außerdem sei eine bestehende Epilepsie verstärkt worden. Ferner leide sie an diversen Spätfolgen. Wegen der Verletzungsfolgen wird auf die ärztlichen Atteste vom 01.1.2008, 08.12.2008, 29.01.2009, 12.5.2009 und vom 30.5.2009 verwiesen.

6
Sie ist er Auffassung, dass der Beklagte verpflichtet war, entsprechende Warnschilder aufzustellen. Der Beklagte habe eine Verkehrssicherungspflicht, die dem Zweck diene, auch vor Gefahren zu schützen, die von Schussgeräuschen ausgehen.

7
Die Klägerin hat beantragt,

8
den Beklagten zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens 4.500 €, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2009 zu zahlen und sie von der Verpflichtung zur Zahlung der außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 543,59 € an ihren Prozessbevollmächtigten freizustellen.

9
Der Beklagte hat beantragt,

10
die Klage abzuweisen.

11
Er hat unter Ablehnung einer dazu bestehenden Pflicht behauptet, dass er an allen in den Wald führenden Wegen durch Schilder auf die Treibjagd hingewiesen habe. Ein Warnschild sei auch insbesondere am Waldeingang des Weges am 14.11.2008 angebracht worden, auf dem die Klägerin in den Wald geritten sei. Dabei habe er amtliche Warnschilder verwendet. Diese habe der Förster und Zeuge U. L. nach vorheriger Bestellung bereits am Freitag den 14.11.2008 beim zuständigen Regionalforstamt V. abgeholt.

12
Der Schuss sei nicht von einem Teilnehmer der von dem Beklagten durchgeführten Treibjagd abgegeben worden. Zum Zeitpunkt des Reitunfalls habe die Mittagspause stattgefunden, während der grundsätzlich nicht geschossen werden dürfe. Außerdem habe im Nachbarrevier ebenfalls eine Treibjagd stattgefunden, von der der angebliche Schuss herrühren könne.

13
Im Übrigen sei die Klägerin keine geübte Reiterin. Die von der Klägerin behauptete Reaktion des Pferdes – Stehenbleiben – sei mit dem Wesen des Pferdes als Fluchttier nicht vereinbar.

14
Er ist der Auffassung, dass sich die Verkehrssicherungspflicht bei der Ausübung von Treibjagden darauf beschränke, dass durch die Schussabgabe niemand gefährdet werde. Er habe keine Pflicht vor Gefahren zu schützen, die von den den Schüssen folgenden Geräuschen ausgehen. Schussgeräusche seien waldtypisch.

15
Das Amtsgericht Arnsberg hat die Klage ohne Beweisaufnahme mit der Begründung abgewiesen, dass nicht feststellbar sei, dass der Schuss von einem Teilnehmer der von dem Beklagten veranstalteten Treibjagd abgegeben worden ist. Außerdem habe die Klägerin keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht des Beklagten dargelegt. Sie habe keinen Beweis dafür angetreten, dass der Beklagte keine Warnschilder aufgestellt habe. Im Übrigen habe dazu keine Verpflichtung bestanden.

16
Die Klägerin greift das Urteil vollumfänglich an und verweist unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags darauf, dass das Amtsgericht den Beweisantritten der Klägerin hätte nachgehen oder einen entsprechenden Hinweis erteilen müssen. Die Klägerin habe für den Umstand, dass sie und ihre Freundin während des Ausrittes Personen sahen, die sie im Nachhinein als Teilnehmer der von dem Beklagten durchgeführten Treibjagd identifizierten, unter der Nennung der Zeugin Q. Beweis angetreten. Die Klägerin habe auch Beweis für die Tatsache angetreten, dass der Beklagte keine Warnschilder aufgestellt habe. Sie habe unter Protest gegen die Beweislast die Vernehmung der Klägerin als Partei sowie die Vernehmung der Zeuginnen Q. und E. W. beantragt.

17
Die Klägerin beantragt,

18
1. unter Abänderung des am 06.01.2010 verkündeten Urteil des Amtsgerichts Arnsberg, AZ 12 C 499/09, den Beklagten zu verurteilen, an sie einen Mindestschadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 4.500 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten ab Zustellung des erstinstanzlichen Urteils zu zahlen,

19
2. die Revision zuzulassen.

20
Der Beklagte beantragt,

21
die Berufung zurückzuweisen.

22
Er verteidigt die Auffassung des Amtsgerichts und verweist unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags darauf, dass den Jagdleiter nur die Verpflichtung treffe, vor Beginn der Jagd die Jagdteilnehmer auf die Einhaltung der von der Berufsgenossenschaft herausgegebenen Unfallverhütungsvorschriften hinzuweisen sowie darauf, dass jeder Teilnehmer für den abgegebenen Schuss allein verantwortlich sei. Außerdem sei er der Verpflichtung, die Gültigkeit der Jagdscheine der Jagdteilnehmer zu überprüfen, nachgekommen.

II.

23
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

24
Die Klägerin hat keinen Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten aus § 823 Abs.1 oder Abs. 2 BGB.

25
Die erlittenen Verletzungen der Klägerin sind nicht durch eine zurechenbare Handlung oder Unterlassung des Beklagten verursacht worden, denn den Beklagten traf keine Verkehrssicherungspflicht, die dem Zweck diente, die Klägerin vor Gefahren zu schützen, die von Schussgeräuschen während der Durchführung einer Jagd ausgehen.

26
Grundsätzlich trifft den Urheber einer besonderen Gefahrenquelle die Pflicht, notwendige und zumutbare Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern (ständige Rechtsprechung vgl. statt aller: BGH NJW 2007, 1683, 1684; VersR 2006 233, 234 mit jeweils w.N.).

27
Der Beklagte ist zwar als Veranstalter der Treibjagd Urheber einer solchen Gefahrenquelle. Denn durch die Treibjagd entstehen besondere Gefahren. Solche sind typischerweise Gefahren, die von dem aufgescheuchten Wild ausgehen. So ist es in der Rechtsprechung anerkannt, dass den Veranstalter einer Treibjagd eine Verkehrssicherungspflicht dahingehend trifft, Verkehrsunfälle, die durch fliehendes Wild beim Überqueren von Straßen verursacht werden können, zu vermeiden (vgl. BGH VersR 1976, 593, 594; LG Aachen – Urteil vom 30.08.1990 – 6 S 176/90; Munte in: Die Rechtsprechung zur Verkehrssicherungspflicht bei Treib-, Drück- und Erntejagden; in NZV 2009 274 ff. m. w. N.). Daher muss der Jagdleiter einer Treibjagd dafür Sorge tragen, dass das hochgemachte Wild von der Straße weggeführt wird (LG Aachen – Urteil vom 30.08.1990 – 6 S 176/90).

28
Darüber hinaus besteht bei der Durchführung einer jeden Jagd die grundsätzliche Gefahr, dass andere durch Schüsse verletzt werden. Der Jagdleiter ist daher verpflichtet, die Jagdteilnehmer so aufzustellen und zu führen, dass hieraus keine Gefahren für die Jagenden oder die an der Jagd unbeteiligten Personen entstehen (OLG Koblenz VersR 1992 893; Hager in Staudinger BGB, Stand 2009, § 823 BGB Rn E 370 m.w.N.; Belling in Staudinger BGB, Stand 2009, § 835 BGB Rn 33, m.w.N.). So muss der Jagdleiter Standort bzw. Laufrichtung der Schützen und Treiber genau bestimmen und den Jagdeilnehmern die Standorte ihrer Nachbarn mitteilen ( Hager a.a.O.).

29
Der Urheber einer Gefahrenquelle muss aber nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge treffen. Es genügen diejenigen Vorkehrungen, die nach den konkreten Umständen zur Beseitigung der Gefahr erforderlich und zumutbar sind. Erforderlich sind solche Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren (BGH NJW 2007, 1683, 1684 m.w.N.). Es muss nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden.

30
Die Kammer verkennt nicht, dass es nicht außerhalb der Lebenserfahrung liegt, dass durch Schüsse und die damit zusammenhängenden Geräusche Menschen sowie Tiere im Wald aufgeschreckt werden, die nicht unmittelbar von der Jagd betroffen sind bzw. sein sollen. Ein für Jedermann zugängliches Waldgebiet dient der Bevölkerung gerade in bewohnten Gegenden als Naherholungsgebiet. Typischerweise wird daher ein solches Waldgebiet von Spaziergängern, Joggern und gerade auch von Reitern mit ihren Pferden genutzt, die sich aufgrund der Schussgeräusche erschrecken können. Allerdings gehört das Jagen ebenfalls zu den typischen Nutzungen eines Waldgebietes. Schussgeräusche gehören zwar nicht zu den alltäglichen Waldgeräuschen, ein Reiter oder Spaziergänger muss aber damit rechnen, dass in Zeiten der Jagdsaison in einem benachbarten Waldgebiet gejagt wird und die Abgabe von Schüssen deutlich zu hören ist. Auch wenn das Jagdgebiet normalerweise nicht in dem Bereich liegt, in dem sich die Spaziergänger und Reiter berechtigterweise aufhalten, muss der Waldbesucher von der deutlichen Wahrnehmung von Schussgeräuschen ausgehen. Denn solche Schussgeräusche sind schließlich über eine Entfernung von mehreren hundert Metern, wenn nicht Kilometern, zu hören. Deswegen muss sich insbesondere ein Geländereiter darauf einstellen, dass in einem Wald Schussgeräusche möglich und deutlich hörbar sind und das Pferd, bedingt durch ein solches Schussgeräusch, schreckhaft und unberechenbar reagiert. Im Übrigen liegt es in der Sphäre und im Risikobereich des Reiters, ein Pferd im Gelände zu bewegen, dass nicht an solche waldtypischen Geräusche gewöhnt ist.

31
Der Jagdleiter ist daher nicht verpflichtet solche – mittelbaren – Gefahren zu verhindern. Damit traf den Beklagten schon dem Grunde nach keine Verkehrssicherungspflicht gegenüber der Klägerin.

32
Soweit in der Rechtsprechung entschieden worden ist, dass ein Jäger gem. § 823 Abs. 1 BGB haftbar ist, wenn er in einer Entfernung von ca. 30 Metern zu einem Reiter einen Schuss abgibt und das Pferd bedingt durch diese Schussabgabe durchgeht und der Reiter zu Fall kommt (OLG Saarbrücken – Urteil vom 30.März 1990 – 4 U 63/89 in Jagdrechtliche Entsch Bd VII Sachg XI Nr. 74), ist die Sachlage nicht vergleichbar zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall. In dem vom Oberlandesgericht Saarbrücken entschiedenen Fall hatte ein Jäger zweimal Schüsse in Richtung eines 30 Meter entfernten Reiters abgegeben, den der Jäger auch sah. Die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Saarbrücken rechtfertigt daher keine andere Beurteilung.

33
Die Revision war zuzulassen, da die Frage des Umfangs der Verkehrssicherungspflicht eines Verantwortlichen einer Treibjagd im Zusammenhang mit Schussgeräuschen höchstrichterlich noch nicht entschieden ist und deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist, sodass das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einheitlicher Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt ist.

34
Die Rechtssache hat gem. § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO grundsätzliche Bedeutung.

35
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10 ZPO.

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