BFH, Beschluss vom 16.03.2007 – VII B 21/06
Ein Reisender, der aus einem Drittland nach Deutschland mit Waren einreist, von denen er weiß oder bei denen er zumindest für möglich halten muss, dass sie anzumelden und dass für sie Einfuhrabgaben zu entrichten sind, muss sich über die Bedeutung des roten und des grünen Ausgangs an den Flughäfen Kenntnis verschaffen, wenn er diese Kenntnis nicht bereits besitzt. Tut er dies nicht und benutzt den grünen Ausgang in der Annahme, die von ihm erwarteten zollrechtlichen Erklärungen bei oder sogar noch nach Durchschreiten dieses Ausgangs abgeben zu können, begeht er im Allgemeinen eine zumindest leichtfertige Steuerverkürzung, so dass ein Zollzuschlag erhoben werden kann.
Gründe
I.
Die Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) sind im März 2004 aus Ägypten kommend über den Flughafen X nach Deutschland eingereist. Sie hatten, wie bei einer Zollkontrolle festgestellt wurde, in ihrem Reisegepäck 11 Stangen Zigaretten zu jeweils 200 Stück sowie eine Packung mit 34 Zigarillos bei sich. Für diese Waren hat der Beklagte und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt –HZA–) nach Abzug der einschlägigen Freimengen neben den pauschalierten Einfuhrabgaben einen Zollzuschlag erhoben, weil die Kläger nach seiner Darstellung am Flughafen den grünen Ausgang benutzt und die Tabakwaren nicht zur Zollabfertigung angemeldet haben.
Die gegen den Abgabenbescheid hinsichtlich des Zollzuschlags erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) sah nach Vernehmung zweier Zeugen die Voraussetzungen für die Erhebung eines Zollzuschlags als nicht erfüllt an, weil nicht festgestellt werden könne, dass die Kläger eine Steuerstraftat oder eine Steuerordnungswidrigkeit begangen hätten. Dies wäre nur in Betracht gekommen, wenn die Kläger den grünen Ausgang benutzt haben sollten, was das HZA behauptet, was das FG indes nicht meint feststellen zu können. Selbst wenn jedoch davon ausgegangen werde, dass sich die Kläger bei der Zollkontrolle „im grünen Ausgang“ befunden haben, stehe damit nicht fest, dass ihnen die damit verbundenen zollrechtlichen Folgen bekannt waren oder in einer ihre Leichtfertigkeit begründenden Weise hätten bekannt sein müssen. Gingen Reisende nämlich davon aus, sie könnten „gegenüber dem am grünen Ausgang stehenden Beamten immer noch wirksam eine Zollanmeldung abgeben“, fehle ihnen der Vorsatz für eine Steuerhinterziehung.
Die Kläger hätten sich dahin eingelassen, sie hätten eine Zollanmeldung abgeben wollen, seien hieran jedoch durch den kontrollierenden Zollbeamten „gehindert“ worden. Diese Einlassung der Kläger widerlegende Feststellungen seien nicht getroffen worden. Aus dem Vermerk des Abfertigungsbeamten ergebe sich nicht, dass die Kläger sich so verhalten hätten, dass ihr Wille zur Abgabe einer Zollanmeldung als ausgeschlossen angesehen werden müsse. Für diesen Willen spreche vielmehr die glaubhafte Bekundung eines anderen Zeugen –eines Mitreisenden–, dass die Kläger ihm gesprächsweise gesagt hätten, sie wollten die Zigaretten verzollen, sowie die Tatsache, dass die Kläger sich vor der Reise nach den Abgabesätzen erkundigt hätten.
Da den Klägern der Wille zur Abgabe der Zollanmeldung nicht zu widerlegen sei, scheide auch ein Versuch der Steuerhinterziehung durch Unterlassen der gebotenen Zollanmeldung aus. Auch eine leichtfertige Steuerverkürzung sei nicht festzustellen. Die Kläger hätten zwar die Sorgfaltspflicht gehabt, den grünen Kanal nicht zu betreten; sie hätten ihre Zollanmeldung vielmehr im roten Kanal abgeben müssen. Die diesbezüglichen Regelungen seien indes „für Personen ohne zollrechtliche Vorbildung nicht nachvollziehbar“. Reisende könnten erwarten, dass jeder Zollbeamte an einer Zollstelle der Reisendenabfertigung, an den man sich spontan wegen zollpflichtiger Einfuhren wendet, Einfuhrabgaben ohne Sanktionen wie den Zollzuschlag erhebt.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde des HZA, mit der die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend gemacht wird. Es bedürfe der Klärung, ob die Benutzung des grünen Ausgangs grundsätzlich auch zur Erfüllung des subjektiven Tatbestandes einer vorsätzlichen oder leichtfertigen Steuerhinterziehung führt.
Das HZA trägt dazu vor, wer den grünen Ausgang benutze, gebe damit nach Art. 233 Abs. 1 Buchst. a erster Anstrich der Zollkodex-Durchführungsverordnung eine Willenserklärung ab; für weitere Anmeldungen sei dann kein Raum mehr. Tätigkeiten eines Zollbeamten hinter dem grünen Ausgang stellten eine Kontrolle dar, mit der Folge, dass für dabei festgestellte Waren ein Zuschlag erhoben werden könne. Anmeldungen von die Freimengen überschreitenden Waren müssten bei den Beamten im roten Ausgang abgegeben werden. Die Auffassung des FG, dass kein oder nur ein geringes Verschulden von Reisenden bei „wahrheitswidriger Benutzung des grünen Ausgangs“ vorliege und dass darüber hinaus auch im grünen Ausgang eine Anmeldung möglich sei, sei rechtsfehlerhaft.
II.
Die Beschwerde (§ 116 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–) ist unbegründet. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) hat.
1. Die vom HZA formulierte Frage, ob die Benutzung des grünen Ausgangs zur Erfüllung des subjektiven Tatbestandes einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung (§§ 370, 378 der Abgabenordnung –AO–) führt –was nach § 32 Abs. 3 des Zollverwaltungsgesetzes u.a. Voraussetzung für die Erhebung eines sog. Zollzuschlags ist–, ist nicht klärungsbedürftig, soweit sie einer rechtsgrundsätzlichen Klärung überhaupt zugänglich ist.
Es ist klar und eindeutig und bedarf folglich nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren, dass ein Reisender sich über die Bedeutung des roten und des grünen Ausgangs an den Flughäfen Kenntnis verschaffen muss, wenn er aus einem Drittland nach Deutschland mit Waren einreist, von denen er weiß oder bei denen er zumindest für möglich halten muss, dass sie anzumelden und dass für sie Einfuhrabgaben zu entrichten sind. Tut er dies nicht und benutzt den grünen Ausgang in der Annahme, die von ihm erwarteten zollrechtlichen Erklärungen bei oder sogar noch nach Durchschreiten dieses Ausgangs abgeben zu können, begeht er im Allgemeinen eine zumindest leichtfertige Steuerverkürzung. Im Allgemeinen dürfte darüber hinaus davon auszugehen sein, dass jedenfalls den mit den Gegebenheiten an den Flughäfen in der Gemeinschaft einigermaßen vertrauten Reisenden geläufig ist, dass sie mit solchen Waren den roten Ausgang benutzen und diese dort anmelden müssen, und dass ein Reisender mit wenigstens durchschnittlicher Auffassungsgabe die entsprechenden Hinweise an den betreffenden Ausgängen bemerkt und ihre Bedeutung begreift.
Allerdings mag sich nicht ausschließen lassen, dass ein Reisender ausnahmsweise einmal jene Kenntnis nicht besitzt bzw. meint, zollpflichtige Waren auch noch nach Durchschreiten des grünen Ausgangs oder zumindest „im“ grünen Ausgang anmelden zu können (sofern sich dort ein Zollbeamter aufhält), oder dass ein Reisender die einschlägigen Regelungen bzw. öffentlichen Hinweise dahin missverstanden hat, obwohl er sich nach den ihm gegebenen Möglichkeiten bemüht hat, sich über die Bedeutung der unterschiedlichen Ausgänge Klarheit zu verschaffen. Dies anzunehmen, setzt freilich besondere in seiner Person liegende, vom Tatrichter festzustellende Umstände voraus, die sein persönliches Unvermögen zur Folge haben, das Unrechte seines Verhaltens erkennen zu können. Diese Umstände sind ggf. vom FG nachvollziehbar anhand konkreter Anhaltspunkte darzulegen.
2. Ob den Klägern im Streitfall zugute zu halten ist, dass sie, wie das FG meint, ohne Leichtfertigkeit verkennen konnten, dass sie die von ihnen mitgebrachten Zigaretten bei der Zollabfertigungsstelle im roten Ausgang anmelden müssen, ist eine Frage des Einzelfalls, die einer rechtsgrundsätzlichen Klärung weder bedürftig noch zugänglich ist. Das HZA hat nicht schlüssig dargelegt, dass die diesbezügliche Würdigung des FG, die Kläger hätten ohne grobe Fahrlässigkeit annehmen dürfen, die von ihnen erwartete und nach Überzeugung des FG auch beabsichtigte Zollanmeldung noch bei einem Beamten „im“ grünen Ausgang abgeben zu können oder sogar, wie es an anderer Stelle des Urteils heißt, bei „jedem Zollbeamten an einer Zollstelle der Reisendenabfertigung“ –was eine Anmeldung nach Durchschreiten des grünen Ausgangs einschließen würde–, den Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen widerspricht oder jedenfalls nicht auf einer einsichtigen, verstandesmäßig nachvollziehbaren Würdigung der festgestellten Tatsachen beruht; deshalb kann die Revision auch nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und des Vertrauens der Allgemeinheit in dieselbe zugelassen werden.
Sofern das Urteil des FG freilich dahin zu verstehen sein sollte, dass das FG eine allgemeine Beweiswürdigungsregel dahin gehend aufstellen möchte, Reisenden, die einfuhrabgabepflichtige Waren mitbringen, könne bei Benutzung des grünen Ausgangs im Allgemeinen –d.h. vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls, z.B. außergewöhnlicher zollrechtlicher Kenntnisse des Betreffenden– kein Schuldvorwurf nach §§ 370, 378 AO gemacht werden, kann von dem vom HZA angestrebten Revisionsverfahren die Widerlegung eines solchen (unzutreffenden) Rechtssatzes nicht erwartet werden, weil das Urteil des FG angesichts der von diesem durchgeführten Beweiserhebung über die subjektiven Vorstellungen und Absichten der Kläger nicht auf einer solchen Beweiswürdigungsregel, sondern auf einer für das Revisionsgericht nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls beruhen dürfte.