Zur Beweislast des Fahrgastes eines Kettenkarussells für Verschulden des Karussellbetreibers im Zusammenhang mit einem Unfall

OLG Hamm, Urteil vom 15. Juni 2000 – 6 U 248/99

Zur Beweislast des Fahrgastes eines Kettenkarussells für Verschulden des Karussellbetreibers im Zusammenhang mit einem Unfall

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 1. Oktober 1999 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsmittels einschließlich der Kosten des Streithelfers.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschwer der Klägerin: unter 20.000,00 DM.

Gründe
I.

1
Der Beklagte betreibt ein Schaustellerunternehmen, in dem sein Sohn, der ihm im vorliegenden Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten ist, angestellt ist. Anfang September 1996 hatten der Beklagte und sein Streithelfer auf der … Herbstkirmes ein Kettenkarussell aufgebaut. Der Betrieb des Karussells in … oblag dem Streithelfer. Der Kläger selbst war an den folgenden Tagen nicht in …, da das Unternehmen mit mehreren Schaustellereinrichtungen auf verschiedenen Plätzen präsent war.

2
Am 09.09.1996 gegen 21.20 Uhr stürzte die damals 18-jährige Klägerin während einer Fahrt mit dem Kettenkarussell aus ihrem Sessel. Sie prallte gegen eine Straßenlaterne und verletzte sich dabei erheblich.

3
Sie hat behauptet, das Karussell sei zu nahe an der Straßenlaterne aufgebaut gewesen; sie sei mit dem Fuß gegen diese geraten und sei dadurch aus dem Sessel gezogen worden.

4
Sie hat den Kläger auf Zahlung eines zeitlich begrenzten angemessenen Schmerzensgeldes in vorgestellter Höhe von mindestens 15.000,00 DM für die Zeit vom 09.09.1996 bis zum 17.10.1997 in Anspruch genommen, ferner auf Ersatz materiellen Schadens in Höhe von 261,56 DM (jeweils nebst Zinsen), und hat die Feststellung begehrt, daß der Beklagte ihr vorbehaltlich des Anspruchsübergangs auf Sozialversicherungsträger sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden – soweit nach dem 17.10.1997 entstanden – zu ersetzen habe.

5
Der Beklagte und sein Streithelfer haben ihre Verantwortlichkeit für den Unfall verneint.

6
Das Landgericht hat nach Auswertung der Ermittlungsakte 10 Js 879/96 StA Arnsberg und nach Zeugenvernehmung die Klage durch das angefochtene Urteil mit der Begründung abgewiesen, es sei nicht bewiesen, daß der Sturz der Klägerin auf einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch den Beklagten oder einer ihm obliegenden vertraglichen Schutzpflicht beruhe.

7
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin unter Reduzierung der Zinsforderung ihr erstinstanzliches Begehren weiter mit der Maßgabe, daß sie die Schmerzensgeldforderung nunmehr ohne zeitliche Begrenzung geltend macht. Sie geht von einer ungeklärten Unfallursache aus und macht geltend, die mangelnde Aufklärung gehe zu Lasten des Beklagten.

8
Der Beklagte und sein Streithelfer verteidigen das angefochtene Urteil.

9
Der Senat hat die Ermittlungsakten 10 Js 879/96 StA Arnsberg informatorisch ausgewertet und hat die Klägerin gem. § 141 ZPO angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf den Berichterstattervermerk Bezug genommen.

II.

10
Die Berufung ist nicht begründet.

11
Die Beklagte hat gegen den Kläger keine Schadensersatzansprüche gem. §§ 823, 831, 847 BGB oder – soweit es die materiellen Schäden betrifft – nach den Regeln über die positive Vertragsverletzung i. V. mit § 278 BGB.

1.

12
Es ist nicht bewiesen, daß der Beklagte die Verletzung der Klägerin verschuldet hat. Vielmehr haben die im Ermittlungsverfahren 10 Js 879/96 StA Arnsberg durchgeführten Untersuchungen zu dem Ergebnis geführt, daß das Kettenkarussell weit genug von der Straßenlaterne entfernt war, so daß auch bei voller Fahrt der Kreis, den die Füße der in den äußeren Sesseln sitzenden Benutzer bei ausgestreckten Beinen beschrieben, noch mehr als 1 m von der Laterne entfernt war, gegen welche die Klägerin gestoßen ist.

13
Auch sonst haben sich im Ermittlungsverfahren keine Aufbau- oder sonstige Fehler des Beklagten herausgestellt, die für den Unfall ursächlich waren. Wie es dazu gekommen ist, daß die Klägerin aus dem Sessel des Kettenkarussells gestürzt ist, ist vielmehr ungeklärt und auch nicht mehr aufklärbar. Davon geht auch die Klägerin im Berufungsverfahren aus.

2.

14
Ohne Erfolg macht die Klägerin geltend, diese mangelnde Aufklärbarkeit müsse sich zu ihren Gunsten auswirken.

2.1

15
Soweit es um Ansprüche wegen fahrlässiger Körperverletzung auf der Grundlage des § 823 BGB geht, trägt die Klägerin die volle Beweislast, d. h. sie hätte – wozu sie hier nicht in der Lage ist – nachweisen müssen, daß ein schuldhaftes Verhalten oder eine Pflichtversäumnis des Klägers für ihre Verletzung ursächlich geworden ist. Beweiserleichterungen irgendwelcher Art, insbesondere ein Anscheinsbeweis, kommen ihr hier nicht zugute, denn angesichts der festgestellten Umstände – das Karussell war weit genug von der Laterne entfernt aufgebaut worden, und die eingehende Untersuchung hat keinen technischen Defekt zutage gefördert – kann nicht davon ausgegangen werden, daß typischerweise der Unfall auf ein Fehlverhalten des Beklagten zurückzuführen ist. Vielmehr ist, obwohl derartiges keineswegs festgestellt worden ist, ein unsachgemäßes Verhalten der Klägerin als Ursache für ihren Sturz keineswegs derart unwahrscheinlich, daß dem ersten Anschein nach von einer Unfallursache aus dem Bereich des Beklagten auszugehen wäre.

2.2

16
Auch die in § 831 BGB getroffene Regelung, die dem Geschädigten in manchen Fällen einen erleichterten Weg zu einem Schadensersatzanspruch eröffnet, wenn – wie hier der Streithelfer für den Beklagten – ein Verrichtungsgehilfe tätig geworden ist, greift nicht zugunsten der Beklagten ein.

17
Im Falle des § 831 BGB ist zu prüfen, ob ein Verrichtungsgehilfe des Beklagten in Ausübung der ihm übertragenen Verrichtung dem Geschädigten dadurch einen Schaden zugefügt hat, daß er widerrechtlich einen deliktsrechtlichen Tatbestand i. S. der §§ 823 ff BGB verwirklicht hat. Hieran knüpft das Gesetz die widerlegbare Vermutung, daß die Schadenszufügung auf einem Verschulden des Beklagten bei der Auswahl, Unterrichtung oder Überwachung des Verrichtungsgehilfen oder bei der Bereitstellung der erforderlichen Gerätschaften beruht. Hierauf gründet sich die Haftung des Geschäftsherrn bei dem Einsatz von Verrichtungsgehilfen. Auf ein Verschulden des Verrichtungsgehilfen kommt es dabei grundsätzlich nicht an (vgl. BGH NJW 96, 3205 = VersR 97, 119).

18
Im vorliegenden Fall läßt sich aber schon nicht feststellen, daß überhaupt der Streithelfer in Ausübung der Verrichtung, welche der Beklagte ihm übertragen hatte, nämlich beim Betreiben und bei der Beaufsichtigung des Kettenkarussells auf der … Herbstkirmes, die Körperverletzung der Klägerin verursacht hat. Denn es ist kein Anhaltspunkt dafür vorhanden, daß ein konkretes Verhalten des Streithelfers – sei es ein Tun oder ein pflichtwidriges Unterlassen – den Sturz der Klägerin ausgelöst hat.

2.3

19
Die Beweiserleichterungen, welche die Rechtsprechung im Zusammenhang mit den Regeln über die positive Vertragsverletzung entwickelt hat – insoweit kann es hier allerdings nur um Ersatz materieller Schäden gehen –, verhelfen der Klage ebenfalls nicht zum Erfolg.

20
Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß sich jedenfalls für bestimmte Vertragstypen wie insbesondere für den Werk- und den Dienstvertrag aus der Vorschrift des § 282 BGB auch für den Bereich der sog. positiven Vertragsverletzungen eine Beweislast für den Schuldner dahin ergibt, daß ihn an einer Schlechterfüllung des Vertrages kein Verschulden trifft (vgl. BGH NJW 91, 1540 m. w. N.). Diese Beweisregel greift jedoch erst dann ein, wenn feststeht, daß der Schuldner objektiv gegen seine Vertragspflichten verstoßen hat und dadurch der behauptete Schaden entstanden ist. Ein derartiger objektiver Verstoß gegen die Vertragspflichten des Beklagten steht hier nicht fest, weil ungeklärt geblieben ist, was den Sturz der Klägerin ausgelöst hat.

21
Allerdings kann die Beweislastumkehr nach dem Sinn der Beweisregel auch den Nachweis eines objektiven Pflichtenverstoßes des Schuldners umfassen, wenn der Gläubiger im Herrschafts- und Organisationsbereich des Schuldners zu Schaden gekommen ist und die den Schuldner treffenden Vertragspflichten (auch) dahin gingen, den Gläubiger gerade vor einem solchen Schaden zu bewahren (vgl. BGH a. a. O. m. w. N.).

22
Eine derartige Beweislastumkehr gilt aber nicht uneingeschränkt; vielmehr ist eine differenzierte Betrachtungsweise geboten. So wird etwa in der genannten BGH-Entscheidung, welche die Arzt- und Krankenhaushaftung betrifft, unterschieden zwischen dem Kernbereich des ärztlichen Handelns, in welchem die Beweislastumkehr nicht gilt, weil die Vorgänge im lebenden Organismus auch vom besten Arzt nicht immer so beherrscht werden können, daß schon der ausbleibende Erfolg oder auch ein Fehlschlag auf ein Verschulden bei der Behandlung hindeuten würde, und dem Krankenhausbetrieb, der vom Träger der Klinik und dem dort tätigen Personal voll beherrscht werden kann, insbesondere also der Bereich der Organisation und Koordination des Behandlungsgeschehens und der Zustand der dazu benötigten Geräte und Materialien. Wegen der Beherrschbarkeit dieser Risiken ist eine Zuweisung des Beweisrisikos an denjenigen, der hierfür verantwortlich ist, gerechtfertigt.

23
Eine derartige Beweislastverlagerung kann aber erst dann eingreifen, wenn feststeht, daß die Schadensursache aus dem Bereich stammen muß, für den der Betreiber verantwortlich ist, oder wenn sie zumindest typischerweise in diesem Bereich zu suchen ist.

24
Davon kann aber im vorliegenden Fall nicht die Rede sein, denn es ist ungeklärt, welche Umstände den Sturz der Klägerin ausgelöst haben, und angesichts der eingehenden Untersuchungen, die nach dem Unfall stattgefunden haben, ist die Möglichkeit, daß die Ursache für den Unfall in einem Geräte- oder Betriebsfehler zu finden ist, noch geringer als diejenige, daß ein – nicht feststellbares, aber auch nicht auszuschließendes – Fehlverhalten der Klägerin zu ihrem Sturz geführt hat.

25
Insgesamt hat es danach dabei zu bleiben, daß die Klägerin die Folgen der mangelnden Aufklärbarkeit der Unfallursache zu tragen hat.

3.

26
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 I, 708 Nr. 10, 713, 546 ZPO.

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