LG Münster, Urteil vom 16. Dezember 2015 – 1 S 56/15
Zur Haftungsverteilung bei Sturzunfall eines einhändig fahrenden Radfahrers mit Hunden
Tenor
Die Berufung gegen das am 09.04.2015 verkündete Urteil des Amtsgerichts Steinfurt (Aktenzeichen: 21 C 58/15) wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
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Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird zunächst Bezug genommen auf das angefochtene Urteil des Amtsgericht Steinfurt vom 09.04.2015 (Bl. 64 ff d.A.).
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Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen eines Sturzes von seinem Fahrrad am 13.05.2014. Der Kläger fuhr mit der linken Hand am Lenker auf seinem Fahrrad am rechten Straßenrand des C Weges in I. In der rechten Hand hielt er die Leine für seine zwei Schäferhunde. Der Kläger näherte sich von hinten der Beklagten, die auf dem Grünstreifen am linken Straßenrand lief. Ihr Hund befand sich unangeleint wenige Meter hinter ihr. Als sich der Kläger der Beklagten näherte, bewegte sich der Hund der Beklagten auf den Kläger zu. Der Kläger bremste und kam deshalb zu Fall. Hierdurch kam es zu einer Risswunde zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand. Der Kläger musste mit ca. 20 Stichen genäht werden. Die Fäden wurden am 28.05.2014 gezogen, der Kläger war noch bis zum 31.05.2014 krankgeschrieben. Ferner erlitt der Kläger Prellungen an den Schienenbeinen. Schmerzen und Bewegungseinschränkung bestanden für drei Wochen.
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Der Kläger begehrt ein Schmerzensgeld von mindestens 1500 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.06.2014, Schadensersatz für ein beschädigtes Handy, Attestkosten und eine Unkostenpauschale von weiteren 100 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.06.2014 sowie vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 255,85 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.01.2015.
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Auf die mündliche Verhandlung vom 19.02.2015 hat das Amtsgericht Steinfurt im Verkündungstermin am 09.04.2015 ein Urteil verkündet, das dem Kläger am 16.04.2015 zugestellt wurde. Das Amtsgericht hat die Beklagte hinsichtlich des Schmerzensgeldes zu einer Zahlung von 200 € unter Anrechnung eines Mitverschuldens des Klägers von 75 % nebst Zinsen, zur Zahlung von weiterem Schadensersatz in Höhe von 31,25 Euro nebst Zinsen sowie zur Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 83,54 Euro nebst Zinsen verurteilt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
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Zur Begründung hat das Amtsgericht darauf abgestellt, dass durch das einhändige Fahren über eine längere Strecke und das Führen der zwei großen Schäferhunde an der Leine mit der rechten Hand die Stabilität des Klägers auf dem Fahrrad deutlich eingeschränkt sei. Der Kläger habe den Lenker nicht an zwei Punkten, sondern nur in einem Punkt fixiert. Der Kläger müsse jedoch so Fahrrad fahren, dass er sich der im Verkehr erforderlichen Manöver vorsieht. Anders als bei einer zweiten freien Hand könne der Kläger wegen der in der rechten Hand geführten Leine die rechte Hand auch nicht sofort wieder in den Lenker nehmen, um einer plötzlich auftretenden Gefahr zu begegnen. Hierbei hat das Amtsgericht zu Gunsten des Klägers angenommen, dass man grundsätzlich mit dem Fahrrad eigenhändig fahren dürfe und nach § 28 Abs. 1 StVO auch Hunde am Rad geführt werden dürfen. Verschärft sei die Obliegenheitsverletzung im Sinne von § 254 Abs. 1 BGB dadurch, dass der Kläger die Gefahr hätte erkennen können. Denn er habe sich dem Hund der Beklagten von hinten genähert und damit rechnen müssen, dass dieser Hund auf seine zwei großen Hunde reagieren würde.
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In einem in der mündlichen Verhandlung vom 19.02.2015 nachgelassenen Schriftsatz hat der Kläger vorgetragen, dass er nach der Vollbremsung mit den Beinen ins Straucheln geraten sei, als er sich mit diesen auf dem Boden abstützen wollte (Bl. 44 d.A.). Dies hat das Amtsgericht als widersprüchlich zur persönlichen Anhörung im Termin eingeschätzt.
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Zweitinstanzlich verfolgt der Kläger seine weitergehenden mit der Klage geltend gemachten Ansprüche weiter. Die Parteien wiederholen und vertiefen ihren bisherigen Vortrag.
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Der Kläger beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils
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1. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag i.H.v. 200 € ein weiteres Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 07.06.2014 zu zahlen;
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2. die Beklagte ferner zu verurteilen, an den Kläger über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag von 31,25 € weitere 18,75 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 07.06.2014 zu zahlen;
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3. die Beklagte überdies zu verurteilen, den Kläger von der Honorarforderung seiner Prozessbevollmächtigten über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag im Umfang von 83,54 € von weiteren 172,31 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 22.01.2015 freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
II.
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Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat in dem angefochtenen Urteil zu Recht weitergehende Ansprüche des Klägers verneint.
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1. Zunächst steht dem Kläger kein weitergehender Schmerzensgeldanspruch über die zuerkannten 200 Euro hinaus nebst Zinsen zu.
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a. Insbesondere ergibt sich kein weitergehender Anspruch aus § 833 S. 1 BGB. Nach § 833 S. 1 BGB besteht ein Schadensersatzanspruch, wenn durch ein Tier der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt wird. Die Voraussetzungen der Gefährdungshaftung nach § 833 S. 1 BGB liegen unproblematisch vor.
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Das Amtsgericht ist von einem grundsätzlich anzusetzen Schmerzensgeld von 800 € ausgegangen und hat hierauf eine Mitverschuldensquote von 75 % angewendet. Zwar ist der Erkenntnisweg des Amtsgerichts methodisch ungenau, indes begegnet das Ergebnis keinen Bedenken.
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Grundsätzlich muss sich der Geschädigte auch bei einem Anspruch aus Gefährdungshaftung trotz des Wortlauts des § 254 Abs. 1 („Verschulden“) eine von ihm zu vertretende Sach- oder Betriebsgefahr anrechnen lassen (MüKoBGB/Oetker BGB § 254 Rn. 12-16, beck-online). Da § 253 Abs. 2 BGB eine Ausnahmeregelung zu § 253 Abs. 1 BGB darstellt, wird das Mitverschulden bei einem Schmerzensgeldanspruch entgegen der sonst üblichen Systematik bereits im Rahmen der Bemessungsfaktoren berücksichtigt; eine Quotelung, die für den materiellen Schaden vorgenommen wurde, kann nicht auf das Schmerzensgeld mit seinen anderen Bemessungsfaktoren übertragen werden (BeckOK BGB/Spindler BGB § 253 Rn. 61-62, beck-online).
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Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sind vorliegende folgende Faktoren zu berücksichtigen: Der Kläger erlitt als Rechtshänder eine Risswunde an der rechten Hand, die mit 20 Stichen genäht werden musste. Nach 15 Tagen wurden die Fäden gezogen. Der Kläger war 18 Tage krankgeschrieben. Der Kläger erlitt Prellungen an den Schienbeinen. Schmerzen und Bewegungseinschränkungen bestanden für einen Zeitraum von drei Wochen. Es verbleibt eine Narbe.
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Indes ist auch die äußerst gefährliche Fahrweise des Klägers mit zwei Hunden an der Leine und der Leine in der rechten Hand zu berücksichtigen. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass sowohl das einhändige Fahrradfahren als auch das Führen von Hunden vom Fahrrad aus nach § 28 Abs. 1 S. 4 StVO grundsätzlich erlaubt sind. Das Zusammenspiel beider Verhaltensweisen im vorliegenden Fall stellte sich als besonders risikoerhöhend dar, was seinen Niederschlag auch in der gesetzlichen Bestimmungen findet: § 28 Abs. 1 S. 3 und 4 StVO verbieten im Interesse der Verkehrssicherheit grundsätzlich das Führen von Fahrzeugen aus, „wovon nur größere (folgsame) Hunde hinter Fahrrädern ausgenommen sind“ (BHJJ/Janker StVO § 28 Rn. 1 – 13, beck-online; Hervorhebung nicht im Original). Jegliche Einflüsse auf die Verkehrssicherheit wie bei Einflüssen auf den Lenker (Vgl. OLG Köln, NJW-RR 2003, 884) sind zu vermeiden. Der Fahrzeugführer im Sinne der StVO und in diesem Fall der Fahrradfahrer muss sicherstellen, dass seine Beherrschung des Fahrrades durch das Tier nicht beeinträchtigt wird (BHJJ/Heß StVO § 23 Rn. 15a, beck-online). So wie der Kläger seine Hunde geführt hat, kann er im Fall des Abbiegens keine Richtungsanzeige abgeben. Beim Abbiegen nach rechts ist dies auf Grund der in der rechten Hand geführten Hundeleine nicht möglich. Nach links wäre eine Richtungsanzeige lediglich unter Missachtung des Verbotes des freihändigen Fahrradfahrens möglich. Und auch die Beherrschung des Fahrrades wird durch das Halten der Leine offenkundig beeinträchtigt. Der rechte Arm steht nicht zur Verfügung, um Einwirkungen auf das Gleichgewicht in ausreichender Form zu kompensieren. Auch kann die rechte Hand nicht unmittelbar zum Lenker geführt werden, wenn eine Gefahrenlage unerwartet auftritt. Zumal dies nur möglich wäre, wenn die Leine losgelassen wird, was wiederum im Geltungsbereich des kommunalen Leinenzwangs rechtswidrig wäre.
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Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass es spezielle Halterungen für das Fahrrad gibt, mit denen eine Hundeleine gefedert an dem Fahrrad befestigt werden kann und die dem Fahrradfahrer so beide Hände zum Führen des Fahrrades zur Verfügung lassen.
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Der Kläger näherte sich außerdem von hinten der Beklagten und ihrem Hund und hätte zumindest erkennen können, dass dieser nicht angeleint gewesen ist. Aber auch bei einem angeleinten Hund hätte er reagieren müssen. Zumindest hätte er auch die rechte Hand an den Lenker nehmen und die Geschwindigkeit reduzieren, wenn nicht gar absteigen müssen. Auch bei der Begegnung mit angeleinten Hunden ist es nicht auszuschließen, dass zumindest der dem Kläger unbekannte Hund auf den Kläger, das Fahrrad oder die eigenen Hunde des Klägers reagiert und hierdurch eine potentiell gefährliche Verkehrssituation entsteht.
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Die Verletzungen des Klägers sind auch nicht derartig schwer, dass ein Schmerzensgeld nach seinen Vorstellungen von mindestens 1.500 Euro in Betracht käme. Gerade die Entscheidung des OLG Hamm, NVZ 2008, 564, die der Kläger zur Annahme eines Anscheinsbeweises heranzieht, spricht gegen diese Höhe des Schmerzensgeldes. Im dortigen Fall ist ohne Mitverschulden ein Schmerzensgeld von 3.500 Euro ausgeurteilt worden. Dort hatte die Geschädigte einen Wirbelbruch und erhebliche Bewegungseinschränkungen über mehrere Monate zu beklagen, erst nach vier Monaten und einem Krankenhausaufenthalt waren die restlichen Beschwerden abgeklungen.
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Unter Berücksichtigung dieser Faktoren steht dem Kläger bei einer Gesamtbetrachtung lediglich ein Schmerzensgeld in Höhe der vom Amtsgericht zuerkannten 200 Euro zu.
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b. Es besteht auch kein weitergehender Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 28 Abs. 1 StVO und § 5 Abs. 1 der Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Gebiet der Stadt I vom 11.03.2008. Selbst wenn ein Verstoß hiergegen vorläge und es sich um Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB handeln sollte, gelten die gleichen Erwägungen wie oben im Rahmen von § 254 Abs. 1 BGB.
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c. Mangels weitergehenden Hauptanspruchs besteht auch kein weitergehender Zinsanspruch.
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2. Ferner steht dem Kläger nach den Feststellungen des Amtsgerichts kein Schadensersatzanspruch über die vom Amtsgericht ausgeurteilten 31,25 Euro nebst Zinsen hinaus zu. Die Faktoren der Gesamtbetrachtung bei der Bemessung des Schmerzensgeldes (siehe oben) führen bei den materiellen Schäden im Rahmen des Mitverschuldens nach § 254 Abs. 1 BGB zu einer Mitverschuldungsquote von 75 % zu Lasten des Klägers.
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Überdies erscheint es fraglich, ob außerhalb von Verkehrsunfällen im engeren Sinne überhaupt die Schadensposition einer Kostenpauschale erstattungsfähig ist.
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Mangels weitergehenden Hauptanspruchs besteht auch kein weitergehender Zinsanspruch.
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3. Aus den gleichen Gründen kann keine weitergehende Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen verlangt werden.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.