OLG Hamm, Urteil vom 16. November 2018 – 9 U 77/17
Begibt sich der Reiter seines Pferdes, welches von ihm im Absattelbereich versorgt wird, aus einem zunächst geschützten Bereich in die Schlagdistanz eines weiteren dort in Begleitung seines Reiters stehenden Pferdes und tritt dieses sodann nach hinten mit für den Geschädigten tödlichen Folgen aus, so rechtfertigt die Unterschreitung des jedem Reiter bekannten und einzuhaltenden Sicherheitsabstandes die Begründung eines mit 50% zu bewertenden Mitverschuldens.
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 30.03.2017 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1.
Die Klage ist dem Grunde nach unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens der verstorbenen M in Höhe von 50 % gerechtfertigt.
2.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Klägern jeden weiteren, über ihre bezifferten Anträge hinausgehenden Unterhaltsschaden ab dem 01.04.2015 aus dem Schadensereignis vom 26.09.2012 in O unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens der verstorbenen Frau M in Höhe von 50% zu ersetzen.
Die weitergehenden Klagen werden abgewiesen.
Wegen des Betragsverfahrens sowie der Entscheidung über die Kosten des Verfahrens wird die Sache an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
1
Die Kläger sind Ehemann und Kinder der am 26.09.2012 durch einen Pferdetritt getöteten Frau M. Sie nehmen die Beklagte als Halterin des unfallverursachenden Pferdes auf materiellen und immateriellen Schadensersatz in Anspruch.
2
Die Kläger haben behauptet, der Unfall habe sich dadurch ereignet, dass die Beklagte mit ihrem Pferd den kleinen Vorraum der Reithalle ohne Ankündigung und Freigabe durch Frau M betreten habe, die zum Unfallzeitpunkt damit beschäftigt gewesen sei, ihrem, mit der Hinterhand in Richtung der Eingangstür stehenden Pferd die Hufe auszukratzen. Da beide Pferde eine tiefe Abneigung gegeneinander hegten und die Beklagte ihrer Stute die Winterdecke vom Rücken gezogen habe, sei es zu dem tödlichen Ausschlagen ihres Pferdes gekommen.
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Die Kläger haben beantragt,
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I.1.
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Die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger zu 1) bis 3) als Gesamthandsgläubiger ein über 2.500,– Euro hinausgehendes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.07.2013,
I.2.
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Die Beklagten zu verurteilen, an die Kläger zu 1) bis 3) als Gesamthandsgläubiger 6.652,80 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 01.02.2014 zu zahlen,
I.3.
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Die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger zu 1) bis 3) als Gesamthandsgläubiger 336,– Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2014 zu zahlen,
II.1.
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 1) ein über die bisher gezahlten
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2.500,– Euro hinausgehendes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2014,
II.2.
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 1) 350,– Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2014 zu zahlen,
II.3.
11
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 1) für den Zeitraum 26.09.2012 bis 31.03.2015 einen Betrag in Höhe von 33.060,20 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klageschrift zu zahlen,
II.4.
12
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger zu 1) jeden weiteren über den Antrag zu Ziff. II.3. hinausgehenden Unterhaltsschaden ab dem 01.04.2015 aus dem Schadensereignis vom 26.09.2012 in O zu ersetzen,
III.1.
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 2) einen über das bereits gezahlte Schmerzensgeld in Höhe von 1.000,– Euro hinausgehenden Schmerzensgeldbetrag, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2014 zu zahlen,
III.2.
14
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 2) für den Zeitraum 26.09.2012 bis 31.03.2015 einen Betrag in Höhe von 14.625,77 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen,
III.3.
15
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger zu 2) jeden weiteren, über den Antrag zu Ziff. III.2. hinausgehenden Unterhaltsschaden ab dem 01.04.2015 aus dem Schadensereignis vom 26.09.2012 in O zu ersetzen,
IV.1.
16
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 3) einen über das bereits gezahlte Schmerzensgeld in Höhe von 1.000,– Euro hinausgehenden Schmerzensgeldbetrag, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2014 zu zahlen,
IV.2.
17
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 3) für den Zeitraum 26.09.2012 bis 31.03.2015 einen Betrag in Höhe von 14.625,77 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen,
IV.3.
18
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger zu 3) jeden weiteren, über den Antrag zu Ziff. IV.2. hinausgehenden Unterhaltsschaden ab dem 01.04.2015 aus dem Schadensereignis vom 26.09.2012 in O zu ersetzen,
V.
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die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger zu 1) bis 3) 4.082,18 Euro vorgerichtliche Anwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat behauptet, als sie mit ihrem Pferd den Vorraum betreten habe, sei Frau M mit dem Auskratzen der Hufe ihres Pferdes bereits fertig gewesen. Es habe zu dem Zeitpunkt mit der Hinterhand in Richtung des Bandentores zur Reithalle gestanden.
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Der Kopf des Pferdes habe zur Außentür gezeigt. Linksseitig des Kopfes habe sich Frau M befunden und sich nach wechselseitiger Begrüßung mit der Beklagten unterhalten. Währenddessen habe die Beklagte ihre Stute in einem Linksbogen schreitend gewendet, um die Außentür zu schließen. Sodann sei sie mit der Stute einige Schritte zurückgetreten, bevor sie diese an die Bande zur Reithalle geführt und ihr dabei die Decke abgenommen habe. Der Abstand zur Frau M und deren Pferd habe ca. 2 m betragen. Die Beklagte habe zu diesem Zeitpunkt keine Sicht auf Frau M gehabt. Sie habe die Pferdedecke auf die Trennwand gelegt und, als sie sich wieder umgedreht habe, gesehen, dass ihre Stute mit den Hinterläufen ausgekeilt habe. Diese sei zuvor unauffällig und lieb gewesen, sie habe nie geschlagen und auch keine Probleme mit anderen Tieren gehabt.
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Sie hat die Auffassung vertreten, sie müsse aus dem Vorfall nur zu 50 % haften, weil sich die Tiergefahr beider Tiere verwirklicht habe bzw. ein Mitverursachungsanteil der Frau M zu berücksichtigen sei. Ihr selbst sei ein elementarer Verstoß gegen die Regeln reiterlichen Verhaltens nicht vorzuwerfen, es habe der üblichen Handhabung entsprochen, den Vorraum mit zwei Reitern und Pferden zu nutzen. Frau M sei ein Mitverursachungsbeitrag beizumessen, weil sie sich stehend nicht in ausreichendem Sicherheitsabstand zum Pferd der Beklagten aufgehalten habe.
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Das Landgericht hat die Beklagte zum Unfallhergang angehört, die Zeuginnen X und L vernommen, sowie ein hippologisches Sachverständigengutachten eingeholt.
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Sodann hat es die Klage dem Grunde nach für berechtigt erklärt und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte hafte den Klägern für ihren eigenen sowie den der Verstorbenen entstandenen Schaden zu 100 %, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer feststehe, dass sich die Tiergefahr der Stute der Beklagten in dem Unfall verwirklicht habe, während eine Verwirklichung der Tiergefahr des Pferdes von Frau M oder ein Mitverursachungsbeitrag von ihrer Seite nicht habe nachgewiesen werden können. Zwischen den Parteien sei unstreitig, dass die Verletzungen und der Tod von Frau M kausal auf das Ausschlagen der Stute der Beklagten zurückzuführen sei. Damit habe sich die von diesem Tier ausgehende Gefahr in dem Unfall verwirklicht und die Tierhalterhaftung greife ein.
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Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe sich Frau M im Kopfbereich ihres mit der Hinterhand in Richtung der Bandentür stehenden Pferdes befunden, als die Beklagte ihre Stute in den Stall geführt, sie in einem Linksbogen schreitend gewendet und zur Bande geführt habe, wobei sie einen Abstand von zwei Metern zu Frau M und deren Pferd gehalten habe. Nachdem sich die beiden Frauen kurz unterhalten hätten, habe die Stute der Beklagten ausgeschlagen und Frau M getroffen. Dies ergebe sich aus der persönlichen Anhörung der Beklagten sowie den Angaben der Zeugin X.
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Was die Ursache des Ausschlagens der Stute gewesen sei, habe jedoch im Rahmen der Beweisaufnahme nicht geklärt werden können. Insbesondere habe der Sachverständige Dr. V weder einen Mitverschuldensbeitrag der Verstorbenen noch die Mitwirkung der Tiergefahr ihres Pferdes bestätigen können. Weder die Beklagte noch die Zeugin X hätten Angaben zu dem Verhalten der Verstorbenen und der Pferde unmittelbar vor dem Ausschlagen machen können. Nach den übereinstimmenden Angaben der Beklagten und der Zeugin X seien seit dem Eintreten der Beklagten zumindest mehrere Minuten vergangen, bis es zu dem Ausschlagen gekommen sei. Es lasse nach den schlüssigen nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. V in der mündlichen Verhandlung vom 30.03.2017 als unwahrscheinlich erscheinen, dass die Stute durch die Nähe der Tiere und eine dadurch hergestellte Unterschreitung der Individualdistanz oder ein etwaiges gegenseitiges Beschnuppern der Tiere beim Eintreten zum Ausschlagen veranlasst worden sei. Nachdem von der Beklagten und der Zeugin X geschilderten Ablauf blieben nach den Ausführungen des Sachverständigen zwei denkbare Geschehensabläufe. Entweder habe sich Frau M in der Weise bewegt, dass sie in die Schlagdistanz der Stute geraten sei oder die Stute habe sich mit der Hinterhand in ihre Richtung gewendet und ein oder zwei Schritte zurückbewegt. Der Kammer stünden jedoch keine weiteren Erkenntnismöglichkeiten zur Verfügung um aufzuklären, welcher dieser Geschehensabläufe sich tatsächlich zugetragen habe. Die bloße Anwesenheit des Pferdes der Verstorbenen rechtfertige nicht die Annahme, dass sich dessen Tiergefahr realisiert habe. Denn diese erfordere ein selbständiges Verhalten, das fehle, wenn keinerlei Eigenenergie des Tieres an dem Geschehen beteiligt sei.
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Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie eine Reduzierung ihrer Haftung auf 50 % verfolgt.
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Hierzu führt sie aus, das Landgericht habe nicht durch Grundurteil entscheiden dürfen, da es die Feststellungsanträge der Kläger nicht beschieden habe. Es habe, obgleich es den Hergang des Unfalls nicht genau habe klären können, die vom Pferd der Beklagten ausgehende Tiergefahr bejaht. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, wonach die Tierhalterhaftung einen Schaden als zur Wirklichkeit gewordene Gefahr voraussetze, könne die haftungsbegründende Kausalität im Zusammenhang mit Ansprüchen aus § 833 BGB nur festgestellt werden, wenn feststehe, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Schaden und einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbständigen Verhalten des Tieres bestehe, woran es fehle, wenn das Tier lediglich der Leitung und dem Willen des Menschen folge und der Schaden daraus resultiere, also vom Menschen beeinflusst sei. Eine spezifische Tiergefahr realisiere sich auch dann nicht, wenn ein Tier nicht selbst gesteuert handele, so bei Einwirkung äußerer Kräfte, die ihm keine andere Möglichkeit ließ, als die des schädigenden Verhaltens. Stehe der genaue Ablauf nicht fest, habe dies zu Lasten der darlegungs- und beweisbelasteten Anspruchsteller zu gehen.
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Bedenken bestünden insoweit auch deshalb, weil entgegen dem Vortrag der Kläger vom Landgericht zutreffend festgestellt worden sei, dass mehrere Minuten seit dem Betreten der Vorhalle durch die Beklagte vergangen seien, bevor es zu dem bedauerlichen Vorfall gekommen sei.
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Nach den Feststellungen des Sachverständigen, dass die Verstorbene im Bereich der linken Seite getroffen worden sei und im Übrigen am Kopf ihres Pferdes gestanden habe, habe dies zur Konsequenz, dass sie direkt in den Vorgang einbezogen gewesen sei und gesehen habe, dass das Pferd auf sie zugekommen sei. Da sie nur Verletzungen habe erleiden können, indem sie in den Distanzbereich des Pferdes gelangt sei, sei ein erheblicher Mitverursachungs- und Mitverschuldensbeitrag der Verstorbenen deshalb anzunehmen, weil sich das Geschehen vor ihr ereignet habe und sie habe sehen können, wie die Beklagte das Pferd führen würde und wie dieses sich ausrichten werde. Lege man dies zugrunde, komme es nicht darauf an, ob sich die Verstorbene selbst auf das Pferd zubewegt oder das Pferd der Beklagten die ursprüngliche Distanz von zwei Metern zur Verstorbenen durch Schritte zurück verkleinert habe. Die Verstorbene hätte deshalb die ursprüngliche Distanz zum Pferd der Beklagten beibehalten können und müssen.
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Gehe man nach den schriftlichen Ausführungen des Sachverständigen von der Regel aus, dass entgegen der geübten tatsächlichen Handhabung grundsätzlich ein Pferd nicht in den Vorraum gebracht werden dürfe, wenn dort bereits ein Pferd stehe, jedenfalls nicht ohne Vorankündigung und Abwarten bis zur Bestätigung, ergebe sich ein Mitverschulden der Verstorbenen noch aus einem anderen Gesichtspunkt. Sie habe es hingenommen, dass die Beklagte mit dem von ihr geführten Pferd den Vorraum betreten und sich mehrere Minuten dort aufgehalten habe. Sie habe weder verlangt, dass die Beklagte den Vorraum verlassen solle noch sie hierzu aufgefordert. Auch habe sie die jederzeit bestehende Möglichkeit, den Vorraum mit ihrem Pferd zu verlassen, nicht genutzt. Diesen Punkt habe die Kammer durchaus erkannt, letztlich aber im Urteil nicht erwähnt.
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Schließlich mache sich die Beklagte das bestrittene Vorbringen der Kläger, es sei stallbekannt, dass die Stute der Beklagten eine tiefe Abneigung gegen den Wallach der Verstorbenen gehegt habe, hilfsweise zu Eigen.
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Wegen des weiteren Vorbringens wird auf den Inhalt der Berufungsbegründung vom 26.07.2017 Bezug genommen.
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Die Kläger verteidigen die angefochtene Entscheidung mit näheren Ausführungen.
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Der Senat hat die Beklagte angehört sowie die Zeugin X vernommen und den Sachverständigen Dr. V ergänzend angehört. Insoweit wird auf den hierüber aufgenommenen Berichterstattervermerk verwiesen.
II
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Die zulässige Berufung der Beklagten hat Erfolg. Sie haftet den Klägern aus § 833 BGB wegen der von ihrem Pferd ausgehenden Tiergefahr nur in Höhe von 50 %, weil der verstorbenen Frau M ein auch der Tiergefahr entgegen zu haltendes Mitverschulden, § 254 BGB, anzulasten ist, welches der Senat als gleichrangig mit der den Unfall verursachenden Tiergefahr erachtet.
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Zunächst schließt sich der Senat auf der Basis der zutreffenden Feststellungen der angefochtenen Entscheidung dem Verdikt des Landgerichts an, dass der Unfall durch die vom Pferd der Beklagten ausgehende Tiergefahr verursacht wurde. Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass Frau M durch den Tritt der Stute der Beklagten getötet wurde. Damit hat sich das unberechenbare Tierverhalten in der konkreten Situation schadensstiftend ausgewirkt. Warum dies nach Ansicht der Berufung anders zu bewerten sein soll, weil sich der Unfallhergang nicht mehr im Detail rekonstruieren lässt, erschließt sich dem Senat nicht.
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Entgegen der Ansicht des Landgerichts lässt sich allerdings ein mitwirkendes Verschulden der Verstorbenen aufgrund der Angaben der Beklagten sowie der Zeugin X und den Ausführungen des Sachverständigen zur Überzeugung des Senats feststellen.
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Das Landgericht hat aufgrund der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme bereits festgestellt, dass, anders als in der Klageschrift angenommen, die verstorbene Frau M ihr Pferd mit dem Kopf zur Eingangstür ausgerichtet hatte und sich während des Gesprächs mit der Beklagten auf der linken Seite ihres Pferdes in Kopfhöhe befand. Die Tätigkeit des Auskratzens der Hufe war zu diesem Zeitpunkt beendet und beide Frauen unterhielten sich geraume Zeit.
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Geht man von dieser von der Beklagten und der Zeugin X erneut vor dem Senat bestätigten Situation aus, so hat sich das Pferd der Frau M vor dem Unfall zwischen ihrem eigenen Körper und dem Pferd der Beklagten sowie der Beklagten selbst befunden. Bei einem durch die Beweisaufnahme bestätigten Abstand zwischen den Hinterläufen des Pferdes der Beklagten zu dem Pferd der Frau M von zwei Metern hätten die Hufe des Pferdes der Beklagten diese selbst gar nicht treffen können, wenn es einige Schritte rückwärts gegangen wäre, und somit selbst die Distanz zwischen sich und der Verstorbenen in gefahrbringender Weise verkürzt hätte. Denn in diesem Fall hätte es mit seinen Hufen notwendigerweise das Pferd von Frau M, nicht aber deren Körper treffen können und müssen.
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Hinzu kommt, dass nach Angaben der Zeugin X, wie auch naheliegend ist, die beiden Damen im Gespräch einander zugewandt gewesen sein sollen. Damit ist nicht in Einklang zu bringen, dass sich die Verletzungen von Frau M auf der linken Körperseite befunden haben und sie nicht etwa frontal vom Huf des Pferdes der Beklagten getroffen wurde. Der Sachverständige hat aus dem Umstand, dass Frau M eine Verletzung auf der linken Körperseite davongetragen hat, geschlossen, dass dieser Umstand sehr gut zu einem Herumgehen der Verletzten um den Kopf ihres Pferdes passe, weil damit automatisch die linke Seite in Richtung des tretenden Pferdes gedreht werde.
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Des Weiteren hat der Sachverständige ausgeführt, dass sich der Unfall zwar dadurch ereignet haben könne, dass sich das Pferd der Beklagten einige Schritte zurück bewegt und so die schützende Distanz verkleinert haben könnte, zugleich jedoch das Rückwärtsgehen des Pferdes als eine eher hypothetische Möglichkeit bezeichnet. Grundsätzlich handele es sich bei Pferden um Fluchttiere, die nach vorne fliehen und sehr ungerne rückwärts gingen, weil sie nicht sehen könnten, was sich hinter ihnen befinde. Es sei nicht auszuschließen, jedoch recht unwahrscheinlich, dass ein Pferd rückwärts gehe, wenn es nicht von einem Menschen dazu gezwungen werde.
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Aufgrund dieser Ausführungen ist der Senat mit einer dem Maßstab des § 286 ZPO genügenden Gewissheit davon überzeugt, dass Frau M kurz vor dem Unfall um den Kopf ihres Pferdes herumgegangen ist mit der Folge, dass ihre linke Körperseite den Hinterläufen des Pferdes der Beklagten zugewandt wurde und sie in dessen Schlagdistanz trat. Weitere Folge dieses Verhaltens war, dass das Pferd der Beklagten, möglicherweise aus Schreck, was nicht näher aufklärbar ist, nach hinten ausschlug. Sämtliche genannten Indizien sowie der Umstand, dass ein selbständiges Zurückgehen des Pferdes der Beklagten nach den Ausführungen des Sachverständigen nur theoretischer Natur ist und die Beklagte ein solches Zurückgehen auch nicht bemerkt hat, obwohl sie das Pferd am Zügel hielt, lassen nur den Schluss auf ein entsprechendes Verhalten der Frau M zu. Ansonsten wäre auch nicht erklärlich, was das Pferd der Beklagten hätte veranlassen können, nach hinten auszuschlagen, als eine hinter sich wahrgenommene Bewegung.
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Ein weitergehendes Verschulden bei Entstehung des Unfalls vermag indes auch der Senat nicht festzustellen. Insbesondere ist das vom Sachverständigen als reiterischer Fehler bezeichnete Hereinführen des Pferdes in den engen Vorraum, in dem sich bereits ein Pferd befand, nicht zurechenbar kausal für den Unfall geworden, da dieser sich erst viel später und nachdem das hereingeführte Pferd in ausreichender Distanz und ruhig an der Bande stand, ereignete. Dementsprechend kann es auch Frau M nicht vorgeworfen werden, dass sie das Hereinkommen der Beklagten mit ihrem Pferd in den Vorraum duldete.
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Nach den obigen Feststellungen ist auch ein Mitwirken der Tiergefahr des Pferdes von Frau M an der Entstehung des Unfalls nicht gegeben. Auch der Sachverständigen vermochte ein solches nicht zu erkennen.
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Der Senat bewertet die beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge als gleichrangig. Wenngleich der Sachverständige ausgeführt hat, dass ein Verhalten wie das der Verstorbenen, den Sicherheitsabstand zu einem Pferd nicht einzuhalten, in der Praxis häufig vorkomme und es fraglich sei, ob es sich vor diesem Hintergrund um einen schweren Fehler handeln könne, bewertet der Senat das Verschulden der Frau M durchaus als erheblich. Denn der Sachverständige hat insoweit ausgeführt, dass hinter einem Pferd immer ein Sicherheitsabstand eingehalten werden müsse, weil ein Pferd sich erschrecken und dann ausschlagen könne. Dies sei jedem Reiter bekannt. Der Umstand, dass diese lebenswichtige Regel in der Praxis oft nicht eingehalten wird, vermag das Verhalten der Frau M nach Auffassung des Senats rechtlich nicht in einem milderen Licht erscheinen zu lassen, wenngleich es tatsächlich nachvollziehbar ist. Die Bewegungen der Frau M und des Pferdes sind hier als gleichrangige Ursachen des unglücklichen Unfallgeschehens anzusehen.
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Das Landgericht hätte nicht ohne Bescheidung der Feststellungsanträge die Klage für im Grunde nach gerechtfertigt erklären dürfen, weil Feststellungsanträge einem Grundurteil gem. § 304 ZPO nicht zugänglich und daher ausdrücklich zu bescheiden sind. Andernfalls besteht die Gefahr widerstreitender Urteile in zwei Instanzen, wenn der Senat von einer anderen Haftungsquote ausgeht als das Landgericht, wie vorliegend geschehen. Der Senat hat jedoch von einer Rückverweisung der Sache an das Landgericht nach § 538 Abs. 2 Nr. 7 ZPO abgesehen und die nicht beschiedenen Feststellungsanträge an sich gezogen.
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Diese sind angesichts der auf der Hand liegenden Unterhaltsschäden aller drei Kläger unter Berücksichtigung des Mitverschuldens der Frau M in Höhe von 50 % zulässig und begründet.
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Die Nebenentscheidung beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.