BGH, Urteil vom 05.12.1995 – VI ZR 332/94
Bei der Bemessung einer Geldentschädigung, die im Fall einer schweren Verletzung des Persönlichkeitsrechts zu zahlen ist, kommt dem Präventionsgedanken besondere Bedeutung zu (im Anschluß an das Senatsurteil vom 15. November 1994, VI ZR 56/94, BGHZ 128, 1 ff).
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 22. September 1994 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Die Klägerin, Caroline von Monaco, verlangt von der Beklagten, in deren Verlag u.a. die Wochenzeitschriften “frau aktuell” und “NEUE WELT” erscheinen, die Veröffentlichung einer Richtigstellung und Zahlung einer Geldentschädigung.
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Die beiden Wochenzeitschriften berichteten in ihren Ausgaben vom 19. Januar 1994 auf den Titelblättern und im Innern der Hefte über die Klägerin. Die Schlagzeile des Titelblatts von “frau aktuell” lautete “Caroline – Tapfer kämpft sie gegen Brustkrebs”, auf der Titelseite von “NEUE WELT” heißt es neben der Abbildung der Klägerin “Hilfe für Millionen Frauen – CAROLINE – Kampf gegen Brustkrebs”. Im Innenteil der Zeitschriften wird darüber berichtet, daß sich die Klägerin, die unstreitig selbst nicht an Brustkrebs erkrankt ist, für Vorsorgeuntersuchungen zur Erkennung von Brustkrebs einsetzt.
3
Die Klägerin erblickt in den Veröffentlichungen auf den Titelseiten eine Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts. Auf ein Aufforderungsschreiben hat sich die Beklagte hinsichtlich der Veröffentlichung auf dem Titelblatt von “frau aktuell” zur Unterlassung und zum Abdruck einer Widerrufserklärung verpflichtet sowie einen Betrag von 10.000 DM an die Klägerin gezahlt; bezüglich der Veröffentlichung auf der Titelseite der “NEUE WELT” wurde der Beklagten im Wege der einstweiligen Verfügung die Verbreitung der Äußerung “CAROLINE – Kampf gegen Brustkrebs” untersagt.
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Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin eine Richtigstellung verlangt, mit der in einer bestimmten Schriftart und Schriftgröße auf der Titelseite der “NEUE WELT” klargestellt wird, daß der durch die Veröffentlichung auf dem Titelblatt der Ausgabe vom 19. Januar 1994 erweckte Eindruck, sie sei an Brustkrebs erkrankt, unrichtig ist. Ferner hat die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Geldentschädigung begehrt, die für jede der beiden Veröffentlichungen 50.000 DM – für die Veröffentlichung in “frau aktuell” abzüglich der gezahlten 10.000 DM – betragen soll.
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Das Landgericht hat dem Richtigstellungsanspruch (mit Abstrichen bei der verlangten Buchstabengröße) stattgegeben und der Klägerin eine Geldentschädigung von 15.000 DM wegen der Titelveröffentlichung in “frau aktuell” (abzüglich der vorgerichtlich gezahlten 10.000 DM) und 5.000 DM wegen der Titelveröffentlichung in “NEUE WELT” zuerkannt.
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Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt; die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag und die Klägerin hat ihren Anspruch auf eine Geldentschädigung in der geltend gemachten Höhe weiterverfolgt. Die Rechtsmittel beider Parteien sind ohne Erfolg geblieben.
7
Mit ihrer Revision greift die Klägerin das Berufungsurteil an, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist. Die Beklagte erstrebt mit ihrer (unselbständigen) Anschlußrevision weiterhin die Abweisung der Klage. Der Senat hat die Revision der Klägerin angenommen und die Anschlußrevision der Beklagten nicht angenommen.
Entscheidungsgründe
I.
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Das Berufungsgericht hält den Richtigstellungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB für begründet; nach seiner Auffassung kann kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, daß die verbreitete Äußerung zumindest einem erheblichen Teil der Leser den Eindruck vermittelt, die Klägerin habe Brustkrebs. Durch die beanstandeten Veröffentlichungen werde die Klägerin so schwer in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt, daß ihr trotz der Richtigstellungen und der schon geleisteten Zahlung von 10.000 DM aus §§ 823, 847 BGB ein Anspruch auf Schmerzensgeld zustehe. Es sei grob fahrlässig gewesen, derartig mißverständlich formulierte Schlagzeilen auf den Titelblättern zu verwenden. Dabei werde die Intensität der Persönlichkeitsrechtsverletzung noch durch die hohe Auflage der beiden Zeitschriften gesteigert. Allerdings könne die Klägerin kein höheres Schmerzensgeld verlangen, als es ihr das Landgericht zuerkannt habe. Ein höherer Betrag gehe über die für ein Schmerzensgeld maßgebliche Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion hinaus; Gedanken der Gewinnabschöpfung und Strafsanktion könnten für die Bemessung eines Schmerzensgeldes bei einer Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht zum Tragen kommen.
II.
9
Die Erwägungen des Berufungsgerichts zur Höhe der Geldentschädigung halten den Angriffen der Revision nicht stand. Sie werden den Besonderheiten des vorliegenden Falles nicht gerecht.
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1. Allerdings geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, daß die Klägerin wegen der Schlagzeilen auf den beiden Titelblättern von der Beklagten eine Geldentschädigung verlangen kann. Das Berufungsgericht trifft jedoch mit seinen Erwägungen zur Höhe dieses Anspruchs nicht den entscheidenden rechtlichen Gesichtspunkt.
11
Die Klägerin hat durch diese Veröffentlichungen eine schwere Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts erlitten. Angaben über den Gesundheitszustand eines Menschen betreffen die durch Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG geschützte Privatsphäre (vgl. BVerfGE 32, 373, 379 f); das gilt, wie das Berufungsgericht mit Recht ausführt, erst recht für Angaben über eine so tückische und lebensbedrohende Erkrankung wie Brustkrebs. In tatrichterlicher Würdigung, die Rechtsfehler nicht erkennen läßt, ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß die mißverständnisträchtige Formulierung der Schlagzeilen auf den Titelblättern auf einer groben Pflichtverletzung der Verantwortlichen auf Seiten der Beklagten beruht. Darüber hinaus erhält der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin, wie das Berufungsgericht gleichfalls zutreffend erkennt, sein besonderes Gewicht durch die hohe Auflage der beiden Zeitschriften. Eine Rechtsverletzung dieses Schweregrades rechtfertigt einen Anspruch des Opfers auf Geldentschädigung.
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Das Berufungsgericht verfehlt indes den entscheidenden rechtlichen Ansatzpunkt, wenn es sich für die Bestimmung der Höhe dieser Geldentschädigung an den in BGHZ 18, 149 ff. für die Schmerzensgeldbemessung entwickelten Grundsätzen der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion orientiert. Zwar hat der Bundesgerichtshof den Anspruch auf Geldentschädigung in den Fällen einer schweren Verletzung des Persönlichkeitsrechts im Jahre 1958 zunächst aus einer Analogie zu § 847 BGB hergeleitet (BGHZ 26, 349, 356). Diese Begründung ist jedoch längst aufgegeben. Das Bundesverfassungsgericht hat in der sog. Soraya-Entscheidung aus dem Jahre 1973 die rechtliche Grundlage für einen solchen Geldleistungsanspruch in Art. 1 und 2 GG erblickt (BVerfGE 34, 269, 292). In Parallele hierzu geht der Bundesgerichtshof davon aus, daß es sich bei dem Anspruch auf Geldentschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht um ein Schmerzensgeld nach § 847 BGB, sondern um ein Recht handelt, das auf den Schutzauftrag aus Art. 1 und 2 Abs. 1 GG zurückgeht (vgl. etwa Senatsurteil vom 22. Januar 1985 – VI ZR 28/83 – VersR 1985, 391, 393; zuletzt Senatsurteil vom 15. November 1994 – VI ZR 56/94 – VersR 1995, 305, 309 = NJW 1995, 861, 864 f., zum Abdruck in BGHZ 128, 1 ff. vorgesehen).
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Die Herleitung dieses Anspruchs aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 und 2 GG hat Folgen für seine Höhe (vgl. hierzu BGB-RGRK/Dunz, 12. Aufl., Anh. I zu § 823 Rdnrn. 141 ff.). Die Zubilligung einer Geldentschädigung im Fall einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung beruht auf dem Gedanken, daß ohne einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktion blieben mit der Folge, daß der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde. Bei dieser Entschädigung steht – anders als beim Schmerzensgeld – regelmäßig der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers im Vordergrund. Außerdem soll sie der Prävention dienen (vgl. Senatsurteil vom 15. November 1994 – VI ZR 56/94 aaO. m.w.N.).
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Dies bedeutet, daß hier der Ausgleichsgedanke, auf den sich das Berufungsgericht bei der Bemessung der Geldentschädigung maßgeblich gestützt hat, zugunsten des Präventionsgedankens in den Hintergrund treten muß (vgl. BGB- RGRK/Dunz, aaO.).
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2. Ferner tragen die Erwägungen des Berufungsgerichts zur Höhe der Geldentschädigung nicht hinreichend den Besonderheiten Rechnung, die der Persönlichkeitsrechtsverletzung im vorliegenden Fall das Gepräge geben.
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In dem – allerdings erst nach der Verkündung des Berufungsurteils erlassenen – Senatsurteil vom 15. November 1994 (VI ZR 56/94 – aaO.), in dem es gleichfalls um Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin durch Veröffentlichungen in Zeitschriften ging, hat der Senat ausgeführt, daß in Fällen der vorliegenden Art besonders in Betracht zu ziehen ist, daß der Schädiger die Verletzung der Persönlichkeit seines Opfers als Mittel zur Auflagensteigerung und damit zur Verfolgung eigener kommerzieller Interessen eingesetzt hat. Im Streitfall wäre die Klägerin ebenso wie im damals entschiedenen Fall ohne eine für die Beklagte fühlbare Geldentschädigung einer rücksichtslosen Zwangskommerzialisierung ihrer Persönlichkeit weitgehend schutzlos ausgeliefert. “Fühlbar” in diesem Sinne ist eine Geldentschädigung entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts aber nicht schon dann, wenn sie in der der Klägerin zuerkannten Höhe unmittelbar den Gewinn der Beklagten schmälert, vielmehr ist sie erst dann geeignet, den aus dem Persönlichkeitsrecht des Opfers heraus gebotenen Präventionszweck zu erreichen, wenn sie der Höhe nach ein Gegenstück auch dazu bildet, daß hier das Persönlichkeitsrecht zum Zwecke der Gewinnerzielung verletzt worden ist. Das bedeutet zwar, wie das Berufungsgericht insoweit zu Recht ausführt, nicht, daß eine “Gewinnabschöpfung” vorzunehmen ist, wohl aber, daß – und insoweit entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – im Fall einer rücksichtslosen Vermarktung einer Persönlichkeit wie hier die Erzielung von Gewinnen aus der Rechtsverletzung als Bemessungsfaktor in die Entscheidung über die Höhe der Geldentschädigung mit einzubeziehen ist. In solchen Fällen muß von der Höhe der Geldentschädigung ein echter Hemmungseffekt ausgehen; als weiterer Bemessungsfaktor kann die Intensität der Persönlichkeitsrechtsverletzung berücksichtigt werden. Vorstellungen zur Höhe der Entschädigung, wie sie die Klägerin in ihren Anträgen zum Ausdruck gebracht hat, sprengen nicht den Rahmen dessen, was zu einer wirksamen Prävention als angemessen in Betracht kommt.
III.
17
Das Berufungsurteil war deshalb aufzuheben, soweit das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin auf eine höhere Geldentschädigung abgewiesen hat. Das Berufungsgericht erhält damit Gelegenheit, über die Höhe dieses Anspruchs im Lichte der vorstehenden Erwägungen erneut zu entscheiden. Diese Entscheidung ist in erster Linie Sache des Tatrichters (vgl. Senatsurteil vom 15. November 1994 – VI ZR 56/94 – aaO.).