LG Düsseldorf, Urteil vom 14. September 2006 – 31 O 12/06
Zur Haftung des Frachtführers wegen Frachtgutverlust bei Auslieferung der abzuliefernden Sendung an einen Nachbarn des Empfängers
Tenor
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 11.820,– € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.5.2005 zuzüglich weiterer 371,90 € zu zahlen.
2.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger macht Schadensersatzansprüche wegen eines Transportschadensfalles geltend. Im Einzelnen geht es um eine Sendung des Klägers vom 15.11.2004 an Herrn CC in KK, die der Beklagten zum Transport übergeben wurde.
Der Kläger trägt vor, die Sendung sei verloren gegangen. Die Beklagte habe für den durch den Verlust entstandenen Schaden in voller Höhe einzustehen. Aus dem Umstand, dass die Beklagte nicht in der Lage sei, den Verbleib der Sendung aufzuklären, folge, dass die Beklagte mangelhaft organisiert sei. Aus diesem Grund könne sie sich auf Haftungsbeschränkungen nicht berufen. Der ihm insgesamt durch den Verlust der Pakete, in denen sich die von ihm angegebenen Waren mit dem angegebenen Wert befunden hätten, entstandene Schaden belaufe sich unter Berücksichtigung vorgerichtlicher Kosten in Höhe von insgesamt 371,90 € auf 12.191,90 €.
Der Kläger beantragt,
wie erkannt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie macht geltend, die Sendung ordnungsgemäß ausgeliefert zu haben. Für betrügerische Handlungen Dritter habe sie wegen Ziff 8.3 ihrer Beförderungsbedingungen nicht einzustehen.
Die Kammer hat gemäß Beweisbeschluss vom 6.4.2006 Beweis erhoben. Auf das Ergebnis der Beweisaufnahme wird Bezug genommen.
Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Gründe
Die Klage ist, worauf im Termin zur mündlichen Verhandlung im Rahmen der Erörterung der Sach- und Rechtslage hingewiesen wurde, begründet. Die Beklagte hat für den Verlustschaden gemäß §§ 425, 431 HGB in Verbindung mit § 452 HGB einzustehen.
Die Beklagte kann sich gegenüber dem Anspruch des Klägers nicht mit Erfolg darauf berufen, sie habe das streitgegenständliche Paket ordnungsgemäß zugestellt. Denn für die von ihr aufgestellte Behauptung einer ordnungsgemäßen Zustellung ist die Beklagte darlegungspflichtig (vgl. BGH MDR 2001, 406). Die Darlegungen der Beklagten genügen aber bereits nicht den Anforderungen an substantiiertes Vorbringen im Zivilprozess, da sie nicht angibt, wann die Zustellung erfolgt sein soll. Im Übrigen ist die Zustellung der Sendung auch unstreitig nicht an den angegebenen Empfänger, sondern an Herrn NN erfolgt. Dass dieser sich unter der angegebenen Empfängeranschrift aufhielt, wird auch von der Beklagten nicht behauptet. Eine Auslieferung an einen Nachbarn führt allenfalls zur wirksamen Zustellung, wenn dieser entweder zur Entgegennahme der Sendung bevollmächtigt wurde oder die Sendung an den angegebenen Empfänger weiterleitet. Beides hat die Beklagte nicht behauptet. Sie kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht mit Erfolg auf Ziff. 10 ihrer Beförderungsbedingungen berufen. Denn diese Regelung ist unwirksam, da die Ablieferung einer Sendung zu den Kardinalpflichten eines Transportauftrages gehört, von denen durch allgemeine Geschäftsbedingungen nicht abgewichen werden kann (vgl. Palandt, 65. Aufl., RN 35 zu § 307 BGB).
In diesem Zusammenhang ist auch die Berufung der Beklagten auf den Haftungsausschluss unter Ziff. 8.3 ihrer Beförderungsbedingungen unwirksam, weil dieser Haftungsausschluss schon wegen § 449 HGB unwirksam ist.
Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme ist die Kammer davon überzeugt, dass die streitgegenständliche Sendung den vom Kläger behaupteten Inhalt hatte. Die Zeugin JJ, an deren Glaubwürdigkeit zu Zweifeln die Kammer keine Veranlassung hat, hat bestätigt, den Sendungsinhalt vor Übergabe an den Fahrer der Beklagten selbst kontrolliert zu haben.
Hinsichtlich des Werts der jeweiligen Sendung ergibt sich die Höhe des Anspruchs aus der von der Klägerin überreichten Handelsrechnung (vgl. auch die Regelung in § 429 Abs. 3 Satz 2 HGB). Angesichts der überreichten Rechnung reicht ein bloßes Bestreiten des Werts bzw. des Zustands der Ware durch die Beklagte nicht aus.
Die Vermutungswirkung für den Wert der Sendung aus § 429 Abs. 3 Satz 2 HGB entfällt auch nicht deshalb, weil die Klägerin keine Wertdeklaration vorgenommen hat. Denn gemäß § 292 ZPO reicht es nicht aus, Zweifel an der im Gesetz aufgestellten Vermutung vorzutragen. Vielmehr ist lediglich der Beweis des Gegenteils zulässig; an einem entsprechenden Beweisantritt der Beklagten fehlt es.
Es liegt kein dem Kläger gemäß §§ 254 Abs. 1, 254 Abs. 2 BGB zurechenbares Mitverschulden im Zusammenhang mit dem Wert der Sendung vor. Der Kläger hat es weder vorwerfbar unterlassen, die Beklagte auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadenseintritts hinzuweisen, noch hat er die Beförderung als Wertpaket durch sein Verhalten verhindert. Denn zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Beklagte bei Übergabe der Sendung aufgrund der vom Kläger vorgenommenen Wertdeklaration Kenntnis von deren Wert erhalten hat. Gleichwohl hat die Beklagte die Sendung ohne Vorbehalt entgegengenommen.
Die entstandenen vorgerichtlichen Anwaltskosten schuldet die Beklagte in Höhe von 361,90 € gemäß § 280 BGB. Sie befand sich zum Zeitpunkt der Einschaltung aufgrund ihrer endgültigen Ablehnung der geltend gemachten Forderung in Verzug und schuldet daher die der Höhe nach unstreitige nicht anzurechnende Geschäftsgebühr (vgl. Vorb. 3 Ziff. 4 zu Teil 3 des VV zum RVG). Auf den Haftungsausschluss in ihren Beförderungsbedingungen kann die Beklagte sich insoweit schon deshalb nicht berufen, weil dieser im Fall des hier vorliegenden leichtfertigen Verhaltens nicht wirksam ist. Die Beklagte hat den vollen Schaden zu ersetzen, da zu unterstellen ist, dass die Verluste durch qualifiziertes Verschulden ihrer Leute eingetreten sind. Zwar hat der Kläger nicht, was grundsätzlich ihm obliegen würde, die Umstände, die auf Vorsatz oder Leichtfertigkeit der Beklagten schließen lassen, dargelegt und unter Beweis gestellt. Dies gereicht ihm aber nicht zum Nachteil. Wenn auch grundsätzlich der Anspruchsteller derartige Umstände vorzutragen hat, so trifft andererseits nach dem auch im Prozessrecht anzuwendenden Grundsatz von Treu und Glauben den Prozessgegner eine Einlassungsobliegenheit für solche Umstände, die gänzlich außerhalb der Wahrnehmungssphäre der darlegungs- und beweisbelasteten Partei liegen, dann, wenn ihr die Darlegung möglich und zumutbar ist. Insbesondere konstatiert die Rechtsprechung im Transportrecht eine Pflicht des Frachtführers oder Spediteurs, zu seiner Organisation allgemein und zu deren Befolgung im konkreten Schadensfalls vorzutragen, soweit – wie üblich – der Versender mangels Überblick hierzu nicht in der Lage ist. Soweit der Transportführer dieser Einlassungsobliegenheit nicht nachkommt, sei es, weil er Einzelheiten nicht offen legen will oder in Unkenntnis der Umstände nicht kann, spricht eine widerlegbare Vermutung für qualifiziertes Verschulden (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 20. Juni 2001, 18 U 235/00).
An einem entsprechenden Vortrag der Beklagten fehlt es vorliegend.
Letztlich verstieß die Einschaltung eines Rechtsanwalts auch nicht gegen eine dem Kläger obliegende Schadensminderungspflicht. Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich nicht um eine einfache Rechtssache, was sich schon aus dem vorliegenden Verfahren ergibt.
Vorgerichtliche Kosten in Höhe von 10,– € sind ebenfalls gemäß § 280 BGB begründet. Der Kläger hat einen entsprechenden Aufwand mit Schriftsatz vom 13.2.2006 belegt.
Der Zinsanspruch der Klägerin ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.