Zur Zulassung der Revision bei Wegfall des Zulassungsgrundes einer Nichtzulassungsbeschwerde aufgrund einer zwischenzeitlichen Entscheidung des BGH in anderer Sache

BGH, Beschluss vom 09. März 2021 – VI ZR 889/20

1. War im Zeitpunkt der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde ein Zulassungsgrund gegeben und ist dieser zwischenzeitlich durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs in anderer Sache entfallen, ist die Revision zuzulassen, wenn dem Rechtsmittel Erfolgsaussichten beizumessen sind.

2. Für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB ist in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln und das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen.

3. Zur Frage, ob das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen in der gebotenen Gesamtbetrachtung als sittenwidrig zu qualifizieren ist, wenn mit dem zur Beseitigung einer unzulässigen Prüfstandserkennungssoftware entwickelten Software-Update eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) implementiert wird.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 7. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 25. Mai 2020 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens.

Beschwerdewert: 27.450 €.

Gründe
I.

1
Der Kläger nimmt den beklagten Fahrzeughersteller auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Anspruch.

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Der Kläger erwarb am 16. September 2016 von der V. GmbH einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten Pkw VW Tiguan 2.0 TDI. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Die Motorsteuerung des Fahrzeugs war mit einer das Abgasrückführungsventil steuernden Software ausgestattet, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wurde, und schaltete in diesem Falle in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid-optimierten Modus. In diesem Modus fand eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltete der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.

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Vor Abschluss des Kaufvertrags, am 22. September 2015, hatte die Beklagte eine Ad-hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG a.F. veröffentlicht, wonach bei weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA189 eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt worden sei, sie mit Hochdruck daran arbeite, die Abweichungen mit technischen Maßnahmen zu beseitigen und dazu in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) stehe. Das KBA sah die genannte Software als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 an und verpflichtete die Beklagte mit Bescheid vom 15. Oktober 2015, die Abschalteinrichtung zu „entfernen“ und „geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftmäßigkeit zu ergreifen“. Die Beklagte entwickelte daraufhin ein Software-Update, das das KBA als geeignet zur Herstellung der Vorschriftsmäßigkeit auch des hier streitgegenständlichen Fahrzeugtyps ansah. Der Kläger ließ das Software-Update im Dezember 2016 durchführen.

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Mit seiner Klage begehrt der Kläger im Wesentlichen die (Rück-)Zahlung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs. Er macht geltend, das Verhalten der Beklagten sei bis zum Abschluss des Kaufvertrags sittenwidrig geblieben. Mit dem Software-Update sei eine neue unzulässige Abschaltvorrichtung in Form eines Thermofensters implementiert worden.

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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB und aus § 826 BGB bestünden nicht. Es fehle an der Erregung eines Irrtums und an der Sittenwidrigkeit der behaupteten Schädigungshandlung, weil der Kläger das Fahrzeug erst zwölf Monate nach Bekanntwerden des sog. Abgasskandals gekauft habe, als diese Thematik die täglichen Nachrichten bereits monatelang beherrscht habe. Im Übrigen zeige auch die Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015, dass die Beklagte zumindest ab diesem Zeitpunkt keinen Täuschungsvorsatz mehr gehabt habe. Das Oberlandesgericht hat die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

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Nach Auffassung des Berufungsgerichts stehen dem Kläger deliktische Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte nicht zu. Zwar habe die Beklagte im Motorsteuergerät der betroffenen Fahrzeuge eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verwendet. Bei dem hier vorliegenden Erwerb nach Bekanntwerden des „Dieselskandals“ fehle es aber sowohl an der Erregung eines Irrtums als auch an einer sittenwidrigen Handlungsweise der Beklagten. Der Kläger habe Kenntnis sowohl vom „Dieselskandal“ als auch von der Betroffenheit des erworbenen Fahrzeugs gehabt. Die Sittenwidrigkeit des ursprünglichen Verhaltens der Beklagten dauere auch nicht deshalb fort, weil das vom Kläger aufgespielte Software-Update nach seiner Behauptung eine unzulässige Abschaltvorrichtung in Gestalt eines Thermofensters enthalte. Das Software-Update sei vom Kraftfahrtbundesamt genehmigt und seine Installation von ihm gefordert worden, so dass hierdurch bereits begrifflich nicht mehr eine sittenwidrige Schädigung des Klägers bewirkt werden könne. Denn für das Urteil der Sittenwidrigkeit genüge nicht jedweder Verstoß, sondern es müsse sich nach der Rechtsprechung um „Auswüchse“ bzw. mit den „Grundbedürfnissen loyaler Rechtsgesinnung“ unvereinbares Verhalten handeln. Ein solches Verhalten liege bei der Beklagten jedenfalls dann nicht mehr vor, wenn sie sich mit ihrem weiteren Verhalten an Vorgaben einer staatlichen Stelle halte und eine sittenwidrige Schädigung oder zum Schadensersatz verpflichtende Täuschung allein aufgrund des ursprünglichen Inverkehrbringens des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs wie im Streitfall nicht mehr in Betracht komme.

III.

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Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht begründet. Sie macht ohne Erfolg geltend, die Sache habe im Zeitpunkt ihrer Einlegung in Hinblick auf die Frage grundsätzliche Bedeutung gehabt, ob die Beklagte auch in Bezug auf Fahrzeugkäufe sittenwidrig gehandelt habe, die erst nach Aufdeckung des Diesel-skandals stattgefunden haben; diese Frage sei erst durch das Senatsurteil vom 30. Juli 2020 (VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715) geklärt worden.

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Zwar verweist die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht darauf, dass die Revision auch dann zuzulassen ist, wenn im Zeitpunkt der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde ein Zulassungsgrund gegeben war und dieser zwischenzeitlich durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs in anderer Sache entfallen ist, sofern dem Rechtsmittel nur Erfolgsaussichten beizumessen sind (BVerfGK 18, 105, juris Rn. 22 f.; BGH, Beschlüsse vom 6. Mai 2004 – I ZR 197/03, NJW 2004, 3188, juris Rn. 13 f.; vom 27. Oktober 2004 – IV ZR 386/02, NJW-RR 2005, 438, juris Rn. 9; vom 8. September 2004 – V ZR 260/03, NJW 2005, 154 Leitsatz 2 und juris Rn.16, 20; vom 29. Juni 2010 – X ZR 51/09, NJW 2010 Rn. 10 f.; MünchKommZPO/Krüger, 6. Aufl., § 544 Rn. 26; Musielak/Voit/Ball, ZPO, 17. Aufl., § 544 Rn. 22b).

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An der zuletzt genannten Voraussetzung fehlt es im Streitfall aber. Die beabsichtigte Revision des Klägers hat keine Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass dem Kläger keine Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zustehen.

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1. Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 oder aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB, § 31 BGB bestehen nicht (vgl. Senatsurteile vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 10 ff., 17 ff.; vom 8. Dezember 2020 – VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 20). Dies macht die Nichtzulassungsbeschwerde auch nicht geltend.

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2. Dem Kläger steht auch kein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Die Nichtzulassungsbeschwerde wendet sich ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe dem Kläger nicht in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise Schaden zugefügt.

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a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der in einer Gesamtschau durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr., s. nur Senatsurteile vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 29; vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 15). Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (Senatsurteile vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 29; vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 15; vom 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250 Rn. 16 mwN). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (Senatsurteile vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 29; vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 15; vom 7. Mai 2019 – VI ZR 512/17, NJW 2019, 2164 Rn. 8 mwN; Senatsbeschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, ZIP 2021, 297 Rn. 14).

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Fallen die erste potenziell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens – wie im Streitfall – zeitlich auseinander, ist der Bewertung eines schädigenden Verhaltens als (nicht) sittenwidrig das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten zugrunde zu legen. Denn im Falle der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB wird das gesetzliche Schuldverhältnis erst mit Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten begründet; der haftungsbegründende Tatbestand setzt die Zufügung eines Schadens zwingend voraus. Deshalb kann im Rahmen des § 826 BGB ein Verhalten, das sich gegenüber zunächst betroffenen (anderen) Geschädigten als sittenwidrig darstellte, aufgrund einer Verhaltensänderung des Schädigers vor Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten diesem gegenüber als nicht sittenwidrig zu werten sein.

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Ob das Verhalten des Anspruchsgegners sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB ist, ist dabei eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Kontrolle des Revisionsgerichts unterliegt (Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 14; Senatsbeschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, ZIP 2021, 297 Rn. 15, jeweils mwN).

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b) Nach diesen Grundsätzen ist das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen im Verhältnis zum Kläger nicht als sittenwidrig zu qualifizieren. Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit ist angesichts der von der Beklagten ab dem 22. September 2015 ergriffenen Maßnahmen bei der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht gerechtfertigt.

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aa) Zugunsten des Klägers kann zunächst unterstellt werden, dass die Beklagte ihre Fahrzeuge mit Dieselmotoren der Baureihe EA189 – so auch das vom Kläger erworbene – auf der Grundlage einer grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse mit einer Motorsteuerungssoftware ausgestattet hat, die bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten wurden (Umschaltlogik), und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielte. Weiter unterstellt werden kann, dass die Beklagte die mit dieser offensichtlich unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeuge sodann unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzten, in den Verkehr gebracht und dabei die damit einhergehende Belastung der Umwelt und die Gefahr, dass bei einer Aufdeckung dieses Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte, in Kauf genommen hatte. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu den Personen, die eines der betroffenen Fahrzeuge vor den von der Beklagten im September 2015 ergriffenen Maßnahmen erwarben und keine Kenntnis von der illegalen Abschalteinrichtung hatten, objektiv sittenwidrig; es steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung dieser Personen in der Bewertung gleich (vgl. Senatsurteile vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 33; vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 16 ff., 23, 25; Senatsbeschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, ZIP 2021, 297 Rn. 17).

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bb) Die Beklagte hat ihr Verhalten aber im September 2015 nach außen erkennbar maßgeblich geändert. Denn sie ist an die Öffentlichkeit getreten, hat Unregelmäßigkeiten eingeräumt und Maßnahmen zur Beseitigung des gesetzwidrigen Zustandes erarbeitet, um die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung zu bannen. Hierdurch wurden wesentliche Elemente, die ihr bisheriges Verhalten gegenüber bisherigen Käufern von Fahrzeugen mit Dieselmotoren der Baureihe EA189 als besonders verwerflich erscheinen ließen, derart relativiert, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gegenüber dem Kläger und im Hinblick auf den Schaden, der bei ihm durch den Abschluss eines ungewollten Kaufvertrags im September 2016 entstanden sein könnte, nicht gerechtfertigt ist (vgl. Senatsurteile vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 34, 37; vom 8. Dezember 2020 – VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 14, 17). Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen kann das Verhalten der Beklagten bei der gebotenen Gesamtbetrachtung insbesondere nicht einer arglistigen Täuschung des Klägers gleichgesetzt werden (vgl. Senatsurteile vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 38; vom 8. Dezember 2020 – VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 17).

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(1) Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts, auf die das Berufungsgericht Bezug genommen hat, veröffentlichte die Beklagte am 22. September 2015 eine Ad-hoc-Mitteilung. Darin teilte sie mit, dass bei weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA189 eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt worden sei, sie mit Hochdruck daran arbeite, die Abweichungen mit technischen Maßnahmen zu beseitigen, dazu in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem KBA stehe und für notwendige Servicemaßnahmen an den betroffenen Motoren rund 6,5 Milliarden Euro zurückstelle. Wie die Nichtzulassungsbeschwerde ausdrücklich hervorhebt, gab die Beklagte darüber hinaus eine im Wesentlichen gleichlautende Presseerklärung heraus und schaltete eine Webseite frei, auf der durch Eingabe der Fahrzeug-Identifikationsnummer überprüft werden kann, ob ein konkretes Fahrzeug mit der Abschalteinrichtung versehen ist.

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(2) Bereits die Ad-hoc-Mitteilung der Beklagten vom 22. September 2015 war objektiv geeignet, das Vertrauen potenzieller Käufer von Gebrauchtwagen mit VW-Dieselmotoren des Typs EA189 in eine vorschriftsgemäße Abgastechnik zu zerstören, diesbezügliche Arglosigkeit also zu beseitigen. Aufgrund der Verlautbarung und ihrer als sicher vorherzusehenden medialen Verbreitung war typischerweise nicht mehr damit zu rechnen, dass Käufer von gebrauchten VW-Fahrzeugen mit Dieselmotoren der Baureihe EA189 die Erfüllung der hier maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben noch als selbstverständlich voraussetzen würden. Für das bewusste Ausnutzen einer diesbezüglichen Arglosigkeit dieser Käufer war damit kein Raum mehr; hierauf konnte das geänderte Verhalten der Beklagten nicht mehr gerichtet sein (vgl. Senatsurteile vom 8. Dezember 2020 – VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 15, 17; vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 37).

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Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde einzelne Sätze der Ad-hoc-Mitteilung beanstandet, sieht der Senat keinen Anlass zu einer Änderung dieser Bewertung. Denn die angesprochenen Passagen relativieren, worauf es für die Bewertung des Senats maßgeblich ankommt, nicht die erfolgte, mit einer Gewinnwarnung verbundene Offenlegung einer auffälligen – elf Millionen Fahrzeuge desselben Motortyps (EA189) betreffenden, technische Maßnahmen in Abstimmung mit dem KBA erfordernden und Rückstellungen von rund 6,5 Milliarden Euro auslösenden – Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb. Angesichts der mitgeteilten Informationen zu Fahrzeugen mit Dieselmotoren vom Typ EA189, insbesondere der hohen Zahl der betroffenen Fahrzeuge, des erheblichen Beseitigungsaufwands und der erfolgten Einbindung der zuständigen Behörden war bei objektiver Betrachtung davon auszugehen, dass potenzielle Käufer von Gebrauchtwagen mit VW-Dieselmotoren der Baureihe EA189 die Erfüllung der maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben nach der Veröffentlichung und der als sicher vorherzusehenden medialen Verbreitung der Mitteilung nicht mehr als selbstverständlich voraussetzen würden. Dies gilt umso mehr, als nach den Feststellungen des Berufungsgerichts über die Verwendung der Abschalteinrichtung in Dieselmotoren vom Typ EA189 ab September 2015 in den Medien umfangreich berichtet und in der breiten Öffentlichkeit diskutiert worden ist und sie unter Bezeichnungen wie „Dieselskandal“, „VW-Abgasskandal“ monatelang ein die Nachrichten beherrschendes Thema war.

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Anders als die Nichtzulassungsbeschwerde meint, kommt es auch nicht darauf an, ob die Angaben der Beklagten im ersten Absatz in ihrer Ad-hoc- und ihrer Pressemitteilung vom 15. September 2015, „Die aktuell in der Europäischen Union angebotenen Neuwagen mit Dieselantrieb EU 6 aus dem Volkswagen Konzern erfüllen die rechtlichen Anforderungen und Umweltnormen“, unrichtig sind oder nicht. Vorliegend steht allein in Frage, ob das Verhalten der Beklagten gegenüber dem Kläger und im Hinblick auf den Schaden, der ihm durch den Abschluss eines ungewollten Kaufvertrags im September 2016 entstanden sein könnte, als sittenwidrig zu bewerten ist. Denn wie unter a) ausgeführt, muss den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade in Bezug auf die Schäden desjenigen treffen, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht. Der Kläger hatte aber einen Gebrauchtwagen mit einem Dieselmotor des Typs EA189, Schadstoffnorm Euro 5 erworben, was ihm – ohne dass es für die Entscheidung darauf ankäme – ausweislich der Feststellungen des Berufungsgerichts bei Abschluss des Kaufvertrags auch bekannt war. Für das bewusste Ausnutzen einer Arglosigkeit von Käufern derartiger Fahrzeuge war nach der Verlautbarung der Ad-hoc-Mitteilung der Beklagten aber – wie ausgeführt – kein Raum mehr.

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(3) Entgegen der Auffassung der Nichtzulassungsbeschwerde sind die unter (1) dargestellten Maßnahmen der Beklagten für das Ergebnis der Sittenwidrigkeitsprüfung nicht deshalb irrelevant, weil die Beklagte nicht sichergestellt hatte, dass ihre Informationen tatsächlich jeden potenziellen Käufer erreichten und einen Fahrzeugerwerb in Unkenntnis der Abschalteinrichtung in jedem Einzelfall verhinderten (vgl. Senatsurteile vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 38; vom 8. Dezember 2020 – VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 18). Anders als die Nichtzulassungsbeschwerde meint, traf die Beklagte zur Vermeidung des Sittenwidrigkeitsvorwurfs nicht die Verpflichtung, jeden potentiellen Käufer über die für seine Kaufentscheidung wesentlichen Gesichtspunkte und die Mängel des Kaufgegenstands vollständig aufzuklären. Die von der Nichtzulassungsbeschwerde in diesem Zusammenhang gezogene Parallele zur Instruktionspflicht des Produktherstellers verfängt nicht. Sie betrifft eine völlig andere Interessenlage. Unabhängig davon, ob sie als deliktische Verkehrspflicht aus § 823 Abs. 1 BGB oder aus § 3 Abs. 1 lit. a ProdHaftG abgeleitet wird (vgl. Senatsurteil vom 16. Juni 2009 – VI ZR 107/08, BGHZ 181, 253 Rn. 12; Staudinger/Oechsler, BGB, Neubearbeitung 2018, § 3 ProdHaftG Rn. 47 f.), bezweckt sie den Schutz hier nicht in Rede stehender absoluter Rechtsgüter und damit des Integritätsinteresses des Produktnutzers oder Dritter. Sie soll dem Produktnutzer Klarheit über die von dem Produkt unter Umständen ausgehenden Gefahren für nach § 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG, § 823 Abs. 1 BGB geschützte Rechtsgüter verschaffen und ihn in die Lage versetzen, von der Verwendung des Produkts Abstand zu nehmen oder den Gefahren so weit wie möglich entgegenzuwirken (vgl. Senatsurteil vom 16. Juni 2009 – VI ZR 107/08, BGHZ 181, 253 Rn. 23; BGH, Urteil vom 19. Februar 1975 – VIII ZR 144/73, BGHZ 64, 46 juris Rn. 11 f.). Sie soll hingegen weder die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit des Produkterwerbers noch dessen Interesse am Erhalt und an der Nutzung einer mangelfreien Sache (Äquivalenzinteresse) gewährleisten (vgl. Senatsurteile vom 16. Juni 2009 – VI ZR 107/08, BGHZ 181, 253 Rn. 12, 23; vom 17. März 2009 – VI ZR 176/08, VersR 2009, 649, juris Rn. 6, 8; Katzenmeier/Voigt, ProdHaftG, 7. Aufl. 2020, ProdHaftG § 1 Rn. 2 Fn. 5, § 3 Rn. 2; Deutsch, JZ 1989, 465, 467; zur Haftung für wirkungslose Produkte, deren Verwendungszweck es ist, Integritätsinteressen des Verbrauchers zu schützen: Senatsurteile vom 17. März 1981 – VI ZR 191/79, BGHZ 80, 186 und VI ZR 286/78, BGHZ 80, 199; vom 18. September 1984 – VI ZR 51/83, VersR 1984, 1151; Senatsbeschluss vom 2. Juli 2019 – VI ZR 42/18, VersR 2019, 1385).

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(4) Entgegen der Auffassung der Nichtzulassungsbeschwerde wird die Bedeutung der unter (1) dargestellten Maßnahmen der Beklagten für das Ergebnis der Sittenwidrigkeitsprüfung nicht dadurch relativiert, dass die Beklagte ihre Bemühungen, den gesetzeswidrigen Zustand zu beseitigen, lediglich vorgespiegelt, eine Täuschung durch eine andere ersetzt und damit ihr verwerfliches Verhalten nur in veränderter Weise fortgesetzt hätte.

24
(a) Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde geltend macht, die Beklagte habe mit dem Software-Update lediglich ein weiteres Mal eine von vornherein rechtswidrige Beseitigungsmaßnahme entwickelt und genehmigen lassen, zeigt sie keinen vom Berufungsgericht übergangenen Tatsachenvortrag auf, dem die Behauptung einer erneuten Täuschung des KBA entnommen werden könnte. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen kann von einer solchen neuerlichen Täuschung des KBA nicht ausgegangen werden. Nach den ausdrücklichen Feststellungen des Berufungsgerichts (vgl. S. 2 des Hinweisbeschlusses und S. 5 des Zurückweisungsbeschlusses) hat das KBA, das die Umschaltlogik als unzulässige Abschalteinrichtung beanstandet und die Beklagte verpflichtet hatte, einen vorschriftsmäßigen Zustand herzustellen, die von der Beklagten daraufhin entwickelte technische Lösung in Form des Software-Updates genehmigt und die Beklagte aufgefordert, das Update aufzuspielen. Anhaltspunkte dafür, dass sich das KBA ein weiteres Mal über die Arbeitsweise des für den Motor EA189 entwickelten Emissionskontrollsystems im Irrtum befunden hätte, sind weder ersichtlich noch dargetan.

25
(b) Die Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten setzte sich auch nicht deshalb in lediglich veränderter Form fort, weil die Beklagte mit dem Software-Update eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) implementiert hat. Zwar ist mangels abweichender Feststellungen für die revisionsrechtliche Überprüfung von dem Vortrag des Klägers auszugehen, wonach die Abgasrückführung in den mit einem Motor des Typs EA189 versehenen Fahrzeugen nach dem Software-Update nur bei Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius in vollem Umfang stattfindet und außerhalb dieser Bedingungen deutlich reduziert wird.

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Dies rechtfertigt den Vorwurf besonderer Verwerflichkeit in der gebotenen Gesamtbetrachtung aber nicht. Dabei kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist (vgl. zu Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 auch EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 – C-693/18, Celex-Nr. 62018CJ0693; OGH Österreich, Vorabentscheidungsersuchen vom 17. März 2020 – 10 Ob 44/19x, RZ 2020, 212 EÜ235 – beim EuGH geführt unter C-145/20). Der darin liegende – unterstellte – Gesetzesverstoß reicht aber nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung des Software-Updates, an denen es im Streitfall fehlt.

27
(aa) Entgegen der Auffassung der Nichtzulassungsbeschwerde ist die Applikation einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems nicht mit der Verwendung der Prüfstandserkennungssoftware zu vergleichen, die die Beklagte zunächst zum Einsatz gebracht hatte. Während letztere, wie unter aa) ausgeführt, unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielte und einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleichsteht, ist der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems nicht von vornherein durch Arglist geprägt (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, ZIP 2021, 297 Rn. 17 f.). Sie führt nicht dazu, dass bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und der Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert wird, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand etc., vgl. Art. 5 Abs. 3 a) der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 i.V.m. Art. 3 Nr. 1 und 6, Anhang III der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung 715/2007/EG (ABl. L 199 vom 28. Juli 2008, S. 1 ff.) in Verbindung mit Abs. 5.3.1 und Anhang 4 Abs. 5.3.1, Abs. 6.1.1 der UN/ECE-Regelung Nr. 83 (ABl. L 375 vom 27. Dezember 2006, S. 246 ff.) entspricht die Rate der Abgasrückführung im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand.

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(bb) Bei dieser Sachlage hätte sich die Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten durch die Implementation des Thermofensters nur dann fortgesetzt, wenn zu dem – hier unterstellten – Verstoß gegen Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung des Software-Updates weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Applikation der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine (weitere) unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt.

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Die Nichtzulassungsbeschwerde zeigt aber keinen in den Tatsacheninstanzen übergangenen Sachvortrag des insoweit darlegungsbelasteten Klägers (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 35; Senatsbeschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, juris Rn. 19) auf, dem für ein solches Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen sprechende Anhaltspunkte zu entnehmen wären.

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(c) Eine abweichende Beurteilung ist auch nicht deshalb geboten, weil das von der Beklagten im Anschluss an ihre Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015 entwickelte Software-Update nach der mangels abweichender Feststellungen revisionsrechtlich zu unterstellenden Behauptung des Klägers negative Auswirkungen auf den Kraftstoffverbrauch und den Verschleiß der betroffenen Fahrzeuge hat. Dies rechtfertigt den Vorwurf besonderer Verwerflichkeit in der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht. Der Umstand, dass mit dem Update nicht nur die unzulässige Manipulationssoftware entfernt wird, sondern auch eine – unterstellt nachteilige – Veränderung des Kraftstoffverbrauchs oder sonstiger Parameter verbunden ist, reicht nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren.

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cc) Die weiteren Rügen hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer näheren Begründung wird abgesehen (§ 544 Abs. 6 Satz 2 ZPO).

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