OLG Frankfurt, Urteil vom 24.02.2011 – 3 U 140/10
Zu den Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht des Veranstalters eines Bundesliga-Fußballspiels.(Rn.14)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt a. M. vom 22.04.2010 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
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Die Beklagte veranstaltete am ….2008 das Bundesligafußballspiel A gegen B in der …. in Stadt1. Der Beklagte war bei diesem Spiel als Rasenpfleger für den Stadionbetreiber, die C GmbH eingesetzt. Während des Spiels kam es – vermutlich aus einem mit Anhängern des B besetzten Block heraus – zur Zündung mehrerer Feuerwerkskörper.
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Der Kläger hat behauptet, er habe sich zu diesem Zeitpunkt weisungsgemäß in der Nähe eines der vier Marathontore aufgehalten. Zumindest ein Feuerwerkskörper sei in der Nähe seines Kopfes explodiert. Er habe dadurch einen Tinnitus verbunden mit einer Minderung der Hörfähigkeit auf einem Ohr um 35% als Dauerschaden erlitten. Zudem leide er unter Kopfschmerzen, Schwindel und Schlafstörungen.
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Mit der vorliegenden Klage hat der Kläger ein unbeziffertes Schmerzensgeld, Ersatz seines Verdienstausfalls und Feststellung der Ersatzpflicht aller sonstige Schäden begehrt.
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Die Beklagte hat geltend gemacht, alles ihr Mögliche und Zumutbare zur Vermeidung des Mitführens von Sprengkörpern getan zu haben.
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Das Landgericht hat die Klage nach Vernehmung von zwei Zeugen, die für die Einlasskontrollen verantwortlich waren, mit Urteil vom 22.04.10 – auf dessen tatsächliche Feststellungen im Übrigen Bezug genommen wird – abgewiesen, weil eine Verletzung der Sicherungspflichten durch die Beklagte nicht feststellbar sei.
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Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der sein erstinstanzliches Begehr weiter verfolgt und seinen erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und vertieft. Er ist insbesondere der Auffassung, es sei möglich, zumutbar und erforderlich gewesen, Kontrollen insbesondere der Gästefans in größerer Zahl und höherer Intensität durchzuführen. Er rügt, dass das Landgericht Widersprüche in den Aussagen der beiden Zeugen nicht hinreichend gewürdigt habe.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
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Die Berufung ist zulässig, insbesondere an sicht statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
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In der Sache hat sie keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen dem Berufungsverfahren zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).
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Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Beklagten eine Verletzung der sie als Veranstalterin eines Bundesligafußballspiels treffenden Verkehrssicherungspflicht nicht vorzuwerfen ist.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, ist derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern (vgl. BGH VersR 1990, 498, 499; BGH VersR 2002, 247, 248; BGH VersR 2003, 1319; BGH VersR 2005, 279, 280 BGH VersR 2006, 233, 234; BGH VersR 2007, 659, 660 – jeweils m.w.N.). Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Sie kann sich auch auf Gefahren erstrecken, die erst durch den unerlaubten und schuldhaften Eingriff eines Dritten entstehen (vgl. Senat, Urteile vom 16. September 1975 – VI ZR 156/74 – VersR 1976, 149, 150; vom 19. Dezember 1989 – VI ZR 182/89 – aaO).
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Eine solche Verkehrssicherungspflicht trifft auch den Veranstalter einer Sportveranstaltung gegenüber den Zuschauern. Für deren Verletzung muss er einstehen; denn der Veranstalter eines solchen planmäßig durchgeführten sportlichen Wettkampfes mit öffentlichem Interesse, zu dem Zuschauer gegen Entgelt eingeladen werden, “schafft” die Gefahr, indem er den Zustand, von dem für die Zuschauer eine Gefährdung ausgehen kann, herbeiführt oder andauern lässt. Auch das entspricht ständiger Rechtsprechung (s. RGZ 138, 21; BGH VersR 1960, 22 betreffend ein öffentliches Skispringen; BGH VersR 1962, 618 hinsichtlich eines Autorennens; BGH VersR 1975, 133 für ein besuchsoffenes Reitertraining; BGH VersR 1975, 329 für ein internationales Motorrad- und Wagen-Grasbahn- Rennen; BGH VersR 1984, 164 bei einem Bundesliga-Eishockeyspiel).
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Zu berücksichtigen ist jedoch, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr daher erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden (vgl. BGH VersR 2006, 233 und BGH VersR 2007, 659, beide m.w.N.). Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden (vgl. BGH VersR 1978, 1163, 1165; BGH VersR 2003, 1319 und BGH VersR 2006, 233). Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält (vgl. BGH VersR 1972, 559, 560; BGH VersR 2003, 1319 und BGH VersR 2006, 233). Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise – hier: der Sportveranstalter – für ausreichend halten darf, um andere Personen – hier: Zuschauer und andere im Stadion anwesende Personen – vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind (vgl. BGH VersR 1963, 532; BGH VersR 1967, 801; BGH VersR 2002, 247, 248; BGH VersR 2003, 1319; BGH VersR 2006, 233; BGH VersR 2006, 1083 und BGH VersR 2007, 1683).
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Auch wenn man davon ausgeht, dass bei Sportveranstaltungen, insbesondere Fußballspielen, an den Schadensverhütungsaufwand nicht nur zum Schutz der Sportler (OLG München VersR 1988, 739; OLG Hamm NJW-RR 2000, 1416), sondern auch zum Schutz der übrigen Beteiligten besonders große Anforderungen zu stellen sind, weil durch das Aufeinandertreffen rivalisierender, emotionsaufgeladener und zum Teil sogar gewaltbereiter Fans in großer Zahl die nicht unerhebliche Gefahr bewusster tätlicher Auseinandersetzungen besteht (OLG Düsseldorf SpuRt 1994, 146, 147), hat die Beklagte vorliegend die an ihre Sicherungspflicht zu stellenden Anforderungen (gerade noch) erfüllt.
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Die Beklagte musste bedenken, dass zu den verbreiteten Risiken von Bundesligafußballspielen das Abbrennen pyrotechnischer Gegenstände gehört. Bengalische Fackeln, Rauchpulver, Feuerwerks- und Knallkörper gehören zu den Mitteln, mit denen Fans seit Jahren das Geschehen auf dem Spielfeld begleiten, sei es, um damit die eigene Begeisterung zum Ausdruck zu bringen, sei es zur bewussten Störung des Spielbetriebs oder einfach nur, um Aufmerksamkeit zu erregen. Pyrotechnische Zwischenfälle sind nahezu an jedem Spieltag zu beobachten.
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Die Beklagte musste auch bedenken, dass mit dem Abbrennen von Pyrotechnik erhebliche Gefahren für alle Beteiligte verbunden sind. Zuschauer, Organisationspersonal und Spieler sind durch die mit dem Feuer und der Explosion verbundenen Gefahren gleichermaßen bedroht. Dies gilt schon bei dem bestimmungsgemäßen Einsatz dieser Gegenstände, erst recht aber, wenn diese bewusst zur Schädigung anderer Personen eingesetzt werden. Sowohl die einzelnen Stadionordnungen als auch die Hinweise der Sportverbände tragen diesen Gefahren durch ein Verbot des Mitführens solcher Gegenstände als auch durch besondere Kontrollen der Zuschauer Rechnung.
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Schließlich musste die Beklagte vorliegend bedenken, dass es sich bei dem Spiel gegen den B um ein sog. „Risikospiel“ handelte, weil die Fans beider Vereine seit Jahren rivalisieren und es bei entsprechenden Paarungen bereits in der Vergangenheit zu überdurchschnittlichen Ausschreitungen gekommen war.
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Diesen Gefährdungen hat die Beklagte ein Sicherheitskonzept entgegen gesetzt, nach dem alle Zuschauer vor dem Betreten des Stadions einer Kontrolle – insbesondere auch auf das verbotene Mitführen von Feuerwerkskörpern – unterzogen wurden, alle Fans des Gästevereins zusätzlich ein zweites Mal vor Betreten des Stadionblocks kontrolliert wurden und zudem stichprobenweise einzelne Fans ein drittes Mal untersucht wurden.
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Dass dieses Konzept auch tatsächlich so umgesetzt wurde, steht nach dem Ergebnis der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme auch zur Überzeugung des Senats fest. Insoweit folgt das Gericht den Bekundungen der Zeugen Z1 und Z2, die beide an verantwortlicher Stelle an den Sicherheitskontrollen beteiligt waren. Bedenken an diesen Aussagen ergeben sich entgegen der Auffassung der Berufung nicht bereits daraus, dass die Zeugen unterschiedliche Angaben dazu gemacht haben, wo die Kontrollen durchgeführt wurden. Dies mag auf einem Erinnerungsfehler oder einer Verwechslung mit anderen Spielen beruhen, was angesichts des Umstands, dass die Vernehmung erst zwei Jahre nach dem Ereignis erfolgte, nicht verwunderlich ist. Auch wenn aufgrund des Widerspruchs nicht sicher festgestellt werden kann, wo die Kontrolle stattfand, so besteht doch kein Zweifel, dass sie stattfand.
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Der Umfang der Kontrollen entsprach dem, was bei vergleichbaren anderen Sportveranstaltungen üblich ist. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die moderne Sicherheitstechnologie eine erheblich intensivere Untersuchung der Zuschauer ermöglicht hätte. Die auf Flughäfen heute gültigen Sicherheitsstandards gehen weit über die Maßnahmen der Beklagten hinaus. Dass der Einsatz von Metalldetektoren oder Scannern, die Durchleuchtung aller mitgebrachten Taschen und Gegenstände oder das gründliche Abtasten jeder Person von Kopf bis Fuß das Mitbringen gefährlicher oder verbotener Gegenstände in sehr viel größerem Umfang verhindern könnte, als die derzeit bei Fußballspielen gebräuchlichen Kontrollen, steht außer Frage. Dass dies mit erheblichen finanziellen Aufwendungen verbunden wäre oder es erforderlich machen würde, früher als bislang mit der Eingangskontrolle zu beginnen, steht nicht entgegen. In Anbetracht der im Profifußball erzielten Umsätze fielen solche Kosten kaum ins Gewicht, wäre den Vereinen weder unmöglich noch unzumutbar. Zudem kommt der finanziellen Belastbarkeit des Veranstalters bei Sportveranstaltungen für den Umfang der erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen wenn überhaupt nur eine untergeordnete Bedeutung zu (BGH VersR 1984, 164).
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Bei der vorliegend anzustellenden Prüfung, wie weit die Sicherungspflichten für ein Fußballspiel im Jahr 2008 gingen, kann mit der Nichtanwendung fortschrittlicher Sicherheitstechnik ein schuldhafter Verstoß der Beklagten nicht begründet werden. Die Beklagte hat sich mit den von ihr durchgeführten Kontrollen im Rahmen dessen gehalten, was bei anderen nationalen und internationalen Fußballspielen üblich war. Anhaltspunkte dafür, dass hier darüber deutlich hinausgehende Sicherungsvorkehrungen zu treffen waren, gab es nicht. Unstreitig zwischen den Parteien ist, dass andere Bundesliga-Fußballspiele mit deutlich geringeren Kontrollen stattfinden, so dass die Beklagte dem von ihr erkannten besonderen, von den Fans des B ausgehenden Risikos mit den dem Üblichen gegenüber gesteigerten Kontrollen hinreichend Rechnung getragen hat.
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Allein der Umstand, dass es unbefriedigend erscheinen mag, wie die Beklagte mit der Verletzung des in ihrem Interesse tätig gewordenen Klägers umgegangen ist, begründet einen rechtlich durchsetzbaren Anspruch nicht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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Die Revision wurde nicht zugelassen, da keiner der Revisionsgründe i.S.d. § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO vorliegt.