Zur Verantwortlichkeit eines Taxi-Fahrgasts wegen unsorgfältiger Türöffnung

OLG Köln, Urteil vom 07. November 2019 – I-15 U 113/19

Zur Verantwortlichkeit eines Taxi-Fahrgasts für Schaden durch unvorsichtiges Öffnen der Fahrzeugtür

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird die Beklagte unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts Aachen vom 26.4.2019 (4 O 208/18) verurteilt, an die Klägerin über den erstinstanzlich zugesprochenen Betrag hinaus weitere 5.064,48 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.8.2016 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe
I.

1
Die Klägerin ist Haftpflichtversicherer eines Taxiunternehmens (Fa. A GmbH) und nimmt den Beklagten wegen eines Unfallereignisses in Anspruch, welches sich am 15.7.2015 in der Bstraße in C in Höhe der Hausnummer 45 ereignet hat. Der Beklagte war zu diesem Zeitpunkt Fahrgast in einem bei der Klägerin versicherten Taxi und öffnete bei einem Halt am linken Fahrbahnrand die rechte hintere Tür, wodurch es zur Kollision mit dem Fahrzeug der Geschädigten D und einem Schaden in Höhe von 10.128,96 Euro kam. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten sowie der erstinstanzlichen Anträge wird auf die angefochtene Entscheidung verwiesen.

2
Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 50% des zuletzt unstreitigen Gesamtschadens stattgegeben und zu Begründung ausgeführt, die Klägerin müsse sich auf ihren gemäß § 86 VVG übergegangenen Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 14 StVO ein hälftiges Mitverschulden des Taxifahrers anrechnen lassen. Denn dieser habe durch sein entgegen § 12 Abs. 4 S. 2 StVO erfolgtes Halten auf der linken Fahrbahnseite eine erhöhte Gefahr für den Unfall geschaffen. Insofern komme es auch nicht auf die streitige Frage an, ob der Taxifahrer den Beklagten darauf hingewiesen habe, sich vor dem Aussteigen über die Verkehrslage zu vergewissern. Denn er habe mit dem Halt auf der falschen Straßenseite eine derart große Gefahr für eine Kollision mit einem nachfolgenden Fahrzeug gesetzt, dass er verpflichtet gewesen sei, ein – aufgrund des Sitzens hinter dem Beifahrersitz wahrscheinliches – Aussteigen des Beklagten zur Straßenseite hin zu verhindern.

3
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und verfolgt ihren Anspruch im Umfang der hälftigen Zurückweisung weiter. Sie macht geltend, der Taxifahrer habe auf Veranlassung des Beklagten beim Pfandhaus der Firma E gehalten, welches sich auf der linken Straßenseite befinde. Dort habe er auf ihn warten sollen. Auf der rechten Seite habe er wegen eines Bauzauns nicht halten können. Der Taxifahrer habe den Beklagten ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er vor dem Öffnen der Tür auf den Straßenverkehr achten müsse. Da es sich bei der Bstraße um eine Einbahnstraße handele, dürfe dort auch auf der linken Seite gehalten werden. Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte müsse die alleinige Haftung tragen, wenn er – trotz der Möglichkeit, auf der Rückbank nach links durchzurutschen und durch die linke Tür auszusteigen – das Fahrzeug auf der rechten Seite verlasse.

4
Die Klägerin beantragt,

5
das Urteil des Landgerichts C vom 26.4.2019 (4 O 208/18) abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin über den erstinstanzlich zugesprochenen Betrag hinaus weitere 5.064,48 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.8.2016 zu zahlen.

6
Der Beklagte beantragt,

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die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

8
Er verteidigt die landgerichtliche Entscheidung und macht geltend, es sei lebensfremd anzunehmen, der Taxifahrer habe auf seine Veranlassung an der betreffender Stelle gehalten. Denn es sei Aufgabe eines besonnenen Fahrers, für den Fahrgast einen sicheren Platz zu suchen.

9
Der Beklagte behauptet weiter, der Taxifahrer habe ihn beim Aussteigen weder darauf hingewiesen, dass er auf den Straßenverkehr achten müsse noch habe er ihm gesagt, dass auf der linken Seite gehalten würde. Der Beklagte bestreitet mit Nichtwissen, dass es sich bei der Bstraße um eine Einbahnstraße handelt und ist der Ansicht, der Vortrag der Klägerin sei verspätet.

10
Hinsichtlich des weitergehenden Vortrags der Parteien wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

11
Die Berufung der Klägerin ist begründet, da das Landgericht zu Unrecht eine hälftige Mithaftung ihrerseits angenommen hat. Denn selbst wenn den Taxifahrer überhaupt ein Mitverschulden an dem fraglichen Unfallgeschehen treffen sollte, welches sich die Klägerin zurechnen lassen müsste, tritt dieses nach den konkreten Umständen des vorliegenden Einzelfalls gänzlich hinter den Verursachungs- und Verschuldensbeitrag des Beklagten zurück.

12
1. Zu Lasten des Beklagten ist ein Verstoß gegen § 14 Abs. 1 StVO zu berücksichtigen.

13
Nach § 14 Abs. 1 StVO muss sich, wer ein- oder aussteigt, so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Diese Sorgfaltsanforderung gilt für die gesamte Dauer eines Ein- oder Aussteigevorgangs, also für alle Vorgänge, die in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang damit stehen, wobei der Vorgang des Einsteigens erst mit dem Schließen der Fahrzeugtüre, der Vorgang des Aussteigens erst mit dem Schließen der Fahrzeugtüre und dem Verlassen der Fahrbahn beendet ist (BGH, Urt. v. 6.10.2009 – VI ZR 316/08, NJW 2009, 3791; Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl., § 14 StVO Rn. 2; Hentschel/König/Dauer (König), Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 14 StVO Rn. 9).

14
2. Demgegenüber vermag der Senat hier schon kein Verhalten des Taxifahrers zu erkennen, das als mögliche schuldhafte Pflichtverletzung bei der Abwägung der jeweiligen Verschuldensbeiträge nach § 254 BGB berücksichtigt werden könnte. Insbesondere kann das Halten am linken Fahrbahnrand, worauf das Landgericht im Rahmen eines Verstoßes gegen § 12 Abs. 4 S. 2 StVO entscheidend angestellt hat, nicht herangezogen werden. Denn da es sich bei der Bstraße aus dem Stadtplan ersichtlich (und damit offenkundig) um eine Einbahnstraße handelt, ist hier § 12 Abs. 4 S. 4 StVO einschlägig, der in solchen Straßen das Halten am linken Straßenrand erlaubt. Soweit der Beklagte die Eigenschaft als Einbahnstraße im Zeitpunkt des Unfallgeschehens mit Nichtwissen bestritten hat, ist dies unzulässig und damit prozessual unbeachtlich, so dass es in der Folge auch nicht auf die Frage einer Verspätung des klägerischen Vortrags nach § 531 ZPO ankommt. Denn eine Erklärung mit Nichtwissen ist gemäß § 138 Abs. 4 ZPO unzulässig, wenn die Tatsache Gegenstand der eigenen Wahrnehmung der Partei war, was vorliegend der Fall ist, denn der Beklagte ist gerade in dieser Straße aus dem Taxi gestiegen und kennt damit die örtlichen Verhältnisse. Die weitere Behauptung, wonach die Bstraße – auch wenn es sich bei dieser aktuell um eine Einbahnstraße handele – sie möglicherweise im Unfallzeitpunkt eine solche nicht gewesen sei, erfolgt von Seiten des Beklagten ersichtlich ins Blaue hinein und ist damit ebenfalls prozessual unbeachtlich.

15
3. Selbst wenn der Senat zugunsten des Beklagten als wahr unterstellt, dass der Taxifahrer ihn vor dem Aussteigen nicht zur Vorsicht ermahnt hat, folgt auch daraus keine abweichende Haftungsverteilung. Denn der Fahrer war zu einem solchen Hinweis rechtlich nicht verpflichtet.

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a. Der Beklagte ist ein Erwachsener, der in erster Linie allein für sein Verhalten im Straßenverkehr verantwortlich ist. Soweit er in diesem Zusammenhang geltend macht, der Taxifahrer habe ihn neben der fehlenden Mahnung zur Vorsicht beim Aussteigen auch nicht darauf hingewiesen, dass der Wagen auf der linken Straßenseite zum Halten gekommen sei, zeigt dies in eindringlicher Weise, welch hohe Unaufmerksamkeit der Beklagte im Hinblick auf das Verkehrsgeschehen an den Tag gelegt hat. Denn der konkrete Haltepunkt des Taxis war für jeden Fahrgast, der die Augen geöffnet hat, klar zu erkennen.

17
b. Darüber hinaus war es nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin in ihrem letzten Schriftsatz vom 7.3.2019 gerade der Wunsch des Beklagten, vor dem Pfandhaus zu halten, was nach dem – ebenfalls unbestrittenen Vortrag der Klägerin – auf der rechten Seite wegen des Bauzauns nicht möglich war. Damit ist in erster Linie der Beklagte für den im Nachhinein unglücklichen Standort des Wagens verantwortlich. Soweit der Beklagte in der Berufungserwiderung den Wunsch eines Halts auf der linken Seite bestreitet, ist dies gemäß § 531 ZPO verspätet und damit unzulässig. Denn er hat in erster Instanz den entsprechenden Vortrag der Klägerin im Schriftsatz vom 7.3.2019 trotz einer ihm vom Landgericht eingeräumten Schriftsatzfrist nicht bestritten.

18
c. Schließlich hat der Beklagte auch keine besonderen Umstände des Einzelfalls wie etwa eine körperliche Einschränkung oder eine Behinderung der Sichtverhältnisse geltend gemacht, die den Taxifahrer dazu hätten anhalten müssen, seinen Fahrgast bei einer objektiv erkennbar risikoreichen Position darauf hinzuweisen, dass er besser auf der linken Seite aussteigt oder alternativ beim Aussteigen besonders vorsichtig ist. Der Hinweis auf die besonders hohen Kopfstützen der Rückbank des Taxis, die einen Blick nach hinten verhindert hätten, rechtfertigt das vom Beklagten gezeigte Verhalten dabei nicht. Denn gerade angesichts einer solchen Sichtbehinderung wäre es Aufgabe des Beklagten gewesen, beim Aussteigen besonders vorsichtig zu sein – etwa die Fahrzeugtür zunächst nur einen Spalt zu öffnen und einen Blick nach hinten auf den rückwärtigen Verkehr zu werfen.

19
Im Hinblick auf das damit grob verkehrswidrige Verhalten des Beklagten träte – selbst wenn man den (unterstellt) unterlassenen Hinweis des Taxifahrers rechtlich als eine Pflichtverletzung ansehen würde – dieses in der dann anschließenden Abwägung hinter dem Verursachungsbeitrag des Beklagten zurück.

20
4. Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich hinsichtlich der Kosten aus § 91 Abs. 1 ZPO und hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10 S. 1, 711, 713 ZPO.

21
5. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, da die Beurteilung des Rechtsstreits auf der Anwendung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und im Übrigen auf den Einzelfallumständen beruht. Höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfragen grundsätzlicher Natur, die über den konkreten Einzelfall hinaus von Interesse sein könnten, haben sich nicht gestellt und waren nicht zu entscheiden.

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