LG Koblenz, Urteil vom 24.01.2006 – 10 O 176/04
Von dem Betreiber eines Piercingstudios ist zu erwarten, dass zumindest über bekannte Risiken wie beispielsweise Infektionserkrankungen aufzuklären ist. Der formularmäßige Hinweis, ein Piercing stelle einen Eingriff in die Unversehrtheit dar und könne zu gesundheitlichen Schäden führen, wird dem indes nicht gerecht. (Rn.20).
Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Aufklärung, so liegt keine wirksame Einwilligung in die vorgenommene Körperverletzung vor. (Rn.25).
Wird der Eingriff ohne wirksame Einwilligung vorgenommen, hat der Betreiber des Piercing-Studios für alle Folgen der Behandlung einzustehen, gleich, ob sich ein aufklärungspflichtiges Risiko oder eine sonstige Schadensfolge verwirklicht hat (Rn.26).
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10.070,00 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basissatz der Europäischen Zentralbank seit dem 05.07.2004 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materielle Schäden zu ersetzen, die ihr in der Vergangenheit durch die fehlerhafte Ausführung beim Setzen des Brustwarzenpiercings im Dezember 2002 entstanden sind und noch entstehen werden, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.
3. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihr durch die fehlerhafte Ausführung beim Setzen des Brustwarzenpiercings im September 2002 noch entstehen werden.
4. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Klägerin begab sich im September 2002 in das von dem Beklagten betriebene Piercingsstudio … in … um sich über ein Brustwarzenpiercing zu informieren. Nach einem Gespräch mit dem Beklagten entschloss sie sich, noch am gleichen Tag ein solches Brustwarzenpiercing vornehmen zu lassen. Dementsprechend führte der Beklagte am 18.09.2002 an der linken Brustwarze der Klägerin ein Brustwarzenpiercing durch.
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Mit Datum vom 18.09.2002 unterschrieb die Beklagte eine Einverständniserklärung, in der sich unter anderem folgende Textpassagen finden:
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“Zu Dienstleistung des Studios gehören eine umfassende Aufklärung über etwaige Gefahren und Risiken sowie ausführliche Hinweise für die Nachsorge. Diese Belehrung erfolgt bei Termin und wird von mir in Anspruch genommen ….
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Wir weisen daraufhin, dass ein Piercing einen Eingriff in die Unversehrtheit darstellt und zu gesundheitlichen Schäden führen kann.”
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Wegen der weiteren Einzelheiten der Einverständniserklärung wird auf das in der Akte befindliche Formular (Bl 58 d. A.) Bezug genommen.
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Ca. 8 Wochen nach diesem Eingriff stellte die Klägerin Knötchen in der linken Brust fest, die sich später als zwei Abszesse herausstellten. Sie begab sich in die Behandlung des Gynäkologen … der einen Mamma-Abszess in der linken Brust diagnostizierte und das Piercing entfernte. Nach einer Behandlung mit Antibiotika am 04.12. und 13.12.2002 war die Wunde zunächst reizlos, über Weihnachten vergrößerte sich der Abszess und machte eine stationäre Behandlung in der geburtshilflich-gynäkologischen Abteilung des St. N Stifts-Hospitals in … vom 27.12. bis 28.12.2002 notwendig. Dabei wurde der Abszess gespalten und die Abszesshöhle entfernt. Trotz einer weiteren Antibiotikabehandlung kam es in den nächsten Tagen zu einer starken Entzündung im Bereich der linken Brust (massive Mastitis). Bei einer zweiten stationären Behandlung im Krankenhaus … vom 06.01. bis 12.01.2003 wurde ein infizierter Bluterguss aus dem Wundgebiet entleert sowie die Wunde gespült und drainiert. In den folgenden Monaten wurde eine Lokalbehandlung mit Spülungen und Antibiotikagabe durch … ambulant durchgeführt. Im Juni 2003 kam es zu einer erneuten Zunahme der Beschwerden. Vom 15.06. bis 17.06.2003 erfolgte schließlich eine erneute stationäre Behandlung, jetzt in der geburtshilflich-gynäkologischen Abteilung des Krankenhauses M in … mit der Diagnose rezidivierender therapieresistenter Mamma-Abszess links nach Piercing. Es wurde eine Öffnung des Abszesses hinter dem linken Brustwarzenhof mit Einlegen einer Lasche durchgeführt. Die histologische Untersuchung des dabei hinter der Brustwarze entnommenen Gewebes ergab eine unspezifische Mastitis (Brustentzündung).
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In den folgenden Monaten wurden wieder ambulante Lokalbehandlungen in der Praxis des … durchgeführt bei einer sekundären Wundheilung. Im April 2004 kam es erneut zu einer Abszessbildung in der linken Brust. Anlässlich einer – nunmehr vierten – stationären Behandlung vom 08.04. bis 09.04.2004 im Krankenhaus … wurde unter der Diagnose rezidivierende Mastitis links mit Abszedierung erneut eine Abszesseröffnung mit Gewebsentnahme sowie Einlegen einer Lasche durchgeführt. Die histologische Untersuchung des Gewebes ergab unter anderem Anteile eines floriden, unspezifischen Abszesses, möglicherweise auf dem Boden eines infizierten, zystischen, retromamillären Milchganges.
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Bei einer ambulanten Untersuchung in der Brustsprechstunde der Universitäts-Frauenklinik in … wurde diese Diagnose bestätigt und eine mehrmonatige antibiotische und entzündungshemmende Behandlung sowie der Versuch einer operativen Sanierung des Wundgebietes im Sinne einer Keilexzision der linken Brustwarze empfohlen.
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Die Klägerin trägt vor,
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das Setzen des Piercings durch den Beklagten sei nicht fachgerecht erfolgt. Durch dieses fehlerhafte Verhalten des Beklagten seien die bei der Klägerin aufgetretenen Abszesse in der linken Brust entstanden.
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Die Klägerin beantragt, wie erkannt.
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Der Beklagte beantragt die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte trägt vor,
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das Setzen des Piercings bei der Klägerin habe den Regeln der Kunst entsprochen. Das hierfür verwendete Material sei geeignet gewesen. Der bei der Klägerin in der linken Brust entstandene Abszess sei nicht auf das Setzen des Piercings zurückzuführen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Das Gericht hat gemäß Beweisbeschluss vom 18.01.2005 Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sachverständigengutachten des Prof. … vom 29.03.2005 (Bl. 160 ff. d. A.) sowie sein Ergänzungsgutachten vom 19.05.2005 (Bl. 191 ff. d. A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist umfassend begründet.
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Die Klägerin hat gegen den Beklagten gemäß §§ 823, 253, 254 BGB Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,00 Euro. Die von der Klägerin erteilte Einwilligung war nicht wirksam, weil sie von dem Beklagten nicht ordnungsgemäß vor Durchführung des Brustwarzenpiercings aufgeklärt worden war.
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Zwar hat die Klägerin eine Einverständniserklärung zur Durchführung des Brustwarzenpiercings unterschrieben; vor dieser Einverständniserklärung wurde sie jedoch nicht umfassend über mit dem Eingriff verbundenen etwaigen Gefahren und Risiken durch den Beklagten aufgeklärt. Der lapidare Hinweis in dem Einverständniserklärungsformular, es handele sich um einen Eingriff in die Unversehrtheit, der zu gesundheitlichen Schäden führen könne, wird den Anforderungen an eine ausreichende Aufklärung nicht gerecht.
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Hierbei ist dem Gericht bewusst, dass die strengen Maßstäbe an das Aufklärungserfordernis durch Ärzte auf den vorliegenden Fall nicht ohne weiteres anzuwenden sind. Dennoch ist von dem Betreiber eines Piercingstudios zu erwarten, dass zumindest über bekannte Risiken wie beispielsweise Infektionserkrankungen aufzuklären ist. Der formularmäßige Hinweis, ein Piercing stelle einen Eingriff in die Unversehrtheit dar und könne zu gesundheitlichen Schäden führen, wird dem indes nicht gerecht.
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Der Beklagte vermochte trotz der ihm insoweit obliegenden Darlegungs- und Beweislast nicht nachzuweisen, dass eine diesen Anforderungen gerecht werdende Aufklärung der Klägerin vor dem Eingriff erfolgt ist. Nach Anhörung der Parteien im Termin vom 11.01.2005 (Bl. 128 f. d. A.) ist die Kammer vielmehr der Überzeugung, dass eine über den Formulartext hinausgehende mündliche Aufklärung der Klägerin durch den Beklagten nicht erfolgt ist. Denn im Rahmen seiner informatorischen Anhörung vom 11.01.2005 hat der Beklagte angegeben, vor der Behandlung habe er der Klägerin lediglich erklärt, wie die Behandlung ablaufe. Er habe ihr dann die Einwilligungserklärung vorgelegt, da er sich darüber klar gewesen sei, dass es sich bei einem Piercing um einen körperlichen Eingriff handele und er die Einverständniserklärung zur Beseitigung der Rechtswidrigkeit benötige. Er habe ihr dann hierzu erklärt, sie solle sich die Erklärung genau durchlesen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Beklagte zudem die Auffassung vertreten, in dem Formulartext stehe ja schon alles drin, insbesondere dass auch Schäden auftreten könnten. Welche Schäden genau, habe er ihr vorher nicht genau mündlich erklärt. Sodann habe er den Eingriff vorgenommen.
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Somit ist bereits nach den Erklärungen des Beklagten davon auszugehen, dass vor dem Setzen des Piercings keine mündliche ausführliche Aufklärung über das Risiko einer Infektion erfolgt ist. Dem entsprechen auch die Angaben der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 11.01.2005, wonach sie weder vor noch nach dem Eingriff seitens des Beklagten darauf hingewiesen worden sei, dass ein solches Piercing mit gesundheitlichen Problemen einhergehen könne.
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Demnach steht nicht sicher fest, dass die Klägerin vor dem streitgegenständlichen Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit ausreichend aufgeklärt wurde. Den ihm obliegenden Nachweis hat der Beklagte nicht geführt.
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Dass die Klägerin auch bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung eingewilligt hätte, hat der Beklagte selbst nicht behauptet.
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Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Aufklärung, so liegt keine wirksame Einwilligung in die vorgenommene Körperverletzung vor.
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Der Beklagte hat für alle Folgen der Behandlung einzustehen, gleich, ob sich ein aufklärungspflichtiges Risiko oder eine sonstige Schadensfolge verwirklicht hat (BGH VersR 2001, 592).
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Allein entscheidend ist, dass diese Folgen kausal durch den Eingriff verursacht wurden. Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme ist dies vorliegend der Fall.
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Hierzu hat der Sachverständige Prof. … in seinem Gutachten vom 29.03.2005 ausgeführt, zwar sei die bei der Klägerin nach 8 Wochen aufgetretene Abszessbildung eher als Folge einer so genannten Spätinfektion anzusehen, die nicht primär durch die Sterilität des Eingriffs bedingt sei, sondern durch den Eingriff des Piercings an sich mit der Ausbildung eines Wundkanals in dem Gewebe der Brustwarze und der dadurch bedingten Verletzung und gegebenenfalls Infektion der Milchausführungsgänge.
29
Die Kammer folgt den nachvollziehbaren und ausführlichen Feststellungen des Sachverständigen und macht sie sich zu Eigen.
30
Demnach beruhen die Schadensfolgen auf der Durchführung des Piercings. Ob dieses Piercing fachgerecht und unter Einhaltung der Hygienestandards durchführt wurde, ist für die Haftung des Beklagten ohne Belang. Denn auch der ordnungsgemäß durchgeführte körperliche Eingriff ist rechtswidrig, wenn keine wirksame Einwilligung vorliegt.
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Bei der Berücksichtigung der Höhe des Schmerzensgeldes hat sich das Gericht von folgenden Erwägungen leiten lassen:
32
Die Klägerin litt nach dem Eingriff über einen längeren Zeitraum unter erheblichen Schmerzen. Es waren vier stationäre Aufenthalte im Krankenhaus erforderlich mit entsprechenden operativen Eingriffen.
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Andererseits hat die Kammer berücksichtigt, dass sich die Klägerin vorliegend freiwillig einem Eingriff unterworfen hat, der allein der Mode, aber nicht der Heilung dient.
34
Unter Berücksichtigung aller dieser Umstände und in Anlehnung an vergleichbare Fälle und Entscheidungen erachtet die Kammer ein Schmerzensgeld von insgesamt 10.000,00 Euro als angemessen und genügend. Ebenso ist die Feststellung begründet, dass der Beklagte für außergewöhnliche, aber jetzt noch nicht vorhersehbare immaterielle Schäden und für materielle Folgeschäden Ersatz zu leisten hat.
35
Neben dem ihr zugesprochenen Schmerzensgeld hat die Klägerin zudem gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 70,00 Euro aus § 311 BGB (Verschulden bei Vertragsschluss des Piercingvertrages). Die Klägerin hat ausgeführt, dass ihre Einwilligung in diesen Vertrag aufgrund einer ungenügenden Aufklärung erfolgt ist. Sie hätte den Vertrag also nicht abgeschlossen, wenn sie ordnungsgemäß aufgeklärt worden wäre. In diesem Fall hätte sie auch die 70,00 Euro für die Durchführung des Piercings nicht gezahlt.
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Der Anspruch auf die zuerkannten Zinsen folgt aus §§ 288, 291 BGB.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO; diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.
38
Beschluss:
39
Der Streitwert wird auf 13.170,00 Euro festgesetzt.
40
(Antrag zu 1: 10.000,00 Euro,
41
Antrag zu 2: 70,00 Euro,
42
Antrag zu 3: 100,00 Euro,
43
Antrag zu 4: 3.000,00 Euro).