Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 02. Oktober 2019 – 206 StRR 1013/19
Zur Strafbarkeit des sog. „Containerns“
Tenor
I. Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck vom 30. Januar 2019 werden als unbegründet verworfen.
II. Die Beschwerdeführerinnen haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.
III. Der Tenor des Urteils des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck vom 30. Januar 2019 wird dahingehend berichtigt, dass im Schuldspruch die Worte „gemeinschaftlich begangenen“ entfallen.
Gründe
I.
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Das Amtsgericht sprach die Angeklagten am 30. Januar 2019 schuldig des (gemeinschaftlich begangenen) Diebstahls. Die Angeklagten wurden verwarnt und eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 15 € vorbehalten. Hiergegen legten die Angeklagten (Sprung-)Revision ein, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügen.
II.
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Die zulässigen Revisionen haben keinen Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionen hat keinen Rechtfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben, § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Die Sprungrevisionen gemäß § 335 Abs. 1 StPO gegen das Urteil des Amtsgerichts sind ungeachtet des Umstands, dass für die Zulässigkeit einer Berufung der Angeklagten jeweils die Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 StPO (Annahmeberufung) gelten würden, zulässig (BayObLGSt 1993, 147; BGHSt 40, 395, 397).
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2. Die Urteilsfeststellungen tragen den Schuldspruch wegen Diebstahls. Insbesondere begegnet die Annahme des Amtsgerichts, bei den Lebensmitteln aus dem verschlossenen Container der geschädigten Firma handle es sich um fremde (bewegliche) Sachen im Sinne von § 242 Abs. 1 StGB, keinen rechtlichen Bedenken.
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a) Fremd ist eine Sache, die nach bürgerlichem Recht im Eigentum (irgend)einer anderen Person steht (Fischer StGB 66. Aufl. § 242 Rdn. 5 m.w.N.). Herrenlos und damit nicht „fremd“ i.S. des § 242 StGB sind dagegen Sachen, an denen Eigentum entweder nie bestanden hat oder bei denen der Eigentümer in der Absicht, auf das Eigentum zu verzichten, den Besitz an der Sache aufgibt, § 959 BGB (sog. Dereliktion). Der Verzichtswille braucht nicht ausdrücklich erklärt zu werden, er kann sich auch aus dem nach außen erkennbaren Verhalten des Eigentümers ergeben, z.B. durch Wegwerfen einer Sache (BayObLGSt 1986, 72). Ob insbesondere aus der Besitzaufgabe ohne weiteres auch auf einen Eigentumsverzicht geschlossen werden kann, hängt jedoch von den Umständen des Einzelfalles ab (BayObLG a.a.O.).
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b) Gemessen daran begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, wenn das Amtsgericht davon ausgegangen ist, dass eine Eigentumsaufgabe im Sinne einer Dereliktion nicht vorgelegen hat.
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Nach den Feststellungen des Amtsgerichts wurden die seitens der Fa. Edeka für nicht mehr verkehrsfähig gehaltenen Lebensmittel in einem verschlossenen Container auf dem Grundstück der Firma im Zulieferbereich gelagert und standen zur Abholung durch ein Entsorgungsunternehmen bereit.
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(1) Die Wertlosigkeit einer Sache als solche gewährt Dritten nicht das Recht zur Wegnahme (RGSt 44, 207, 209; Vogel in Leipziger Kommentar StGB 12. Aufl. § 242 Rdn. 44 m.w.N.). Auch der Umstand, dass die Lebensmittel zur Entsorgung in einen Abfallcontainer geworfen wurden, sagt darüber, ob dem Eigentümer damit auch deren weiteres Schicksal gleichgültig ist, nicht zwingend etwas aus. Eine Dereliktion kommt vielmehr nur dann in Betracht, wenn der Wille vorherrscht, sich der Sache ungezielt zu entledigen (BayObLGSt a.a.O.). So liegt der Fall hier jedoch nicht.
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(2) Bereits dadurch, dass der, zudem auf Firmengelände und nicht etwa im öffentlichen Raum stehende, Container abgesperrt war, hat der Eigentümer für Dritte deutlich erkennbar gemacht, dass die Firma die Lebensmittel nicht dem Zugriff beliebiger Dritter anheimgeben wollte bzw. dass keine Einwilligung mit einer Mitnahme besteht (vgl. Schmitz in Münchner Kommentar StGB 3. Aufl. § 242 Rdn. 35, Vergho Zur Strafbarkeit von „Containern“ StraFo 2013, 15, 17; Lorenz Containern von Lebensmitteln entkriminalisieren? jurisPR-StrafR 10/2019 Anm. 1, Ziffer III). Dem steht nicht entgegen, dass der Verschluss mit einem Werkzeug, welches kein Spezialwerkzeug der Firma bzw. des Abholunternehmens ist, zu öffnen war, zumal ein solches Werkzeug in der Regel von Passanten oder sonstigen beliebigen Dritten nicht mitgeführt wird.
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(3) Hinzu kommt, dass die Lebensmittel zur Abholung durch ein (von der Firma gesondert bezahltes) Entsorgungsunternehmen bereit gestellt waren. Ein Verzichtswille, der zur Herrenlosigkeit der Sache führt, liegt aber dann nicht vor, wenn der Eigentümer das Eigentum nur zugunsten einer anderen Person (oder Organisation) aufgeben will (BayObLGSt a.a.O.; Vogel in Leipziger Kommentar 12. Aufl. § 242 Rdn. 33; Kindhäuser in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen StGB 5. Aufl. § 242 Rdn. 22).
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Dies gilt z.B. in Fällen, in denen der Eigentümer Gegenstände im Rahmen von Sammelaktionen zur Abholung bereit stellt (BayObLGSt a.a.O., Vogel a.a.O.; Kindhäuser a.a.O., Duttge in Dölling/Duttge/König/Rössner Gesamtes Strafrecht 4. Aufl. § 242 Rdn. 15; Vergho a.a.O. S. 16), der Entsorgende für eine ordnungsgemäße Abfallentsorgung verantwortlich ist und die Sachen zur Abholung durch eine Fachfirma bereit hält (Bosch in Schönke/Schröder StGB 30. Aufl. § 242 Rdn. 17/18; Wittig in Beck-OK StGB § 242 Rdn. 9; Lorenz a.a.O.; Bode Zur Strafbarkeit privater Schrottsammler JA 2016, 589, 590). Entsprechendes gilt, wenn der Entsorgende für die gesundheitliche Unbedenklichkeit in Verkehr gebrachter Lebensmittel einzustehen hat, wie es hier der Fall ist. In all diesen Fällen bleiben die Sachen bis zur Abholung im Eigentum des Entsorgenden (vgl. Bode a.a.O.) und sind damit taugliches Diebstahlsobjekt i.S. des § 242 Abs. 1 StGB.
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3. Ergänzend wird auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 22. Mai 2019 Bezug genommen, die auch durch die Ausführungen der Revision in den jeweiligen Schriftsätzen vom 12. Juni 2019 und 9. Juli 2019 nicht entkräftet werden.
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4. Allerdings war der Tenor des amtsgerichtlichen Urteils zu berichtigen.
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Nicht in die Urteilsformel gehört, ob der Täter als Allein- oder Mittäter gehandelt hat (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 62. Aufl. § 260 Rdn. 24). Die Korrektur kann der Senat vornehmen (Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 354 Rdn. 33).
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5. Dem Antrag, im Revisionsverfahren eine Hauptverhandlung durchzuführen, war dagegen nicht zu entsprechen.
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Dem Anspruch des Revisionsführers auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG wird im Verfahren nach § 349 Abs. 2 StPO dadurch Rechnung getragen, dass eine Verwerfung nur auf einen zu begründenden und dem Revisionsführer zuzustellenden Antrag der Staatsanwaltschaft ergehen darf, auf den dieser gemäß § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO erwidern kann. Liegen ─ wie hier ─ die Voraussetzungen des § 349 Abs. 2 StPO vor, besteht ein Anspruch auf Revisionshauptverhandlung weder nach einfachem Recht noch nach Verfassungsrecht (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2010, Az: 4 StR 536/09, zitiert über juris, Ziffer 3).