Zur Sorgfaltspflicht der Übungsleiterin eines Turnvereins

OLG Hamm, Urteil vom 10.05.2011 – 19 U 171/10

Zu den Sorgfaltspflichten von Übungsleiterinnen eines Turnvereins beim Aufbau eines Hindernisparcours und bei der Beaufsichtigung vier- bis sechsjähriger Kinder während der Turnstunde.(Rn.16)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 9. September 2010 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Hagen wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
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Gemäß § 540 I ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen, soweit sich aus dem Nachfolgenden nichts anderes ergibt.
2

Mit der gegen dieses Urteil gerichteten Berufung macht die Klägerin geltend, dass das Landgericht die Regeln des Anscheinsbeweises nicht zutreffend auf den vorliegenden Fall angewandt habe. Schon von den Umständen her, unter denen sich der Turnunfall der Klägerin während der Übungsstunde ereignet habe, spreche ein Anscheinsbeweis für eine zugrunde liegende Pflichtverletzung der Beklagten. Die Unaufklärbarkeit des Hergangs gehe daher zu deren Lasten.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagten als Gesamtschuldner gemäß ihren erstinstanzlichen Schlussanträgen zu verurteilen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigen das angefochtene Urteil und wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen.
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Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Erklärungen zu Protokoll Bezug genommen.

II.
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Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
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Das Landgericht hat die Klage zu Recht dem Grunde nach abgewiesen.
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Der Klägerin stehen die geltend gemachten Schadensersatzforderungen weder auf vertraglicher bzw. vertragsähnlicher Grundlage (§§ 249, 253 II, 280 I BGB) noch aus unerlaubter Handlung der Beklagten zu (§ 823 BGB bzw. §§ 823, 831 I, 840 BGB), weil nicht von einer Pflichtverletzung der Beklagten ausgegangen werden kann.
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Es kämen überhaupt vertragsähnliche Ansprüche lediglich gegen den beklagten Turnverein (Beklagten zu 1.) in Betracht, für den die Beklagten zu 2. und 3. nur tatsächlich als Übungsleiterinnen gegenüber der Klägerin fungierten. Durch die Ausrichtung der Turnstunden kommt kein darauf bezogener Dienstvertrag mit den Teilnehmenden bzw. deren Eltern zustande; vielmehr setzt, wie allen Beteiligten bekannt ist, der Beklagte zu 1. insoweit seinen satzungsmäßigen Zweck gemäß den §§ 2 I, 6 IX der Satzung (Bl. 72, 73 R d.A.) zur Förderung des Sports und der sportlichen Jugendhilfe gegenüber der Klägerin als seinem Mitglied um, indem er dafür ehrenamtlich tätige Vereinsmitglieder mit besonderer Erfahrung und Befähigung als Übungsleiter einsetzt. Das Mitgliedschaftsverhältnis begründete allerdings Treue- und Förderpflichten mit der Verpflichtung des Beklagten zu 1., bei der Auswahl der Übungsleiter die verkehrsübliche Sorgfalt zu beachten, also fachlich und persönlich geeignete Personen dafür heranzuziehen; ob diese im Hinblick auf die wiederholt abgehaltenen Turnstunden auch stichprobenhaft zu überwachen waren, kann auf sich beruhen. Denn hier ist jedenfalls eine Verletzung der Verpflichtung, die Schadensersatzansprüche aus einem Schuldverhältnis im Sinne von § 280 I BGB auslösen kann (vgl. BGH NJW 1990, 2877 (2879); OLG Stuttgart NJW 1996, 1352 f.; Palandt-Ellenberger, BGB, 70. A., § 31 Rz. 12 m.w.N.), nicht anzunehmen.
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Von einer sorgfältigen Auswahl ist auszugehen, da beide Übungsleiterinnen unstreitig ordnungsgemäß durch die C- bzw. B-Lizenz qualifiziert waren und über jahrelange Erfahrung verfügten. Im weiteren bleibt offen, dass sie in der hier interessierenden Turnstunde keinerlei Pflichten verletzt haben und somit auch keine Aufsichtspflichtverletzung zum Tragen kommt. Etwas anderes kann die Klägerin nicht beweisen.
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Konkrete Feststellungen zum Unfallhergang sind nicht mehr zu treffen, weil er im einzelnen nicht nachvollziehbar ist. Unstreitig hat niemand den Hergang gesehen und die damals fünfjährige Klägerin hat selbst keine genaue Erinnerung. Das jetzt von der Klägerin beantragte unfallanalytisch-medizinische Sachverständigengutachten ist schon deshalb ungeeignet, weil sich mangels damaliger Beweissicherung unstreitig die Endlagen der Klägerin und ferner der mit ihr herunter gestürzten Turnbank nicht mehr genauer nachvollziehen lassen, so dass es an einem zuverlässigen tatsächlichen Anknüpfungspunkt fehlt.
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Der Klägerin kommt entgegen ihrer Ansicht auch keine Beweiserleichterung zugute. Es gibt keinen Anscheinsbeweis, dass der Aufbau des Turngeräts fehlerhaft oder die Aufsicht unzureichend gewesen ist, weil die Klägerin gestürzt ist und sich verletzt hat. Nur wenn die Gefährdungssituation durch fehlerhaften Aufbau und/oder Aufsicht erwiesen wäre, würde ein Anschein dafür sprechen, dass sich die unmittelbare Gefahrenlage in dem Unfall verwirklicht hat (vgl. BGH NJW 2005, 2454). Nichts anderes ergibt sich aus dem Umstand, dass die Turnbank zusammen mit der Klägerin abgestürzt ist. Für ihre Folgerung, dass das Gerät nicht ordnungsgemäß aufgebaut und/oder die Übung der Klägerin darauf nicht zureichend beaufsichtigt gewesen sei, unterstellt die Klägerin unzulässigerweise, dass ein Absturz der Bank Ursache für ihren Sturz gewesen sei. Von einer solchen Reihenfolge kann aber nicht ausgegangen werden, da wegen des ungeklärten Hergangs auch möglich ist, dass die Bank erst als Folge des Sturzes der Klägerin und von dieser mitgerissen wurde. In diese Richtung deuten sogar die Schilderungen der Mutter für die Klägerin gemäß ärztlichem Attest vom 10.4.2008 (Bl. 15 d.A.) sowie in dem Schreiben ihres Vaters vom 3.7.2008 (Bl. 17 d.A.), wonach sie beim Herunterrutschen von der schräg aufgebauten Bank auf das linke Bein gefallen sei.
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Den Nachweis, dass der Aufbau fehlerhaft oder die Turnaufsicht nicht ordnungsgemäß war, hat die Klägerin nicht geführt. Die Sorgfaltsanforderungen richten sich abhängig vom Einzelfall nach der tatsächlichen Situation und den berechtigten, gegebenenfalls durch vorgegebene Regelwerke konkretisierten Sicherheitserwartungen der Teilnehmer (zuletzt BGH NJW 2010, 537 (538). Insofern entsprach der Aufbau des Geräts nach den zumindest nicht konkret angegriffenen Feststellungen des Landgerichts den einschlägigen Vorgaben des Landessportbundes Nordrhein-Westfalen. Dass die zur Stütze gegen ein Wegrutschen der Bank angelegten Turnmatten nicht ausgereicht hätten, ist durch die vorgelegten Fotos nicht bewiesen; das gilt namentlich im Hinblick auf die Größe der Matten, die gemäß der plausiblen und unwiderlegten Darstellung der Beklagten durch ihr hohes Gewicht, da es sich um Matten alter Machart handelt, ausgeglichen wird. Dass zur Absicherung neben dem Kasten, auf den die Bank an einem Ende aufgelegt war, keine Matten ausgelegt waren, hat sich nicht ausgewirkt, da die Klägerin unstreitig auf die unter der Turnbank ausgelegte Matte gefallen ist. Dass es heutzutage moderne Turnbänke gibt, die gegen Abrutschen mit Haken in den Kasten eingehängt werden können, ergibt nichts anderes, weil es auf den Stand beim Unfall am 7.4.2008 ankommt. Zu dem Zeitpunkt war, gemäß unwidersprochener Darstellung der Beklagten im Senatstermin, die Bank wie aufgebaut zulässig und in über 80 % der öffentlichen Sportstätten im Einsatz. Vor dem Hintergrund können die von der Klägerin angeführten, naturgemäß strengeren Empfehlungen der Landesunfallkasse Nordrhein-Westfalen als Unfallversicherer, die auf Erzielung höchstmöglicher Sicherheitsstandards abzielen, zu keinem anderen Ergebnis führen. Abgesehen davon steht nicht einmal ein Verstoß gegen die dortige Vorgabe fest, wonach der Teilnehmer jederzeit eine Übung ungefährdet abbrechen können müsse (Bl. 186 d.A.). Einem kontrollierter Abbruch der Übung durch Abspringen oder Absteigen könnte die Bank standgehalten haben, während hier möglich bleibt, dass die Klägerin beim Hinunterrutschen ohne irgendeine sonstige Einwirkung abgerutscht oder abgekommen ist und die Bank dann dabei mitgerissen hat.
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Mangels entgegenstehender Erkenntnisse und Regelwerke durften die Beklagten die Klägerin allein von der auf den Kasten schräg aufgelegten Bank hinunter rutschen lassen. Nach dem nicht substantiiert widersprochenen Beklagtenvortrag war die Übung für die konkrete Gruppe alters- und leistungsstandgerecht, zudem bereits eingeübt und auch von der Klägerin unproblematisch bewältigt worden. Sie beherrschte es aufgrund eigener Erfahrung, die Bank hinunter zu rutschen, was sie mehrfach nicht nur in vorherigen Übungsstunden, sondern gerade auch am Unfalltag – laut den Beklagten da etwa zehn Mal, laut Klägerin immerhin jedenfalls zweimal (Bl. 67 d.A.) – absolviert hatte, bevor es zum Unfall kam. Ohne vorliegenden Anhalt durften die Beklagten deshalb weiter davon ausgehen, dass die Klägerin in der Lage war, die Übung sicher zu bewältigen. Es würde die Sicherheitsanforderungen überspannen, darüber hinaus zu verlangen, dass die Beklagten auch für den Fall eines nur augenblicklich auftretenden Missgeschicks Vorsorge in jede Richtung zu treffen und somit jedem Übungsteilnehmer praktisch ständig eine Eins-zu-Eins-Betreuung zur Seite zu stellen hatten. Ein solcher Schutz vor jedweder Gefahr war unter den gegebenen und allseits bekannten Umständen, in denen es nicht etwa um eine Einzeltherapie, sondern um die Sportförderung von gut 20 Kindern durch zwei ehrenamtliche Übungsleiterinnen im Rahmen einer Vereinsturngruppe ging, redlicherweise nicht zu erwarten.
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Da schon keine Pflichtverletzung feststellbar ist, kann dahinstehen, inwieweit hier eine Haftungszurechnung der Beklagten zu 2. und 3. nach § 278 BGB in Betracht käme und scheidet ferner jedwede deliktische Haftung aus.

III.
19

Die Entscheidungen zur Kostentragung und vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 97 I, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
20

Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe gemäß § 543 II ZPO nicht vorliegen.

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