AG Charlottenburg, Urteil vom 06.11.2018 – 208 C 43/18
Zur Rechtswidrigkeit einer Widerrufsbelehrung in zahnärztlichen AGBs
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages zuzüglich zehn Prozent abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe geleistet hat.
Tatbestand
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Die Klägerin (Zessionarin) als überregional tätiges Abrechnungsunternehmen macht gegen die Beklagte im Abtretungswege eine Honorarforderung der zahnärztlichen Praxis …, Berlin, (Zedentin) geltend. Der Beklagte unterzeichnete in der Zahnarztpraxis am 04.07.2017 die in der mündlichen Verhandlung am 16.10.2018 im Original zur Akte (Klarsichthülle Blatt 68 der Akte) gereichte, vorgefertigte „Einverständniserklärung“, welche ihm vor Behandlungsbeginn zur Unterschrift übergeben wurde. Die Erklärung beinhaltet die formularmäßige Zustimmung der Patienten zur Weitergabe der persönlichen Daten einschließlich der Behandlungsdaten an die Klägerin zu Abrechnungszwecken. Sie sieht zudem eine Erklärung über die patientenseitige Zustimmung der Abtretung der zahnärztlichen Honorarforderung an die Klägerin vor nebst Hinweises, dass die Klägerin die Honorarforderung im eigenen Namen geltend machen kann und im Streitfall die zahnärztlichen Behandler als Zeugen vernommen werden können. Die „Einverständniserklärung“ enthält zudem im ersten Satz des letzten Absatzes folgende Belehrung:
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„Meine Zustimmung gilt auch für künftige Behandlungen; ich kann diese jederzeit mit sofortiger Wirkung für die Zukunft widerrufen.“
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Wegen des weiteren Wortlautes dieser „Einverständniserklärung“ wird auf das eingereichte Original der Erklärung Blatt 68, 68rück der Akte (Vorderseite = Kopie Blatt 67 der Akte) Bezug genommen.
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Die erbrachten zahnärztlichen Leistungen stellte die Klägerin dem Beklagten in Rechnung. Nach Mahnschreiben und begonnener, jedoch beklagtenseitig nicht weiter bedienter Ratenzahlungsvereinbarung hat die Klägerin gegen den Beklagten einen Mahnbescheid bei dem Amtsgericht Mayen (18-6584923-0-6) in Höhe von 3.717,27 € (Hauptforderung) nebst Gerichts-, Anwaltskosten, Mahnkosten und Zinsen erwirkt. Wegen der Forderungshöhe der Nebenkosten wird vollumfänglich auf den Mahnbescheid Bl. 1 f. der Akte Bezug genommen. Der Beklagte hat im Mahnverfahren Widerspruch gegen den Anspruch insgesamt eingelegt.
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Die Klägerin meint, der Beklagte sei ihr nach Forderungsabtretung an sie zur Begleichung des Zahnarzthonorars nebst Verzugszinsen und Erstattung des Beitreibungsaufwandes verpflichtet.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an sie 3.717,27 € zzgl. Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz aus 3.611,91 € ab dem 21.03.2018 sowie weitere 354,55 € zzgl. Verzugszinsen in Höhe 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz hieraus ab dem 24.04.2018 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte meint, die Klägerin sei bereits nicht aktivlegitimiert, denn die Abtretungserklärung sei nicht in den zahnärztlichen Behandlungsvertrag einbezogen, weil sie nicht hinreichend erkennbar für ihn hervor gehoben wurde mit der Folge, dass er sie schlicht überlesen habe; eine zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme sei ihm nicht eingeräumt worden.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die beiderseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unbegründet.
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Die Klägerin hat mangels Sachbefugnis keinen Zahlungsanspruch gegen den Beklagten aus § 630a BGB i.V.m. § 398 BGB, weil die „Einverständniserklärung“ trotz unstreitiger Unterzeichnung durch den Beklagten in Gänze, also einschließlich der Abtretungsregelung zu Gunsten der Klägerin, wegen im letzten Absatz (Widerrufsbelehrung) festzustellender Verstöße gegen das aus § 307 Absatz 1 BGB folgende Transparenzgebot und das Verbot der unangemessenen, einseitigen Benachteiligung nicht wirksamer Bestandteil des zahnärztlichen Behandlungsvertrages geworden ist, § 306 Absatz 1 BGB. Zumindest aber gehen die im letzten Absatz der „Einverständniserklärung“ festzustellenden Unklarheiten zur Widerrufsbelehrung zu Lasten der verwendenden Zahnärztin mit derselben Rechtsfolge, §§ 305c Absatz 2, 306 BGB.
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Bei der in der Zahnarztpraxis zur Unterzeichnung überreichten, vorformulierten „Einverständniserklärung“ handelt es sich um eine Zusammenstellung Allgemeiner Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Absatz 1 Satz 1 BGB, die einseitig von der behandelnden Zahnärztin gegenüber ihren Patienten gestellt wurde, so auch dem Beklagten, zwecks einheitlicher Gestaltung der Abrechnungs- und Forderungseintreibungsmodalitäten bis hin zum streitigen Gerichtsverfahren. Weil eine Weitergabe der Patientendaten an die Klägerin ohne die Einwilligung der Patienten nichtig wäre im Sinne des § 134 BGB i.V.m. § 203 Absatz 1 Nr. 1 StGB und i.V.m. § 4 Absatz 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) a.F. [in der hier bei Vertragsschluss am 04.07.2017 gültigen, alten Fassung vom 30. Juni 2017 (BGBl. I S. 2097) ] sowie auch gemäß im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung geltender Rechtslage i.V.m. § 51 Absatz 1 BDSG n.F. (neue Fassung in Kraft getreten am 25. Mai 2018) bedurfte sie der ausdrücklichen Einverständniserklärung durch den Beklagten vor Behandlungsbeginn. Einen Raum für Individualvereinbarungen sieht das Einverständniserklärungsformular nicht vor, sondern lediglich eine Unterschriftenzeile für die Patienten.
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Auch (zahn-) ärztliche Behandlungsverträge im Sinne des § 630a BGB sind „Verbraucherverträge“, auf welche bei grundsätzlich zulässiger und häufig anzutreffender Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen die §§ 305 ff. BGB anzuwenden sind (vgl. Palandt, 77. Auflage 2018, Rz. 6 zu § 630a BGB).
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Die Unwirksamkeit des gesamten Klauselwerkes nach den Maßstäben der §§ 305 ff. BGB folgt aus der Würdigung des ersten Satzes des letzten Absatzes der „Einverständniserklärung“ – Widerrufsbelehrung – unter Berücksichtigung des aus § 306 Absatz 1 BGB folgenden Verbotes der geltungserhaltenden Reduktion und seiner Ausnahmen.
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Der erste Satz des letzten Absatzes enthält im ersten Halbsatz unmissverständlich nach dem hier maßgeblichen Horizont eines (rechtsunkundigen) Durchschnittspatienten die vorformulierte Erklärung, dass die zu unterzeichnende „Einverständniserklärung“ „auch für zukünftige Behandlungen“ gilt. Der zweite Halbsatz („…; ich kann diese jederzeit mit sofortiger Wirkung für die Zukunft widerrufen.“) bezieht sich zwar durch das Wort „diese“ eindeutig auf das im ersten Halbsatz genannte Wort „Zustimmung“. Weil diese „Zustimmung“ nicht näher spezifiziert ist, muss bei allgemeinem Verständnis eines Durchschnittspatienten davon ausgegangen werden, dass sie sich auf sämtliche der oberhalb genannten Allgemeinen Geschäftsbedingungen bezieht. Offen bleibt bei dieser Formulierung jedoch, ob sich die im zweiten Halbsatz des letzten Absatzes enthaltene Widerrufsbelehrung ausschließlich auf die im ersten Halbsatz genannten „zukünftigen Behandlungen“ bezieht, oder aber auch auf die aktuell laufende bzw. im konkreten Behandlungstermin noch zu beginnende Behandlung. Die im zweiten Halbsatz der Widerrufsbelehrung enthaltenen Begleitworte „jederzeit mit sofortiger Wirkung für die Zukunft“ schaffen unter diesem Aspekt keine hinreichende Klarheit. Eine Auslegung nach der Platzierung der Widerrufsbelehrung nach der engen Stellung zu den Worten „künftige Behandlungen“ innerhalb desselben Satzes könnte dafür sprechen, dass diese ausschließlich für die im ersten Halbsatz angesprochenen „künftigen Behandlungen“ gelten soll. Dies ist jedoch keineswegs zwingend, weil in Allgemeinen Geschäftsbedingungen häufig Widerrufsbelehrungen an das Ende gestellt werden und hier zudem keine weitere Widerrufsbelehrung enthalten ist.
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Das Ergebnis einer hier nach dem Verständnis eines Durchschnittspatienten nicht auszuschließende Auslegung der Widerrufsbelehrung dahingehend, dass für die laufende Behandlung gar kein Widerrufsrecht bestehe, verstößt jedoch ganz allgemein gegen die unabdingbaren Patientenrechte aus §§ 6, 35 BDSG a.F. bzw. § 51 BDSG n.F. i.V.m. §§ 183 Satz 1, 355 BGB. Das Recht der Patienten, ihre Zustimmung zur Weitergabe ihrer gesundheitlichen Daten zu widerrufen und auf Löschung bzw. Sperrung der Verwertung zu bestehen, darf nach hier vertretener Auffassung auch für laufende, aktuelle Behandlungen nicht ausgeschlossen werden. Zumindest bis zum Zeitpunkt der tatsächlichen Weitergabe der Patientendaten – hier zwecks Abrechnung und Abtretung – hat dieses Recht ungeschmälert zu bleiben. Frühestens nach dem Zeitpunkt der Datenweitergabe sind schutzwürdige Interessen Dritter in die Abwägung einzubeziehen, ob und inwieweit eine Weiterverwendung zulässig ist. Zumindest aber bis zu diesem Zeitpunkt haben Patienten ein schutzwürdiges Interesse an der Aufrechterhaltung des gesetzlichen Schutzes über die Weitergabe und Löschung ihrer persönlichen und insbesondere hochsensiblen gesundheitlichen Daten. Dies gilt umso mehr, als sie sich in „Einverständniserklärungen“ wie der hier vorliegenden gleich einer Fülle von künftig für sie wichtigen Regelungen gegenüber sehen in einem ggf. gesundheitlich beeinträchtigten Zustand. Denn es geht bei der ihnen abverlangten Zustimmung keineswegs um bloße Abrechnungsvereinfachung, sondern auch um die vereinfachte Forderungseintreibung in einem möglichen späteren Rechtsstreit, in welchem ihre ursprünglichen Vertragspartner, die Behandler, durch Forderungsabtretung den Zeugenstatus erhalten und somit einen grundsätzlichen Beweisvorteil in einem möglichen Rechtsstreit erlangen, den Patienten im Augenblick, da sie das (zahn-) ärztliche Wartezimmer betreten, grundsätzlich nicht vermuten müssen. Patienten haben ein schützenswertes Interesse daran zu erfahren, wie weit ihr Widerrufsrecht reicht, um die Weitergabe ihrer hochsensiblen Patientendaten an Dritte verfolgen zu können und in Erfahrung zu bringen, inwieweit sie an einmal hierzu erteilte Zustimmungen gebunden sind, insbesondere zur Wahrung ihrer Rechte bzw. Befolgen ihrer Verpflichtungen in streitigen, kostenträchtigen Auseinandersetzungen.
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Die nicht auszuschließende Auslegung der fehlenden Widerrufsmöglichkeit für die aktuelle Behandlung benachteiligt aus den vorgenannten Gründen einseitig die Patienten im Sinne von § 307 Absatz 1, Absatz 2 Nr. 1 BGB, denn sie verstößt gegen die vorgenannten, wesentliche Datenschutzvorschriften, die sowohl im Zeitpunkt des Vertragsschlusses (BDSG a.F.), als auch nach denen im hier für maßgeblich erachteten Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung geltenden Vorschriften nach § 51 BDSG (n.F.). Die Formulierung in § 51 Absatz 3 BDSG (n.F.),
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Durch den Widerruf der Einwilligung wird die Rechtmäßigkeit der aufgrund der Einwilligung bis zum Widerruf erfolgten Verarbeitung nicht berührt,
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bezieht sich hier ausschließlich auf das gesetzliche Verbot des § 203 StGB, nicht auf die Frage wirksamer Einbeziehung der Zustimmung zur Datenweitergabe in Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Sinne der §§ 305 ff. BGB.
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Rechtsfolge dieses Verstoßes ist die Unwirksamkeit und Nichteinbeziehung der seitens der Zedentin verwendeten Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Ganzen, § 306 Absatz 1 BGB. Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion ist hier anzuwenden, denn das Widerrufsrecht bezieht sich auf die Zustimmung zu Weitergabe der persönlichen und gesundheitlichen Daten an die Klägerin zu Abrechnungs- und Forderungseintreibungszwecken nach Abtretung. Die Widerrufsbelehrung kann hiervon nicht getrennt betrachtet werden, denn nur mit ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung ist eine Datenweitergabe an die Klägerin als Zessionarin überhaupt wirksam möglich.
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Hilfsweise wird ausgeführt, dass die konkrete Widerrufsbelehrung auch dazu geeignet ist, bezüglich ihrer Reichweite nach dem Empfängerhorizont eines Durchschnittspatienten Verwirrung zu stiften. Insoweit handelt es sich auch um eine unklare Regelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Unklarheiten gehen aber gemäß dem aus § 305c Absatz 2 BGB folgenden Transparenzgebot „zu Lasten des Verwenders“ mit derselben Rechtsfolge der Nichteinbeziehung der gesamten Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach § 306 Absatz 1 BGB.
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Auf die konkreten weiteren Argumentationen der Beklagtenseite zur Unwirksamkeit der Einbeziehung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in den konkreten Behandlungsvertrag kommt es wegen der bereits abstrakt aus der Widerrufsklausel hergeleiteten Unwirksamkeit nicht mehr an.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91. 708 Nr. 11, 711 ZPO.