Zur Rechtmäßigkeit eines Ausschluss vom Unterricht wegen schweren Fehlverhaltens in Whatsapp

VG Karlsruhe, Beschluss vom 18. Juli 2016 – 4 K 3276/16

Zu den Voraussetzungen eines mehr als fünftägigen Unterrichtsausschlusses

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 11.07.2016 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 05.07.2016 wird angeordnet.

2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streitwert wird auf € 2.500,– festgesetzt.

4. Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt … im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe beigeordnet.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen einen sofort vollziehbaren Schulausschluss.

Die am … 1999 geborene Antragstellerin besuchte die 9. Klasse der K…-K…-Schule in B… Im Schuljahr 2016 absolvierte sie die schriftlichen Prüfungen für den Hauptschulabschluss. Am 19.07.2016 ist die Zeugnisübergabe mit anschließendem Abschlussfest vorgesehen.

Am Montag, 04.07.2016 nahm die Antragstellerin an einer Klassenfahrt der 9. Klasse zum Europapark Rust teil. Eine der Mitschülerinnen, … a (phonetisch), nahm nicht teil. Eine Mitschülerin und Freundin der Antragstellerin (…) informierte … per WhatsApp und teilte mit, dass der Ausflug „geil“ sei und sie etwas verpasst habe. Am Folgetag kam es morgens gegen 08.00 Uhr wegen dieser Mitteilung zu einem Gespräch zwischen der Antragstellerin, … sowie der Freundin (…), das in einer verbalen und möglicherweise körperlichen Auseinandersetzung gipfelte. Die Einzelheiten dieses Geschehens sind unter den Beteiligten streitig. Den Hergang dieser Auseinandersetzung beschrieb die Antragstellerin in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 11.07.2016, auf die Bezug genommen wird. Sie räumt ein u.a. im Schülerchat via WhatsApp geäußert zu haben: „…, ich wünsche, dass du vergewaltigt in der Ecke liegst“. Eine andere Darstellung enthält das von der Antragsgegnerin vorgelegte Gedächtnisprotokoll der Lehrerin Frau …

Mit Verfügung vom 05.07.2016 ordnete der Schulleiter der K…-K…-Schule gegenüber der Antragstellerin einen Unterrichtsausschluss an und widerrief die Zusage für einen Schulplatz im BEJ für das Schuljahr 2016/2017. Dazu ist ausgeführt: „Wegen eines besonders schweren Verstoßes gegen die Haus- und Schulordnung (massive verbale Drohung gegen eine Mitschülerin via WhatsApp, versuchte körperliche Gewalt gegen eine Mitschülerin, die nur durch das Eingreifen einer sich selbst in Gefahr bringenden Lehrerin verhindert werden konnte; beide Vorfälle ereigneten sich am 05.07.2016 zwischen 08.00 Uhr und 08.28 Uhr) wird für … gemäß § 90 des Schulgesetzes von Baden-Württemberg [-SchulG -] folgende Erziehungs- und Ordnungsmaßnahme ausgesprochen: „Ausschluss vom Unterricht“ mit sofortiger Wirkung für alle im laufenden Schuljahr noch verbleibenden unterrichtlichen und außerunterrichtlichen Veranstaltungen.“ Des Weiteren heißt es: „Die Anhörung zu dieser Maßnahme fand am heutigen Vormittag zwischen 10.35 Uhr – 10.45 Uhr im Raum 016 b statt (Teilnehmer: Herr …, (Schulleiter), Frau … (Klassenlehrerin), Herr und Frau …, …). … entfernte sich sofort nach Bekanntgabe der beabsichtigten Maßnahmen und war anschließend für eine persönliche Anhörung nicht mehr erreichbar. Wegen dieses besonders schweren Verstoßes gegen die Haus- und Schulordnung ziehen wir auch unsere Zusage für einen Schulplatz im BEJ im kommenden Schuljahr an unserer Schule zurück.“

Dagegen legte die Antragstellerin, vertreten durch ihre Eltern, am 11.07.2016 Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie auf die Antragsbegründung verwies.

Mit dem am 11.07.2016 eingegangen Antrag beantragt die Antragstellerin,

die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 11.07.2016 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 05.07.2016 anzuordnen.

Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Nach § 90 Abs. 3 Nr. 2 e) SchulG kämen Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen nur in Betracht, soweit pädagogische Erziehungsmaßnahmen nicht ausreichten; hierzu gehörten auch Vereinbarungen über Verhaltensänderungen des Schülers mit diesem und seinen Erziehungsberechtigten. Bei allen Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Nach § 90 Abs. 6 SchulG sei ein zeitweiliger Ausschluss vom Unterricht, seine Androhung oder eine Anordnung des Ausschlusses aus der Schule nur zulässig, wenn ein Schüler durch schweres oder wiederholtes Fehlverhalten seine Pflichten verletzt und dadurch die Erfüllung der Aufgabe der Schule oder die Rechte anderer gefährdet. Diese Voraussetzungen habe die Antragsgegnerin darzulegen und zu beweisen. Sie müsse sich in der Verfügung substantiiert zu den Pflichtverstößen und zu der getroffenen Ermessensausübung erklären. Bloße pauschale Behauptungen, wie hier massive verbale Drohungen gegen eine Mitschülerin via WhatsApp, versuchte körperliche Gewalt gegen eine Mitschülerin, genügten nicht dem Bestimmtheitsgrundsatz. Die Voraussetzungen des Schulausschlusses würden bestritten. Am Montag, 04.07.2016 habe ein Klassenausflug in den Europa-Park Rust stattgefunden. Die Mitschülerin namens … habe verschlafen und sei deshalb nicht beim Ausflug dabei gewesen. Ihre Freundin (…) habe sich während des Ausfluges per WhatsApp mit … in Verbindung gesetzt und dieser mitgeteilt, dass der Ausflug „geil“ sei. Sie, die Antragstellerin, habe den Chatverkehr mitbekommen. Sinngemäß habe … patzig erwidert, dass ihr dies „scheißegal“ sei und sie nicht genervt werden wolle. Sie, die Antragstellerin, habe die Äußerungen … vollkommen überzogen empfunden. Am Folgetag habe sie mit … über den Chat vom 04.07.2016 in der Schule sprechen wollen. Das Gespräch habe gegen 08.00 Uhr stattgefunden. … habe ihr mitgeteilt, sie solle sich raushalten, sie „ficke“ doch eh nur rum. Umstehende Mitschüler hätten die verbale Auseinandersetzung mitbekommen. Die Klassenlehrerin Frau … habe zur Beilegung der Auseinandersetzungen eingegriffen, sie, die Antragstellerin am Arm gehoben und gesagt, dass es genug sei. Während einer Schulpause habe eine Mitschülerin ihr mitgeteilt, … habe verbreitet, sie, die Antragstellerin, würde „für jeden die Beine breit machen“. Innerlich habe sie sich gesagt, dass es jetzt reiche. Im Schülergruppenchat via WhatsApp habe sie geäußert: „…, ich wünsche, dass du vergewaltigt in der Ecke liegst“. Auf ihre eidesstattliche Versicherung vom 11.07.2016 werde verwiesen. Nach Schulschluss sei sie heimgegangen. Nachdem der Schuldirektor Kenntnis von dem Vorfall erhalten habe, seien ihre sorgeberechtigten Eltern nebst ihr selbst noch am 05.07.2016 zu einem Gespräch geladen worden. Den Eltern und ihr sei mitgeteilt worden, dass sie für den Rest des Schuljahres nicht mehr am Schulunterricht teilnehmen dürfe und dies auch für das Schulfest am 19.07.2016 gelte. Ferner sei die Zusage für einen Schulplatz im kommenden Schuljahr – untechnisch – ausgedrückt zurückgenommen worden. Die Möglichkeit einer Gegendarstellung sei ihr nicht eingeräumt worden. Ihr Verhalten stelle keinen schwerwiegenden Pflichtverstoß dar. Auf die Entscheidung des VGH Mannheim (B. v. 02.01.2008 – 9 S 2908/07 -) und den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 05.12.2008 (- 1 BvR 1318/07 – ) werde verwiesen. Die Ermessensausübung werde gerügt. Diese Aspekte seien von der Antragsgegnerin nicht berücksichtigt worden. Die Entscheidung sei vollkommen überzogen/unverhältnismäßig. Selbst wenn ein Pflichtverstoß zu bejahen wäre, hätte der zeitige Ausschluss vorab angedroht werden müssen. Dies ergebe sich klar aus dem Gesetz. Durch den sofortigen Ausschluss sei sie stigmatisiert. Sie dürfe nicht am Abschlussfest teilnehmen und es werde ihr nicht gestattet, im kommenden Schuljahr die Schule zu besuchen.

Der Ausschluss für alle im laufenden Schuljahr noch verbleibenden unterrichtlichen und außerunterrichtlichen Veranstaltungen hätte nicht ohne Anhörung der Klassenkonferenz ergehen dürfen.

Die Antragsgegnerin stellte keinen Sachantrag. Sie verweist auf das Gedächtnisprotokoll von Frau … sowie auf den Auszug aus der WhatsApp-Nachricht die auszugsweise wie folgt lautet: „+ 49152… ich hoffe für … das die irgendwie Vergewaltigt in der eck liegt alter Pass auf das du sagst glaub mir bei bye“.

Ergänzend trägt der Schulleiter vor: Nach der Schilderung der Ereignisse am 05.07.2016 durch Frau … und der Anhörung der anderen beteiligten Schülerin (…) habe er für die Eltern der Antragstellerin gemeinsam mit … ein Schulleitungsgespräch um 10:30 Uhr festgesetzt. Beide Eltern seien gemeinsam erschienen mit … Am Gespräch habe Frau … teilgenommen. Zu Beginn des Gesprächs habe er die Eltern über die vorgefallene Situation (versuchter Übergriff, Eingreifen der Lehrerin, WhatsApp-Nachricht mit massiver Drohung gegenüber der Mitschülerin) sowie die von ihm beabsichtigten Maßnahmen unterrichtet. Unmittelbar daraufhin sei … aufgesprungen und aus dem Besprechungsraum und der Schule geflüchtet. Frau … habe unverzüglich die Verfolgung aufgenommen, habe … jedoch nicht mehr erreichen können. Im Anschluss an das Gespräch mit den Eltern seien alle Maßnahmen eingeleitet worden, um … telefonisch zu erreichen, was nicht gelungen sei. Der Unterrichtsausschluss sei vor dem Hintergrund der besonderen schulischen Situation festgesetzt worden. … habe die VAB besucht und alle Prüfungen zum erfolgreichen Bestehen des Hauptschulabschlusses im VAB erfolgreich bestanden. Am Vormittag des Übergriffs seien ihr und den Mitschülern die Prüfungsnoten mitgeteilt worden. Wegen ihrer Ergebnisse habe … an keiner mündlichen Prüfung teilnehmen müssen. Daher sei die einzige schulische Veranstaltung bis zum Ende des Schuljahres die Abschlussveranstaltung am 19.07., bei der den Schülerinnen des VAB, aber auch anderen Schularten, in feierlicher Form die Zeugnisse überreicht werden. Eine Teilnahme der Antragstellerin an dieser Veranstaltung sei nach den Vorkommnissen nach seinem Ermessen nicht möglich und in keiner Form angebracht. Der Unterrichtsausschluss beziehe sich auf diese Veranstaltung und sei „bis auf Weiteres“ ausgesprochen, sofern in der Zwischenzeit noch eine andere schulische Veranstaltung angesetzt worden wäre (z.B. Vorbereitung auf die Abschlussfeier). Dies sei jedoch nicht der Fall. Die Antragstellerin habe nicht einen Schulausschluss erhalten. Sie werde das VAB mit dem Hauptschulabschluss abschließen, habe dann die Berufsschulpflicht erfüllt und könne anschließend eine Ausbildung, ein Praktikum oder eine weiterführende Schule (z.B. BEJ oder zweijährige Berufsschule oder Berufsaufbaujahr) an einer anderen Schule besuchen. Der Besuch des BEJ im kommenden Jahr sei bei ihr vor dem Hintergrund und der Erfahrungen in diesem Schuljahr und nun endgültig ausgelöst durch die Vorkommnisse am 05.07. nicht mehr möglich. Wegen des massiven körperlichen Übergriffs gegen eine Lehrerin, dem versuchten körperlichen und ausgeführten massiven verbalen Übergriff gegen eine Mitschülerin und den sich bereits während des Schuljahres gegebenen Vorkommnisse könne er die Sicherheit für Mitschüler/innen und der Lehrer/innen nicht garantieren. Den Unterrichtsausschluss für hier de facto einen Unterrichtstag (19.07.) halte er für uneingeschränkt angemessen und verhältnismäßig. Eine Anhörung der Klassenkonferenz habe nicht stattgefunden, weil er zur Gewährung der Sicherheit für die am Schulleben Beteiligten unverzüglich habe handeln müssen und in der Kürze der Zeit keine Klassenkonferenz habe einberufen und anhören können. Im Vorfeld habe es folgende Ereignisse gegeben: Am 22.09.2015 seien sich vor Unterrichtsbeginn die beiden Schülerinnen, die Antragstellerin und …, vor dem Klassenraum 102 gegenübergestanden. Sie hätten eine aggressive verbale Auseinandersetzung gehabt, in der jede Schülerin der anderen die Verbreitung von Unwahrheiten vorgeworfen habe. Eine Lehrerin sei dazwischen gegangen. Es habe sich herausgestellt, dass beide sich schon von der vorherigen Schule gekannt hätten und es schon „alte Feindschaften“ gegeben habe. Es seien strikte Verhaltensregelungen vereinbart worden. Im Laufe des Schuljahres sei bereits wegen nicht erfüllter Aufträge Nachsitzen durch den Lehrer festgelegt worden. Zudem habe die Antragstellerin vereinzelt die Teilnahme am Unterricht verweigert. Unter Abwägung aller Informationen, bisherigen Geschehnisse und seiner Erfahrung als Lehrer und Schulleiter halte er die Maßnahme für angemessen. Die Sicherheit der Mitschüler/innen und Lehrer/innen sei bei der einzigen noch ausstehenden schulischen Veranstaltung durch den Ausschluss gewährleistet. Die Antragstellerin habe zum jetzigen Zeitpunkt noch die Möglichkeit, sich um eine Option für den Schulbesuch oder eine andere Möglichkeit zu entscheiden. Für die Rücknahme der Zusage für den Schulplatz im kommenden Schuljahr werde auf das wiederholte, teils schwere Fehlverhalten reagiert und die Belange der Schule und der Mitschüler/innen in den Vordergrund gerückt. Es fehle eine Basis für eine weitere Zusammenarbeit.

Auf die gewechselten Schriftsätze wird verwiesen.

II.

Der nach § 80 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 5 VwGO, § 90 Abs. 3 Satz 3 SchulG statthafte An-trag ist auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit des Unterrichtsausschlusses gerichtet ist zulässig und begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist, soweit es um den „Ausschluss vom Unterricht“ mit sofortiger Wirkung „für alle im laufenden Schuljahr noch verbleibenden unterrichtlichen und außerunterrichtlichen Veranstaltungen“ geht, ein Unterrichtsausschluss, kein Schulausschluss. Nach ihrem Wortlaut und einer am Empfängerhorizont orientierten Auslegung erfasst diese Formulierung in der Verfügung vom 05.07.2016 alle unterrichtlichen und außerunterrichtlichen Veranstaltungen bis zum Schuljahresende, also bis zum 27.07.2016. Das laufende Schuljahr ist nach dem Wortlaut des § 90 Abs. 3 Nr. 2 f) SchulG kalendermäßig zu berechnen (vgl. z. B. VG Düsseldorf, Beschluss vom 25.02.2004 – 18 L 539/04 – Rn. 5, juris). Es dauert für das Schuljahr 2016 bis 27.07.2016. Dies bedeutet, dass beginnend mit dem 05.07.2016 „für das laufende Schuljahr“ ein drei Wochen und einen Tag dauernder Ausschluss angeordnet wurde. Auch unter Berücksichtigung der für die Empfängerin bekannten konkreten Umstände des organisatorischen schulischen Ablaufs, dass bei Bestehen der schriftlichen Prüfungen, wie es für die Antragstellerin zutrifft, nur noch ein Unterrichtstag stattfindet, nämlich die Zeugnisausgabe am 19.07.2016, ergibt sich keine andere Auslegung. Es bleibt eine Anordnung des Ausschlusses für denkbare außerunterrichtliche Veranstaltungen, z. B. Vorbereitungsstunden für die Abschlussfeier, für mehr als drei Wochen.

Es kann offen bleiben, ob die allein in der Kompetenz des Schulleiters liegende Ermächtigung eines fünftägigen Unterrichtsausschlusses (§ 90 Abs. 3 Nr. 2 d SchulG) dazu ermächtigt, einen Unterrichtsausschluss für nach dem Datum bestimmte oder bestimmbare Unterrichtstage festzulegen, an denen Unterricht oder eine außerunterrichtliche Veranstaltung stattfindet. Denn der Verfügung vom 05.07.2016 lässt sich nicht entnehmen, auf welche nach ihrem Datum bestimmte oder bestimmbare Unterrichtstage oder außerunterrichtliche Veranstaltungen sich der Ausschluss beziehen soll.

Der Streitgegenstand des Eilantrags bezieht sich ungeachtet der Frage, ob eine wirksame Zusicherung für einen Schulplatz an dieser Schule sowie deren Rücknahme vorliegen, nicht auf diesen Teil der Anordnung bzw. die „Rücknahme“. Die Antragstellerin hat dagegen nichts eingewendet, ihre Einwände beschränken sich auf den Unterrichtsausschluss.

Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann in Fällen der sofortigen Vollziehbarkeit das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Bei der nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen Interessenabwägung ist dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Verfügung der Vorrang einzuräumen vor dem Interesse des Antragstellers, vom Vollzug der Verfügung bis zu einer endgültigen Entscheidung über deren Rechtmäßigkeit einstweilen verschont zu bleiben. Das Gewicht der gegenläufigen Interessen wird vor allem durch die summarisch zu prüfenden Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, aber auch durch die voraussichtlichen Folgen des Suspensiveffekts einerseits und der sofortigen Vollziehung andererseits bestimmt. Bei der Abwägung auf Grund summarischer Erfolgsprüfung hat das Suspensivinteresse umso größeres Gewicht, je größer die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs sind, dem Vollzugsinteresse ist hingegen umso größeres Gewicht beizumessen, je weniger Aussicht auf Erfolg der Rechtsbehelf hat (st. Rspr., vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 13.03.1997 – 13 S 1132/96 – VBIBW 1997, 390 = juris Rn. 3).

Im vorliegenden Fall gebietet eine Abwägung der vorliegend widerstreitenden Inte-ressenlage der Antragstellerin an einer Unterrichtsteilnahme und des kraft Gesetzes sofort vollziehbaren öffentlichen Interesses der Antragsgegnerin an der Durchset-zung der verhängten Erziehungs- und Ordnungsmaßnahme (§ 90 Abs. 3 Satz 3 SchulG) eine Entscheidung zu Gunsten der Antragstellerin. Denn die Entscheidung des Schulleiters vom 05.07.2016 begegnet erheblichen rechtlichen Zweifeln. Der Widerspruch wird daher aller Voraussicht nach auch erfolgreich sein.

In formeller Hinsicht bestehen Bedenken wegen der fehlenden Anhörung der Klas-senkonferenz, die bei einem mehr als fünftägigen Unterrichtsausschluss erforderlich ist.

Für einen Unterrichtsausschluss für die Dauer von mehr als fünf Unterrichtstagen (vom 05.07. bis 27.07.2016), wie er hier angeordnet wurde, ist der Rektor zwar zu-ständig, es bedarf aber der Anhörung der Klassenkonferenz (§ 90 Abs. 3 Nr. 2 e SchulG). Dies ergibt sich eindeutig aus der Satzstruktur der Vorschrift, wonach die Anhörung der Klassenkonferenz bei Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen nach § 90 Abs. 3 Nr. 2 e, f und g SchulG vorgeschrieben ist (s. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.01.2008 – 9 S 2908/07 – Rn. 2, juris). Nur der in § 90 Abs. 3 Nr. 2 d SchulG geregelte Ausschluss vom Unterricht bis zu fünf Unterrichtstagen steht in der alleinigen Anordnungsbefugnis des Schulleiters. An der Anhörung der Klassenkonferenz vor Erlass des – mehr als fünftägigen – Unterrichtsausschlusses fehlt es hier, weshalb die Maßnahme rechtwidrig ist. Dass die Anhörung der Klassenkonferenz ausnahmsweise entbehrlich sein könnte, weil der Schulausschluss sofort für den nächsten Schultag angeordnet werden muss, lässt sich nach Sinn und Zweck des Gesetzes nicht begründen. Denn für eilbedürftige Fälle bleibt dem Schulleiter die Möglichkeit, einen ein- bis fünftägigen Unterrichtsausschluss anzuordnen (§ 90 Abs. 3 Nr. 2 d SchulG) und danach, wenn dieser nicht ausreichend sein sollte, einen über fünf Tage hinausgehenden Unterrichtsausschluss nach Anhörung der Klassenkonferenz anzuordnen. Diese Möglichkeit besteht auch noch im vorliegenden Fall, um einen Unterrichtsausschluss am 19.07.2016 zu erreichen.

Was die Anhörung (§ 28 LVwVfG) der Antragstellerin und ihrer sorgeberechtigten Eltern (§ 90 Abs. 7 S. 1 und 2 SchulG) angeht, so hat diese nach den glaubhaften Ausführungen des Schulleiters in der ergänzenden Stellungnahme vom 15.07.2016 stattgefunden. Gegenteiliges hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Dass sich die Antragstellerin der Anhörung entzogen hat, geht zu ihren Lasten.

Die formelle Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Verfügung gebietet, trotz der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit des Unterrichtsausschlusses, das Interesse der Antragstellerin höher zu bewerten als das der Antragsgegnerin, weshalb die aufschiebende Wirkung anzuordnen war. Der Antragsgegnerin bleibt es aber unbenommen, ihre Entscheidung aufzuheben und für den 19.07. 2016 und darüber hinaus eine neue Entscheidung anzuordnen.

Zur Vermeidung weiteren Rechtsstreits merkt das Gericht an, dass viel dafür spricht, dass ein Unterrichtsausschluss im angeordneten Umfang materiell rechtmäßig wäre. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen dafür sowie eine Ermessensreduzierung auf Null, die einen drei Wochen und einen Tag dauernden Ausschluss rechtfertigen, dürften vorliegen. Maßgebend hierfür sind folgende Erwägungen.

Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen dienen der Verwirklichung des Erziehungs- und Bildungsauftrags der Schule, der Erfüllung der Schulbesuchspflicht, der Einhaltung der Schulordnung und dem Schutz von Personen und Sachen innerhalb der Schule (§ 90 Abs. 1 SchulG). Der zeitweilige Ausschluss vom Unterricht ist zulässig, wenn ein Schüler durch schweres oder wiederholtes Fehlverhalten seine Pflichten verletzt und dadurch die Erfüllung der Aufgabe der Schule oder die Rechte anderer gefährdet (§ 90 Abs. 6 SchulG). Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen dürfen nur zu schulischen Zwecken eingesetzt werden. Hierzu gehört vor allem der Schutz von Personen und Sachen. Damit sind insbesondere körperliche Unversehrtheit, sexuelle Selbstbestimmung sowie Ehre und Eigentum der am Schulleben Beteiligten geschützt (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.06.2001 – 9 S 166/06 – Rn. 2, juris). Der zeitweilige Ausschluss vom Unterricht ist nur zulässig, wenn ein Schüler durch schweres oder wiederholtes Fehlverhalten seine Pflichten verletzt und dadurch die Erfüllung der Aufgabe der Schule oder die Rechte anderer gefährdet (§ 90 Abs. 6 Satz 1 SchG) (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 02.01.2008, aaO, Rn. 2). Wann dies der Fall ist, lässt sich nicht allgemein umschreiben, sondern ist aufgrund der konkreten Umstände in jedem Einzelfall zu prüfen. Vielmehr sind zur Einordnung des Gewichts der jeweiligen Verfehlung die konkreten Einzelfallumstände heranzuziehen und ins-besondere das Alter des betroffenen Schülers sowie der allgemeine Sprachgebrauch unter seiner Altersgenossen und Schulkameraden in den Blick zu nehmen (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 02.01.2008, aaO, Rn. 6 unter Hinweis auf Senatsurteil vom 18.04.2005 – 9 S 2631/04 – sowie Senatsbeschluss vom 15.03.2006 – 9 S 166/06 -).

Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen steht die Anordnung eines Unterrichtsaus-schlusses im Ermessen des Schulleiters. Eine Ermessensentscheidung kann vom Gericht nur daraufhin überprüft werden (§ 114 Satz 1 VwGO), ob überhaupt Ermessen ausgeübt wurde, ob die Behörde für die ihr gestellte Aufgabe eine den rechtlichen, insbesondere auch verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtsgrundlage zur Verfügung hatte und die rechtlichen Vorgaben, einschließlich Art. 3 Abs. 1 GG, eingehalten hat sowie, ob sie von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist (Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl., § 114 Rn. 28 m.w.N.). Dem Gericht ist es dagegen verwehrt, seine eigenen Zweckmäßigkeitsüberlegungen an die Stelle der Entscheidung der Verwaltungsbehörden zu setzen.

Nach diesen Kriterien dürfte hier schon aufgrund des Inhalts der Whatsapp im Gruppenchat ein „schweres Fehlverhalten“ gegeben sein, wodurch die Erfüllung der Aufgabe der Schule und die Rechte anderer gefährdet sind. Denn die Aussage „Ich hoffe für“ die Mitschülerin mit dem Kosenamen …, „dass die irgendwie vergewaltigt in der Ecke liegt“, berührt die sexuelle Selbstbestimmung und den Schutz der Gesundheit der betroffenen Mitschülerin. Deren Sicherheit erscheint ohne den Unterrichtsausschluss der Antragstellerin nicht mehr gewährleistet.

Hinzu kommt die im Gedächtnisprotokoll der Lehrerin … nachvollziehbar und glaubhaft geschilderte Bereitschaft der Antragstellerin zu tätlichen Angriffen. Frau … berichtete: „…“ erzählte mir, dass sie am Morgen vor dem Schulgebäude von … als „arrogante Schlampe“ bezeichnet worden sei. Diese Aussage wurde von einer anderen Mitschülerin bestätigt. Ich fragte daraufhin nach, ob es dafür einen Auslöser gegeben habe. … verwies ausschließlich auf die WhatsApp-Konversation vom vorigen Tag. … entgegnete, dass sie sich nicht provozieren lasse. Plötzlich ging … auf … los, näherte sich ihr bis auf wenige Zentimeter und nahm eine drohende Position ein. Ich musste davon ausgehen, dass … kurz davor stand, … mit der Hand zu schlagen. Um dies zu verhindern, stellte ich mich sofort zwischen die beiden Schülerinnen und rief „…“. Ich konnte beide Unterarme von … greifen und sie etwas zur Seite schieben und die beiden Schülerinnen somit trennen. Daraufhin schickte ich … kurz nach draußen, um sich zu beruhigen und eine räumliche Trennung zwischen den beiden Schülerinnen herzustellen. … wurde von … begleitet“. Nachdem die Lehrerin den Schülerinnen die Noten eröffnete entließ sie … und … nach Hause, um einer weiteren Konfrontation vorzubeugen. „… beleidigte daraufhin noch … wie folgt: „Es wäre besser … würde nicht mehr nur kiffen und die Beine für jeden breit mache.“ „Daraufhin verließen … und … das Schulgebäude. Nur einige Minuten später sendete … folgende WhatsApp an die Klassengruppe: „Ich hoffe für … das die irgendwie vergewaltigt in der Eck liegt alter Pass auf was du sagst glaub mir Bye“.

Die Antragstellerin hat den körperlichen Angriff in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 11.07.2016 zwar geleugnet und vorgetragen, dass sie … nicht geschlagen habe, geschweige denn versucht habe, dies zu tun. Sie hat aber auch nichts dazu vorgetragen, was den präzisen und nachvollziehbaren Bericht der Lehrerin Frau …, einer Unbeteiligten, infrage stellen könnte. Ungeachtet der streitigen Einzelheiten belegt deren Gedächtnisprotokoll, dass die Antragstellerin einen tätlichen Angriff gegen sie oder/und die Mitschülerin ausüben wollte bzw. dazu angesetzt hat. Für die im Eilverfahren nur mögliche summarische Prüfung ist deshalb zumindest von einem versuchten körperlichen Übergriff von Seiten der Antragstellerin auf eine Mitschülerin (…) und Lehrerin auszugehen.

Dass die Antragstellerin ihr Verhalten in ihrer eidesstattlichen Versicherung mehrfach als „nicht in Ordnung“ bezeichnete und bezüglich der Whatsapp erklärte, es tue ihr leid, zeigt zwar eine gewisse Einsicht und Reue. Sie macht das Geschehene aber nicht ungeschehen. Letzteres ist u.a. bei der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen.

Ob in der Aussage per Whatsapp „Alter pass auf, was du sagst“, ein verbaler Angriff gegenüber dem Schulleiter zu sehen ist, ist derzeit nicht klärbar. Dies bedarf der Aufklärung im Widerspruchsverfahren.

Bei dieser Sachlage dürfte der angeordnete Ausschluss bis zum Ende des Schuljahres, für drei Wochen und einen Tag, angemessen und verhältnismäßig sein. Auch eine Ermessensreduzierung auf Null dürfte gegeben sein, d.h. der streitgegenständliche Ausschluss für den Unterricht und außerunterrichtliche Veranstaltungen bis zum 27.07.2016 erscheint als die einzig richtige Maßnahme. Deshalb erscheint unerheblich, dass in der Verfügung kein Ermessen ausgeübt wurde. Auf die Möglichkeit einer Ermessensausübung im Widerspruchsverfahren und einer Ergänzung, nicht erstmaligen Ermessensausübung im Gerichtsverfahren (§ 114 S. 2 VwGO) wird verwiesen.

Der streitgegenständliche Unterrichtsausschluss für unterrichtliche und außerunterrichtliche Veranstaltungen kann nach Anhörung der Klassenkonferenz bis zu einer vierwöchigen Dauer (§ 90 Abs. 3 Nr. 2 e SchulG), also jedenfalls bis zum Schuljahresende (27.07.2016) angeordnet werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Der Streitwert war im Eilverfahren auf die Hälfte des Regelstreitwerts festzusetzen.

Dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten war stattzugeben.

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