Zur Pflicht des Eigentümers eines landwirtschaftlichen Grundstücks zur Duldung von Bodenaufschüttungen

Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 12. November 2020 – 5 U 40/20

Zur Pflicht des Eigentümers eines landwirtschaftlichen Grundstücks zur Duldung von Bodenaufschüttungen

Tenor

Die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das am 28. Februar 2020 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) – Az.: 11 O 436/19 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Verfügungsbeklagte. Die Streithelferin der Verfügungsbeklagten trägt ihre Kosten selbst.

Gründe
I.

1
Der Verfügungskläger (im Folgenden Kläger genannt) ist Eigentümer des landwirtschaftlichen Grundstücks Flur …, Gemarkung …, Flurstück (1). Über dieses Grundstück verlief eine Gasleitung, welche in Abteilung II, lfd. Nr. … des Grundbuchs durch eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit zugunsten der … Gas AG und der … Deutschland GmbH & Co. KG (je zu ½ Anteil) gesichert war. In der in Bezug genommenen Urkunde (UR-Nr. … des Notars K… in B…) war die Dienstbarkeit wie folgt beschrieben: „eine Erdgasleitung mit Kabel und Zubehör in einem Schutzstreifen von 10 m Breite zu errichten, zu betreiben, zu unterhalten, instandzusetzen, zu erneuern, zu beaufsichtigen oder zu entfernen und zu diesem Zweck (die betroffenen Grundstücke) zu benutzen oder von beauftragten Dritten benutzen zu lassen“. Die Dienstbarkeit ist im Wege der Ausgliederung auf die Beklagte übergegangen.

2
Die Beklagte ließ die Gasleitung erneuern und dabei seitlich nach rechts verlegen. In dem Verfahren 19 O 163/19 Landgericht Frankfurt (Oder) haben die Parteien am 16. Juli 2018 einen Vergleich geschlossen, durch den sich der Kläger verpflichtet hat, die Verlegung der Leitung zu dulden und durch eine den veränderten Verhältnissen angepasste Dienstbarkeit zu sichern. Für die Abnutzung der Grundstücke des Klägers sollte die Beklagte 42.500,00 € zahlen; eine weitere Haftung der Beklagten für Schäden, die dadurch entstehen, dass Bautätigkeit entfaltet wird, welche nicht den Regeln der Technik entspricht war nicht ausgeschlossen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vergleichs wird auf Bl. 205 ff. der zu Informationszwecken beigezogenen Akte 19 O 163/19 LG Frankfurt (Oder) verwiesen.

3
Aus Sicherheitsgründen war es technisch geboten, die Leitung in einer Tiefe von mindestens 1 m unter der Geländeoberfläche zu verlegen („Mindestüberdeckung“). Diese Mindestüberdeckung wurde im Grenzbereich des klägerischen Grundstücks zum Flurstück (2) nicht erreicht, sondern ging, nach dem Vortrag des Beklagten aufgrund einer natürlichen topographischen Absenkung, bis auf 70 cm zurück. Die Beklagte ließ zur Herstellung der Mindestüberdeckung auf einer Fläche von ca. 1.000 m Unterboden aufbringen und das umliegende Gelände höhenmäßig anzupassen. Die Beklagte vertritt die Ansicht, nach der Aufbringung einer (weiteren) Schicht mit Mutterboden sei der geschuldete Zustand des klägerischen Grundstücks wiederhergestellt.

4
Der Kläger hat behauptet, der eingebrachte Unterboden sei ungeeignet und mit Recyclingmaterial versetzt. Der pH-Wert liege bei 11, der Boden sei nicht hinreichend wasserdurchlässig und mit schwerem Gerät nicht zu befahren.

5
Der Kläger hat beantragt,

6
der Beklagten im Wege der einstweiligen Verfügung bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 € für jeden Fall der Zuwiderhandlung aufzugeben es zu unterlassen, auf seinen landwirtschaftlichen Flächen, insbesondere auf dem Flurstück (1) der Flur …, Gemarkung …, Ablagerungen von Erdboden jeglicher Art, insbesondere Lehmboden versetzt mit Recyclingmaterial sowie mit Steinen, Asphalt, Vlies und Holzteilen aufzubringen bzw. dort zu lagern.

7
Die Beklagte hat beantragt,

8
den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

9
Sie hat behauptet, nur den Boden aufgebracht zu haben, der zuvor dem Grundstück des Klägers entnommen worden sei. Der Boden sei weder mit Fremdstoffen verunreinigt noch ungeeignet. Die Arbeiten bezüglich des Unterbodens seien abgeschlossen, sodass ohnehin keine Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr bestehe.

10
Die Parteien haben ihr Vorbringen wechselweise durch Vorlage von gutachterlichen Stellungnahmen glaubhaft gemacht.

11
Das Landgericht hat die begehrte einstweilige Verfügung erlassen und zur Begründung ausgeführt: Die Eigentumsstörung liege in dem Aufbringen von Boden auf das Grundstück des Klägers. Zwar sei die Beklagte aufgrund der Vereinbarungen mit dem Kläger oder aus der Dienstbarkeit zu der entsprechenden Grundstücksnutzung befugt. Diese Befugnis umfasse aber nicht das Aufbringen von ungeeignetem und verunreinigtem Boden. Im Hinblick auf die Beschaffenheit des Bodens ist das Landgericht den Ausführungen des Gutachters P… (Bl. 7 ff.) gefolgt. Die einmalige Rechtsverletzung führe zu einer Vermutung der Wiederholungsgefahr. Der Verfügungsgrund folge aus der Tatsache, dass die Beklagte nach ihrem eigenen Vorbringen weiteren Boden aufzubringen beabsichtige.

12
Gegen dieses ihr am 04. März 2020 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, die am 18. März 2020 bei dem Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangen ist. Die Beklagte hat das Rechtsmittel nach entsprechender Fristverlängerung mit einem am 04. Juni 2020 eingegangenen Schriftsatz begründet.

13
Sie erstrebt die Aufhebung der einstweiligen Verfügung und führt aus: Die fehlende Überdeckung der Ferngasleitung habe sich auf wenige Meter erstreckt. Die Auffüllung mit Unterboden auf einer Fläche von etwa 1.000 m² habe dazu gedient, ein insgesamt – auch für landwirtschaftliche Maschinen – leicht zu bearbeitendes Geländeprofil herzustellen. Der Boden sei geeignet und enthalte nicht die im Antrag benannten Fremdkörper.

14
Eine Wiederholungsgefahr drohe schon deshalb nicht, weil der Arbeitsschritt „Aufbringung der Unterbauschicht“ abgeschlossen sei. Als weiteres Glaubhaftmachungsmittel bezieht sich die Beklagte auf eine fachgutachterliche Stellungnahme der H… C… vom 29.05.2020 (Bl. 291), die den Boden als geeignet beschreibe und die Methodik des Gutachters P… in Frage stellt.

15
Die Streithelferin der Beklagten wendet sich ergänzend gegen die Würdigung der zur Glaubhaftmachung eingereichten Gutachten durch das Landgericht und insbesondere gegen die Überzeugungskraft der Ausführungen des Gutachters P….

16
Die Beklagte und ihre Streithelferin beantragen,

17
die angefochtene Entscheidung abzuändern und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

18
Der Kläger beantragt,

19
die Berufung zurückzuweisen.

20
Er betont, sich nicht nur gegen die Aufbringung von kontaminiertem Erdreich zu wenden, sondern gegen eine Veränderung des Bodenprofils seines Grundstücks.

21
Das Landgericht hat dem Kläger durch Beschluss vom 11. Mai 2020 eine Frist von drei Wochen zur Erhebung der Hauptsacheklage gesetzt. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 30. Juni 2020 die Klage in der Hauptsache eingereicht.

II.

22
Die Berufung der Beklagte ist zulässig, insbesondere in der gesetzlichen Frist und Form (§§ 517, 519, 520 ZPO) eingelegt und begründet worden. In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg; denn das Landgericht hat die einstweilige Verfügung zu Recht erlassen.

23
Der Kläger kann von der Beklagten die Unterlassung der weiteren Aufbringung von Boden auf sein Grundstück aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB verlangen.

24
Die Aufbringung von einer Schicht von Unterboden auf das Grundstück des Klägers stellt eine Beeinträchtigung des Eigentums dar. Jede nach Dauer und Intensität nicht ganz unerhebliche Einwirkung auf die tatsächliche oder rechtliche Herrschaftsmacht des Eigentümers über sein Eigentum stellt eine Beeinträchtigung im Sinne des § 1004 BGB dar; es kommt nicht darauf an, ob die Einwirkung schädlich ist (BGHZ 111, 158) oder sogar als nützlich oder wertsteigernd angesehen werden kann (Brandenburgisches OLG, Urteil vom 21. März 1995, Az.: 6 U 191/94). Die mit der Aufbringung des Bodens verbundene Erhöhung bzw. Anpassung des Geländes um bis zu 30 cm bei einer betroffenen Gesamtfläche von etwa 1.000 m² stellt auch offensichtlich keine unerhebliche und deshalb ohne weiteres zu duldende Maßnahme dar.

25
Der Kläger als Eigentümer des mit der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit belasteten Grundstücks ist nicht verpflichtet, die Geländeanpassung zu dulden. Zu den von der Dienstbarkeit umfassten Tätigkeiten der Beklagten zählen nur die Errichtung, der Betrieb, der Unterhalt, die Instandsetzung und Erneuerung, die Beaufsichtigung und die Entfernung einer Gasleitung und damit auch diejenigen Tätigkeiten, die hiermit technisch unmittelbar zusammenhängen. Für alle Maßnahmen gilt, dass die Dienstbarkeit schonend auszuüben ist; hierbei ist das Interesse des Berechtigten an der effektiven Ausübung seines durch die Dienstbarkeit gesicherten Rechts gegen die Interessen des Eigentümers des dienenden Grundstücks abzuwägen (BeckOK, 3. Ed., § 1020 RN 4). Im Streitfall ist eine nicht unerhebliche Veränderung des Höhenprofils des dienenden Grundstücks nicht durch die Ausübung der Dienstbarkeit gedeckt. So ist insbesondere nicht erkennbar, dass die Gasleitung nicht auch im gesamten Grundstücksbereich so tief hätte verlegt werden können, dass die erforderliche Mindestüberdeckung ohne eine Anschüttung von Boden zu erreichen oder dass eine solche Tieferlegung aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar gewesen wäre.

26
War der Kläger mithin zur Duldung der Veränderung des Geländeprofils nicht verpflichtet, so kommt es auf die zwischen den Parteien streitige Frage nicht an, ob der aufgebrachte Boden ungeeignet oder mit Abfall durchsetzt war.

27
Der Unterlassungsanspruch ist nicht durch den am 16. Juli 2019 geschlossenen Vergleich ausgeschlossen. Durch diesen Vergleich sollten nur solche Schäden ausgeglichen werden, die im Rahmen der Bautätigkeit an Flurstücken des Klägers Nrn. (1), (3) und (4) entstanden war; die Haftung für eine nicht den Regeln der Technik entsprechende Bautätigkeit sollte von dem Vergleich nicht berührt werden. Es ist dem Vorbringen der Parteien – auch im Verfahren 19 O 163/19 – nicht zu entnehmen, dass auch eine infolge der Leitungsverlegung vorgenommene Geländeanpassung mit dem Entschädigungsbetrag hätte abgegolten werden sollen.

28
Die gem. § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB erforderliche Wiederholungsgefahr folgt hier schon aus dem Umstand, dass die Beklagte nach eigenem Vorbringen den Abschluss der Arbeiten dadurch anstrebt, dass sie eine Schicht Mutterboden in dem von der Geländeerhöhung betroffenen Bereich aufbringen will. Durch diese Maßnahme würde sich das Gelände noch weiter erhöhen, was zu dulden der Kläger nach dem Ausgeführten nicht verpflichtet ist.

29
Die Beklagte ist als Störerin passiv legitimiert. Als mittelbare Störerin kann die sie in Anspruch genommen werden, weil sie die Handlungen der Streithelferin adäquat verursacht hat und – hier kraft Werkvertrags – steuern konnte und weiter steuern kann (Palandt/Herrler, BGB, 79. Aufl., § 1004 RN 18).

30
Die im Rahmen des Erlasses einer einstweiligen Verfügung erforderliche Dringlichkeit lässt sich aus dem Umstand ableiten, dass die Beklagte die Arbeiten durch die Aufbringung der Mutterbodenschicht fortzusetzen beabsichtigt.

III.

31
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1, 2. Fall ZPO. Eines Ausspruches zur vorläufigen Vollstreckbarkeit bedarf es in Ansehung der Unanfechtbarkeit des Urteils (§ 542 Abs. 2 S. 1 ZPO) nicht.

Dieser Beitrag wurde unter Nachbarrecht abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.